Mittwoch, 15. April 2009

"… pursuing and obtaining happiness…" aus diesem kurzen Satzteil wurde die berühmteste Phrase der Unabhängigkeitserklärung: "The pursuit of happiness." Das Streben nach individuellem Glück wird zu den Kernfreiheiten des Menschen, ja zum menschlichen Wesen gerechnet. Das erste Mal kam ich damit in einem verfremdeten Zusammenhang in Berührung – im Song "Mother’s Little Helper" der Stones heißt es deprimiert über eine amerikanerische Hausfrau, die so langsam aber sicher in die Tablettensucht rutscht: "The pursuit of happiness just seems a bore." Womit im Grunde schon das Problem gekennzeichnet ist. Der Mangel an Glück war lange Zeit identisch mit mangelndem Zugang zu materiellen Ressourcen oder der Freiheit vor Diskriminierung jedweder Art. Was aber, wenn wir keine materielle Not erleiden? Der Schwung des Erwerbens und der Reflex, das Glück in äußeren Dingen zu sehen, nimmt nicht so schnell ab. Dem Versprechen, das wir uns wohler fühlen, wenn wir nur dies oder jenes besäßen, lässt sich nur schwer widerstehen, vor allem, da es tatsächlich kleine Glücksmomente gibt, die aber in der Regel kurz nach dem Erwerb wieder verschwinden. Wer freut sich denn noch ein Jahr, nachdem er sein Handy erworben hat, darüber, dass er es besitzt? Wir erwarten von den Dingen außerhalb unserer selbst das Glück und machen das Fehlen dieser Dinge für unser Unglück verantwortlich. Der Arzt schließlich hat dafür zu sorgen, dass es uns besser geht. Womit? Mit Pillen natürlich. Aber nicht nur die Dinge oder deren Mangel sind an unserem Unglück schuld, sondern auch die anderen Menschen – der Nachbar, der Autofahrer, die Regierung, die Lehrer. Vera Birkenbihl ließ ihre Seminar-Teilnehmer manchmal Zettel ausfüllen, darunter den zu ergänzenden Satz: "Die Welt ist voller…" Das Ergebnis war fast erwartbar: Idioten, Trottel, Arschlöcher. Kaum jemand schrieb "Möglichkeiten" oder "Licht" oder "Musik".
Aber wieviel Fortune braucht man, um überhaupt glücklich zu sein? Anscheinend trägt Einkommen bis zu einem gewissen Punkt auch zu einem Mehr an Glück bei. Ab dann geht es wieder abwärts. Und der springende Punkt: Wer auf Geld überdurchschnittlich viel Wert legt, ist unglücklicher. Mit anderen Worten: Es liegt in uns. Oder: Der Mensch lebt nicht nur vom Brot allein. Wir selber sind für unser Glück zu einem großen Teil selbst verantwortlich. Wir sind nicht unabhängig von Äußerem, die Frage ist aber, ob wir in der Lage sind, das Äußere positiv zu bewerten. Wie reagieren wir auf Neuigkeiten? Die meisten von uns kennen vor allem eine Antwort: Negativen Stress. Dabei sind die meisten Ereignisse zumindest ambivalent zu betrachten. Für viele sind aber selbst positiv assoziierte Dinge des Lebens wie der eigene Geburtstag oder ein Familientreffen mit negativem Stress belegt.
Ein Aspekt, den ich am Improtheater schätze, ist, dass man lernt, mit Situationen spielerisch umzugehen. Es gibt nicht die eine "authentische" Reaktion auf eine Neuigkeit. Wenn wir etwas versuchen, von der positiven Seite zu sehen, auch wenn es uns schwerfällt, ist das nicht unbedingt "unnatürlich", auch wenn es sich merkwürdig "anfühlen" mag. Dass uns dieses Gefühl irritiert, ist ja normal, wenn wir den Positivmuskel lange Zeit nicht trainiert haben. Aber manchmal genügt es schon, auf einen Stift, den man quer im Mund hat, zu beißen. Die Lächelmuskeln werden aktiviert, das Hirn sucht sich seinen Grund zum Glücklichsein.
Wie weit aber trägt Arbeit zu unserem Glück bei? Für viele muss man ja sagen – zum Unglück. Die einen müssen ständig unbezahlte Überstunden "auf Arbeit" leisten, die anderen hängen zuhause rum. Die Organisation des Arbeitens vergällt vielen schon vornherein die Lust auf produktives Tun. Und doch sind wir oft am unzufriedensten, wenn uns genau das fehlt. Angeblich hört man von vielen Promis am Ende ihres Lebens die Klage, die hätten doch mehr Zeit mit der Familie, dem eigentlichen Quell des Glücks verbringen sollen. Niemand würde sagen, so die Pointe, er habe zu wenig Lebenszeit im Büro verbracht. Aber sind nicht die Klagen on Frauen, die ihr Studium, ihre Karriere usw. wegen der Familie aufgegeben haben, genau das – der Wunsch, produktiv zu sein?
—vorläufiges Ende der Überlegungen.

