304. Nacht

Das Donnerstags-Mahl


Frühstück. Seitenbacher Müsli mit Hafertrunk* und Galia-Melone* und Heidelbeeren*, 3 Brötchen, mit Brombeer-Marmelade*, Sojola-Margarine, Mandelcreme*, Honig*, Erdnussmus*, Schokocreme*, 0,5 Liter Kaffee* (Erst jetzt festgestellt, dass in diese Tasse tatsächlich 1/2 Liter passt.) , 1 Tablette LactAid
* = Bio-Produkt


1 Haps Mandelcreme*
 


1/2 Liter Wasser
 


0,2 Liter Kaffee, 2 Stück Bitter-Orange-Schokolade*, Fair Trade
 


Ein Streifen Orbit-Kaugummi (aus USA)
 


0,5 Liter Leitungswasser


Schawarma im Brot mit Salat, scharfer Soße, Mangosoße, Tomate, Zwiebeln, Gurke


0,3 Liter Apfelschorle, 0,33 Liter Becks alkoholfrei
 


2 x 0,33 Liter Becks alkoholfrei


0,3 Liter Apfelschorle
 


0,33 Liter Becks alkoholfrei
 


0,5 Liter Berliner Pilsener
 


0,33 Liter Becks

 

*

Die Schlangen-Dämonen helfen Abu Mohammed: Der Affe lebe in der

Messingstadt, über der die Sonne nicht aufgeht.

Um dorthin zu gelangen, wird ihn einer ihrer Sklaven über die Lüfte tragen.

"Wisse jedoch, dass jener Sklave einer von den Mârid-Dämonen ist; und wenn er dich trägt, so sprich den Namen Allahs nicht aus, solange du auf seinem Rücken bist; denn sonst wird er vor dir fliehen; und du wirst hinabfallen und umkommen."

Fragt sich also nur, was geschehen muss, damit genau dieser Fall eintritt:

Während Abu Mohammed getragen wird, kommt eine Gestalt auf ihn

die trug ein grünes Gewand, hatte wehende Locken und ein strahlendes Antlitz und hielt einen Wurfspeer in der Hand, von dem die Funken sprühten.

Ob es der Erzengel Gabriel (Dschibril) sein soll?

Diese Gestalt verlangt von Mohammed das islamische Glaubensbekenntnis. Dem kommt Abu Mohammed nach, zumal

ich so lange unterlassen hatte, den Namen Allahs des Erhabenen auszusprechen. […]
Darauf durchbohrte jene Gestalt den Mârid mit dem Wurfspeer; der Dämon schmolz und ward zu Asche, ich aber fiel von seinem Rücken und stürzte zur Erde hinab […] in ein tosendes Meer.

Fischer retten ihn, verstehen aber seine Sprache nicht. Sie bringen ihn zu ihrem König in die Stadt Hanâd in China, der ihn nach kurzer Begrüßung zu seinem Leibwächter ernennt.

Ein sorgloser König mit wenigen Feinden muss das sein, der den erstbesten Schiffbrüchigen zu seinem Leibwächter ernennt.
Mit Hanâd ist vielleicht die jemenitische am Meer gelegene Stadt Al-Hanâd gemeint, die allerdings nie chinesisch war. Ein Übersetzungs- oder Überlieferungsfehler?

 
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Ein Wesir zeigt unserem Helden die Sehenswürdigkeiten, insbesondere die Steine, in die Allah die früheren Bewohner verwandelt hatte, denn sie

waren in alter Zeit Heiden gewesen.

Nach einem Monat begegnet er an einem Fluss einem Reiter, der ihn fragt, ob er Abu Mohammed der Faulpelz sei. Er gibt sich selbst als Bruder der geretteten Schlange, zu erkennen:

"Fürchte dich nicht, der Sklave, der unter dir umkam, war einer von unseren Sklaven."

Das entführte Mädchen sei ganz in der Nähe, und Abu Mohammed möge sich zur Messingstadt begeben. Dort angekommen, überreicht ihm der Schlangenbruder ein

"Zauberschwert, dass mich vor allen Menschen unsichtbar machen sollte."

Ein Bruch mit der Märchenregel, dass Zaubergegenstände ihre eigentliche Wirkung verstärken: Eine Tarnkappe verbirgt mehr als eine einfache Kappe, in einem Zauberspiegel sieht man mehr als nur die Reflexion, bei einem Zauberschwert vermutet man eher eine unheilvolle Wirkung. Auch bleibt die Bedienung unklar – soll er sich dahinter verstecken oder es einfach nur anlegen?

Kaum ist der Dämon fort, umringt ihn

eine große Menge von Menschen, die ihre Augen auf der Brust hatten

und die ihm den Weg zur gefangenen Jungfrau weisen. An der Quelle eines Flusses findet er sie

unter einem Baldachin von Brokat […] in diesem Garten standen goldene Bäume mit Früchten aus kostbaren Edelsteinen, Rubinen, Chrysolithen, Perlen und Korallen.

Sie berichtet ihm, dass der Oberdämon (d.h. der früher Geld herbeischaffende Affe) die Einwohner dieses Ortes und sämtliche Ifrite beherrscht. Er könne aber durch einen Talisman bezwungen werden, der auf einer Säule liegt und der die Ifrite gefügig macht.

"Und wo ist die Säule", fragte ich sogleich. Sie erwiderte: "An dem und dem Orte."

Gut, dass wir das jetzt wissen.

Er beschwört die Ifrite und befiehlt ihnen, der Mârid zu fesseln.

"Wir hören und gehorchen!"

Danach lässt er sie frei und kehrt zurück zu den Leuten, die ihm den Weg gewiesen hatten.

301. Nacht

Wir sind, was wir essen? Wenn das so ist, weiß ich wohl kaum, wer ich bin. Gesinnungs-Öko? Imbissfresser? Halb-Vegetarier? Milchzucker-Vermeider? Biertrinker? Süßmaulfrosch? Mal testen.


Frühstück. Drei Vollkornbrötchen mit Sojola-Margarine, Schokokrem*, Honig*, Johannisbeer-Konfitüre*, Erdnussmus*, Ziegenkäse*, 0,4 Liter Kaffee*, 0,2 Liter Leitungswasser, 1 Tablette LactAid (wegen der Laktose in den Brötchen)
* = Bio-Produkt


1/2 Liter Leitungswasser


0,2 Liter Leitungswasser


Ein Vollkornbrötchen mit Sojola-Margarine und Ziegenkäse*. 1 Tablette LactAid.


Ein Kaugummi Wrigley’s Doublemint


Wegen Zahnarztbesuch verspätetes Mittagessen: Zwei Scheiben Haselnuss-Sesam-Vollkornbrot mit Sojola-Margarine, zwei Scheiben Lachsschinken, Omelett aus 2 Eiern*, zwei Stück Galia-Melone*, 0,2 Liter Leitungswasser, 1 Tablette LactAid (wegen Laktose im Brot)


10 Haferkekse*, 0,1 Liter Leitungswasser


0,5 Liter Leitungswasser


Abendessen: Pizza Vegetaria vom griechischen Imbiss mit Paprika, Artischocken und Tomaten, dazu frisch gemahlener Pfeffer*, 2 Flaschen 0,5 Liter Radeberger Pilsener, 2 Tabletten LactAid wegen Laktose im Pizzakäse.
(Vergesse unglücklicherweise, die zweite Tablette zu essen.)


Vorm Schlafengehen: 0,4 Liter Leitungswasser

 

Wir hören also die Geschichte von Abu Mohammed dem Faulpelz;

"denn sie ist gar wundersam, und seltsam ist’s, wie alles kam. Würde man sie mit Nadeln in die Augenwinkel schreiben, so würde sie allen, die sich lehren lassen, ein lehrreich Beispiel bleiben."

Tatsächlich war Abu Mohammed ein Faulpelz und sein Vater ein Schröpfer im Badehause.

d.h. er übte einen schlecht angesehenen Beruf aus.

"Meine Faulheit ging so weit, dass ich, wenn ich an heißen Tagen schlief und die Sonne über mich kam, ich zu faul war, um aufzustehen und von der Sonne in den Schatten zu gehen."

Der Vater stirbt und hinterlässt ihm nichts. Seine Mutter verdient sich bei Leuten und bringt ihm Essen und Trinken. Als sie erfährt, dass Scheich Abu el-Muzaffar nach China reist, gibt sie ihrem Sohn fünf Silberdirhems und fordert ihn auf, diese dem Scheich mitzugeben, damit dieser sie investiere und wenn der Sohn auch dafür zu faul sei, würde sie ihm nie wieder essen oder trinken besorgen. Abu Mohammed wird angst und bange.

"Richte mich auf!" (…) "Bring mir die Schuhe!" (…) "Zieh sie mir über die Füße!" (…) "Heb mich vom Boden auf!" (…) " Stütze mich, damit ich gehen kann!"

All das tut sie für ihn, und er stolpert zum Scheich und überreicht diesem die Dirhems.
Das Schiff fährt nach China, erledigt dort seine Einkäufe, segelt zurück. Aber nach drei Tagen auf dem Meer fällt dem Scheich ein, dass er den Auftrag für Abu Mohammed vergessen hat und will zurücksegeln. Aber seine Reisegenossen halten ihn auf mit dem Versprechen, ihm ein Vielfaches vom Gewinn der fünf Dirhems zu geben.
Sie legen auf ihrer Rückreise auf einer Insel an; dort entdeckt der Scheich einen Händler,

der eine große Zahl Affen bei sich hatte.

Einer dieser Affen wird von den anderen immer wieder gerupft, sobald der Händler nicht hinschaut.
Diesen Affen kauft der Scheich für Abu Mohammed den Faulpelz.
Auf der nächsten Insel

kamen Taucher an Bord, die nach Edelmetallen, Perlen, Juwelen und ähnlichen Dingen tauchten.

Da befreit sich der Affe und springt über Bord, doch gemeinsam mit den anderen Tauchern,

erschien auch der mit ihnen auf der Oberfläche. Er hatte die Hände voller kostbarer Juwelen, und die warf er vor Abu el-Muzaffar nieder. (…)
"Fürwahr in diesem Affen steckt ein großes Geheimnis."

Das Schiff legt auf einer weiteren Insel an,

deren Name die "Insel der Neger" ist; das sind schwarze Leute, die das Fleisch der Menschen fressen. 301

Einige der Kaufleute werden geschlachtet, die anderen harren in Angst, aber der Scheich wird vom Affen befreit.

 

301 Laut Kommentar soll es sich bei dieser Insel um Sansibar handeln. Auf den Extremrassismus dieser Passage geht der Kommentar nicht ein.

269. Nacht k)

Zum dritten Mal in der Türkei.
Beim ersten Mal 1996 auf Durchreise in den Iran. Ich war vorher so sehr mit den Iran-Vorbereitungen beschäftigt, dass ich mir erst auf dem Flug nach Istanbul klarmachte, dass es ja nicht schlecht wäre, sich türkisches Geld zu besorgen, ein paar türkische Sprachfloskeln und wenigstens einen Stadtplan. Der Taxifahrer versicherte mir, die Fahrt ins Hostel würde mich "Tri Dollar" kosten. Dass er später dreißig wollte, hielt ich für eine Unverschämtheit. Wahrscheinlich wusste er gar nicht, warum ich mich aufregte. Die Busfahrt nach Iran an dir kurdische Grenze kostete mich meinen Gelassenheitsvorrat für mehrere Jahre. Es war März, auf den Serpentinen lag teilweise noch Schnee, und der Busfahrer heizte wie ein Lebensmüder durch die Berge. Hinter Uwe und mir betete ein Jugendlicher während der gesamten Fahrt, und ich glaubte, den Grund dafür zu kennen. Im Bus saßen viele freundliche Iraner, die uns darüber belehrten, welche Verhaltensweisen man im Iran beherzigen sollten, z.B. die Positiv-Geste des Daumenhochstreckens vermeiden, da diese identisch mit unserer Mittelfingergeste sei. Nicht vergessen werde ich die fünf Stunden Aufenthalt im Iranisch-Türkischen Transitraum. Über der einen Tür ein Bild von Atatürk, über der anderen eines von Chomeini. Zwei große Veränderer mit so unterschiedlichen Zielen und mit einem guten Gespür für Gelegenheiten. Der eine unterzieht das zerfallende Osmanische Reich mit einem gehörigen Schuss Autorität einer Säkularisierung, Modernisierung und Republikanisierung. Der andere nutzt ebenfalls die Gelegenheit einer untergehenden Monarchie und geht den umgekehrten Weg.
Bei meinem zweiten Aufenthalt in der Türkei weilte ich nach der AIDA-Tour mit dem Improtheater "Paula P." nur kurz in Antalya und lernte Schiffs- und Flughafen kennen.
Als Kind war für mich die Türkei eine Art Exotenland. Und während andere Jungen damals Piraten und Indianer zeichneten, waren meine Modelle die Türken aus Hannes Hegens Mosaik.

Turbane, Pluderhosen, Bärte aller Art, Spitzpantoffeln, rund geformte Dächer und Dolche. Nichts davon wiederzufinden in Klein-Istanbul, wovon man in Ostberlin nur die seltsamen Zeilen aus dem Radio hörte

Kebabträume in der Mauerstadt,
Türk-Kültür hinter Stacheldraht
Neu-Izmir in der DDR,
Atatürk der neue Herr.

 

und sie nicht richtig politisch einordnen konnte. "DAF spielten dreist mit Faschismus, Fehlfarben ironisierte Ängste." Und man glaubte beinahe, Politische Wissenschaft zu betreiben.

*

Der seinen fiesen, aber glücklicherweise inzwischen toten Bruder in Fiesheit übertreffende Maure sucht nun, in China angelangt, eine weise alte Einsiedlerin namens Fatima auf, die er überfällt und deren Kleider er sich geben lässt und sich außerdem seine Haut von ihr färben lässt. Als er nun wie sie aussieht, bringt er sie um,

und warf sie in eine Grube, die sich vor ihrer Höhle befand.

Als Fatima heilt er vorm Palast Kranke, und wieder ist es Prinzessin el-Budûr, die auf die Maurenkünste hereinfällt, die Schein-Fatima in den Palast holt und ihr ein Gemach anweist.

Das Motiv der scheinbar Heiligen kennen wir bereits aus der Geschichte des Königs Omar ibn en-Numân und seiner Söhne Scharkân und Dau el-Makân und dessen, was ihnen widerfuhr an Merkwürdigkeiten und seltsamen Begebenheiten

"Fatima" lobt das Gemach, bemängelt jedoch das Fehlen des Eis des Vogel Roch. Alâ ed-Dîn wünscht es sich vom Mârid, der außer sich gerät:

"Du Undankbarer, ist es dir nicht genug, dass ich und alle Geister der Lampe dir zu Diensten sind? Nun verlangst du auch noch, dass ich dir unsere Herrin bringe, damit du sie zu deinem Vergnügen in der Kuppel deines Söllers aufhängst, auf dass du mit deiner jungen Frau dich daran ergötzest?"

Doch er verzeiht ihm, da es die Schuld des Mauren sei. Der listenreiche Alâ ed-Dîn gibt nun vor, Kopfschmerzen zu haben. Seine Frau führt ihn zur angeblichen Fatima, die ihm die Hand auflegen soll. Der Maure zückt schon den Dolch, aber Alâ ed-Dîn entreißt ihn und

bohrte ihn ihm ins Herz.

Heirat, Königreich erben. Alle glücklich. Mit dieser Coda endet die Geschichte, deren Wiedergabe ich hier vor über 1 Jahr begonnen habe. Sie mit der Disney-Version zu vergleichen, steht jedem frei. Sagen wir mal so: Disney erzählt stringenter.… Weiterlesen

269. Nacht j)

Technologische Verschlechterungen durch Handys:
1. Seit es Handys gibt, werden weniger Armbanduhren verkauft und getragen. Man muss länger auf die Antwort warten, wenn man nach der Uhrzeit fragt.
2. Die Sound-Qualität der von Jugendlichen im öffentlichen Raum abgespielten Musik fällt hinter Ghettoblaster und Transistorradio (Hat eigentlich je irgendwer das Wort "Kofferheule" benutzt?) auf Grammophonstandard zurück.

In Antalya tragen nur wenige Frauen Kopftuch. Ob es hier auch schimpfende Konservative gibt, die meinen, man fühle sich schon wie in Klein-Berlin?

Eine 30jährige Kellnerin bedient in akzentfreiem Deutsch. Wir fragen, wo sie herkommt. Berlin. Wir auch. "Wilmersdorf. Aber schon seit sechzehn Jahren nicht mehr. Typisch türkisch: Man wird verheiratet, in die Türkei geschickt, und das Leben ist ruiniert." Traurig lächelnd nimmt sie unsere Bestellung auf."

S. fragt ein japanisches Pärchen: "Are you here on a trip through Europe." Mir ist die Frage peinlich, denn schließlich liegt Antalya in Asien, aber die Japaner nicken freundlich: "Yes."

In der Nacht wieder mein monatlicher Traum über Ralf. Und wie von fern weiß ich, dass er ja tot ist. Doch diesmal ist er, anders als sonst sehr nah, spricht mit mir, lächelt. In anderen Träumen entfernt er sich rasch. Ich frage, ob er mich nicht auch gegen den Arm boxen kann, damit ich wüsste, dass das kein Traum sei. Er tut es, aber es schmerzt nicht. "Dann bist du also doch nicht real?", frage ich. Er lächelt und zuckt bedauernd die Schultern. Dann verschwindet er.

*

Alâ ed-Dîn wird eine Frist von vierzig Tagen eingeräumt. Das Volk jubelt, als es ihn frei sieht, doch er verlässt die Stadt betrübt und wandelt durch die Felder. Als er sich eines Tages zur religiösen Waschung über den Fluss beugt, reibt seine Hand den Siegelring, den er trägt, und ein Mârid erscheint.

Warum erscheint der erst jetzt? Hat Alâ ed-Dîn es mit den religiösen Waschungen vorher nicht so genau genommen?

Der Geist trägt ihn auf Befehl "nach Afrika", wo er unter dem Turm seiner Gemahlin nächtigt, die ihn am nächsten Tag durch eine Geheimtür hereinlässt. Alâ ed-Dîn verfällt auf den guten alten Bendsch-Trick: 2 Gramm auf dem "Drogenbasar" gekauft, Prinzessin el-Budûr spielt nun die Liebende gegenüber dem Zauberer, und schüttet ihm die Droge in den Wein. Nach langwierigen Flirtspielchen trinkt er endlich, fällt um und wird von Alâ ed-Dîn geköpft. Die Lampe wird gerubbelt, zack, ist man wieder in China, der König verzeiht, und die Geschichte könnte zuende sein, wäre da nicht ein

Bruder, der noch durchtriebener war als jener in Zauberei; Geomantie und Astrologie.

269. Nacht i)

Aus Bachs Markus-Passion "Ich will daraus studieren" geklaut von Heinrich Isaacs "Innsbruck ich muss dich lassen". Später hat er sich noch mal offensichtlicher in "O Welt ich muss dich lassen" bedient. Heute würden ihm Gema und WMG einen Strick draus drehen.
Haydn beklaut sich selbst: Kaiserquartett op. 76 C-Dur und Trompetenkonzert Es-Dur HOB VIIE 2. Satz benutzen dieselbe Anfangsfigur.

Am Ende von "The Man Who Shot Liberty Valance" sagt der Herausgeber des Shinbone Star den entscheidenden Satz: "If the legend becomes fact, print the legend." Der Satz könnte auch von jedem Herausgeber deutscher Tageszeitungen über die Wende stammen. Die Geschichte ist offen. Und das war sie auch 1989/1990. Aus der bequemen Haltung des heutigen Status Quo sieht eben alles so schön folgerichtig und eindeutig aus:

1. Der Versprecher, der keiner war. Schabowski hat sich natürlich nicht verplappert, als er die Öffnung der Grenze verkündete. Es war schon mehrere Tage vorher abgesprochen. Momper wusste bescheid. Und alle befürchteten, dass die Situation unbeherrschbar würde. Und so hielt Schabowski erst mal bewusst eine langweilige Pressekonferenz ab, an deren Ende der die erstaunliche Nachricht wie nebenbei einflocht. Und auf das Nachhaken des Journalisten so antwortet, als hätte er nichts weiter damit zu tun.

2. Die Demonstranten hätten gerufen "Wir sind ein Volk". Es gab den gerufenen Slogan "Wir sind das Volk", mit dem aber nicht die Zweistaatlichkeit attackiert wurde, sondern die Bewohner des Elfenbeinturms, die sich für die Elite hielten und die Augen vor dem Offensichtlichen verschlossen. Zwar wurde ab Dezember 1989 "Wir sind ein Volk" in Reden und auf Transparenten verwendet, nicht aber in Sprech-Chören. Ich behaupte das solange, bis mir jemand das Gegenteil beweist

3. Die DDR-Bürger hätten im November 1989 die deutsche Einheit gefordert. Am 28. November 1989 legte Kohl den in jenen Wochen visionär erscheinenden Zehnpunkteplan vor. http://www.kas.de/wf/de/71.6032/ Noch im Dezember 1989 war nur jeder Dritte für eine Wiedervereinigung. Kohls politischem Instinkt und Geschick ist es natürlich zu verdanken, dass er diesen Plan schleunigst über den Haufen warf, die Ost-CDU schluckte, und international die Weichen für den Anschluss der DDR stellte, allem Zweifel zum Trotz. Und als Trostpflaster für die Ostler holte er eine plump wirkende Trine ins Kabinett, die ihm garantiert nie gefährlich werden würde. Dabei wusste er doch selbst, dass man Plumpwirkende nie unterschätzen darf.

*

Der maurische Zauberer ist unterdessen in seiner Heimat wieder angekommen. Täglich freut er sich darüber,

"dass dieser Bastard (= Alâ ed-Dîn) unter der Erde verreckt ist."

und trauert über das Abhandenkommen der Lampe. Eines Tages wirft er geomantische Figuren, um zu sehen, was denn nun geschehen ist. Zu seiner Überraschung lebt Alâ ed-Dîn und die Lampe ist verschwunden. Da heißt es, hurtig das Ränzlein schnüren und ab nach China.


(Quelle Wikipedia)

Zu seinem Schrecken erfährt der Maure in China, wie reich und beliebt sein Widersacher geworden ist. Durch seine astrologischen Instrumente kann er die Lampe orten und lässt sich durch einen ortsansässigen Kupferschmied neue bauen. Verkleidet als Händler setzt er sich an den Markt und bietet diese Lampen zum Tausch:

"O, wer vertauscht alte Lampen gegen neue Lampen?"

Der weitere Verlauf ist vorhersehbar: Die Prinzessin Badr el-Budûr lässt die Zauberlampe durch den Obereunuchen eintauschen, und am Abend lässt der fiese Maure das Schloss samt Sklaven und Prinzessin nach Afrika abtransportieren.

Was die durch den Mârid herbeigezauberten Sklaven betrifft, frage ich mich auch, ob diese eine Vorgeschichte haben. Sind sie also von jemand anderem geraubt worden? Oder erschafft der Mârid Menschen und ist also gottgleich?

