Metapher oder Gag

In der Improvisation brauchen wir den Mut, seltsamen Wendungen und einzelnen Sätzen Raum zu geben, um ihre metaphorische Wirkung zu entfalten.
In einer großformatigen Improvisation beim Berliner Improtheater-Festival 2015 gab das Publikum einem von Randy Dixon gespielten Mann den Satz „Ich liebe Bier!“ als Lebensmotto vor. Was zunächst aus dem Publikum heraus als halblustige Klischee-Anspielung auf das deutsche Szenario gemeint war, entwickelte sich zu einem poetischen Motiv. Während der vier Stunden, in denen man diese Nebenfigur sah, fiel der Satz nur vier Mal, wie nebenbei, und entfaltete immer stärker seine Wirkung, indem man einem lebenslustigen Mann zusah, der tragisch endete und seine Liebe zu Bier mit ins Grab nahm.
Um Metaphern blühen zu lassen, darf man sie nicht zu sehr forcieren, und schon gar nicht sollte man sie erklären. (Ein erklärter Witz ist nicht mehr komisch, eine erklärte Metapher nicht mehr poetisch.)
Wäre der im Beispiel genannte Satz „Ich liebe Bier“ häufiger ausgesprochen worden, hätte er seine metaphorische Kraft wahrscheinlich verloren und wäre zum Running Gag verkommen.

Claudia Hoppe interviewt Randy Dixon

Excerpts:
Randy Dixon: “To me improv needs to be more people [than two, three or even solo improvisers]. It needs to be seventeen people to work, I think.”
“Anyone can teach improv, but not anyone can teach improv well.”
“I’m not teaching a system. I’m not saying: ‘Here is how you play this game.’ I say: ‘Here is why you play this game.'”
“I wish more people would take rehearsing workshops more seriously, in a sense that it’s not about getting laughs, it’s not about being funny, it’s not about performing for your friends. It’s about practising your skills and getting better. So that when you perform for the people, you’re better.”

http://claudiahoppe.com/en/2014/03/29/podcast-nr-15-randy-dixon-zu-gast-im-interview/

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Großzügig mit Ideen

Der erstaunliche Rat in “Save the cat” von Blake Snyder lautet, man solle eine Drehbuch-Idee möglichst vielen Leuten in seiner Umgebung vorstellen und ihre Reaktion testen. Er sei damit immer sehr gut gefahren. Wie argwöhnisch dagegen doch so viele sonst ihre literarischen Ideen hüten, ständig in der Angst, jemand könnte sie “klauen”.
Im Improtheater ist ja Großzügigkeit eine der Haupttugenden auf der Bühne. Aber ich freue mich auch, dass es sich in der internationalen Szene eingebürgert hat, mit Formaten großzügig umzugehen. Als äußerst produktiv und freigiebig muss man hier Randy Dixon bezeichnen, der das Projekt “Living Playbook” begründet hat, in dem er auch viele der von ihm erfundenen Langformen gesammelt hat.
(Dem Vernehmen nach musste Johnstone dazu fast gezwungen werden, “Theatersport” schützen zu lassen, damit in den USA nicht andere ihre Finger drauf legen. In Deutschland ist “Theatersport” übrigens, entgegen anderer Gerüchte, frei, jede Gruppe kann sich “Theatersport Kleinsiehstenicht” nennen.)

Wir und das Publikum. Fragen

Fragen aus Gesprächen mit Randy Dixon in den letzten Jahren über das Verhältnis zwischen Improspielern und Publikum.

Was erwartet das Publikum?
Können wir wissen, was das Publikum erwartet?
Was erwarten wir vom Publikum?
Wie gehen wir mit den antizipierten Erwartungen des Publikums um? (Erwartungs-Erwartungen)
Können wir die Erwartungen des Publikums formen?
Inwieweit sollte man die Erwartungen des Publikums bedienen?
Wer ist unser Publikum?
Was für ein Publikum wollen wir überhaupt?
Was für Vorschläge wollen wir vom Publikum?
Was geben wir dem Publikum szenisch zurück?
Was für Vorschläge wollen wir vom Publikum?
Wie fragen wir nach Vorschlägen?
Brauchen wir überhaupt Vorschläge aus dem Publikum?
Repräsentieren die 2-4 Personen, die Vorschläge geben, überhaupt das Gesamt-Publikum?
Wie gehen wir mit Vorschlägen um, die wir nicht mögen/wollen?
Gibt es ein schlechtes Publikum?
Tendieren wir dazu, unser Publikum zu unterschätzen?
Wann mag das Publikum eine Show besser als die Performer sie mögen? Und wann mögen die Performer die Show besser als das Publikum sie mag?

