Eine parallele Welt

Eine parallele Welt


Steffi war eine großartige Puppenspielerin. Unsere prominenteste Figur war der Pinguin Gerda, der es mehrmals schon auf die Bühne geschafft hat. Manchmal wurden wir gefragt, ob wir auch noch andere Kuscheltiere oder Puppen zuhause hätten. Wir mussten dann schmunzeln, denn es ist eine ganze Armada! Die Pinguin-Diva Gerda war ja nur einer von Dutzenden Pinguinen. Daneben gab es den Tröster-Hund Bau, das liebenswürdige Pferd Röhrt, dessen grobmotorischen Bruder Öhrt, die Puppe Mario (eine Mischung aus Sesamstraßen-Ernie, Pittiplatsch und Adolar), die Eule Schä und noch viele andere. Jede Puppe hatte ihre unverwechselbare Stimme und durfte auch von jedem gesprochen werden. Es ist fast überflüssig zu sagen, dass Steffi schon als Kind viel mit Puppen spielte. Aber sie tat das nicht wie andere Mädchen, sie verstand einfach nicht, wieso man Stunden damit verbringen sollte, Puppen zu kämmen und hübsch zu machen. Ihre Puppen und Kuscheltiere und Minifiguren waren wilde Charaktere, die sich untereinander stritten, laut brüllten oder neckten. In der „Fröschel-Schule“ hatte jeder Schüler einen anderen Charakter, der zum Chaos des Unterrichts beitrug. (Man muss sich diese Welten ähnlich chaotisch wie die des Ali Mitgutsch vorstellen.) Auf Urlaubsfahrten im Auto trällerte Gerda, Opern-Arien und nervte die Familie mit ihren anspruchsvollen Wünschen.
Als ich Steffi kennenlernte, lud sie mich einmal zu sich nach Hause ein, und mein Umgang mit den Kuscheltieren war quasi der Lackmus-Test für eine etwaige Beziehung. Ich muss den Test bestanden haben. Denn als ich wieder gegangen war, riet Gerda Steffi zu, sich auf eine Beziehung mit mir einzulassen. Mit den Figuren Mario und Röhrt hat Steffi Hunderte Gute-Nacht-Geschichten für unseren Sohn erzählt – von den ersten Kita-Parallelwelt-Geschichten Marios über die Storys, die Röhrt von seinen Erlebnissen mit den Beatles erzählte bis hin zu Marios Radio-Live-Sendungen zum Thema Astrophysik. (Mehr als 300 dieser im Schnitt 45 Minuten langen Geschichten gibt es als Audiodateien!)
In den letzten Tagen ihres Lebens konnte Steffi nur noch einzelne Worte sprechen. Später ging auch das nicht mehr. Eine Woche vor ihrem Tod sprach sie einen ihrer letzten vollständigen Sätze mit großer Leichtigkeit – in der Stimme unseres Pinguins Gerda.

Entwicklung des Characters aus der Körperlichkeit – Beispiel: Körperteil führt

Entwicklung des Characters aus der Körperlichkeit – Beispiel: Körperteil führt

(Der folgende Text ist ein Auszug aus dem Buch Improvisationstheater. Band 2: Schauspiel-Improvisation)


Konzeptionelle Zugriffe, zum Beispiel auf Sprache, Psychologie und szenische Notwendigkeit eines Prototyps, verlaufen über den präfrontalen Cortex, also denjenigen Bereich des Gehirns, der für rationales Abwägen zuständig ist.
Der Zugriff auf die Körperlichkeit ist für den Spieler der effektivste und der überraschendste Weg, einen Charakter spontan zu entwickeln. Auf unseren Körper und seine sensorischen Signale und emotionalen Kopplungen, die in der Amygdala verarbeitet werden, können wir viel unmittelbarer zugreifen. (Die Amygdala arbeitet um ein Vielfaches schneller als das Großhirn. Ihre Botschaften werden auch schneller ans Großhirn gesendet als umgekehrt. Das heißt für uns: Unserem Körper wird von selber klar, was gerade los ist, und zwar noch bevor das Großhirn eine Beschreibung oder einen Namen dafür gefunden hat.)
Unsere Körperlichkeit kann in einer Szene eine Eigendynamik entfalten, die uns selbst überrascht, die uns in diesen immer wieder gesuchten Prozess des Flows führt, in dem wir einfach das tun, was offensichtlich ist, ohne unser Hirn mit Konzepten zu irgendwelchen Charakteren zu verknoten oder uns von Strukturen gefangen nehmen zu lassen.

