Ein Ensemble-Mitglied auf Dienst- und Urlaubsreisen, das andere Neu-Mutter.
Statt nun selber 5 Monate Spielpause einzulegen, beschlossen Stefanie Winny und ich, aus der Not eine Tugend zu machen. Wir fragten uns: Welche Formate und Genres wollten wir schon immer mal ausprobieren? Mit welche Berliner Improvisierern würden wir gern auftreten und proben?
Der Clou dabei: Zu jeder Show gibt es nur eine 3stündige Probe, wobei jeder Spieler natürlich seine Hausaufgaben erledigen muss und sich mit den Genres beschäftigen.
Zwischenstand:
Die erste Show am 1. Juli war das von uns selbst entwickelte Format “Strangers in the night”, das wir bereits vor einem Jahr zu zweit gespielt hatten. Diesmal allerdings erstmals über beide Hälften einer kompletten Show. Überraschend schön, wie man nahe am Sentiment improvisieren kann. Neben viel Lachen auch die guten Momente, in denen man das Publikum vor Rührung schlucken hören kann. Und erstmals ergab sich bei diesem Format ein Happy End.
Der Vorschlag “Bollywood” kam von Steffi. Ich hatte noch nie einen kompletten Bollywood-Film gesehen und mir nun “Mother India”, “Lagaan” und einige Youtube-Clips angetan, sowie ein paar Artikel zum Thema gelesen. Es blieb exotisches Territorium. Trotz einiger Befürchtungen lief die Probe für die Bollywood-Show phantastisch. Unsere Gäste waren Uta-Maria Walter von Praxis Dr. Patschke und die Dichterin Christina Schneider, die erst vor einem Jahr mit Improvisieren begann, deren Stil uns aber neugierig gemacht hat. Das Gefühl “Wir haben nichts zu verlieren” ließ sich allerdings nicht so leicht in die Show mitnehmen. Wie so oft war es nicht so sehr die Story, wie einige Zuschauer vermuteten (Zuschauer glauben immer, es läge an der Story), sondern an einer gewissen Zögerlichkeit, an der Überwältigung vom musikalischen Material, der Furcht, Erwartungen nicht erfüllen zu können und einigen Missverständnissen. In der Pause beschlossen wir, das Format nicht durchzuziehen, sondern lediglich das Ende zu spielen und dann zu einer einfachen Langform zu wechseln. Nach der Show lobte uns das Publikum trotzdem. Und es zeigte sich wieder einmal, dass einem die eigenen Ansprüche oft im Weg stehen. Auch der Video-Mitschnitt zeigt uns eine Menge schöner Szenen, die zwar nicht an die Szenen aus der freigespielten Probe heranreichen, aber dennoch lustig und sehenswert waren.
Bollywood war auf seine Weise schwer, aber nun ging es an Shakespeare. Was macht eigentlich den Stil von Shakespeare aus? Wie geht er eine Tragödie an, wie eine Komödie? Ich erstellte eine Liste der Stücke, die ich gelesen oder gesehen hatte: Macbeth, Hamlet, Romeo und Julia, Richard III., Der Sturm, Maß für Maß, Sommernachtstraum. Ansatzweise wusste ich bescheid über Lear und Othello. Also nur eine Komödie, wenn man das Problemstück “Maß für Maß” nicht mitzählt. Also noch “Der Widerspenstigen Zähmung” und “Viel Lärm um Nichts” hinzugenommen, damit wir uns nicht zu sehr auf Zwillings- und Verwechslungs-Firlefanz einlassen müssten, der mit vier Schauspielern nur schwer zu bewältigen wäre. Hilfreich war auch eine kleine Merkliste von Herrn Hauswirth zu einem Impro-Shakespeare-Workshop mit Randy Dixon. Zum Hausaufgaben-Repertoire gehörte für mich: Pentameter-Sprechen, Natur-Metaphern improvisieren, im Geiste Listen erstellen von Shakespearschen komödiantischen Mitteln, Handlungs-Orten, Figuren usw.
Die Probe mit Uta-Maria Walter und Thomas Jäkel vom Portal Impro-News und den Changeroos machte Mut.
In beiden Proben ließen wir klassische Warm Ups einfach weg. Stattdessen begannen wir mit Brainstorming zu genre-typischen Elementen, die uns faszinieren. Wir assoziierten Szenen, die wir im nächsten Schritt auch einfach anspielten. Es folgten Monologe, aus denen sich Szenen entwickelten. Wir entdeckten, dass Shakespeare uns plot- und impro-technisch eine Menge Hilfsmittel in die Hand gab: Jeder folgende Schritt wird lang und breit angekündigt. Und schließlich fanden wir in der kurzen Probenzeit sogar die Möglichkeit, je eine viertelstündige Komödie und eine Tragödie anzuspielen.
Die Show war für mich eine der besten, die ich in den letzten Jahren gespielt habe: Geistig fordernd, niemand spielte unter seinen Fähigkeiten, alle gaben ihr Bestes, jeder Schritt ging Hand in Hand, wir haben das Genre ziemlich gut gemeistert, das Publikum (wo kamen die eigentlich alle her bei dieser Jahreszeit?) ging gut mit. Nach der Show sprach ich mit einem sehr jungen Pärchen Erstbesucher, die begeistert waren – für mich ein Beleg dafür, dass es nicht nötig ist, “unerfahrene” Impro-Zuschauer unbedingt erst mit Games an Impro-Theater heranzuführen.
Wir fragten uns vor der Show: Wie wollen wir die Musik einbauen? Passt Musik überhaupt zu einem Shakespeare-Stück? Noch in der Probe haderten wir ein wenig mit dieser Frage. Wir einigten uns auf den Kompromiss, dass die Musik zwischen den Szenen erklingen sollte. Die Show begann, die erste Szene lief. Fee Stracke spielte, und es war großartig! Kein auf Renaissance getrimmtes Pseudo-Mittelalter, keine Film-Musik, sondern seltsam-modern und doch nie gewollt, sondern stets passend klingende Theatermusik.
(Wird fortgesetzt.)