Vorschläge im Langform-Improtheater

In Seattle längere Diskussion mit Randy Dixon über Vorschläge im Improtheater (die hierzulande unangenehmerweise oft als “Vorgaben” bezeichnet werden).
Ausgangspunkt für mich waren die wunderbaren Shows von TJ & Dave, die einfach ohne irgendeinen Vorschlag starten, sondern nur auf die Bühne gehen, schauen, was passiert, und daraus eine großartige Story von ca. 1 Stunde entwickeln.
Randy Dixon hingegen meint, in dieser Art zu spielen, läge eine gewisse Arroganz. Das Aufgreifen des Publikums-Vorschlags sei nämlich die beste Art, eine Verbindung zu den Zuschauern herzustellen. Nun kann man nicht abstreiten, dass so eine Verbindung hergestellt werden kann. Aber wirklich die beste??
Zunächst ist der Vorschlag ja erst mal nur ein Vorschlag eines Zuschauers, mit dem die anderen Zuschauer vielleicht gar nichts anfangen können.
Zum anderen wundert es mich, diese Fetischisierung des Vorschlags gerade von dem Meister zu hören, dem doch so sehr an Relevanz gelegen ist, d.h. an relevantem Inhalt. Das Publikum muss berührt werden, und das gelingt uns durch Transparenz des Spiels und durch kluges Verwenden der spielerischen Elemente.
Schließlich: Wenn aus dem Spielen ohne Vorschläge Arroganz spräche, so wäre jedes nicht-improvisierte Theaterstück, ein großer Haufen Arroganz.

Genre Quickfix

Frage auf dem Festival Randy Dixon, wie er ein neues Genre angeht. Er meint, das Erste, was er tut, sei, das Kinderlied “Humpty Dumpty” auf das Genre zu übertragen. (Fürs Deutsche wäre die Entsprechung wohl “Hänschen klein”)
Wie würde ein Western oder Tennessee Williams diese Geschichte erzählen?
Damit hat man zwar noch keine sprachlichen Mittel, keine Bilder usw. aber immerhin schon eine Perspektive aufs Storytelling.

Randy Dixon on audiences, attitudes and variety

“The limitations in improvisation are the improvisers, not the audience. The work that we choose to do or we choose to focus on, that holds us back. Every-one talks about wanting to do long-form, storytelling and all that stuff, but some of the groups don’t. Or they’re so tied into the games. To me there are so many groups, they are not necessarily improvisers, they’re game players. They play games by rules, and without the games they can’t create anything. We need more people to love the art of improv for the art of improv and not as a process to get to something else.”
“The groups need to go deeper in the group work. I think in theatersports we have something that I call personality improv. You are like Oh, that’s the funny guy! And that’s why that person is doing improv. It’s because they get the adulation /admiration of the audience, rather than thinking of what’s the group dynamic, where’s the group going. And I think that in the group work we’re getting deeper and deeper. It’s not really short or long form, it’s an attitude.”
“My development in terms of thinking about this is, I start each project by thinking, what do I want the audience to experience.”
“Our style is pretty low key, pretty mellow. (…) We’re going to start slow, and take our time, and it seems to be successful for us in terms of training that audience.”
“My main philosophy in improvisation is variety.”
“One thing about the audience in our shows: We try to make them storytellers as well.”
“We don’t need to recreate the story of an audience member. We’re translating it into the language of theater.”
“I’m not in improvisation so much for what we do, although that’s great, but I still see so many possibilities in terms of what we can do or could be doing or should be doing. And so I’ve never really had a moment of like ‘Oh, well, this is it.'”
(Alle Zitate von Randy Dixon auf der Podiumsdiskussion des Internationalen Improtheater-Festivals am 20.3.2011 in Berlin)

Mangel an Visionen schafft Mittelmäßigkeit

“Was Improvisation so mittelmäßig bleiben lässt, ist der Mangel an Visionen in vielen Gruppen. Ich verbringe viel Zeit damit, Improvisierer zu fragen, warum sie das tun. Es ist erstaunlich, wie wenige sich jenseits der Möglichkeit aufzutreten, über Improvisation Gedanken machen. Ich denke, jeder muss von sich selbst einVerständnis als Performer entwickeln, bevor er sein Handwerk über ein bestimmtes technisches Niveau verbessern kann.” (Randy Dixon)
“What keeps improvisation mediocre is a lack of vision from many groups. […] I think everyone really needs to understand themselves as performers before they can improve their craftsmanshiop beyond a certain technical level.”

Storytellers: Sich zurücklehnen

Randy Dixon rät: “Lehnt euch zurück und lasst die Geschichte sich selbst erzählen.”
Daran knoble ich nun schon seit Monaten.
Nachvollziehbar auf jeden Fall: Mach nicht zu viel Sinn. Erkläre nichts. Die Zuschauer machen sich ihren eigenen Reim drauf.
Andererseits: Es bedarf auch einer gewissen Erzähl-Erfahrung, einer Gewandtheit in Genres und vor allem eines gewissen Grund-Engagements. Einem tendenziell zurückhaltenden Spieler zu raten, sich zurückzulehnen, wäre dann wohl kontraproduktiv, oder?