Ein Körperteil führt
Hast du schon mal einen dieser hektischen Menschen gesehen, die, sobald sie irgendwo hingehen, mit dem Kopf eigentlich schon da sind? Nicht nur mit den Gedanken, sondern es wirkt, als befinde sich ihre Stirn einen halben Meter vor ihrem Bauch. Weibliche Models hingegen schreiten auf dem Laufsteg mit einem kleinen Stoß des Beckens. Türsteher wiederum scheinen ihre ruhigen Bewegungs-Impulse vom Brustkorb zu bekommen.
Diese Bewegungs-Qualitäten haben einen ungeheuren Effekt, der auch dann noch wirkt, wenn er nur subtil angedeutet wird. Die Bewegungsqualität, die dadurch entsteht, dass sie von einem Körperteil ausgeht, verändert auch die Art, wie man atmet, was leicht einzusehen ist: Ein Bodybuilder atmet anders als ein Model. Das veränderte Atmen hat – wir haben es schon bei der Tier-Inspiration gesehen – einen Einfluss auf die grundlegenden Emotionen und darauf, wie man die Welt wahrnimmt (Diese emotionalen Impulse des Atems sind nun zunächst Impulse an den Spieler, und wir brauchen eine spielerische Haltung, um nicht von ihr weggetragen zu werden.)
Bekannte Beispiele für diese Art von Schauspiel :
•  Sharon Stone in „Basic Instinct“ – Hals
•  Jimmy Stewart in „Vertigo“ – Knie
•  Tom Hanks in „Forrest Gump“ – Brustkorb
Das Auffälligste, ist natürlich zunächst die Körperlichkeit, aber ein Typ wie Forrest Gump wird eben nicht nur durch seine kuriose Körperhaltung seltsam, sondern auch dadurch, wie diese steife Brust-raus-Körperhaltung eben alles andere beeinflusst – seine Sprache, seinen Status und nicht zuletzt vermittelt sie eindringlich die übergroße Anstrengung, die dieser eingeschränkte Mann unternimmt, um unter seinen Mitmenschen respektiert zu werden.

Übung Körperteil führt

Körper lockern.
Raum-Lauf. Fokus auf Atem und das Gehen.
Wähle einen Körperteil, der „führt“.
Nutze den gesamten Raum – alle drei Dimensionen.
Lass dich überraschen, in welche ungewohnten Bewegungen dich dieser Körperteil führt.
Es geht bei dieser Übung noch nicht um Charaktere, sondern um das radikale Ausloten von Bewegungsqualitäten.

Übung Vortrag mit führendem Körperteil

Kleine Lockerung.
Wähle einen Körperteil, der führt, und mime eine kurze Handlung. Achte dabei auf deinen Atem.
Dem Atem folgt die Stimme.
Halte einen physisch lebendigen Vortrag über ein beliebiges Thema.
Der Körper folgt dem Körperteil. Der Atem folgt dem Körper. Stimme und Geisteshaltung folgen dem Atem. Der Inhalt folgt der Geisteshaltung, wenn wir sie verstärken.

Wie können wir das nun auf der Bühne praktisch einsetzen? Zunächst ist es eigentlich immer ein guter Impuls, körperlich zu beginnen. Ganz besonders aber ist das angeraten, wenn man merkt, dass man zu verkopft wird, wenn man anfängt, in Kategorien von Richtig/Falsch oder Gut/Schlecht zu denken.

In einer improvisierten Szene, in der Gina die Bühne mit großen ruhigen Bewegungen ausfüllte, betrat Heike das Bild als kleine, herumfingerndes Mädchen, das die ältere Schwester nervt. Die Szene war komisch, und beide Spielerinnen hatten großen Spaß dabei.
Heike sagte später: „Nachdem ich mich beim Nachdenken über einen möglichen Character ertappt hatte, verließ ich mich auf meinen Körper und ging ins physisch geleitetes Gegenteil. Da mir Ginas Figur Oberarm-gesteuert erschien, folgte ich einfach dem Impuls ,Zeigefinger‘“.

Man sei im Übrigen nicht wählerisch, was den Körperteil angeht. Nimm einfach irgendeinen. Entscheidend ist, dass du mit ihm spielst, dich von ihm überraschen lässt und ihm einen Großteil der Kontrolle der Szene überlässt.