*

Eine Reise zurück nach 2003. Ich erinnere mich an so wenig. Wo bin ich damals langgelaufen. Vage Bilder im Kopf. Nur wenige Fotos habe ich damals gemacht. Will auch nicht unbedingt der Vergangenheit nachstöbern, aber wenigstens zu jenem Hostel, in dem ich damals gewohnt habe, das mir Stützpunkt war, wo ich den polnisch-kanadischen Falun-Gong-Aktivisten kennengelernt habe, wo ich jeden Tag in ein Internetcafé aufgesucht habe, um meiner einsamen daheimgebliebenen Steffi zu mailen. Sicherlich gibt es den McDonalds noch, in dem sie immer klassische Streichquartette gespielt haben, aber der Soundtrack ist inzwischen sicherlich ein anderer.
Fahren mit der El zum Arlington House International Hostel.

Und ich erinnere mich wieder, warum ich mich hier damals so aufgehoben fühlte. Die Uhr tickt langsamer. Es wird einem hier klar, wie hektisch Chicago doch ist. Das Internet Café ist verschwunden, der McDonalds spielt Popmusik. Mein Einkommen hat sich in den letzten sechs Jahren immerhin so gebessert, dass ich nicht mehr überlegen muss, ob ich mir ein McDonalds-Menü leisten kann, sondern wir gehen gleich in ein gutes italienisches Restaurant. Frauen. Tagsüber sitzen in amerikanischen Großstädten hauptsächlich Frauen in Restaurants. Ich nehme es hier das erste Mal bewusst deutlich war. Es bestätigt sich in den folgenden Tagen. Aber wo essen die Männer? In der Innenstadt, wo sie berufstätig sind?


Noch ein Grund, sie zu lieben: Ihre scheinbar grundlosen Lachanfälle.

 

 

Während Steffi vom Spazierengehen nicht genug bekommt und unbedingt an den Lake Michigan will, auch wenn der hier an eine Autobahn grenzt, sitze ich im Café, halte mich an einer Cola fest und lese weiter in Obamas Buch "Audacity of Hope". Ich wollte das Buch eigentlich schon seit 1/2 Jahr lesen, und nun ist es mir fast ein wenig peinlich, dies hier ausgerechnet in Chicago in der Öffentlichkeit zu tun, so als wolle ich mich bei den Chicagoern einschleimen. Woher das nun wieder kommen mag.

Chapter 2: Values

Man erwartet natürlich, dass Obama hier ausbreitet, zu welchen Werten er steht und warum. Aber er tut etwas anderes. Er beschreibt eine Reise mit seiner Frau Michelle an den Ort seiner Jugend – Indonesien. Der Mangel an Freiheit dort schockiert sie. Auf dem Rückflug sagt sie

"I never realized just how American I was." (…) She hadn’t realized just how free she was – or how much she cherished that freedom.

Von diesem Punkt aus führt er uns weiter. Freiheit – der große Wert der Amerikaner – wird gezügelt von anderen Werten. Werten der Gemeinschaft.

Our individualism has always been bound by a set of communal values, the glue upon which every healthy society depends. We value the imperatives of family ad the cross-generational obligations that family implies. We value community, the neighborliness that expresses itself through raising the barn or coaching the soccer team. We value patriotism and the obligations of citizenship, a sense of duty and sacrifice on behalf of our nation. We value a faith in something bigger than ourselves, whether that something expresses itself in formal religion or ethical precepts . And we value the constellation of behaviors that express our mutual regard for one another: honesty, fairness, humility, kindness, courtesy, and compassion.

