Paulos betont, wie wichtig es ist, ein Gefühl für Wahrscheinlichkeiten zu entwickeln, was natürlich nur funktioniert, wenn man sich mit dem Instrumentarium einigermaßen auskennt. Das Buch von 1990 scheint mir immer noch sehr aktuell, zumindest für Deutschland. Die meisten Schüler begegnen der Wahrscheinlichkeitsrechnung und dem Umgang mit sehr großen und sehr kleinen Zahlen erst sehr spät – in der 11. oder 12. Klasse. Wenn man davon ausgeht, dass nicht alle Fächer beliebig ausgedehnt werden können und man die Unterrichtszeit für Mathematik beibehielte, könnte man nach meinem Gefühl zum Beispiel bei der Trigonometrie abspecken, die im Grunde nur noch für Designer und Ingenieure relevant ist. Der Umgang mit Wahrscheinlichkeiten hingegen müsste so früh wie möglich in den Unterricht eingebaut werden, da er dermaßen alltagsrelevant ist und letztlich auch persönlichkeitsprägend. Mathematische Analphabeten, so zeigt Paulos, neigen dazu, Ereignisse persönlich zu nehmen, können Risiken schwerer abschätzen, fallen leichter auf statistische Tricks, geschwätzigen Humbug und Pseudowissenschaften herein. Sie vermögen nicht zwischen Korrelation und Kausalität zu unterscheiden. Sie sind diejenigen, die ihre dunklen Theorien mit dem Satz Halbsatz „Es kann doch kein Zufall sein, dass…“, beginnen. Und während man Legasthenikern oft mit Herablassung begegnet, gilt es oft sogar als schick, mit mathematischer Unkenntnis zu kokettieren.
Paulos gibt sich redlich Mühe, auch für jene verständlich zu bleiben, die sich der Mathematik nur mit Vorsicht nähern. Für den mathematisch und statistisch halbwegs geschulten Geist bietet Paulos trotzdem unterhaltsame Überraschungen.
 

John Allen Paulos – Zahlenblind
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Ein Kommentar zu „John Allen Paulos – Zahlenblind

  • 2016-05-10 um 22:06 Uhr
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    Dem kann man nur beipflichten. Ein besseres Verständniss von
    Wahrscheinlichkeiten und Statistik würden die Menschen viel weniger
    anfällig machen für blinden Glauben an Wunder (Geistheilung,
    Lottogewinne, die Wunder von Basel, Eschede etc). Typischerweise wird in
    Deutschland der Ausbildung von Wahrscheinlichkeits-Rechnung und
    Statistik in der Schule viel weniger Aufmerksamkeit geschenkt als in
    englisch-sprachigen Ländern. Dort gelten beide Disziplinen als ein
    wesentlicher Teil der praktischen Mathematik, um empirisch gewonnene
    Daten beschreiben und nutzen zu können. In Deutschland hat in der
    mathematischen Ausbildung traditionellerweise vielmehr das Berechnen von
    idealen Zuständen Vorrang, bei denen es keinerlei Störung von idealen
    Versuchsbedingungen gibt. In der Realität ist das aber immer der Fall.
    Wenn man 10 Pferde an 10 Tagen hintereinander ins Renner schickt wird
    sich niemals die genau gleiche Reihefolge des Zielleinlaufes ergeben.
    Das beste der Pferde siegt vielleicht 6 oder 7 mal, aber 3 oder 4 mal
    eben ein anderes, weils es zufällig gerade in besserer Tagesform ist
    oder der Favorit von einem Schmetterling gestört wurde.
    Das interessante Buch von John Allen Paulos werde ich mir sicherlich mal
    in den nächsten Tagen anschauen.  Sehr zu empfehlen ist auch von Dubben
    und Beck-Bornholdt "Der Hund, der Eier legt: Erkennen von
    Fehlinformation durch Querdenken".

    beste Grüsse
    michael

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