 

Tarantino: Storytelling & characters

(Deutsche Übersetzung unten)
(From the Joe Rogan Podcast. 0:56:00)
Quentin Tarantino: „Normally, when I do a movie, I have more or less the story worked out. (…) I’m dealing in genre and sub-genre that even dictates a bit. If I’m writing “Kill Bill”, I pretty much know that at the end of the movie she’s going to kill Bill. But exactly how she’s going to kill Bill and how we feel about it at the end, that’s left open for conjecture. Now I can get to there. But I can assume that that’s going to happen. (…) So normally, I have it worked out. But what I learned through trial and error or, I guess, from experience is: That little mapping out of more or less what happens in the story really only applies till the middle of the story. Because by the time you get to the middle of the story, you know so much more before you ever start to putting pen to paper. I mean, now I know who these people are. Now I am these people, these characters, I am them, they are me. Now I truly know who they are and now I’ve invested in this world to such a degree that the hope is, by the forty percent mark or the fifty percent mark, the characters take it from here. And from that point on, they’re writing the story.
Joe Rogan: “So you’re just essentially thinking through their eyes or thinking through their minds and behaving like them.”
Tarantino: “Yeah. Look, I am the storyteller. So, if I have to steer them in a direction that I think is more interesting or more exciting, well than obviously I can do that, I have the power to do that, but I’m trying not to do that. I figure, if they want to do it, they’re right. That is truth talking to me. And I figure, they should know best.”

Quentin Tarantino: „Normalerweise habe ich, wenn ich einen Film mache, mehr oder weniger die Story ausgearbeitet. (…) Ich beschäftige mich mit Genre und Subgenre, die das Ganze ein bisschen diktieren. Wenn ich „Kill Bill“ schreibe, weiß ich ziemlich genau, dass sie Bill am Ende des Films töten wird. Aber wie genau sie Bill umbringen wird und wie wir am Ende dazu stehen, bleibt offen für Vermutungen. Ich kann jetzt dorthin gelangen und ich kann davon ausgehen, dass das passieren wird. (…) Normalerweise habe ich es also ausgearbeitet. Aber was ich durch Versuch und Irrtum oder, denke ich, aus Erfahrung gelernt habe, ist: Dieses kleine Kartierung aus mehr oder weniger dem, was in der Geschichte passiert, gilt wirklich nur bis zur Mitte der Geschichte. Denn wenn Sie in der Mitte der Geschichte angelangt sind, wissen Sie so viel mehr, bevor Sie überhaupt anfangen, Stift zu Papier zu bringen. Ich meine, jetzt weiß ich, wer diese Leute sind. Jetzt bin ich diese Leute, diese Charaktere, ich bin sie, sie sind ich. Jetzt weiß ich wirklich, wer sie sind, und jetzt habe ich so viel in diese Welt investiert, dass die Hoffnung darin besteht, dass die Charaktere es ab der Vierzig- oder Fünfzig-Prozent-Marke selber übernehmen. Und von da an schreiben sie die Geschichte.
Joe Rogan: „Du denkst also im Wesentlichen durch ihre Augen oder durch ihren Verstand und benimmst dich wie sie.“
Tarantino: „Ja. Schau, ich bin Geschichtenerzähler. Wenn ich sie also in eine Richtung lenken muss, die ich für interessanter oder aufregender halte, na ja, dann kann ich das offensichtlich machen, dann habe ich die Macht dazu, aber ich versuche, das nicht zu tun. Ich denke, wenn sie es tun wollen, haben sie Recht. Das ist die Wahrheit, die zu mir spricht. Und ich denke, sie sollten es am besten wissen.“

Ich denke, dass ist genau die Haltung, die wir auch übernehmen sollten: Kümmere dich um deinen Character. Was will er? Wie ist er drauf? Achte auf Genre, und vor allem zu Beginn auf die Grundlage der Story. Aber vertrau darauf, die Charaktere übernehmen zu lassen.

Anthony Hopkins: Monster spielen

ZEIT: “Welches Verhältnis hatten Sie zu Hannibal the Cannibal?”
Anthony Hopkins: “Am Anfang gibt es diese Szene, in der Jodie Foster erfährt, dass sie auf Hannibal Lecter angesetzt wird. Und auf ihre Frage, was das für ein Typ sei, sagt ihr Gegenüber mit erschauernder Stimme: ‘Er ist ein Monster’. Damit ist das Publikum schon vorgewarnt. Und als mich Jonathan Demme fragte, wie ich mich als Hannibal Lecter zum ersten Mal vor der Kamera präsentieren wollte, sagte ich: ‘Ich will einfach nur dastehen. Denn ich kann sie riechen, wie sie im Flur auf meine Zelle zugeht.'”
ZEIT: “Das heißt, man sollte Monster am besten so beiläufig wie möglich spielen?”
A.H.: “Man muss sie so spielen, als wären sie gute Freunde. In meinem Leben bin ich ein paar wirklich verrückten Menschen begegnet, und das Erschreckende war stets, dass sie so unglaublich normal wirkten.”

