Nachruhm

Erst als er starb, begann man, ihn zu loben.
Ihr rühmtet ihn, obschon ihr früher schwiegt,
was nur zum Teil an euren Drecksmanieren liegt.
Ihr habt das Loben vor euch hergeschoben.

Und nun erfolgreich aufs Podest gehoben:
Er hat vom Lob nicht mehr viel mitgekriegt.
So geht’s: Der Körper kämpft, die Seele fliegt.
Er – noch hier unten. Sie – schon fast da oben.

Wir preisen den Versterbenden in hohen Tönen.
An sein Versterben muss man sich gewöhnen.
Die Rührung fett euch aus den Ohren quillt.
Jetzt, da er leider muss für immer dösen,
sagt ruhig, ihr wärt mit ihm ganz dick gewesen.
Denn Nachruhm nur den Lebenden was gilt.

Die Lüge

Zwei lange Jahre hat er dich belogen,
in denen du vor Kummer ihn verschontest
und, ihm zu helfen, bei ihm wohntest,
und Trost ihm gabst, wenn seine Sorgen überwogen.

Und jeden Wunsch, auch wenn er überzogen,
du rasch erfülltest und mit Küssen lohntest.
Du hast dich dabei nicht einmal verbogen,
wie du mir gegenüber stets betontest.

Ist diese Zeit durchs Lügen korrumpiert?
Du selber sagst, du hast sie tief genossen.
In seinen Armen hast du Glück gefunden.

Das Glück durch Lug und Lug durch Glück verziert.
Lass los, denn beide sind bereits verflossen.
Vorbei! Was bleibt, sind die gelebten Stunden.

Erde. Vormittag. Frühlingsbeginn

Des Bärlauchs Frische würzt den kleinen Wald:
Du üppig-früher Bote zeugst vom Werden.
Die Sonne heuer kämpft, der März noch kalt.
Auch dies – ein kleiner Fleck auf unsrer Erden.

Ein Jogger eifrig durch die Pfade schnauft.
Am Rand des Waldes wird Benzin verkauft.
An der Einfallsstraße: Durstge Wagen.
Auch diese muss der Erdenball ertragen.

Und während ich von meinem Wäldchen schwärm,
umfängt mich knatternder Motorenlärm.
Und mir wird flau im Kopf und in den Beinen.

Der Lauch, der März, der Jogger, das Zerstören.
Es muss wohl alles doch dazugehören.
Ich weiß nicht, soll ich lächeln oder weinen.

Mittelstand (ménage à trois)

Sie fand sich plötzlich wieder in der Mitte
– da der, dort jener. „Dass mir das geschieht!
Ich hielt mich nie für derart angebrüht.“
zwar nicht die Lachende, gleichwohl die Dritte.

Aus dem Dilemma führen keine Schritte.
Mit Dreien ist es stets das alte Lied:
Du kannst es managen, solang es glüht.
Am Ende halfen nur noch klare Schnitte.

Sie löste sich von einem, denn sie fand,
es sei nur fair, schenk ich ihm reinen Wein.
Und mit dem anderen ein sichres Band.

Auch den verließ sie, denn er ward zum Schwein.
Einst war’s die Mitte, jetzt der Rand der Wand.
Zu dritt ist’s besser noch als ganz allein.

Lesen

Wie kann ich, was ich heut mit Freuden les, behalten?
Mich packt die Freude, die Erkenntnis, wenn’s gelesen,
doch hinterher ist’s oft, als wär es nie gewesen.
Ach, könnte ich nur mein Gedächtnis klar entfalten.

Ich würd mein Denken und mein Singen ausgestalten.
Die Augen reib ich, leg das Büchlein auf den Tresen,
denn mein Versprechen, stets zu lesen, gilt es einzulösen.
Könnt ich mein Wissen, wie ein Archivar verwalten!

Soll ich denn die Lektüre ständig wiederholen,
so wie ein Kind – ’s liest hundertmal dasselbe Buch.
Doch will ich mehr. Und das ist wohl mein Fluch.

Als hätt das neue Wissen altem Platz gestohlen.
Ich fresse, statt zu lesen, es bleibt Zeitvertreib.
Nur wenn man’s neu verknüpft, es wirklich bleibt.

Lernen

Man lernt mit Freude, Lachen und Genuss,
probiert das Denken, saugt das Wissen auf.
Doch nimmt das Lernen einen andren Lauf,
sobald man plötzlich dann zur Schule muss.

Im Gleichschritt lernen Girls und Boys.
Friss unsre Dogmen wie ein blödes Vieh.
Was du nicht heute lernst, das lernst du nie:
Binäres Denken und Multiple Choice,

Es streiten Bundesländer, Ministerien.
Es kämpfen Lehrer gegen Ma und Pa.
Der Rektor schließt die Tür: „Ich bin nicht da.“

So büffle weiter abends, in den Ferien.
Die Schulen voller Langeweile sind.
Das kannst du nicht verstehn, du bist ein Kind.

Wahrheit

Aus sich verziehndem Nebel taucht’ sie auf so klar,
mit plattem Fahrrad, in orangnem Kleide.
Und ihr Gesicht bezeugte pure Freude
– so ungetrübt, so scharf und ungeheuer wahr.

Ein Blick – als läs sie die behüteten Gedanken.
Spräch ich sie an, so wärn wir bald ein Paar,
denn solch Vertrautheit nie auf Erden war.
Sie bricht des Zweifels und des Hochmuts feste Schranken.

Ich sah die Wünsche, sah die heimlichen Gebete.
Das Lächeln ist ein Feuer, das nicht raucht.
Ich dank dem Gotte täglich, der sie zu mir wehte.

In Liebe will man nicht auf seine Rechte pochen.
Bescheidnes Nehmen, Geben, wie man’s braucht.
Bleibt festzustelln: Ich habe sie nicht angesprochen.

Hunger

Nichts als der Hunger aufeinander,
dabei war’n wir schon voll von des andern Schweiß.
Gehüllt im Wäscheduft: Oleander.
Fauchender Atem, von Gier so heiß.

Als hätte man uns etwas vorenthalten,
als kennten nur wir den wahren Preis.
Jedes Haar, alle Narben, jeder Blick, alle Falten,
bald weißt du von mir mehr, als ich von mir weiß.

Erschöpft in der Küche, die Fenster verhangen,
als ob ein Stück Stoff je den Hunger verbirgt.
Gesättigt und doch ein ewig Verlangen.

Zwei Nächte, ein Tag, was sollte uns Zeit?
Hätt’s länger gewährt, hätten wir uns erwürgt.
Am Ende – zweisame Einsamkeit.

Phantasie

Es wohnt ein Narr in dir, grad zwischen deinen Ohren.
Wenn du die Augen schließt, schleust er dich aus der Zeit.
Dein enggelenktes Denken hat er längst befreit.
Wenn er dich tränkt, dann fühlst du dich wie neugeboren.

Die Hirnartillerie schießt schon aus vollen Rohren.
Und kein Gedanke, den der Narr zu denken scheut.
Es gilt kein Gestern ihm, kein Morgen, nur das Heut.
Und so beschenkt strömt gute Laune aus den Poren.

Käm es drauf an, bräuchtst du nur ihn zum Glücke.
Beneidet, Götter, ihn, der wirklich alles kann.
Hörst du ihn flüstern, lass ihn nur recht nah heran.

Er hüpft charmant und frech in deines Geistes Lücke.
Er sprengt des Denkens Krusten und löst jeden Bann.
Drum mach dich ihm und nicht ihn dir zum Untertan.

In Erwartung des Winters

Laue Tage
reiche Ernte,
wolln uns auf das End besinnen.
Trage heim, was du verdientest
Vor es kalt wird, deck dich ein.
Maulwurf, Eichhorn, Fledermaus wolln nicht ohne Nahrung sein.
Sei behend und spute dich. Auch die Herbstzeit wird verrinnen.

Sorge faltet meine Stirn.
Kann ich denn noch Zeit gewinnen?
Seh auch meinen Winter nahen
darf nicht weinen, darf nicht schrein.
Selbst wenn ich als erster geh,
den letzten Kampf ficht man allein.
Sollt es stürmen auch da draußen.
Hauptsach, ich trug Frieden drinnen.

Schnuppre tiefer nun die Düfte, sauge gieriger die Lieb.
Hektischer noch such ich Ruhe, ruhiger wird gleichwohl mein Schritt.
Weiß, es wird kein Morgen geben, wenn ich heute was verschieb.
Lass die trüben Tage ziehen, nehm die klaren Nächte mit.

Manchmal in der Morgenstunde, schauert’s mich und quält’s und beißt’s.
Weiß doch, ich erwart den Winter
kühlen Herzens,
hellen Geists.

Individualität

Ihr Augenglanz, das helle Strahlen ihrer Zähne,
sie gleicht der Birke, die im Winde biegsam steht.
Kein Gott könnt schaffen, was sich dort im Tanze dreht.
Für solche Schönheit gibt es keine Musterpläne.

Ich hielt im Arm sie, schau, da rollte eine Träne.
War sie von mir? Von ihr? Ich fragte nicht. ’s war spät.
Ich sog an ihrer Individualität,
am Duft der ungeheuer schwarzen, weichen Mähne.

                                   *

Dank ich dem Zufall? Deinen Eltern? Deinen Genen?
Muss evolutionäre Sprünge ich erwähnen?
Doch soll ich dich auf deine Gene reduzieren?

Ich hört’, dass man zu dem wird, was man denkt und tut.
Und wenn das wahr ist, tut das, was du tust, mir gut.
Denn auch das Lächeln muss man jeden Tag trainieren.

Auf der ersten Seite des dritten Hefts

Komm, Lyrik, feinstes meiner Kunstgeschäfte!
Sollst die Gedanken durch die Formen leiten.
Wenn so die Schemen nur mein Denken weiten,
entfalten sich des Dichters pralle Kräfte.

Und wenn ich auch die alten Dichter äffte,
die das, was ich jetzt tu, getan vor Zeiten,
ich öffne gern die jungfräulichen Seiten
des dritten meiner fein linierten Hefte.