Als der Sultan das Verschwinden von Schloss und Tochter bemerkt, will er zunächst dem Rat des Wesirs nachgeben, doch nun geschieht etwas eigenartiges: Da Alâ ed-Dîn beim Volk so beliebt ist,

taten sich alle Bürger zusammen, nahmen ihre Waffen in die Hand, verließen ihre Häuser und folgten den Soldaten.

Sie drohen dem Sultan:

"In diesem Augenblick werden wir den Palast über den Häuptern aller, die in ihm sind und auch über deinem Haupte niederreißen, wenn dem Alâ ed-Din das geringste Leid geschieht!"

Das klingt mir denn doch sehr nach französisch-bürgerlicher Erhebung und nicht nach arabischer Story.

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269. Nacht g)

Das Problem unter uns freiwurschtelnden Künstlern immer wieder: Wie hältst du’s mit der Disziplin? Sie scheint uns zunächst wie eine Einschränkung der Freiheit, aber wenn wir ziellos durch die Tage mäandern, gehalten von den Verpflichtungen, die man irgendwann eingegangen ist, dann werden die als konservativ abgetanen Rituale ersetzt durch dumme Angewohnheiten. Niemand sagt mir, wann ich zu Bett gehen muss, niemand zwingt mich, den Wecker zu stellen. Und wenn ich dann um 3 Uhr schlafen gehe und um 10 Uhr gerädert aufstehe, weiß ich, dass der Tag nicht so abgelaufen ist, wie er es sollte. Schlimmer noch, wenn man Tätigkeiten als Arbeit verbucht, die eigentlich nur Privat-Entertainment sind, was ohnehin schon verschwimmt, wenn man im künstlerischen Sektor arbeitet und das auch noch mit einem Arbeitsmittel, das zugleich Inspiration beflügeln, Information besorgen, Unterhaltung bereitstellen, Verwaltung und Kommunikation erleichtern und beim Schreiben helfen soll.

*

Für den Sultan ist die Annullierung der Ehe ein dicker Brocken, denn

er hatte schon vor Freuden die zehn Heiligen angerufen, weil ihm ein solches Glück widerfahren war.

Das wäre natürlich mal interessant zu erfahren, von welchen Heiligen hier eigentlich die Rede ist. Im Islam gibt es sie jedenfalls nicht.

Inzwischen sind die drei Monate verstrichen und Alâ ed-Dîns Mutter kommt wieder zum Sultan, um die Vermählung mit ihrem Sohn einzufordern. Der Sultan grämt sich, da

"sie arme Leute sind und nicht zu den Vornehmen gehören."

Der Wesir rät, vierzig Schüsseln aus reinem Waschgold zu verlangen, ferner vierzig Sklavinnen, die die Schüsseln tragen, und vierzig Sklaven.

Soll der Wesir wirklich Waschgold (statt Berggold) gefordert haben? Die Sklavinnen müssten dann aber auch ordentlich durchtrainiert sein, wenn sie die Schüsseln schleppen sollen.

Der Lampengeist sorgt erwartungsgemäß für die Erfüllung des Auftrags. Die Sklavinnen (nebst Eunuchen) marschieren durch die Stadt,

von denen eine jede sogar einem Gottesmanne den Verstand hätte rauben können.

Doch der Wesir ist immer noch von Neid zerfressen:

"Hoher Herr, alle Schätze der Welt sind nicht so viel wert wie ein Nagel von der Hand deiner Tochter."

Diesmal jedoch lässt sich der Sultan nicht abbringen und lässt nach Alâ ed-Dîn schicken. Dieser lässt sich vom Mârid noch ein Bad bescheren, Scherbett und ein Königsgewand. Weiterhin: 48 Mamluken mit Rössern, Rüstungen und Waffen, einen Hengst, wie ihn die Perserkönige reiten, achtunvierzigtausend Dinare und zwölf Sklavinnen. Auf seinem Weg zum Palast wird er vom Volk, dem er Geld zuwirft, bejubelt. Der Sultan ist entsprechend überrascht.

Die Frage liegt nahe, warum dann Alâ ed-Dîn seine Mutter andauernd in Lumpen herumlaufen lässt.

Dann bedachte er auch die reine und feine Redeweise Alâ ed-Dîns.

Wo Alâ ed-Dîn die so schnell gelernt hat, erfahren wir allerdings nicht. Es sprengte vielleicht auch die Macht der Geister, Wünsche nach geistigen Gütern zu erfüllen:

Der Sultan begann, sich mit Alâ ed-Dîn zu unterhalten und mit ihm zu plaudern, während dieser ihm mit aller Höflichkeit und Feinheit der Rede antwortete, als ob er in den Palästen der Könige erzogen wäre.

"Joanne K. Rowling: "Während ich am ersten Band arbeitete, habe ich zahllose Notizen gemacht, wie Zauberei funktioniert, und – ganz, ganz, ganz wichtig – wo ihre Grenzen sind."

Alâ ed-Dîn will aber noch mehr, nämlich für die Prinzessin ein Schloss bauen:

"Ich kann nicht eher zu ihr eingehen, als bis das geschehen ist."

Süße Tugend. Ich hab nicht mal eine Eigentumswohnung.

Und natürlich erledigt der Geist auch diese Aufgabe, ohne groß rumzunörgeln. Seitenweise Beschreibungen des Interieurs. Aber dann

"Ich wünsche mir von dir eins, das noch fehlt und das ich dir zu sagen vergessen habe (…) einen großen Teppich aus Brokat (…), der, wenn er ausgebreitet ist, sich von meinem Schlosse bis zum Sultanspalast erstreckt."

Man muss wohl annehmen, dass hier nicht Alâ ed-Dîn etwas vergessen hat, sondern Galland, der zu faul war, sein Geschreibsel neu zu ordnen. Sloppy writing in den Zeiten vor Copy&Paste.

Das Ehebündnis wird vor den Kadis geschlossen.