Das Entscheidende aber ist, dass er herausstellt, dass nicht nur beide Seiten enorm wichtig sind, sondern dass sie eben immerfort in einer gewissen Spannung liegen. Das Problem der amerikanischen Politik liegt eben oft darin, dass sie dieses Spannungsverhältnis oft nicht anerkennt. Es wird eben entweder nach mehr oder nach weniger Staat geschrien, aber eben opportunistisch, und zwar auf beiden Seiten: Man bedient sich des konservativen oder des freiheitlichen Werts nach Belieben:

Conservatives, for instance, tend to bristle when it comes to government interference in the marketplace or their right to bear arms. Yet many of these same conservatives show little to no concern when it comes to government wiretapping without a warrant or government attempts to control people’s sexual practices. Conversely, it’s easy to get most liberals riled up about government encroachments on freedom of the press or a woman’s reproductive freedoms. But if you have a conversation with these same liberals about the potential costs of regulation to a small-business owner, you will often draw a blank stare. In a country as diverse as ours, there will always be passionate arguments about how we draw the line when it comes to government action. That is how our democracy works. But our democracy might work a bit better if we recognized that all of us possess values that are worthy of respect

Über den amerikanischen Tellerrand hinausgesehen, finden wir dann eben auch, dass staatliche Intervention z.B. in der Wirtschaft ziemlich weit gehen kann, ohne dass man das Schreckgespenst totalitärer Herrschaft an die Wand malen muss. In den OECD-Ländern variiert die Staatsquote zwischen ca. 34% und 56%. Gibt das Grund zur Aussage, dass Schweden kommunistisch ist? Oder umgekehrt, dass in Australien schlimmste Ausbeutung herrscht?
Und so, durch das Element der Empathie, zeigt uns Obama, wie er zu seinen Werten kommt.

I believe a stronger sense of empathy would tilt the balance of our current politics in favor of those people who are struggling in this society. After all, if they are like us, then their struggles are our own. If we fail to help, we diminish ourselves.

 

 

Erst jetzt, auf dem Subway-Bahnhof "Diversey" finde ich heraus, woran mich das U-Bahn-Rattern hier immer so erinnert – an die gute alte Achterbahn.

*

Dass das Impro Festival in Chicago stattfindet, ist natürlich ein großes Privileg für alle, die damit zu tun haben. In Chicago wurde Anfang der 60er im Grunde das moderne Improvisationstheater erfunden. Ein unwahrscheinliches Zusammentreffen, wie man es manchmal in der Geschichte der Kunst braucht: Eine offene Universität, die die Studenten sowohl intellektuell als auch kreativ fördert und genügend Freiraum bietet, sich auszuprobieren. Schon bald treffen die Richtigen zusammen – Brecht-verliebte Intellektuelle, wunderschöne Studentinnen mit angeborener darstellerischer Fähigkeit, eine Handvoll verrückter Komiker, die heiß darauf sind, auf die Bühne zu dürfen. Unter ihnen Paul Sills, der Sohn von Viola Spolin, der Erfinderin Hunderter Improvisationsspiele, die die Grundlagen der meisten Improshows heute bilden. Und plötzlich hatte einer von ihnen Geld, so viel Geld, um ein eigenes Theater aufzubauen. Second City wurde zur Talentschmiede für SNL. Neue Geister tauchten auf – John Belushi und Dan Aykroyd erfanden die Blue Brothers, die so populär waren, dass es sich lohnte, mit ihnen einen Film zu drehen. Del Close erfand das Rad "Improtheater" neu, er führte es fort von der Orientierung an Sketch-Comedy und hob die Kunst auf eine neue Stufe. Die Szene differenzierte sich immer mehr aus. Die Zahl der Improtheater in Chicago ist unüberschaubar. Ich schätze, es müssten sicherlich 100 sein.
Und so scheint es auch sinnvoll, dass man jährlich den wichtigsten Protagonisten einen Preis verleiht. Man kennt das: Der Preisverleiher schmückt sich ja immer ein bisschen mit. In diesem Jahr hat es Joe Flaherty erwischt. Wir sind eingeladen, müssen nicht die 20 Dollar Eintritt zahlen. Am Rand die einzige schwarze Frau. Bin mir fast sicher, dass es Shaun Landry ist. Würde sie gern ansprechen, da sie mich im YesAnd Forum immer sehr inspiriert hat, aber ob sie mich erkennt? Ob sie es überhaupt ist? Joe hält eine launige Rede voller Anspielungen und ich verstehe kaum ein Wort. Man zeigt Filmchen über und mit ihm. Alle freuen sich. Es wird schon nicht den falschen erwischt haben, denke ich. Party in der Bar. Aber wir wollen zu keiner Party

Mittwoch, 15. April 2009
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