Warum es sinnvoll ist, sich beim Erschaffen von Charakteren auf den Körper zu verlassen

Ich halte den Zugriff auf die Körperlichkeit für den effektivsten und überraschendsten Weg, einen Charakter spontan zu entwickeln. Im Gegensatz zu konzeptionellen Zugriffen, zum Beispiel auf Sprache, Psychologie und szenischer Notwendigkeit eines Prototypen, können wir auf unseren Körper viel unmittelbarer zugreifen. Unsere Körperlichkeit kann in einer Szene eine Eigendynamik entfalten, die uns selbst überrascht, die uns in diesen immer wieder gesuchten Prozess des Flows führt, in dem wir einfach das tun, was offensichtlich ist, ohne unser Hirn mit Konzepten zu irgendwelchen Charakteren zu verknoten oder uns von Strukturen gefangennehmen zu lassen.
Das Hirn verarbeitet körperliche Wahrnehmung und Emotionen in der Amygdala. Konzepte und Überlegungen haben im Großhirn ihr Zuhause. Die Amygdala arbeitet um ein Vielfaches schneller als das Großhirn. Ihre Botschaften werden auch schneller ans Großhirn gesendet als umgekehrt. Das heißt für uns: Unserem Körper wird von selber klar, was gerade los ist, und zwar noch bevor das Großhirn eine Beschreibung oder einen Namen dafür gefunden hat.

Die Angst sucht Schutz bei Invaliden

Eine Weile eröffnete die eigentlich recht energetische A. ihre Szenen häufig mit greisen halbblinden, schwerhörigen und lahmfüßigen Mütterchen. Als wir sie darauf ansprachen, war ihr das zunächst gar nicht bewusst. Sie beklagte sich vielmehr, dass wir sie nicht deutlich genug anspielten. Später wurde ihr selber klar, dass eine gewisse Furcht, etwas behaupten zu oder etablieren zu müssen, ihr Unterbewusstsein dazu drängte, solche Rollen zu wählen.

Wer freut sich auf den Winter?

37 ° Celsius in Berlin. Auf den Bühnen dieser Stadt ist es selten kühler. Gibt es Improspieler, die in dieser Situation eine Winter-Szene improvisieren oder überhaupt einen Character, der friert?
Es gibt überhaupt viel zu wenig Kälte-Szenen auf der Bühne, wahrscheinlich weil es dort tendenziell immer ein bisschen zu warm ist und die Assoziation einfach nicht nahe liegt.

Kampf – Vorüberlegungen

Egal was für friedliche Täubchen wir privat auch sein mögen, wir werden Gewalt als Thema auf der Bühne nicht dauerhaft aussperren können.
Aber was auch immer wir auf der Bühne darstellen – Sicherheit geht vor. Wir predigen zwar oft, auf der Bühne das Risiko nicht zu scheuen, doch gebrochene Nasenbeine, fehlende Zähne und gequetschte Muskelfasern sollten wir nicht in Kauf nehmen.
Für uns ist dabei wichtig zu erkennen, dass wir nicht wirklich kämpfen. Das klingt fast banal. Aber schwache Improspieler tendieren dazu, die Kontrolle nicht abzugeben. Sie wollen um jeden Preis verhindern, dass ihr Character den Kampf verliert.
Wir sollten uns mal anschauen, welche Funktion ein physischer Kampf auf der Bühne überhaupt hat. Kampforientierte Filme werden ja in Hollywood irritierenderweise „Actionfilme“ genannt. In Wirklichkeit aber steht die Handlung eigentlich bei einem Kampf fast still. Wenn wir an eine beliebige längere Action-Sequenz aus einem Film denken, so dürfte uns auffallen, dass wir am Ende des Kampfes in der Story oft nur ein paar Zentimeter vorangekommen sind. Denn der eigentliche Sinn von Kampf ist Ornament. In diesem Punkt ist Kampf auch mit Tanz verwandt. Es ist packend, einem Kampf zuzuschauen – die Figuren nutzen ihre Körper kraftvoll auf der Bühne. Wenn er gut gespielt ist, ist sein Ausgang einigermaßen offen, wir können als Zuschauer mitfiebern.
Wenn aber der Kampf äußerlich als eine Art Tanz aufzufassen ist, sollten wir ihn auch als Improspieler tänzerisch auffassen. Es geht vielmehr um ein Miteinander, um ein gemeinsames Nutzen der Bühne und der beiden Körper.