269. Nacht f)

Nun also endlich weiter an den 1001 Nächten. Nach über einem Jahr Pause. Die Lektüre führt, so muss ich mir eingestehen, schnell zu Übersättigung. Nur weil ich weiß, dass es weiter hinten noch ein paar hübsche Perlen gibt, lese ich weiter. Aber der Rhythmus ewiger Wiederholungen, redundanter Beschreibungen und flacher Charaktere ermüdet schnell. Hätte man sich nicht doch etwas wie Luhmanns "… der Gesellschaft"-Werke oder Shakespeares Dramen herauspicken können? Aber die Orient-Faszination lässt mich nicht los, selbst wenn es der Galland-gefälschte Orient ist. Als Kind haben mich diese Pluderhosen-und-Turban-Träger aus den Digedag-Comics schon mehr fasziniert als beispielsweise Indianer. Hauff, der mit den 1001-Nacht-Elementen sowieso viel erzählerischer spielt, hatte es mir dann schon angetan, sobald ich lesen konnte. Mein Vater hatte Gott sei Dank ein großes Vertrauen in meine psychische Stabilität. Wer gibt sonst seinem sechsjährigen Kind eine Story wie "Die abgehauene Hand" zu lesen? Meine erster Horror-Erzählung, die ja eigentlich in Florenz spielt, aber aus Sicht eines Griechen berichtet wird, und zwar in einem Zelt einer Karawane.

Ungeordnet ein paar Ereignisse seit meiner letzten Lektüre der 1001 Nächte

– Schmidt-liest-Proust-Lektüre
– Impro-Reisen nach Halle/Saale und Chicago
– Auszug mit der Chaussee erst aus dem Ambulatorium, dann aus der Stenzerhalle
– Umzug von Foxy Freestyle aus dem Edelweiss in die Alte Kantine
– Geburt von Kirstens Kind
– Ich wurde 40.
– Facebookmitgliedschaft
– Silvester in Matzes Theater
– Obama wird Präsident
– Westerwelle wird wohl Außenminister
– Das Görlitzer Kantinenlesen etabliert sich
– Pinguin-Impro-Show im Zebrano
– sieben Workshop-Serien unterrichtet, an einem einzigen teilgenommen
– Juror bei der deutschen Theatersport-Meisterschaft
– 2 Mal in Buckow
– 152 Artikel bei Ebay verkauft
– Keinen Baum gepflanzt
– Kein Kind gezeugt
– Kein Haus gebaut.
– Kein Buch geschrieben
– In Amerika ein wirkungsvolles Mittel gegen Laktose-Intoleranz gefunden.

***

Als Alâ ed-Dîns Mutter ihm die Edelsteine überreicht, sagt der König:

Wahrlich, wer mir solche Juwelen schenkt, der verdient es, der Gemahl meiner Tochter zu werden; denn soweit ich sehe, ist keiner würdiger als er."

Aber wie auch schon in der Erzählung von Nûr ed-Dîn ‚Alî und Enîs el-Dschelîs ist es ein neidischer Wesir, der hier die Pläne zu vereiteln sucht,

weil der König ihm versprochen hatte, er wolle seine Tochter mit seinem Sohne vermählen.

Der entscheidungsunfreudige Sultan gewährt drei Monate Aufschub. Alâ ed-Dîn wartet zwei Monate ab, bevor seine Mutter wieder auf den Basar begibt, wo er erkennt, dass die Stadt zu einer Feier geschmückt ist – der Hochzeit zwischen Sultanstochter und Wesirssohn.

"Mein Sohn, ich will dir eine Kunde melden; aber der Kummer, den sie dir bereitet, wird schwer auf mir lasten."

Hoffentlich nicht so schwer, wie der Kummer des Dorfpfarrers in "Das weiße Band", den dieser erleidet, als er sich gezwungen sieht, seine Kinder mit der Rute zu züchtigen.

Wie Alâ ed-Dîn das hören musste, erfasste ihn ein Fieberanfall vor Kummer; aber gleich darauf dachte er an die Lampe, und erfreut sprach er zu seiner Mutter "Bei deinem Leben, liebe Mutter, ich glaube, der Sohn des Wesirs wird sich ihrer nicht so erfreuen, wie du denkst. Doch lass uns jetzt davon schweigen! Setze das Abendessen vor, auf dass wir speisen."

Die unmittelbare Wirkung psychosomathischer Phänomene ist erstaunlich. Andererseits aber auch, dass niemand auf die Idee zu kommen scheint, dies bewusst zu nutzen. Zumindest bis hier wird nicht einmal dem Gebet eine solche Wirkung zugesprochen Dabei denke ich Inzwischen, dass das islamische Gebet gesundheitlich außerordentlich wirkungsvoll sein muss:
– Die Waschung zuvor ist ja nicht nur rituell, sondern auch ein tatsächliches Waschen.
– Um gültig zu sein, muss das Gebet in völliger Demut erfolgen. Und so erleichtert es das innere Loslassen von Sorgen, Problemen usw. erleichtert psychisch.
– Die Positionen erinnern teilweise an den Sonnengruß im Yoga. Die geöffneten Hände öffnen sich aufs neue der Welt, statt sie dominieren zu wollen.
– Und schließlich ist der Ablauf eine gute Dehnung der Bänder und Muskeln, der Ablauf kann sogar als Gymnastik empfunden werden.

In der Hochzeitsnacht lässt Alâ ed-Dîn den Wesirssohn von seinem Lampengeist auf den Abort schaffen und legt sich selbst neben die Prinzessin,

Geklautes Motiv aus der Geschichte von den drei Äpfeln

legte ein Schwert zwischen sich und sie und ruhte an ihrer Seite auf demselben Lager, ohne etwas Schmähliches zu tun.

Das Motiv, das Schwert als Trennlinie zwischen zwei züchtig Ruhenden zu verwenden, ist weit bekannt und verbreitet, etwa Ring des Nibelungen oder auch im Grimms-Märchen "Die zwei Brüder". Galland hat sich also ordentlich bedienen können. Fragt sich nur: Woher hat der arme Alâ ed-Dîn auf einmal ein Schwert?

Die Verstörung der Prinzessin erklärt die Königin dem Sultan am nächsten Morgen:

"… das ist so bei Neuvermählten; am Tage nach der Hochzeitsnacht schämen sie sich und zieren sich ein wenig."

Die Hochzeitsfeiern gehen weiter und Alâ ed-Dîn wiederholt das Spiel in der folgenden Nacht. Prinzessin und Wesirssohn berichten das Vorgefallene ihren Eltern und annullieren die Ehe.

269. Nacht e) Lernen in einer Woche

Ich stolpere über die Nachricht der Nachrichtenagentur AP: „Erstmals seit Ende des Zweiten Weltkriegs können Bundeswehrsoldaten wieder mit einem speziellen Tapferkeitsorden ausgezeichnet werden.“ Abgesehen von der Frage, ob so ein Orden überhaupt notwendig ist, warum steht da „wieder“ und „seit Ende des Zweiten Weltkriegs“? Damals gab es doch keine Bundeswehr? Oder sollte sich die Bundeswehr in der Tradition der Wehrmacht sehen? Gott behüte!

Kleinigkeiten, die ich in dieser Woche gelernt habe

  • Montag: Die Impro-Langform „Deconstruction“ lässt sich formal auf hunderte Arten spielen, ebenso wie der „Harold“.
    Camouflage war eine schwäbische Band.

  • Dienstag: Es gibt kaum Gerichte, in denen Kohlrabiblätter die Hauptzutat sind. Eines stammt aus Brasilien (wobei hier eigentlich Mineira verwendet wird).

  • Mittwoch: Laktose-Intoleranz ist angeblich durch Biofeedback-Therapie „heilbar“. Andererseits gerade vor ein paar Tagen einen Artikel in der ZEIT gelesen, in dem betont wurde, dass Laktose-Intoleranz eben keine Krankheit sei. Mit anderen Worten, diese seltsame Therapie müsste meine Enzymproduktion wieder derart in die Gänge bringen, dass ich auf einmal wieder anfange Laktase zu produzieren.

  • Donnerstag: Es gibt ein Bundesamt für Steuern.
    Ronald Reagan hatte sich als kalifornischer Gouverneur persönlich für die Absetzung der kommunistischen Professorin Angela Davis eingesetzt. Ob er etwas mit ihrer Verhaftung zu tun hatte, weiß ich nicht.
    Als Bradley-Effekt wird in den USA eine Verzerrung bei Wahlumfragen genannt, bei denen der Interviewte aus sozialer Erwünschtheit nicht zugibt, den schwarzhäutigen Kandidaten nicht wählen zu wollen. Unklar ist, ob dieser Effekt bei den diesjährigen Präsidentschaftswahlen eine Rolle spielt. Was ich außerdem nicht gelernt habe: Ob die Meinungsforschungsinstitute diesen Effekt bei ihren Prognosen schon mit einberechnen.
    Ruth Fischer, die KPD-Chefin der mittleren zwanziger Jahre und Schwester von Hanns Eisler, argumentierte oft antisemitisch, obwohl ihr Vater einer jüdischen Familie entstammte.

  • Freitag: An Tuberkulose erkrankt man vor allem, wenn das Immunsystem geschwächt ist.
    Biofeedback hat nichts mit Bioresonanztherapie zu tun.

  • Samstag: Ich habe bisher keine systemtheoretische Analyse der derzeitigen Wirtschaftskrise gefunden.

  • Sonntag: McCain besänftigt seine Fans, die Obama aufgrund der Schmierenkampagne für einen terroristischen Araber halten. Erstmals tut mir McCain beinahe leid.

***

Nachdem ihr Sohn sie ausführlich beredet hat, begibt sich Alâ ed-Dîns Mutter Mit einer Schüssel voll Edelsteinen zum König von China, um für ihren Sohn um die Hand dessen Tochter anzuhalten.

269. Nacht d)

Was ich mal mochte, jetzt aber nicht mehr

  • Vollmilchschokolade

  • Beethoven

  • Fernsehen überhaupt und Talkshows im Speziellen

  • Recht behalten

  • Auf Rockkonzerte gehen

  • Otto Waalkes

 Was ich mal nicht mochte, jetzt aber schon

  • Ingwer

  • Tanztheater

  • Goethe

  • Mozart

  • Ein Telefon besitzen

  • Yoga

  • Soziologische Systemtheorie und Konstruktivismus

 Was ich mal nicht mochte, jetzt aber immer noch nicht

  • Tocotronic

  • Fisch

  • Orgelfugen

  • Samt

  • Kalt duschen

  • Fußballgucken

  • Walt-Disney-Comics

Was ich mal mochte, jetzt komischerweise immer noch

  • Boney M.

  • Honig

  • Früh aufstehen

  • atonale Musik von Hanns Eisler

  • Texte meiner Kollegen der Chaussee der Enthusiasten

  • Zaubertricks

***

Alâ ed-Dîn hört auf seine Mutter, schmeißt Ring und Lampe weg. Ende der Geschichte.

Alâ ed-Dîn besteht darauf, die Lampe zu behalten. In den folgenden Tagen leben sie vom Verkauf der Schüsseln, deren Wert Alâ ed-Dîn nicht kennt. Er nimmt eine nach der anderen zum Basar, und verkauft sie einem Juden,

der gemeiner war als der Teufel.

Für jede Schüssel erhält er einen Dinar und der Jude flucht insgeheim, dass er ihm

nicht einen Dreier gegeben hatte.


Dreier 17. Jh. (Abb. Numispedia)

 


Golddinar 5. Jh. (Abb. Numispedia)

Scheint eine seltsame Übersetzung aus dem Französischen zu sein. Denn der Dreier als Kleinmünze war nur in Norddeutschland gebräuchlich, nicht aber in Frankreich. In China schon gar nicht.

