Sei nicht schlauer als das Spiel

Ich habe es hier vielleicht schon mal geschrieben: Sei nicht schlauer als das Spiel. Ein gutes Impro-Spiel funktioniert vor allem dann, wenn man sich ihm bedingungslos unterwirft.
Biespiel Zettelspiel: Sofort den Zettel aufheben und ihn vorlesen, statt mit einleitenden Worten, das Risiko abzumildern. Sobald die szenische Situation wieder einigermaßen stabil ist, gleich wieder einen neuen Zettel aufheben. Nur so entsteht der Tanz.

Umsetzbarkeit

Man lasse sich bei der Auswahl von Spielen und Spielformen auch von der äußeren Situation leiten. Oft schon wurden Spiele ausgewählt, die vielleicht für den Abend nett gemeint waren oder auch beim Publikum anzukommen versprachen. Aber dann wurde vergessen, dass man in der konkreten Bühnensituation das nicht umsetzbar war (fehlendes Mikro, zu großes oder zu kleines Publikum).
Stelle dir das Spiel visuell auf dieser konkreten Bühne, mit diesen Spielern, mit diesem Publikum und mit diesem technischen Equipment vor.

Wörter aufgreifen

Satz-Elemente des Impro-Mitspielers aufgreifen und in ihrer Konsequenz weiterentwickeln. Wenn wir dies positiv betreiben, bringt es die Szene in einen ungekannten Schwung.
Shakespeare treibt dieses Spiel mit Vergnügen, und es ist ein großer Spaß, die Tragödie Macbeth nur auf dieses Spielchen hin zu lesen.
Ganz nebenbei schärft es als Übung das Zuhören, das Akzeptieren und das Vorantreiben.

Kinder-Kauderwelsch

In der S-Bahn ein zweieinhalbjähriger Junge und ein vierjähriges Mädchen, die einander liebevoll necken. Auf einmal fallen sie ins Kauderwelsch. Denke zunächst, ich würde mich verhören, es sei Kindergenuschel oder eine Fremdsprache. Ist es aber definitiv nicht. Erstaunlich, wie sie aufeinander eingehen. Was erwachsene Impro-Schülern häufig erst mühevoll wiedererlernen müssen – dass man Wort- und Satz-Elemente des anderen mitverwendet, dass man die Worte aus der Emotionalität entstehen lässt – das machen die beiden völlig natürlich. Zwischendurch schalten sie immer wieder mal ins Deutsche. Und zu keinem Zeitpunkt wird das Spiel infrage gestellt. Denn in diesem Alter ist einfach alles Spiel. Die Regeln ergeben sich beim Tun.

Monty Python Trash

Carol Hazenfield meint, um schön zu improvisieren, müsse jeder Spieler sein “Glänzendes Ding” (Shiny Thing) finden. Etwas, das ihn erstrahlen lässt, dass das Improvisieren leicht und beglückend erscheinen lässt.
Oft finden wir das in einem Spiel im Spiel.
Ein beeindruckendes Beispiel, um in diese Stimmung zu kommen, wäre das “Monty-Python-Spiel”. Hier die von mir etwas gekürzten Regeln:

  • Jede Figur hat ein Ziel, das sie kompromisslos verfolgt.
  • Jeder reagiert auf jedes Angebot.
  • Extreme Gefühle sind der Regelfall.
  • Man darf nicht nur unterbrechen, sondern soll es sogar.
  • Ort und Zeit sind relativ, ihre Logik muss nicht beachtet werden.

Vor allem bei Spielern, die zu Vorsicht und Nachdenken neigen, lohnt dieses Spiel.

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Games und Langform

Noch einmal begeistert-positives Feedback auf lustige Games, höfliche Anerkennung zur Langform. Es wäre ja einfach, zu sagen, die Zuschauer würden nur das Kurze, auf den schnellen Gag orientierte sehen wollen.
Ich denke, dass wir oft auch die Games besser spielen als die Langformen: Die Begeisterung, die Freude, den Mut, die Spannung – all das müssen wir in die Langformen mit hinüber nehmen. Die lediglich absolvierte Langform ist eben auch nur eine etwas langweilige Form, wenn uns die Freude des momentanen Schaffens, die Unmittelbarkeit verlorengeht. Und das riechen die Zuschauer 10 Meilen gegen den Wind.

Impulskontrolle

Beim Improtheater – und überhaupt in der Improvisation – stehen wir vor der Frage, wie wir mit unseren Impulsen umgehen sollen: Einerseits brauchen wir eine erhöhte Wahrnehmung für sowohl innere als auch äußere Impulse. Den inneren strengen Zensor abzuschalten, der uns Inhalte und Formen zensiert, ist eine der ersten und immer wiederkehrenden Übungen des improvisierenden Künstlers. Andererseits müssen wir unsere Impulse editieren, sonst rutschen wir in alltägliches Reagieren. Wenn das Improtheater mit diesen impulsiven Alltagsreaktionen gefüttert wird, entstehen meist negative Szenen, Charaktere sagen “Ja, aber” oder benennen alles eins zu eins – die kreative Energie geht verloren.
Eine Lösung für diese Zwickmühle sind Games: Wir stellen ein Spiel mit Regeln auf, die sich genau auf diese Impulse beziehen. Die Blockier- und Akzeptierspiele z.B. arbeiten genau mit den Impulsen des Verneinens, ein Spiel wie das ABC-Spiel arbeitet mit dem Impuls des skeptischen Überprüfenwollens usw.
Auf lange Sicht erreichen wir durch unser Impro-Training zweierlei: Wir polen unsere Impro-Impulse um (indem wir den Ja-Muskel trainieren) und zweitens werden wir wacher für kleine Impulse überhaupt. Dadurch erhöht sich unsere Fähigkeit, auf vielfältige Impulse unterschiedlich zu reagieren. Eine größere Bewusstheit lässt uns zu tieferen Schichten des Unbewussten stoßen.

Spiele

Nützliche Spiele aus Vlceks Buch Workshop Improvisationstheater, die ich noch nicht oder so noch nicht kannte:
41 – Sprechende Hände
54 – Fuchs und Eichhörnchen
63 – Klapperschlangen
243 – Geschichte in fünf Sätzen (Bisher in drei Sätzen oder offen, so strukturiert es mehr)
248 – Improquälerei (radikalisiert den Gedanken Johnstones, “Fehler” zu Spielen umzuwandeln, z.B. “beide blockieren” oder “nur Fragen”)
277 – Drei Erzähler + 1 Spieler
292 – 2 +2 “Das Gewissen” (eigentlich kein neues Spiel, da wir es so in Langformen immer wieder eingebaut haben, aber auch gut, es mal so zu formalisieren)
298 – Mörderspiel (vereinfachte Variante der immer mehr verbreiteten Krimi-Langformen)

Radim Vlcek “Workshop Improvisationstheater“

Spielesammlung von Radim Vlcek “Workshop Improvisationstheater”. Wenn man nicht gerade Spiele und Übungen ad hoc erfinden will, erspart man sich so die umständliche Suche in eigenen Aufzeichnungen und im Internet. 350 Spiele und Übungen für Anfänger- und Fortgeschrittenen-Levels. Relativ wenig zu Verfeinerungen, was aber kein Mangel ist bei der Fülle. Ein paar grundlegende Fragen, die bisher in der deutschsprachigen Impro-Literatur noch nicht angesprochen wurden. Auf jeden Fall ein empfehlenswertes Handbuch, wenn man auf sprachliches Feingefühl keinen gesteigerten Wert legt. Zitat: “Hier geht es um Fun!” Erläuterung dazu: “Ich finde die englischen Ausdrücke oft treffender als die deutschen Übersetzungen.” Ja, ja, “fun” ist bekanntlich ein derart schwieriges englisches Wort, dass sich selbst gestandene Übersetzer daran die Zähne ausbeißen.
Generelle die klassische in Deutschland anzutreffende Haltung zu Improtheater: Grundlage das Impro-Match, dessen Konventionen Vlcek an keiner Stelle infrage stellt. Kurzformen seien “seicht”, Langformen “tief”. Bei den Beispielen für szenische Inhalte, die er für witzig hält (“Liebesleben der Backsteine”, “Kohls Gebiss wurde gestohlen”, “Huhn legt eklig grüne Eier”), frage ich mich, ob die deutsche Impro-Szene manchmal im Karnevals -Spaß ersäuft. Ist das nun einfach eine andere Art von Humor? Kann man das überhaupt kritisieren? Um nicht zu negativ zu enden, möchte ich sagen: Kauft das Buch! Es ist nützlich.

Negative Bestätigung

Viele gute Lehrer tun es entweder instinktiv oder bewusst: negative Haltungen zunächst bestätigen. Johnstone machte z.B. Spiele daraus: “Nur blockieren”, “Nur Fragen stellen”. Man könnte das ganze auch noch radikalisieren. Nina Wehnert berichtet gar von einem Contact-Impro-Lehrer, der zunächst den Widerstand und die Müdigkeit der Schüler bedient. Psychologischer Hintergrund: Ins Extrem getrieben werden alle Dinge öde, sogar das Müdesein. Hier liegt vielleicht ein guter Schlüssel für die Arbeit mit Einzelspielern, z.B. mit körperlichen und sprachlichen Gewohnheiten.

Format-Abwandlungen

Ich habe nie verstanden, warum Johnstone sich so geärgert hat, dass Improspieler an verschiedenen Orten sein Theatersport-Konzept abwandeln: Die bescheuerten Strafkörbe weglassen, den ganzen Jury/Richter/Moderator/Regisseur-Hokuspokus modifizieren.
Im Gegenteil glaube ich, dass jede Gruppe und jeder Spieler herausfinden muss, was sie inspiriert, was die Freiheit des Spiels fördert. Ganz offensichtlich ist das ja bei der Collage-Form “Harold”. Inzwischen spielt kaum mehr jemand diese Form so, wie es in Del Close’ “Truth in Comedy” beschrieben wurde. Je nach Ensemble-Typus orientiert man sich auf Storys, auf abstrahierende Elemente oder auf locker verbundene Games.
Allerdings glaube ich auch, dass gerade bei den kurzen Impro-Spielen viel Abwandlungs-Schindluder getrieben wird: z.B. die Unsitte, mehrere Game-Features in ein Spiel zu stopfen. Oder sich die Hürden so niedrig zu setzen, dass man es “leichter” spielen kann (d.h. weniger improvisieren muss).

Ansonsten kann man Abwandlungen nur begrüßen. Aus ihnen entstehen nicht selten neue Formate.

Komik des Improvisierens

Steffi Winny beschrieb die Komik des alten Improspiels “Rein/Raus” so, dass die Spieler zu “Regie-Opfern” werden. (Zumindest wenn es gut gespielt wird, d.h. schnell und ohne lange Rechtfertigungen, ist das der Fall.)
Im Grunde aber funktioniert ein Großteil der gesamten Impro-Komik auf diesem Prinzip: Der Improspieler macht sich bewusst zum Opfer seiner Mitspieler, zum Opfer der Regeln eines Spiels oder auch – wenn er schnell und transparent genug ist – zum Opfer dessen, was sein Unbewusstes an Inhalten ausspuckt.
An dieser Stelle umfasst Improvisation einen großen Teil des Komikaspekts, den Henri Bergson in “Das Lachen” (“Le rire”) beschrieben hat.

Funny Games IV

“Meine Spiele sind mehr als bloß ein Haufen Übungen. Richtig angewendet sind sie ein Lernsystem, das die intuitive Kraft des Einzelnen erreichen und sein Genie freisetzen kann.” (Viola Spolin in Janet Coleman: “The Compass. The Improvisational Theatre That Revolutionized American Comedy”)