86. Nacht

Tatsächlich übergibt der König der Alten seine Nebenfrau Sophia. Die Alte übergibt ihm nun einen versiegelten Becher, den er am dreißigsten Tag austrinken soll.

Aha, die Süßspeisen und das Wasser im Krug waren also völlig harmlos. Offenbar ging es der alten Dhât ed-Dawâhi damit nur darum, den König auszutesten und ihn unvorsichtig werden zu lassen. Er hätte ja auch jemand anderen die Süßspeise oder das Wasser vorkosten lassen können. Erst als sie ihn völlig auf ihrer Seite hat, gibt sie ihm das Gift im Becher.

Der Wesir Dandân berichtet weiter, dass er und die Bediensteten zunächst vermuteten, der König schliefe, dann hoben sie die Tür aus den Angeln, fanden die Leiche und im Deckel des Bechers die Nachricht der alten Dhât ed-Dawâhi, die es nicht bei der Begründung für diese arge Rache belässt, sondern obendrein Krieg ankündigt:

"… vernichtet sollt ihr werden bis auf den letzten Mann, keine Menschenseele bleibt von euch übrig dann, keiner, der ein Feuer anblasen kann, es sei denn er bete das Kreuz und den Gürtel 86 an."

So beendet der Wesir Dandân seinen Bericht. Dau el-Makân verleiht dem Wesir und den Emiren Ehrengewänder und belässt sie in ihren Ämtern. Den Tribut aus Damaskus schüttet er unter den Truppen aus.

Natürlich, um sich die Loyalität dieser Männer zu sichern. Stellt sich nur die Frage, wo er an dieser Stelle die Ehrengewänder aufgetrieben hat.

 

86 Offenbar bezieht sich diese Anspielung darauf, dass Christen in der Zeit seit Kalif Al-Muttawakil gezwungen wurden, Umhänge und Gürtel zu tragen. Aus den Schutzbefohlenen Dhimmi wurden somit sichtbar Ausgegrenzte. Die Vorstellung, Christen würden den Gürtel anbeten und dies von anderen verlangen, ist natürlich absurd, aber die Vorstellung, sie würden das tun, eine interessante Folge dieses Diskrimierungsgebots.

85. Nacht

Tatsächlich fastet der König zehn Tage lang und trinkt danach aus dem Krug.

Man muss nicht das  Pro und Contra des Fastens  unter medizinischen Gesichtspunkten beurteilen. Interessant ist eigentlich eher der religiöse Aspekt : Warum taucht das Fasten in allen größeren Religionen in irgendeiner Form auf? (Am wenigsten vielleicht bei den reformierten Kirchen des Christentums.) Neuere psychologische Untersuchungen gehen davon aus, dass strenge Askese, Selbstkasteiung usw. das Zusammengehörigkeitsgefühl in Gruppen stärkt und kurioserweise auch ihre Attraktivität: Wenn man sich solchem Leid aussetzt, dann muss wohl was dran sein.
Und auch in dieser Geschichte lockt die Alte ja den König mit übertriebener Frömmigkeit in die Falle.

Während der zweiten zehn Tage des Monats aber kam die Alte zurück mit Süßigkeiten, die in grüne Blätter, ungleich anderen Baumblättern, gehüllt waren. (…) "Oh König, die unsichtbaren Geister grüßen dich; denn ich habe ihnen von dir erzählt, und sie freuen sich deiner und schicken durch mich diese süße Speise, die von den Süßigkeiten des Jenseits stammt."

Diese Dreistigkeit erinnert schon an die Streiche Eulenspiegels.

Um das Fass noch voll zu machen: Die Alte schlägt vor, die Jungfrauen am 27. Tag zu den Geistern mitzuführen, ebenso jemanden aus dem Palast, den er König mag. Der König überlässt ihr Sophia (die Mutter Dau el-Makâns und Nuzhat ez-Zamâns).

41. Nacht

Ghânim ibn Aijûb führt die Schöne in der Kiste nach Hause,

wo alles noch fein säuberlich steht – die Aufregung um einen möglichen Überfall war also umsonst –

er kauft ihr Essen, Kerzen, Wein, Wohlgerüche,

und als die Maid ihn sah, da lachte sie und küsste ihn und umschlang seinen Hals Und sie begann ihn zu streicheln, so dass seine Liebe noch stärker wurde und sein Herz ganz beherrschte.

Aber es bleibt beim anständigen Tändeln. Ebenso am nächsten Tag, und als Ghânim sie um das Letzte bittet, erwidert sie

"das steht dir nicht zu; den auf der Schnur meiner Hose steht ein harte Wort!"

Er respektiert das, und einen Monat lang fahren sie fort in diesem unschuldigen Liebesspiel, bis er eines Nachts dir Worte auf der Schnur liest:

"Ich bin dein und du bist mein, o Nachkomme des Propheten.41a)"

Nun berichtet das Mädchen, es heiße Kût el-Kulûb.

Nach einem Monat erst sagt sie ihm ihren Namen!

Sie sei die Geliebte Harûn er-Raschîds. Die Herrin Zubaida41 ist eifersüchtig auf das junge Mädchen, lässt es mit Bendsch betäuben und von den drei Sklaven, die sie bestochen hatte (ebenso wie die Türhüter), fortbringen und in das Grabmal legen.

Fragt sich nur, woher Kût el-Kulûb diese Informationen hat, wenn sie doch betäubt gewesen ist.

Als Ghânim ibn Aijûb die Worte der Kût el-Kulûb vernahm und erfuhr, dass sie die Geliebte des Kalifen war, da wich er zurück; denn ihn befiel eine heilige Scheu vor der Kalifenmacht, und er setzte sich abseits von ihr in einem Winkel des Raumes nieder.

Des Liebenden Herz verzehrt sich in Sehnsucht nach der Geliebten;
Und ihre herrliche Schönheit raubt ihm den Verstand.
Einst ward ich gefragt: "Wie schmeckt die Liebe?" Ich gab zur Antwort:
"Die Liebe ist süß, und doch knüpft sie an Leiden ihr Band."

Er hält sich weiterhin zurück, doch am nächsten Tag bietet sich Kût el-Kulûb ihm an:

"Stille dein Begehr an mir!" Er aber unterbrach sie: "Ich nehme meine Zuflucht zu Allah! Das darf nie sein. Wie darf sich der Hund an die Stelle des Löwen setzen?" (…) Doch ihre Liebe zu ihm wuchs dadurch, dass er sich zurückhielt.

Dies scheint mir eines der schwierigsten Aspekte des Flirtspiels: Wie lange und wie stark hält man sich zurück? Ein wenig sich zieren, kann sie (oder ihn) ja auch schar machen, aber irgendwann ist der Zug auch abgefahren, und der andere wirft sich einem Draufgänger an den Hals, der sich um Tändelei nicht schert.

Die Fürstin Zubaida indessen sorgt sich, der Kalif könne etwas von der Missetat mitkriegen, und so wendet sie sich um Rat an eine alte Frau. Diese empfiehlt ihr, eine Holzpuppe anfertigen zu lassen, sie einzuwickeln und sie in der Mitte des Palastes beerdigen zu lassen und dem Kalifen gegenüber zu behaupten, Kût el-Kulûb sei gestorben.

"Will der Kalif die Laken abnehmen lassen, um sie zu sehen, so hindere du ihn daran und sage: "Der Anblick der Nacktheit ist nicht erlaubt."

Tatsächlich befällt den Kalifen große Trauer, als er von seiner Reise zurückkommt, allerdings auch Argwohn, und tatsächlich will er die Leiche auspacken lassen, was ihm aber verwehrt wird. So trauert er einen Monat an ihrem Grab.