Vielleicht gelingt noch mal der große Bogen.
Vielleicht lass ich es mittendrin bewenden,
leis ahnend, dass ich nur mich selbst betrogen.

Bis dahin werd ich mich mit Lust verschwenden.
In vager Hoffnung, dass mir wer gewogen,
hier eine Warnung: Lasst euch ja nicht blenden.

Zukunftspläne

Für meine Zukunft hätt ich gerne Sicherheit,
nach einem klaren Leben ich mich sehne.
Für kurze und für lange Fristen fass ich Pläne,
auf dass ich mir zum Freunde mach die künftge Zeit.

Egal, was meine Zukunft hält für mich bereit
– ich will nicht wissen, ist’s das Hässliche, das Schöne.
Vergieße um die alten Pläne keine Träne.
Bleib ich spontan, hab ich mich von der Zeit befreit.

So muss ich mein Spontan-Sein hübsch in Bahnen leiten.
Die frische Freiheit braucht als Zügel den Verstand,
sonst ist es einst die Dummheit, die die Freiheit bannt.

Trotz Plänen will ich stets durch die Momente gleiten,
das Leben täglich Kreuze durch die Pläne macht.
Halb Plan und halb spontan scheint’s angebracht.

Lebenspläne

Hat der Storch die Rückkehr aus dem Süden,
bevor er uns verließ, bereits geplant?
Er findet unser Dorf und hat geahnt,
dass sein Nest noch auf dem Schlot hockt. Wie denn!

Sind auch meine Pläne nur Instinkt,
nachgeschob’ne Gründe meines Tuns?
Mein Hirn nicht weiter als das Hirn des Huhns,
das kopflos rennt, bevor’s zur Erde sinkt?

Das Nichtgetane streng mich warnend mahnt,
da’s mit dem Bummeln kurios verzahnt:
Verlass dich nicht allein auf dein Gespür!

Drum auf Instinkt und Intellekt ich horch.
Ich plane. Ach, was gäbe ich dafür,
wär konsequent und klar ich wie der Storch.

Noblesse oblige

Zwanghaft wolln sie alten Glanz bewahrn.
Dinosaurier der modernen Zeiten.
Zähln sich immer noch zu edlen Leuten.
Doch es ist vorbei seit hundert Jahrn.

Während Privilegien entgleiten,
muss man doch in altem Stil verharrn,
darf sich stets nur miteinander paarn
und am Ende übers Erbe streiten.

Dass sich bitte keiner hier beschwere!
Hältst du dich brav an die Etablierten –
Netzwerkarbeit, feine Weine trinken –
können Geld und Macht und Ruhm dir winken,
eine glänzende Finanzkarriere
und ein Foto in der Illustrierten.

Der Erfahrungssammler

Wieviel darf ich aus dem reichen Leben kosten?
Tausend Früchte werden überall serviert.
Ja, was ist schon Leben, wenn man’s nicht verziert?
Muss mich ganz trainieren, will ich nicht verrosten.

Bereist die Welt – den Norden, Süden, Westen, Osten.
Erfahrung auf Erfahrung hab ich aufgetürmt.
Wer mich aufgehalten, dem hab ich gezürnt.
Und so finde ich mich auf verlornem Posten.

Erfahrungen hort’ ich wie einen Haufen Plunder.
Ungeordnet bleiben eitle Sensationen.
Wollte ich in diesem Chaosleben wohnen?

Wie genießt man nur des Lebens wahre Wunder?
Innehalten nach dem allzu wilden Tanz.
Der Schmetterling ahnt nichts von seiner Eleganz.

O du heilige Antike

Wenn die Griechen Felder pflügten,
sind sie da in Togen rumgeeiert?
Wurden Gladiatoren angefeuert?
Im alten Rom? Auch wenn sie nicht siegten?

Jeder zweite Römer war ein Krieger,
jeder zweite Grieche Philosoph.
Für die Zivilisation schön doof:
Am Ende blieben die Barbaren Sieger.

Jerusalem, Athen und Babylonien.
Sie hatten’s schwer, doch heute ham wir’s schwerer.
Pyramiden, Rad, Theater, Geld,
mediterranes Wetter, schöne Welt.
Wir finden unser Selbst in jener Ära.
Oder sind’s nur unsre Projektionen?

Ein feines Mahl

Sanfter Dampf dem Barschfilet entweicht.
Schwarzgrün schlängelt sich die Algenpasta.
Ein 12er Sauvignon passt fast ins Raster,
wenn man gleich vor dem Barsch ihn reicht.

Die Nudeln weich, der Wein wirkt heut recht leicht,
den Gaumen kitzelt’s wie ein böses Laster.
Mango-Mousse in Schal’n aus Alabaster.
Und endlich dem Gourmet ein „Öps“ entschleicht.

Aus der Küche dringt profanes Klirr!
„Die Rechnung bitte, wenn ich mich nicht irr.“
Aus der Tür mit Männlein – dumpfer Mief.

„Nun komm, Schatz!“ – „Warte doch, dein Hut sitzt schief.“
Am Taxistand Gedrängel und Gewirr.
Der Koch wischt drinnen Gräten vom Geschirr.