Die dritte Sache muss nicht auf die Bühne

Zwei kurze Vater/Tochter-Szenen mit anschließender Analyse und Diskussion.
Entscheidend ist, dass wir das Dritte (hier den Boyfriend bzw. die Mutter) gar nicht zu sehen brauchen. Und als Publikum vermissen wir sie tatsächlich nicht. Den das Dritte ist hier Symbol für das, was zwischen den beiden Spielern läuft.
Das heißt aber auch, dass wir als draußen stehende Spieler Raum geben müssen und nicht als nervige Mutter oder säßer Boyfriend auf die Bühne springen müssen. Für flinke Spieler bedeutet das Disziplin-Üben.
Poesie des Storytelling: Der Zuschauer baut die Geschichte im Kopf zusammen.
Ich empfehle vor allem, die Analyse von Randy nach der zweiten Szene.

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Effizienz des Storytelling

Lektion aus Seattle
Zwei Personen können lang eine Szene tragen. (In Seattle spielten Randy Dixon und Tony Beeman ein ganzes Stück über eine Stunde zu zweit.) Aber wie macht man das? Das Wichtigste: Das Dritte wird nicht gezeigt, es bleibt Symbol zwischen den beiden. Ein Gespräch zwischen zwei Eheleuten über den Lehrer ihres Kindes wird also im Grunde ein Gespräch über die eigene Beziehung, den Lehrer brauchen wir nicht mal zu zeigen. Mit anderen Worten: Wir erzählen gut, indem wir bestimmte Dinge nicht erzählen. Dem Zuschauer bleibt Platz für Interpretation. Wir müssen ihm nicht alles auf die Nase binden, schon gar nicht unsere Deutung.
Das ist allerdings auch eine Herausforderung für Mitspieler: Betritt nicht die Szene, sondern schaffe Raum. Erstens im wörtlichen Sinne für deine Mitspieler. Zweitens Interpretaionsräume in den Köpfen der Zuschauer.

Was sagen wir hier eigentlich

Keith Johnstone ermutigt die Impro-Anfänger, das Neheliegende zu wählen, auch wenn es Obszönitäten sind oder völliger Quatsch entsteht.
Aber von Zeit zu Zeit sollten wir doch auch ein Auge auf den Inhalt werfen, den wir da produzieren. Wozu sonst stehen wir auf der Bühne.
Randy Dixon gibt folgenden Vergleich: Wir produzieren eine Schale. Und im Improtheater schauen wir in der Regel auf die Schale (d.h. das Format oder Game) und wie gut wir diese Schale hinbekommen haben. Meistens diskutieren wir jedoch über den Prozess des Erschaffens der Schale. So gut wie nie jedoch über den Inhalt, den diese Schale hält (oder auch nicht). So wacklig diese Metapher auch sein mag, so wichtig ist es jedoch auch, dass wir von Zeit zu Zeit auch mal die Konvention brechen, und mal nicht nur über das Wie, sondern auch über das Was zu reden.
Habe ich überhaupt etwas zu sagen? Will ich etwas sagen? Wem will ich etwas sagen? Usw.
Es ist eine Diskussion, die man wahrscheinlich am ehesten mit sich selbst allein führen muss. Oder?

“Nur im Moment”

Der von mir sonst so geschätzte Jazz-Musiker N. meinte, er interessiere sich überhaupt nicht für das, was gerade vor ein paar Sekunden oder gar Minuten gespielt worden sei, es gehe ihm nur um den Moment.
Ich konnte ihm nicht zustimmen. Gute Improvisation, ob in der Musik, im Theater oder im Storytelling, bezieht sich immer auch darauf, was vorher geschah. Nur so können z.B. Muster, Linien, Bögen entstehen.
Ich kann also im Moment agieren, aber ebenso das Gesamtbild im Auge behalten.
Genaugenommen ist “der Moment” ohnehin eine Fiktion, eine Unzeit.
Das Bild des Rückwärtsgehens, das Randy Dixon benutzt hat, fand ich sehr treffend. Wir sind achtsam im Moment des Gehens, aber wir sehen gleichzeitig alles, was wir bereits hinter uns gelassen haben.

Randy Dixon

Nach den Kurzauftritten bei der Eröffnungsshow wurde noch mal deutlich, dass Randy Dixon nicht nur ein beachtlicher Lehrer, Impro-Theoretiker und Formate-Erfinder ist, sondern auch ein begnadeter Spieler. Dabei ist es durchaus nicht so, dass er die größten Lacher auf der Bühne erntet, er stellt sich vielmehr völlig in den Dienst der Szene. Er verfügt über die große Fähigkeit, den gröbsten Unfug zu veredeln. Sein Spiel wirkt zu keinem Zeitpunkt angestrengt, eher sogar ein wenig unterspannt, aber nie langsam. Gut, dass es ihn gibt.