 

 

41 Bekannt aus den Nächten 27 und 28 (Geschichte des Verwalters)

41a) Harûn er-Raschîd ist mitnichten ein Nachkomme Mohammeds. Das trifft nur auf die ersten vier Kalifen zu. er-Raschîd gehörte der Dynastie der Abassiden an, die die Ummayaden abgelöst hatten.

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40. Nacht

Kafûr läuft seinem Herrn entgegen und berichtet, dessen Frau wäre gestorben, woraufhin dieser in großes Geheul ausbricht und nach Hause rennt. Auf dem Weg begegnet ihm sein Weib, die beiden wundern sich. Und Kafûr beömmelt sich wie über einen gelungenen Aprilscherz. Als sein Herr, nachdem er erfährt, dass sich Kafûr auch noch aktiv an der Zerstörung des Mobiliars beteiligt habe, bei ihm beschwert und ihm droht, das Fleisch von den Knochen zu reißen, gibt Kafûr schlaumeierisch zur Antwort, sein Herr habe ihn ja mit dieser Bedingung gekauft, und dies sei erst die halbe Lüge, der zweite Teil folge später in diesem Jahr. Daraufhin will der ihn einfach nur noch loswerden:

"Oh Hund, Sohn eines Hundes!", reif mein Herr, "verfluchtester aller Sklaven, ist dies alles nur eine halbe Lüge? Wahrlich, ist es doch ein ganzes Unheil! Geh von mir, du bist frei in Allahs Namen!"

Die erstaunliche Antwort hierauf: Der Sklave Kafûr will gar nicht freigelassen werden, da die eine Lüge ja noch aussteht. Erst wenn die eingelöst ist, will er verkauft werden. Freilassen darf ihn der Herr aber nicht,

"denn ich kenne kein Handwerk, durch das ich mir meinen Lebensunterhalt verdienen kann; und diese meine Forderung an dich ist gesetzlich, die Rechtsgelehrten haben sie im Paragraphen von der Freilassung aufgeführt."

Sklavenmentalität als die andere Seite der Sklaverei.

Nach einer Prügelstrafe

ließ mein Herr mich in meiner Ohnmacht und holte einen Barbier, der mich entmannte und die Wunde ausbrannte.

wodurch wir von einer weiteren, eher unappetitlichen Aufgabe der Barbiere erfahren. Aber wer mag sich dann noch von einem solchen Mann rasieren lassen, wenn er weiß, was mit dem Messer nur wenige Stunden vorher geschah. Ohne großer Freud-Fan zu sein: Wer hier keine Kastrationsangst verspürt, ist kein Mann.

Dann nahm er mich und verkaufte mich um einen hohen Preis, da ich jetzt Eunuch war.

Beachtlich: Eunuchen teurer als unkastrierte Sklaven!

Hier zur Rolle der Sklaverei im Islam

Die Zandsch genannten Sklaven waren schwarzhäutige Sklaven aus Afrika, die den Muslimen nicht ebenbürtig galten. Wegen ihrer krassen Unterdrückung erhoben sie sich im Jahr 869 in Basra und nahmen die Stadt zwei Jahre später ein.

***

Dem dritten Eunuch ist nicht nach Erzählen zumute, er erwähnt nur lapidar:

"Ich habe sowohl meine Herrin wie den Sohn meines Herrn gemissbraucht."

Dann klettert er über die Mauer und öffnet sie von innen.

Seltsam ich dachte, das sei schon in der 39. Nacht geschehen.

Die drei schaufeln eine Grube und legen die Kiste hinein, dann verschwinden sie. Am nächsten Morgen, gräbt Ghânim die Grube mit den Händen auf, öffnet die Kiste und entdeckt darin eine schlafende Maid.

Als sie den Wind roch und die Luft in ihrer Nase, da nieste sie. Dann würgte und hustete sie, und aus ihrem Halse fiel eine Pille von kretischem Bendsch.

Bendsch = Cannabis

Als sie nun wusste, wie es um sie stand, rief sie: "Ich bezeuge, dass es keinen Gott gibt außer Allah und dass Mohammed der Gesandte Allahs ist."

Bisher habe ich es hier kaum notiert, aber das Glaubensbekenntnis taucht in beinahe jeder Geschichte auf.

Das Mädchen gibt ihm Instruktionen, sie wieder in die Kiste zu legen und per Maultier oder Kamel in sein Haus zu bringen, wo sie ihm ihre Geschichte erzählen würde.

Schon glühte die Liebe zu ihr in seinem Herzen, denn sie war ein Mädchen, wert zehntausend Goldstücke, und trug Schmuck und Gewänder, die ein großes Vermögen wert waren.

Ob der Schmuck und die Gewänder ihren Teil zu dieser Liebe beitrugen?

5. Nacht

König Junân erzählt seinem Wesir
Die Geschichte von König Sindibâd

Zur Orientierung:

Schehrezâd
——Fischer und Dämon
————-Wesir des Königs Junân
——————–König Sindibâd

Dieser König hat einen treuen Falken. Bei einer Jagd geraten die
beiden in die Wüste, und der Falke stößt, als sie endlich unter einem Baum
Wasser finden, den gefüllten Trinknapf um, woraufhin ihm der König die Flügel
abschneidet. Dieser deutet sterbend auf den Baum, und jetzt erkennt der König,
dass es sich nicht um Wasser, sondern um Gift handelt, das vom Baum tropft.
(Ende)
Der Wesir erwidert dem König mit der

Geschichte vom treulosen Wesir

Schehrezâd
——Fischer und Dämon
———–Wesir des Königs Junân
——————Treuloser Wesir

Seltsam eigentlich, dass ein treuloser Wesir seine bösen
Absichten mit einer Geschichte von einem treulosen Wesir zu kaschieren versucht.
Ein König stellt seinem der Jagd verfallenen Sohn einen Wesir
zur Seite, der immer auf ihn aufpassen soll. Einmal jedoch entwischt der
Königsohn und gerät in die Fänge einer sich als traurige Maid verstellende Ghûla,
die ihn an ihre Kinder verfüttern will. Nur ein Gebet kann ihn erretten. Als er
nach Hause kommt, wird der Wesir zur Strafe für seine Unachtsamkeit
hingerichtet.

Zeiten, in denen der Ministerberuf Babysitter für erwachsene
Kinder einschloss – ein sich als gefährlich entpuppender Job. Wenigstens konnte
der Wesir davon ausgehen, dass keiner der Henker ein Handy mit Kamerafunktion
dabei hatte.
***
Zurück zu Junân. Der Wesir überredet den König, Dubân köpfen zu
lassen:

„Verrate du ihn, ehe er dich verrät.“

Dubân warnt den König:

„Dieser Lohn, den du mir zuteil werden lässest, ist der
Lohn des Krokodils.“ Da fragte der König: „Was ist das für eine Geschichte mit
dem Krokodil?“

Und natürlich erwarten wir eine weitere Abschweifung.

Doch der Weise sprach: „Es ist mir unmöglich, sie dir in
diesem Zustand zu erzählen.“

Wir atmen auf. Und doch bleibt der Stachel: Wir werden nie
erfahren, was es mit dem Krokodil auf sich hat, denn Dubân wird getötet, nicht
ohne dem König ein Orakel zum Geschenk zu machen: Sein abgeschlagener Kopf wird
nach seinem Tode sprechen, wenn der König ein Buch aus dem Hause des Arztes
holen geht. Die aneinanderhängenden Seiten blättert der König um, indem er seine
Finger mit Speichel benetzt, und so erfahren wir, aus welcher Quelle sich
Umberto Eco beim „Namen der Rose“ hat inspirieren lassen. Ein Toter
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