Ein weitverbreitetes Missverständnis zum Thema Gagging besteht darin, dass Improspieler glauben, Gagging bezeichne überhaupt jede Art von Komik im Improtheater und das Gebot, Gagging in der Szene zu unterlassen, beträfe gewissermaßen eine übermäßige Häufung an Comedy.
Gemeint ist aber etwas völlig anderes: Gagging bezeichnet den schnellen Gag auf Kosten der Szene. Eine urkomische Szene kann also durch einen Gag ruiniert werden. Das mag zunächst paradox erscheinen. Aber das Ganze erklärt sich, wenn wir uns anschauen, was eine Szene komisch (oder auch berührend, tragisch usw.) macht: Es ist das Game der Szene. Nehmen wir den Film „Der verrückte Klaviertransport“ mit Stan Laurel und Oliver Hardy. Für sich genommen könnte man den Film als eine Aneinanderreihung von Slapstick-Gags betrachten. Aber im Grunde ist diese Komödie ein einziges sehr organisches Game. Die Komik entsteht aus der konsequenten Entwicklung der Prämisse: Ein hoch empfindliches und teures Klavier wird von den zwei Typen angeliefert, die man nie auch nur in der Nähe des Instruments sehen möchte – Laurel und Hardy. Jede komische Handlung, jeder Gag hat seinen Ursprung in dieser Ausgangssituation und ist dramatisch eingebaut in die jeweilige Situation. Jedes kleine Missgeschick entfaltet seine Wirkung später umso mehr. Jede Katastrophe entfaltet sich in Dutzende kleinere Mini-Malheure. Von Charlie Chaplin weiß man, dass er ungeheuer komische Sequenzen aus seinen Filmen herausschnitt, weil sie am Ende nicht zum Gesamtrhythmus passten.
Gagging ist im Grunde ein egoistisches Verhalten: Man platziert einen Gag, um einen Lacher zu bekommen, aber der Gag hat nichts mit dem bereits Etablierten zu tun; vielmehr raubt er der Szene den Schwung. Im erwähnten Laurel-und-Hardy-Film verlieren wir nie unser Interesse daran, ob es den beiden nicht doch noch gelingt, das Klavier unversehrt auszuliefern.
Gagging-Gags wirken oft ausgedacht. Der Lacher hat nichts mit der Ausgangssituation oder dem Verhalten des Characters zu tun. Gagging ist insofern eng verwandt mit „Originell sein“. Wenn wir im Game der Szene und in der Logik der Charaktere bleiben, dann müssen wir uns keine Gedanken darüber machen, ob die Szene lustig genug ist, wir brauchen keine Witze „einzubauen“. Denn nachhaltige Komik entsteht nicht aus der Aneinanderreihung von Scherzen, sondern aus der ins Extreme getriebenen konsequenten Entfaltung einer Ausgangssitutaion.

Komik vs. Gagging
Markiert in:

3 Kommentare zu „Komik vs. Gagging

  • 2015-09-24 um 08:51 Uhr
    Permalink

    Komik unterstützt die Szene, gagging macht sie kaputt. Mit gagging muss ich ständig nachlegen, denn das Publikum hat sonst nichts, woran es sich halten kann, womit es sich identifizieren kann, das wäre sonst ja die Geschichte, wären die Charaktere.
    Meine eigene These: Komisch ist der Charakter, gaggen tut der Schauspieler dahinter. Aus Egoismus, Unvermögen, Spaß am gag oder was auch immer (Dörthe)

    Antworten
  • 2016-11-14 um 08:07 Uhr
    Permalink

    Man kann auch schlagfertige Antworten und witzige Sätze einbauen, ohne dass die Szene dabei kaputtgeht.
    Gagging wäre für mich so etwas:
    Spieler steht da wie ein Held: "Heute werden wir die Burg zurückerobern und kämpfen!"
    Spielerin antwortet:"Super Leon, aber erst mach deine Hausaufgaben"

    Kein Gagging ist für mich alles, was lustig ist, aber nicht die Szene und das bisher Etablierte in Frage stellt.

    Antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert