Blixa Bargeld über das kreative Potential von Zufall

Auszug aus dem Interview in der ZEIT vom 20.4.2011
“ZEIT: Wie verlieren Sie die Kontrolle?
BARGELD: Um etwas zu erschaffen, das es vorher nicht gab, muss man immer neue Strategien des Unterlaufens entwickeln. Ein Beispiel: Bei Aufnahmen für eines unserer letzten Alben haben wir mit einem System aus etwa 800 Karten gearbeitet, die ich zuvor mit Stichworten oder auch Anweisungen beschriftet hatte. Einmal hat jeder drei Karten gezogen, die Anweisungen darauf für sich behalten und sie musikalisch interpretiert. Wenn das alle gleichzeitig tun, kommen definitiv Dinge heraus, die keiner von uns erwartet hat. (…) Es sind immer Kontrollmechanismen, die das Neue verhindern. Das fängt schon bei den einfachsten Dingen an: Beim Viervierteltakt, einer Songlänge von dreieinhalb Minuten, beim Tempo, den Akkorden, der Abfolge Strophe-Refrain-Strophe-Refrain-Doppelrefrain-Ende. Wer so arbeitet, kann es auch gleich sein lassen.
Anfangs hatten wir gar nicht die Wahl. Wir hatten kein Studio und keine Instrumente. Also haben wir mit einem Kassettenrekorder aufgenommen und Instrumente gespielt, die keine waren.
ZEIT: Not macht erfinderisch.
BARGELD: Jeder Künstler wird Ihnen bestätigen: Ist das Budget unendlich, fällt ihm nichts mehr ein. Erst die Beschränkung macht das Nachdenken interessant.”

“Trust Us! This is all made up” (TJ & Dave)

Dave: „All of it is based on faith and trust, that they’re fine without me. […]We have this trust that, No matter what I say to you, you’re going to be fine. You’re really good. And there’s no way I can hurt you. You’re that good. And that allows for us to give each other the best.“

TJ: „We together have trust in the evening, that if we just stay out of its way, it will be just fine. […] It’s as though it’s going on before we even get there. We just kind of jump into it for an hour and then get out of it.“

Dave: „Both of our mind set is: Oh what is this, that’s already happening? […] We might find out what time of day it is and we might find out what the event is. what the event is Slowly we find out what has been happening all along.“

TJ: „Everything that corrupts it comes from fear. Fear is the root. It brings that ego to the forefront of How am I doing? How is it going?“

Dave: „If we force our ideas into it, then the rest of the time is spent justifying that, which is not exploring anymore. It’s just justifying. Why we try to relax is to walk out kind of empty to be available to whatever might be there, rather than ‘my great ideas’.“

TJ: „We believe that there’s the show is already going on. It is already in process. And we pickt it up at a moment, somewhere within this progression but that the show itself started a long time ago. We didn’t know it. And we don’t know which show we’re about to join already in progress. So we get to live it or physically represent it for 50-some-odd minutes. And then we leave it but it keeps on going. The people that were represented for that amount of time go on to have marriages and divorces and children and buy property and maybe die a natural death a long time in the future or die in some horrible accident soon after we see them. And there’s just millions and millions and billions of its all going on. And we end up, hopefully, getting lucky enough to be in a good one that’s chosen for us by this moment that happens at the beginning.“

Unbedingt anschauen: http://www.amazon.com/Trust-Us-This-All-Made/dp/B002Y27Q3G

Keith Richards’ LIFE (8)

“Des Öfteren bin ich mit heftigem Fieber aufgetreten, und am Ende der Show war ich geheilt.” (S. 645/6)
Dieses Phänomen der heilenden Wirkung von Bühnen-Adrenalin habe ich auch schon festgestellt. Nicht bei Fieber-Erkrankungen, aber immerhin bei kleinen Erkältungen.

“Wenn Mick irgendeine Rampe runterläuft und sich immer weiter von der Band entfernt, haben wir keine Ahnung, ob er noch dasselbe hört wie wir. Eine halbe Sekunde Verzögerung, und der Beat ist im Eimer. Wir müssen eine kurze Verzögerung einbauen, sonst singt er ewig weiter wie ein Japaner. Dass ist dann die ganz große Kunst – dafür brauchst du Jungs, die so tight sind, dass sie den Beat anpassen können, und zwar genau so, dass Mick an der richtigen Stelle rauskommt. Die Band wechselt von Off-Beat in den On-Beat und wieder zurück und von vorne, ohne dass das Publikum irgendetwas mitbekommt. Ich lauere darauf, dass Charlie auf Mick schaut, um sich an seiner Körpersprache zu orientieren – nicht an dem Sound, denn das Echo ist viel zu stark – , Charlie legt einen kleinen Stotterer ein, bis Mick bei ihm angekommen ist, und zack, bin ich wieder mit dabei.” (S. 646/7)

“Um den aufreibenden Tourstress durchstehen zu können, muss man zur Maschine werden: alles ist auf den nächsten Gig ausgerichtet. Man wacht morgens auf, und alle Gedanken sind beim nächsten Konzert. Den ganzen Tag über denkt man daran. […]” (S. 647)

“Wenn man so vor dem Mikro steht und einen Song komponiert, fühlt man sich fast, als würde man sich an einem Freund festklammern. Geh voraus, Bruder, ich folge dir, um den Kleinkram kümmern wir uns später. Ich brüte nicht tagelang über irgendwelchen Gedichten. Und das Faszinierende ist, wenn du dort vor dem Mikro stehst und weißt, jetzt geht es gleich los, kommt irgendwelches Zeug aus dir raus, das du dir nie erträumt hättest. Aber schon eine Milisekunde später musst du nachlegen, irgendwas, was dazu passt. Du trägst einen Zweikampf mit dir aus. Und plötzlich hat das Ganze einen Rahmen. Natürlich verrenst du dich auf die Art ziemlich oft. Aber du musst dich einfach vors Mikro stellen und schauen, wie weit du kommst, bevor dir die Puste ausgeht.” (S. 671)

Notizen aus Keith Richards’ LIFE (5)

“Beim Komponieren benutzten wir eine Methode, die wir “Vowel Movement” nannten – sehr wichtig für Songwriter. Die Suche nach dem Wort mit dem passenden Klang. Oft ahnt man noch nicht, welches Wort an welche Stelle kommt, aber man weiß, dass es einen bestimmten Vokal mit dem passenden Klang enthalten muss. Du schreibst etwas, das auf dem Papier gut aussieht, aber es hat noch nicht den richtigen Klang. Dann fängst du an, um die Vokale herum die richtigen Konsonanten zusammenzubasteln. Es gibt die richtige Stelle für ein ooh und die passende Stelle für ein daah. Wenn du das verhunzt, dann klingt es beschissen.” (S. 355)

“Wie alle meine Songs betrachtete ich auch diesen nicht als meine Schöpfung. Ich habe nur eine verdammt gute Antenne dafür, durch den Raum schwirrende Songs aufzuschnappen.” (S. 355-6) (Über “You Got The Silver”, das er auch alleine sang.)

Über “Wild Horses”:
“Du stellst dir also ein paar wilde Pferde vor. Was kommt danach? Keine Frage: “couldn’t drag me away”. Das ist das Tolle am Songwriting – es geht nicht um Intellekt. Vielleicht musst du hier und da das Hirn einschalten, aber im Wesentlichen musst du den Moment einfangen.” (S. 368)

“Warum setzt man sich hin und schreibt einen Song? Vielleicht weil man wachsen will, in das Herz eines anderen Menschen hinein. Weil man sich dort einnisten will oder zumindest eine Reaktion hervorrufen, eine Resonanz.” (S. 369)

“Ich sah zu wie Mick die Lyrics schrieb [zu “Brown Sugar”]. So was hatte ich noch nicht gesehen. Er hatte einen gelben Schreibblock dabei und kritzelte immer nur eine Strophe pro Seite hin. […] Als drei Seiten voll waren, gingen die Aufnahmen los.” (S. 370)

“Ums Geld ist es mir sowieso nie gegangen. Am Anfang habe ich mich immer gefragt: Okay, reicht es für neue Saiten? Später dann: Okay, reicht es für die Show, die wir uns vorstellen? Ich denke, für Charlie und auch Mick war und ist es dasselbe. Insbesondere am Anfang. Nicht dass wir was gegen Geld gehabt hätten, aber das meiste floss gleich wieder in die Musik.” (S. 383)

Die Aufnahmen zu “Exile On Main Street” liefen im Keller der französischen Villa von Keith.
“Wir testeten ein Kämmerchen nach dem andern. Zur Not konnten wir elektronisches Echo hinzufügen, aber ein natürliches war uns lieber, und das gab es da unten in den aberwitzigsten Variationen. Ich verzog mich mit meiner Gitarre in einen gefliesten Raum, richtete den Verstärker auf irgendeine Ecke und wartete ab, was davon beim Mikro ankam.” (S. 398)

“Songs sind merkwürdige Kreaturen. Winzige Randbemerkungen bleiben hängen und wollen nicht verschwinden. Ganz ehrlich, bei den meisten Songs kam ich mir vor, als würde ich schlicht eine klaffende Lücke füllen – als hätte dieser Song schon vor Jahrhunderten geschrieben werden müssen. Warum ist das noch niemandem eingefallen. Da fehlt doch was! Ständig suchte ich nach Löchern, die noch niemand gestopft hatte. Das ist meine Aufgabe: Löcher stopfen.” (S. 405)

“[Wenn du nicht mehr weiter weißt], staunst du, was du alles aus dir rausholen kannst. Vor allem wenn du gleichzeitig den Rest der Band verarschen musst – die denken, du hast einen glasklaren Plan vor Augen, während du völlig im Dunkeln tappst. […] Irgendwas wird dir schon einfallen. Eine Textzeile, ein paar Töne auf der Gitarre, und schon muss die nächste Zeile her. Das ist doch dein Talent, angeblich.” (S. 405)

“[Ron Wood] war perfekt geeignet für die alte Kunst des weaving, bei der man Rhythmus- nicht mehr von Leadgitarre unterscheiden kann, den Stil, den ich mit Brian entwickelt hatte, das alte Sound-Fundament der Rolling Stones.” (S. 494)

Notizen aus Keith Richards: LIFE (1)

“Wir [Mick & Keith] wussten, dass wir Anfänger waren, aber gleichzeitig wollten wir es unbedingt lernen, und dieses Lernen war zehnmal besser als das in der Schule.” (S. 113)
Das ist das Entscheidende: Der Entdeckertrieb. Ohne den geht nichts beim Lernen – weder in der Kunst noch in der Mathematik.

“Wenn du deine ersten öffentlichen Auftritte hast, und zwar mit Jungs, die das regelmäßig machen, bist du ganz unten in der Hierarchie. (…) Du musst antreten, und zwar pünktlich, und dein Equipment muss funktionieren. (…) Du musst mithalten können. (…) Scheiße noch mal, du bist jetzt ein Profi. Wenigstens ein halber: ein Profi ohne Gage.” (S. 125)

“Rückblickend muss ich sagen, dass beim Blues und bei Musik allgemein nichts aus sich selbst heraus entsteht. So toll das auch sein mag, nichts entspringt einem plötzlichen Geniestreich. (…) Sie sind alle voneinander beeinflusst.” (S. 131)

“Jimmy Reed war ein großes Vorbild für uns. (…) Er hatte etwa zwanzig Nummer-Eins-Hits mit im Grunde immer dem gleichen Song. Er hatte nur zwei Tempi. Aber er verstand die Magie der Wiederholung, der Monotonie, und verwandelte sie in etwas Hypnotisches, Tranceartiges.” (S. 144)

Über einen unkonventionell gegriffenen H7-Akkord von Jimmy Reed:
“Was er beim H/-Akkord machte, das habe ich nie kapiert, bis eben Mitte der Sechziger, als Bobby es mir in einem Bus irgendwo in Ohio zeigte. (…) “Scheiße! Das ist alles?” (…) Plötzlich, aus heiterem Himmel hat man’s drauf. Diesen unheimlichen, dröhnenden Ton. Die völlige Missachtung aller musikalischer Regeln.” (S. 147)

“Unsere Band war sehr zerbrechlich. Niemand rechnete damit, dass wir es weit bringen würden. Wir waren Anti-Pop, Anti-Tanzsaal, wir wollten nichts weiter als Londons beste Bluesband sein und den Pennern zeigen, was Sache ist, weil wir wussten, dass wir das draufhaben.” (…) Den Gedanken, eine Schallplatte aufzunehmen, hatten wir überhaupt nicht…” (S. 150)
In der Beziehung kam der Antrieb wohl von einem anderen Impuls als von den Beatles, deren Wille es war, unbedingt berühmt zu werden. Vielleicht ist auch das der Grund, warum sich die kaputten Stones länger gehalten haben als die befreundeten Beatles.

Zusammenarbeit Lennon/McCartney

Künstlerische Zusammenarbeit ist mehr als die Summe ihrer Teile.

Joshua Wolf Shrenk am Beispiel der Entstehung von “With a little help from my friends” von den Beatles.

In 1967, the journalist Hunter Davies sat in on several of those sessions. One priceless account shows the slow, ambling course of discovery on the way toward “A Little Help From My Friends.”

They started around 2 p.m. in Paul’s workroom, a narrow, rectangular space full of instruments and amps and modern art. The previous afternoon, they’d gotten the tune for the song. Now they were trying to polish the melody and write lyrics. John took up his guitar and Paul banged at the piano. “Each seemed to be in a trance,” Davies wrote, “until the other came up with something good, then he would pluck it out of a mass of noises and try it himself.”

“Are you afraid when you turn out the light?” John offered.

Paul repeated the line, agreeing it was good. John said they could begin each of the verses with a question. He offered another one. “Do you believe in love at first sight?” “No,” he interrupted himself. “It hasn’t got the right number of syllables.” He tried singing the line breaking it in two between “believe” and “in love.”

“How about ‘Do you believe in a love at first sight?’ ” Paul offered. John sang that, and instantly added another line. “Yes I’m certain that it happens all the time.” They repeated these three lines over and over again. It was now five o’clock. Some others came by, and as they bantered about, Paul started doodling on the piano before breaking out into “Can’t Buy Me Love.” John joined in, shouting and laughing. Then they both shouted out “Tequila.”

“Remember in Germany?” John said. “We used to shout out everything.” They did the song again, with John throwing in words in every pause—”Knickers” and “Duke of Edinburgh” and “Hitler.”

“Then, as suddenly as it had started,” Davies wrote, “they both went back to the work at hand.”

John sang a slight modification of the line they’d agreed on. “What do you see when you turn out the light?” Then he answered the question: “I can’t tell you, but I know it’s mine.” Paul said that would do and wrote the four lines on a piece of exercise paper propped up on the piano. Then they broke for cake.

Had Jann Wenner picked up Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band, pointed to the second track, and took Lennon up on his offer to say “exactly who wrote what, you know, and which line,” could Lennon have said honestly he had written that day’s material? Sure. The only explicit edit of Paul’s was the indefinite article “a.”

Yet, looking for concrete divisions in their labor, though not irrelevant, can certainly seem myopic. It feels, from Davies’ account, as though the two men were bound by a thousand invisible strings.

http://www.slate.com/id/2267342/entry/2267345/

Dem Rhythmus widerstehen

Rhythmisch akzentuierte Begleitmusik kann für Impro-Spieler oft schwieriger sein, als es dem Musiker erscheint. Vor allem musikalisch sensible Spieler tendieren dazu, den Rhythmus aufzunehmen und tänzerisch umzusetzen. Nun ist nichts gegen Tanz einzuwenden, es sei denn, wir spielen eine Szene, in der der Tanz die Szene eben zerstören würde. (Wie es ja auch in Hollywood- und Russenfilmen der 50er nervt, wenn an jeder dramatischen Stelle eine Horde Tänzer erscheint und der Held zu singen beginnt.)
Nun soll der Musiker sich ja nicht des Rhythmus enthalten, aber er sollte sich bewusst sein, welche Schwierigkeiten er bei den Schauspielern auslöst.

Glanz und Eitelkeit

Seit 1968 wird in Deutschland und in Europa der Niedergang des klassischen Gesangs beklagt. Vor allem am Beispiel der Wagner- und Verdi-Sänger lässt sich das nachvollziehen. Die Stimme steht immer mehr im Vordergrund – ihr Glanz, ihre Pracht. Das Werk tritt dagegen zurück. Die großen Sänger bis in die 40er Jahre hatten zwar auch große Stimme, zielten aber mehr noch auf Nuancen, auf die Kunst im Kleinen. Solche Stimmen hätten heute kaum noch eine Chance auf den großen Bühnen, da Stars gesucht würden. Stücke wie Tristan und Isolde lassen sich dadurch heute gar nicht mehr angemessen aufführen.
S. Artikel in der Süddeutschen Zeitung: “Neue Helden braucht das Land” von Reinhard J. Brembeck
Für uns: Gute Improvisierer beeindrucken durch ihre Fertigkeiten, aber großartige Improvisierer stellen sich in den Dienst der Szene bzw. des Spiels.

Höfliche Improvisierer

Höfliche Spieler tendieren dazu, sich selbst zu sehr zurückzuhalten, da sie die Ideen der anderen nicht zerstören wollen.
“Warum hast du deiner Mitspielerin keine Angebote gemacht?”
“Ich weiß ja nicht, was sie vorhatte.”
Die “höflichen” Improvisierer glauben, ihre Mitspieler hätten einen Plan, der durch eigene Angebote zerstört werden könnte. (Und im Grunde ist der höfliche Improvisierer das Gegenstück zum Rambo-Spieler, der tatsächlich versucht, seinen Plan durchzuboxen.)
Egal, wie smart das Angebot deines Mitspielers erscheint: Es gibt keinen Plan. Und wenn, dann hat dein Mitspieler Pech gehabt und sollte schließlich mal zu improvisieren anfangen. Ein guter Improvisierer wird von einem überraschenden Angebot inspiriert sein.
Sei nicht höflich.

Spaß als einziges Kriterium?

Grundregel: Es muss Spaß machen.
1. Dir.
2. Dem Publikum.
3. Deinen Mitspielern.

Es ist kein großes Problem, wenn es mal dir, deinen Mitspielern, oder auch dem Publikum nicht gefällt. Wenn das aber zu einem Dauerzustand wird, muss man vielleicht ein paar Schrauben nachstellen.

1. Das Improvisieren soll dir Spaß machen. Wozu sonst solltest du es tun? In den allermeisten Fällen, ist die Frage “Hat es mir Spaß gemacht?” ein guter Kompass dafür, ob die Szene gut war.
Aber tatsächlich gibt es Tage, an denen das Publikum vor Vergnügen brüllt, die Mitspieler sich backstage freudig auf die Schulter klopfen, und man selbst wird das Gefühl nicht los, dass es heut nicht gut war. Man nehme es nicht so schwer. Man nimmt Szenen und Shows von Zeit zu Zeit unterschiedlich wahr, und der Grund dafür kann manchmal einfach das falsche Bein sein, mit dem man aufgestanden ist, PMS oder das schlechte Wetter. Wenn das Gefühl sich jedoch auf Dauer einstellt, sollte man sich fragen, was man hier tut. Gib die Schuld nicht allzu schnell an deine Mitspieler, die Zuschauer oder an dich selbst. Frag dich zunächst: “Was kann ich selber tun, damit die Show mir wieder Spaß macht?” Ein guter Weg dahin ist Überakzeptieren. Sich wieder auf die Grundlagen besinnen. Nicht zu schnell bewerten. Den Quatsch der Mitspieler akzeptieren und damit spielen. Vielleicht hast du auch nur eine Schlechte-Laune-Phase, die man aussitzen muss. Aber wenn das alles nicht hilft, wenn Publikum und Mitspieler andauernd wie von einem anderen Stern wirken, solltest du dir vielleicht eine andere Gruppe suchen. Das ist aber wirklich der allerletzte Schritt. Denn vielleicht warten ja deine Mitspieler auch auf neue Vorschläge von dir.
2. Wenn deine Mitspieler keine Freude mehr haben, und nicht mit dir spielen wollen, während du dich prächtig amüsierst, könntest du dich fragen, ob du gerade dazu tendierst, sie zu überfahren, ihre Angebote nicht wahrzunehmen, auf ihre Kosten zu spielen. Wenn du in einer größeren Gruppe derjenige bist, mit dem alle vermeiden zu spielen, kannst du das Problem auch mal ansprechen. Bist du vielleicht der passive Spieler am Rande, der belustigt zuschaut, während die Kollegen die Show reißen müssen? Solltest du an bestimmten Techniken – Stimme, Schauspiel, Präsenz – feilen?
3. Wenn ihr völlig im Spiel aufgeht, ihr das Publikum aber nicht begeistern könnt, muss das erst mal noch kein großes Problem sein. Ein paar Meckerer gibt es immer. (“Zu viele Noten, Herr Mozart, zu viele Noten.”) Manche Zuschauer kommen in die Show, weil sie etwas ganz bestimmtes erwarten und dann enttäuscht sind, z.B. Theatersport und dann kommt auf einmal Langform-Impro. Diese Meckerer kommen und gehen. Man kann es nicht jedem recht machen. Vor allem solltet ihr nicht etwas spielen, worauf ihr keine Lust habt, nur um dem Publikum gefallen zu wollen. Wenn ihr aber dauerhaft negatives Feedback bekommt, wenn ihr kein Stammpublikum aufbaut, wenn die Stimmung im Publikum eisig bleibt, dann habt ihr ein Problem. Man kann sich künstlerarrogant herausreden: “Die sind zu doof für uns.”
Aber oft sind es nur kleine Dinge, die ausschlaggebend sind, z.B. die Atmosphäre im Raum. Ein kleines Publikum muss man stauchen, damit eine gelöste Spannung entsteht und sich alle wohlfühlen; man setze sich ruhig mal testhalber ins Publikum.
Und vielleicht ist eure Show wirklich langweilig, albern oder uninspiriert. Geilt ihr euch vielleicht einfach daran auf, dass ihr auf der Bühne steht? Bühnenadrenalin kann viel verklären. Setzt einen von euch ins Publikum, der euch hinterher Feedback gibt.

Fluss nach Csikszentmihály

Csikszentmihály kennzeichnet “Flow” folgendermaßen:
Klare Ziele
Fokus – ein hoher Grad von Konzentration auf ein begrenztes Feld der Aufmerksamkeit
Verschwindende Selbstkontrolle und die Verschmelzung von Handeln und Achtsamkeit
Verändertes Zeitgefühl, sowie direktes und unmittelbares Feedback, so dass Erfolg und Fehler irrelevant werden, da sie sofort eingearbeitet werden und das Handeln angepasst wird
Gleichgewicht von Fähigkeitsniveau und Herausforderung, d.h. die Aktivität ist weder zu leicht nocht zu schwer
Die Aktivität ist belohnt aus sich selbst
– Ein Gefühl von permanenter Kontrolle über die Situation
(zit. nach Zimbardo/Boyd: “The Time Paradox”)
Beim ersten und beim letzten Punkt bin ich skeptisch (möglicherweise hab ich ihn auch nicht richtig verstanden): Im Zustand des Flow gebe ich ja zu einem großen Teil die Kontrolle über die Situation ab, d.h. ich mache mich zum Instrument der Situation, was vor allem in der Partner-Improvisation deutlich wird: Ich gehe auf die Angebote der Mitspieler ein, ohne sie steuern zu wollen, was uns an Ziele führen kann, die wir im Moment des Handelns gar nicht kennen. Es geht also eher um ein Aufgeben von Kontrolle.

Kontakt

Immer und immer wieder Kontakt zwischen den Mitspielern üben: Einfaches Kopieren von Handlungen, Status. Immer wieder auch gut: Spiegel-Übungen.
Aber in den Szenen werden Kopien langweilig. Also Figuren entzerren, und dennoch in Kontakt bleiben. Nimm wahr, was dein Mitspieler tut, auch wenn du ihn nicht gerade anschaust.
Augenkontakt ist ein spezielles Problem: Durch Augenkontakt stellen wir sofort emotionalen Bezug zu unserem Mitspieler her, aber auch zur Figur unseres Mitspielers. Nach außen wirkt das ungeheuer intensiv. Wenn aber ein Paar sich in der ganzen Szene anstarrt, wirken sie in sich gekehrt und eingeschlossen. Man braucht also einen gewissen Rhythmus, des Sich-Anschauens/Nicht-Anschauens. Dafür habe ich neulich ein schönes Spiel gesehen. Immer wenn die Musik einsetzt, schauen sich die Spieler in die Augen. Wenn sie aufhört, schauen sie wieder weg.

Obama über Basketball

“In der gesamten Geschichte dieses Spiels [Basketball] waren die großartigsten Spieler, die Champions, die, die nicht nur ihr eigens Spiel vervollkommneten, sondern auch die Spieler um sich herum besser werden ließen. Die ein Team vereinigten, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen.” Obama strickt daraus natürlich eine Parabel für das Gemeinwesen USA. Mir genügt die Parallele zum Improtheater.
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Nach einer “schlechten” Show

Ärgern hilft nichts. Schlechte Shows passieren, wenn man improvisiert.

  • Arbeitet man als Gruppe an einem Ziel? Dann möglichst neu fokussieren.
  • “One way I try to avoid the whole thing is to just set an individual goal for each performance (working a certain way with someone in the group, having a grounded energy, doing more character work..whatever). I find when I do this and the show sucks, well, it’s not all a total loss.”

Anpassung

Show mit “The Crumbs” am 14. Mai 2008
Angenehme Atmosphäre, RAW-Tempel fast so voll wie bei der Chaussee, je zur Hälfte Foxy-Fans und Crumbs-Fans, auch Lesebühnen-Kollegen.
Die geringste Herausforderung war anscheinend die Sprache, oder anders gesagt: Die Lücken und Fehler haben das Bühnengeschehen eher produktiv beeinflusst.
Schwieriger empfand ich eher die Herausforderung, ein gemeinsames Gefühl für Timimg, Körperlichkeit, Bögen usw. zu entwickeln. Dies ist ja öfters der Fall, wenn man mit anderen Gruppen spielt. Nach der ersten, von der Story eher stotterigen, vom Publikum aber dennoch geliebten Szene, bekamen wir langsam Boden unter den Füßen. Man passt sich einander an: Wir werden verbal schneller, die Crumbs physischer.
Gegenseitige Inspiration, aber auch gegenseitiges Abschleifen, aber für kommende Shows überwiegt doch die dauerhafte Inspiration.

Partnerunterstützung

Seit Mick Napier haben wir zwei Grundgedanken:
1) Unterstütze deinen Partner.
2) Du unterstützt deinen Partner, indem du dich selber unterstützt.
Napier meint, den Gedanken 1) weiterentwickelt zu haben, aber in Wirklichkeit beziehen sich die beiden Aufforderungen auf verschiedene Situationen:
1) zielt vor allem auf Unterstützung des Protagonisten, aber auch auf die Unterstützung des Spielers. Wenn ich Fähigkeiten meines Mitspielers kenne, kann ich ihm entsprechend zuarbeiten. Die Aufforderung zielt vor allem auf das Miteinander.
2) zielt darauf, nicht die eigene Figur zu vergessen. Wenn ich eine starke Figur habe, kann ich auch starke Angebote machen, die wiederum meinen Partner eher inspirieren, als schwache Figuren und inhaltsloses Gelaber. Allerdings sollte das auch nicht zur Rampensäuischkeit führen.

Bühnenwirkung

Intensität zwischen Improspielern entsteht zweifellos durch Augenkontakt. Allerdings scheinen die Spieler im Allgemeinen die Wirkung nach außen überzubewerten. Zwei Figuren, die sich ansehen, haben nach außen wenig Wirkung. Im Gegensatz dazu: Eine Figur, die von der anderen angestarrt (oder auch angehimmelt, beäugt usw.) wird und selbst Richtung Publikum blickt.
Andererseits wirkt der Blick ins Publikum oft eitel und aufgesetzt. Hier eine gute Balance zu finden ist eine schwere Aufgabe.

Löcher

Oft stehen Spieler einfach nur auf der Bühne rum, verziehen sich an den hinteren oder seitlichen Rand der Bühne.
Als Improspieler brauchen wir jedoch permanente Spielbereitschaft. Das heißt:
– ständige Bereitschaft, auf die Bühne zu gehen
– Bereitschaft zu definieren, zu etablieren, zu behaupten
– Bereitschaft, das Spiel mitzuspielen
– Bereitschaft zu akzeptieren
Fehlt diese Spielbereitschaft entstehen „Löcher“. Als Zuschauer hat man das Gefühl, die Spieler wüssten nicht, was sie da tun. Im schlimmsten Fall kommunizieren die Spieler, dass es ihnen unangenehm ist, auf der Bühne zu stehen.

Es geht nicht darum, ob eine Szene langsam oder schnell gespielt wird. Man sollte sich allerdings darüber im Klaren sein, dass langsame Szenen eine ganz besondere Portion der inneren Spannung brauchen, die sogenannte inner action (Viola Spolin). Auch wenn man gemeinsam den Ort, die Handlung, die Personen usw. definiert, muss dem Spiel selbst eine Kraft innewohnen, die kommuniziert, dass jeder weiß, was er tut.
– Klarheit der Gesten
– Klarheit der Handlungen
– und vor allem Kraft der Emotion

Die Bereitschaft, das Spiel des anderen mitzuspielen, führt im besten Falle zum kinetischen Tanz. Ein Spielzug ergibt automatisch den nächsten, eben so wie bei einem gemeinsamen Tanz.

Mitspielbereitschaft bedeutet nicht Lauerhaltung. Genau so, wie ich mitspiele, muss ich auch jederzeit bereit sein zu definieren, den ersten Satz zu sagen, das erste (vielleicht blinde) Angebot zu machen.

Je größer meine Mitspielbereitschaft ist, um so stärker bin ich mit meinem Focus am Spielgeschehen, und zwar auch als Spieler, der gerade nicht auf der Szene ist, so wie ein Basketballspieler, der jederzeit eingewechselt werden kann. Und in dieser Mitspielerhaltung, bin ich auch bereit, jedes Angebot zu akzeptieren, auf jedes in der Luft liegende Spiel einzusteigen usw.