Frauen auf der Impro-Bühne – Der Bechdel-Test

Vor Kurzem wurde ich wieder einmal von einer Impro-Spielerin gefragt, wie man es denn vermeiden könne, von den Mitspielern immer nur in weiblichen Klischee-Rollen, also vor allem Geliebte, Ehefrau und Mutter, angespielt zu werden.
Die Frage ist komplexer als es scheint. Zunächst einmal zum Problem selber: Die dramatische Literatur, und das geht bis hin zu heutigen Drehbüchern, vernachlässigt Frauenfiguren. Wenn denn Frauen in herausgehobenen Rollen auftauchen, die nicht allein durch ihr Verhältnis zu einem Mann definiert ist, dann ist oft diese Herausgehobenheit das Thema. Die Comic-Autorin Alison Bechdel formulierte einmal den Bechdel-Test für Kinofilme. In einem annehmbaren Film müssten danach

  1. zwei Frauen mitspielen, die
  2. miteinander sprechen, und zwar
  3. nicht über Männer.

Und jetzt mach mal den Test selber. Wieviele Hollywoodfilme fallen dir ein, die diesen Test bestehen. 20 Sekunden hast du Zeit. Uuuund los!
Unser Bild der Frau im Drama ist durch die Anhäufung der Stereotype verzerrt. In der Konsequenz spielen männliche Improspieler ihre Bühnenpartnerinnen eben immer wieder in den genannten Rollen an. Und andererseits schnappen sich Frauen leider immer wieder diese Rollen. Die oben erwähnte Spielerin war völlig aus dem Konzept, als sie nach immer wiederkehrenden Mäuschen-Rollen auf einmal aus heiterem Himmel von ihrem Partner als Chefin definiert wurde.
Die zwei derzeit bekanntesten Improspielerinnen, nämlich Amy Poehler und Tina Fey, haben diese Falle rechtzeitig erkannt und haben genügend Techniken gefunden, um sie zu umgehen.
Wenn Frauen auf der Impro-Bühne komplexe Rollen bekommen wollen, müssen sie sie sich schnappen. Und Männer sollten ein bisschen mehr Phantasie aufbringen, als sie immer nur als Mutti oder Weibchen anzuspielen.