Das Foxy Freestyle Sommer-Experiment
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4 Kommentare zu „Das Foxy Freestyle Sommer-Experiment

  • 2011-07-17 um 15:48 Uhr
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    Vielleicht muss man auch einfach spielen, wozu man einen Hang / einen Draht hat. In Deinem Artikel hört es sich nicht unbedingt so an, als seist Du ein großer Bollywood-Fan ("und einige Youtube-Clips angetan"). Im Vergleich dazu hast Du Dir freiwillig mehrere Shakespeare-Stücke "angetan" (ich habe in meinem Leben noch kein Stück von Shakespeare gelesen). Zeigt für mich doch so ein bißchen, wo Deine Präferenz liegt. Und dann "flutscht" es möglicherweise bei der Aufführung auch einfach besser, wenn man sich mit dem gespielen Genre mehr identifiziert. Aber immerhin habt Ihr die Bollywood-Nummer jetzt prinzipiell drauf (falls mal wieder vom Publikum gewünscht), und das ist doch auch extrem viel wert!

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  • 2011-07-17 um 16:03 Uhr
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    Danke, Claudia!

    Jein.
    Ich habe Bollywood durchaus schätzen gelernt, so wie ich auch im Laufe meiner Impro-Praxis Musicals schätzen gelernt habe.
    Dass der Bollywood-Abend nur mäßig erfolgreich war, lag weniger an der Sympathie fürs Material, sondern an ein paar unglücklichen Umständen (z.B. Krankheit des Musikers, Missverständnisse auf der Bühne usw.) und daran, dass wir uns irgendwann davon haben runterziehen lassen. Teilweise natürlich auch daran, dass wir uns als Spieler nicht gut genug kennen, was wiederum weitere Missverständnisse bewirkt usw.
    Als eingebautes Game interessieren mich Genres eigentlich nur zu Übungszwecken. Ich habe mir fest vorgenommen, dass wir das Bollywood-Experiment wiederholen, dann sicherlich, wenn J., die ein großer Fan des Genres ist, wieder einsetzbar ist.

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  • 2011-07-22 um 08:36 Uhr
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    Sehr interessanter Artikel, auf dem du auf vielen Ebenen euren Probenprozess beschreibst. Sehr guter Input zum Thema "Shakespear" – hast du zu Bollywood ähnliche "Hausaufgaben"-Listen?

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