Pantomime – Die Dicke und das Ausmaß von Gegenständen

Wenn wir eine gewöhnliche Flasche anheben, umschließt unsere Hand sie und hält sie fest. Die Flasche bietet unserer Hand Widerstand. Eine gemimte Flasche tut das nicht. Und deshalb neigt unsere Hand dazu, fest zuzugreifen, bis sie zur Faust wird. Die gemimte Flasche verliert so jedes Volumen. Nach außen wirkt es so, als hätte der Schauspieler nur noch eine Salzstange oder eine dünne Pipette in der Hand. Dasselbe gilt für Lenkräder, Gläser, Messer, Koffergriffen, Türklinken, um nur einige der häufigsten Gegenstände zu nennen, die auf Impro-Bühnen regelmäßig verdünnisiert werden. Ich bin der Ansicht, dass selbst bei extrem dünnen gemimten Gegenständen wie Zigaretten, Zeitungen, ja sogar bei einem Blatt Papier die Dicke mitgespielt werden muss.
Bei größeren Gegenständen, die mit beiden Händen getragen werden, tritt das Problem eher selten auf, aber auch hier sollte man sich möglichst um Präzision bemühen.
Eine weitere Schwierigkeit haben wir bei großen Objekten, die wir gar nicht komplett in die Hand nehmen können, wie etwa ein Auto, ein Schreibtisch, ein ausgerolltes Seil. Wie wollen wir hier das Ausmaß der Objekte darstellen? Die gute Nachricht ist: Oft ist es gar nicht nötig, zu zeigen, wie groß ein großer Gegenstand ist. Wenn ich z.B. mime, ein Auto zu fahren, ist pantomimisch meistens eher das Innere des Fahrzeugs interessant, also Lenkrad, Gangschaltung, Sicherheitsgurt usw. Dennoch ist es eigentlich immer gut, eine möglichst spezifische Vorstellung vom Raum und den Objekten zu haben. Es kann also nicht schaden, sich improvisierend darüber klar zu werden, ob man in einem Daihatsu oder einem Mercedes sitzt. Auch wenn das für die Story vielleicht unerheblich ist, wird ein sensibler Spieler ganz automatisch seine Ich-fahre-Auto-Pantomime anpassen, was wiederum eine Außenwirkung hat. Aber wenn ich aus dem Auto aussteige, um etwas aus dem Kofferraum zu holen, wird das Ausmaß des Wagens schon bedeutsam. Ich definiere es quasi durch meinen ganzen Körper: Ich gehe um den Wagen herum. Wenn ich dann noch das Dach definiere, in dem ich eine Cola-Flasche darauf abstelle oder auch nur einfach mit der Hand drauf trommle, wird auch die Höhe des Wagens klar.
Stellen wir uns nun vor, wir breiten ein großes Tischtuch auf einem Tisch aus. Wir können sowohl Tisch als auch Tuch in ihrer Größe definieren mit einem einzigen Mittel: Unserem Blick. Der Blick folgt dem Ende des mimisch geworfenen Tuchs, und damit ist schon alles klar. Dieser Effekt wird von vielen Improspielern unterschätzt. Er ist überaus wirksam und spart auch Zeit, denn wenn ich auf diese Weise die Größe etabliert habe, brauche ich ja nicht mehr extra um den Tisch herumzulaufen.
Auch hier gilt natürlich das Effizienz-Prinzip: Je knapper und je natürlicher die Geste ist, mit der ich den Gegenstand etablieren kann, umso besser.

Hundert Prozent Hingabe

Geburtstagsfeier bei meiner vierjährigen Nichte. Sie und ihre Freundin beschließen am Kaffeetisch, sie seien jetzt Pferde. Und sofort ist alles an ihnen Pferd – Sprache, Bewegung, Sicht auf die Welt. Und zwar mit totaler Hingabe. Nichts Ironisierendes, keine Peinlichkeit.
In unseren Kursen versuchen wir, diese Hingabe wieder freizulegen.
Und man möchte beten, dass niemand die Spielfreude und Hingabe dieser beiden Mädchen je verschüttet.

Playing mean characters

“If you play a character who is really mean and ugly, you should find something good in the man. And if you’re playing someone who is really, really wonderful and noble, you should find something dark in the man.” (Michael Madsen about Steve McQueen’s acting)
http://www.youtube.com/watch?v=KL1ruc_F-hI
(20:30-21:00)

Marlon Brando’s last role

In 2004 Marlon Brando’s health was declining dramatically. He had to use an oxygene flask. Still, he took a role in the animated comedy “Big Bug Man”. Offered the role of an overweighed candy store owner, Brando instead chose the role of a sweet elderly woman, named Ms. Sour.
“As we were entering the house, he was sitting there, head to toe dressed as closely as possible to what he felt the live action version of his character would look like: Gigantic blonde curly whig, full make up, glasses, earrings, necklace, turcoise and gold moo moo, black gloves at elbow length, jewelry… He was a woman. He wasn’t campy, he wasn’t doing any of the cliches that anyone would think a man could fall into. He didn’t fall into that trap. He had created a full, rich, adorable, interesting, unpredictable character.”
1:18:28 – 1:20:00

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Marina Abramovic – To be an artist, to be present

[Transcript]

“How do you know, you’re an artist? That’s the main question. (…) It’s like breathing. (…) So if you wake up in the morning and you have some ideas and you have to make them and it has become some kind of obsession that you have to create, and you have this urge to create, you’re definitely an artist. You’re not a great artist, you’re an artist. To be a great artist, there are all different kind of rules…”

“The great astists have to be ready to fail which is something not many people do. Because if you have success, then the public accepts you in a certain way, you start somehow involuntarily reproduce the same images, the same type of work. And you’re not risking. Real artists always change the territories. They go to the land where they’ve never been. (…) And there you can fail. That failure actually is what makes this “extra”. The readiness to fail is what makes great artists.”

“As a young one, if you want to be famous and rich, you just can forget about it. It’s not a good idea being an artist. The money and the success is not the aim. It’s just a side effect.”

“I had an old pfrofessor whom I loved very much. He gave me two advices. He said: If you’re drawing with your right hand and you’re getting better and better, and you become vituous, you can do it with closed eyes, you can draw anything you want, the immediately change to the left hand. That was an important advice, because if you become ‘routine’, that’s the end of everything. And the second great advice, he said to me: ‘In your life time you’ll probably have one good idea, if you’re a really good artist. And if you’re a genius, two good ideas, and that’s it. But be careful with them.”

“When I was young I had a lot of ideas, but they weren’t linear. So I never developed a certain style that would be recognized. So I had this obsession about one thing, and I had to do it. And mostly I would do the work I’m afraid of. If I’m afraid of an idea, this is exactly the point I have to go to. If you do the things you like, you never change, there is nowhere. You will always do the same shit again and again. But if you do things that you don’t know, that you’re afraid of, something really different, then it’s really important to go to that different pattern. (…)
One of my exercises for my students: For three months they had to buy hundreds of sheets of paper and one rubbish can. And every day the will sit on the chair and write good ideas. And the ones they like, they put on the left side of the table, and the ones they don’t like they put in the rubbish. And after three months, they all want to present the good ideas. I’m totally not interested in good ideas. I just took the rubbish cans. And every single idea was incredible, the ones you reject, the ones you don’t want to deal with.”

“It’s also interesting which media you should use. You may be a painter, and if you want to be a performer it doesn’t work. (…) You have to know which tool is best for your expression. So for me, to recognize a good performance artist is really simple: The idea can be totally shit, the execution can be wrong, but it’s just the way how he stands, and that’s it. In the space, you know, how you occupy physically the space, and what that standing does to everybody else looking at that person. That kind of difference really makes the difference. It’s a certain energy. You recognize it right away. And you can learn how to execute things, ideas and all the rest. But it’s about energy you cannot learn. You have to have it. It’s just there, when you’re born.” [Here I would disagree. I’ve seen students freeing themselves from their own limitations, gaining an extraordinary stage presence. – DR]

“One of the lectures [lessons??] of Robert Wilson when I was doing the theater piece with him. He was saying to the actors and to me: “When you’re standing in one place and you take it to the next movement, you’re not present.” So this is an incredibly important lesson. When you’re standing in one place, you can’t think of the next step. The next step has to come with your body and mind together. Otherwise you’re missing that moment of presence. So, it’s a hard thing to do, but it’s quite important. There are lots of exercises how to learn that presence.”… Weiterlesen

Pantomime im Improtheater

Gute Impro-Schauspieler haben auch immer eine gewisse pantomimische Kraft. Andererseits unterscheidet sich die Pantomime, die wir auf der Impro-Bühne brauchen doch von der clownesken Form, die sich im 20. Jahrhundert etabliert hat. Jeder hat den prototypischen wandabtastenden, auf dem Boden gleitenden Clown vor Augen, der mit dem Einsatz des gesamten Körpers imaginäre Türen öffnet, Ballons aufbläst und Rosen pflückt. Dieser Stil ist für unsere Zwecke einen Tick zu groß. Er thematisiert das Mimen zu sehr. Die Präsentation des physischen Darstellens ist ja bei uns meist nur ein Aspekt unter vielen. Da wir aber auch körperlich deutlich machen müssen, was wir tun, ohne es zu benennen, (Türen öffnen, Gegenstände tragen, Kleidung aus- und anziehen usw.) gehen wir einen Mittelweg zwischen dem Großmachen des Marcel-Marceau-Stils und dem theatralen Minimalismus, der keine Pantomime braucht, weil sämtliche Requisiten vorhanden sind.

Das Leiden des Helden

Sinngemäß schreibt Keith Johnstone: “Im Zweifel – martere die Heldin.” (Bin gerade zu faul, das genaue Zitat herauszusuchen.)
Umgekehrt: Wer leidet, ist der Held. Als Nebenfigur sollte man nicht die eigenen Probleme zu sehr auf den Tisch packen (es sei denn, man ist explizit der Antagonist mit der eigenen Agenda).
Vor allem aber muss die Heldin auch zu leiden bereit sein. In vielen kurzformatigen Shows erlebe ich es, dass im Hin und Her des Schlagabtauschs kein Leiden zu sehen ist. Leiden braucht Zeit. Ich muss dem Angebot des Partners die Möglichkeit geben zu entfalten. Blaffe also nicht zurück.

Mehrere Charaktere in einem Stück spielen

In kleineren Ensembles, die Langformen spielen, bietet es sich an, bzw. ist es manchmal unausweichlich, dass ein Spieler mehrere Charaktere übernimmt. Die Schwierigkeit besteht darin, einerseits klar voneinander abgegrenzte und dennoch glaubwürdige Figuren zu spielen, andererseits aber diesen Figuren auch eine gewisse Elastizität und Wandelbarkeit zu geben. Diese Wandlung wiederum darf nicht so scharf sein, dass der Zuschauer Schwierigkeiten hat, nachzuvollziehen, ob wir noch bei Figur A sind, die sich gewandelt hat oder schon bei Figur B.
Die Lösung: Üben, üben, üben.

Weisheiten aus einem Interview mit Dave Pasquesi

We don’t rehearse regularly but we do rehearse frequently. And it’s always, just as a reminder “what is our mission statement again? What is it we’re trying to do?” Because part of it is, it has to change for a person.
The idea of constantly changing and evaluating where one is. I think that’s really helpful. To become comfortable is kind of a symptom of needing change. You do this thing and you become comfortable at doing this thing that used to be uncomfortable and now that I’ve reached that I have to realize that and do something else. I think that’s what they’re talking about when they mention the notion of ‘follow the fear.’ You know, push it a little further. And you know just as a reminder this is about failing. This is about the distinct possibility of failure and to not be afraid of failing.
(Q: What do you consider a mistake?) Dave: Something that was missed. A piece of information that went past. I think that’s all it is, really paying attention to all the information that we have.
Kind of our game is to communicate things with as little information as possible. Because that’s I think where it becomes magical.
The main skill in improvisation is paying attention and I think that’s really useful everywhere.
When you see people acting that’s a terrible thing. (…) Instead of acting why don’t you just say these fucking words.

Komplettes Interview hier

Die wirklich äußerst sehenswerte DVD von TJ & Dave: Trust Us This Is All Made Up beim amerikanischen Amazon leider nur noch für viel Geld zu haben.
Oder beim Verfasser dieses Blogs bei gutem Zureden als Leihgabe.

Rhythm

Question: “In all your films, the pacing is very quick. Do you have the actors deliver their lines faster?”
Billy Wilder: “Well, there is a sort of a misconception that pace and quickly speaking is the same thing. You can have pace by people not speaking quickly. It depends on the cut. It depends on the rhythm of the thing, because leisurely moments, silent moments, they have much more power, but certain pictures have to be played at a good clip. But pace and actors just rattling things off…, you know, don’t confuse that.”

Luck and to strive for excellence

“Most actors don’t work, and a few of us are so lucky, to work with writing and to work with directing. Because when you’re a broke actor you can’t write, you can’t paint; you have to practice accents while driving a taxi cab. And to that artistic family that strives for excellence: None of you have ever lost. And I’m proud to share this with you. And I thank you.” (Dustin Hoffman)
http://www.youtube.com/watch?v=EhDmNRQgKLM

Suzanne Shepherd teaching

“Ich sage Schauspielern immer: Es gibt einen großen Unterschied zwischen Logik und Wahrheit. Als Schauspieler hast du nur mit emotionaler Wahrheit zu tun. Da gibt es keine Logik. Tu nie etwas, das Menschen nicht tun. Das mag begrenzend klingen, vielleicht denken Sie jetzt, das zwingt sie dazu, fantasielos oder gewöhnlich zu sein. Nein. Sie tun, was die Umstände Ihnen diktieren. Daran ist nichts gewöhnliches.”
“Manche Menschen denken: Wenn ich schauspiele, ist das eine Pause von meinem Leben. Aber es ist keine Pause. Das ist dein Leben! Es ist mehr von deinem Leben als dein alltägliches Leben.” “Schauspiel ist nicht So-tun-als-ob. Schauspiel ist Glaube. Glaube daran, dass das, was du tust, ein Leben verändert – das Leben deines Characters.”

Erschrecken mimen

Bei einem Pantomime-Workshop fiel es mir schwer, plötzliches und tiefes Erschrecken zu mimen. “Stell dir vor, hinter diesem Tisch ist etwas, dass dich zu Tode erschreckt.” Zehn Anläufe, es wirkte schal. Dabei wusste ich, dass ich es auf der Bühne kann. Der Trick: Es geht nicht darum, sich etwas Schreckliches oder die Überraschung an sich vorzustellen, sondern darum, die eigene körperliche Reaktion wieder hervorzurufen. Bei mir ein Zusammenhang mit einem lauten, explosiven Aufschrei, der eigentlich den Schrecken sogar noch verstärkt.