Nachdem die zehn Schüsseln und auch noch der Tisch verkauft sind, rubbelt Alâ ed-Dîn wieder an der Lampe, alles wiederholt sich. Nach dem Verbrauch der Lebensmittel will er wieder die Schüsseln verkaufen, wird aber von einem muslimischen Händler abgefangen, der ihn darüber aufklärt, dass

den Juden das Gut der Muslime, die den einigen Allah, den Erhabenen verehren, als erlaubte Beute gilt.

Man beachte, dass diese antisemitischen Zeilen vom Franzosen Galland verfasst wurden.

Der muslimische Händler gibt ihm siebzig Dinar pro Schüssel, und Alâ ed-Dîn lernt nun auf dem Basar das Handeln, verkehrt auch unter Juwelieren und erfährt so, dass die Steine, die er aus der Höhle geholt hatte, keine Glasmurmeln sind, sondern Edelsteine.
Eines Tages läuft ein Ausrufer durch die Straßen der Stadt und befiehlt allen, sich zu verbergen,

denn die Herrin Badr el-Budûr, die Tochter des Sultans will sich ins Bad begeben. Jeder, der diesen Befehl übertritt, wird mit dem Tode bestraft werden.

Wie lange war wohl die Prinzessin nicht mehr baden?

Um sie zu beobachten, versteckt sich Alâ ed-Dîn hinter der Tür des Badehauses.

Wer streute Zauberschminke wohl auf die Blicke ihr
Und pflückte Rosenblüten wohl von der Wange ihr?
Ein nächtlich Dunkel ziert der Haare schwarze Pracht,
Doch ihrer Stirne Licht erhellt die finstre Nacht.

Die ersten Verse in dieser Erzählung. Man beachte den Primreim der ersten beiden Zeilen.

Alâ ed-Dîn kehrt heim, legt sich nieder und wird liebeskrank.

269. Nacht c) – Berlin Marathon 2008

Eine gute Woche ist nun nach dem Berlin Marathon vergangen. Ich bin völlig erholt. Aber auch der Lauf selber ging so gut wie noch nie. Keine Blasen während des Laufs, kein Mann mit dem Hammer, keine Gelenkprobleme, keine Krämpfe, keine ausgedehnten Gehpausen. Von Anfang an, lief alles perfekt.

Ich hatte vorher die etwas seltsame Idee, meine während des Laufs zunehmenden physischen Probleme zu dokumentieren, indem ich an jedem Kilometer einen Stopp einlegte. Aber das Leid hielt sich in Grenzen, vielleichtgerade wegen der kurzen Pausen. Schon bei km 9 habe ich die erste kleine Stretchingpause eingelegt. Ab der Hälfte widmete ich jeden weiteren Kilometer einigen Personen, die mir gerade wichtig sind.

Den kompletten Lauf habe ich hier dokumentiert

***

Es mutet schon etwas seltsam an, dass der Maure so schnell aufgibt, da er ja immerhin mehrere Jahre gebraucht haben muss, bis er nach China gelangt ist.

Nachdem Alâ ed-Dîn mit Weinen und Klagen fertig ist, besinnt er sich des Rings, den ihm der Zauberer gegeben hat. Er fleht weiter zu Allah und ringt dabei wie ein Trauernder mit den Händen, so

dass seine Hand an dem Ringe rieb.

Aber warum musste er sich da des Ringes besinnen?

Es erscheint ein Dämon, der bekennt, er sei der Sklave des Ringträgers. Alâ ed-Dîn befiehlt ihm, ihn zu befreien, was auch höchste Zeit wird, da er schon seit drei Tagen in der Höhle festsitzt. Er geht den Weg zurück, den er gekommen ist und

dankte Allah dem Erhabenen, der ihn zur Oberfläche der Erde herausgeführt und ihn vom Tode errettet hatte.

Allah? Oder nicht doch der Dämon?

Alâ ed-Dîn kehrt ins Haus seiner Mutter zurück und berichtet ihr alles ausführlich,

was wir dann auch noch in aller Ausführlichkeit lesen müssen, Galland scheint Zeilen schinden zu wollen. An anderen Stellen in "1001 Nacht" heißt es immer: "Doppelt erklärt ist nichts wert."

Nachdem sich der Sohn ausgeruht hat, will die Mutter zum Basar gehen, um vom Erlös des gesponnenen Garns Essen zu kaufen. Alâ ed-Dîn rät ihr, lieber die Lampe zu verkaufen, die brächte sicherlich mehr Geld. Doch wie Mütter so sind, sie meint, man müsse die Lampe vorher putzen, dann brächte sie einen höheren Erlös. Ein Dämon erscheint. Sie fällt in Ohnmacht, Alâ ed-Dîn jedoch befiehlt dem Geist, gutes Essen zu besorgen, dies bringt er augenblicklich herbei. Ausdrücklich erwähnt wird darunter nur:

Brot, weißer als Schnee.

Sie essen sich satt, aber anschließend bittet die Mutter ihren Sohn Alâ ed-Dîn darum, Ring und Lampe fortzuwerfen:

"denn sie verursachen uns große Furcht; (…) Auch wäre es eine Sünde für uns, mit ihnen zu verkehren; denn der Prophet – Allah segne ihn und gebe ihm Heil – warnt uns vor ihnen."… Weiterlesen

269. Nacht b) Jekaterinburg – Jonglage mit Omnibusschimmeln

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Jekaterinburg – Jonglage mit Omnibusschimmeln

(12.4.07)
E-Mails und das Weltweitgewebe katapultieren einen gedanklich nach Hause. In wenigen Stunden ist man nun nach Asien geflogen, hat sich flink ein paar Urteile zurechtgebastelt, hat in einem Tschechenrestaurant gespeist, von weitem die Gedenkstätte für die Zarenfamilie in Augenschein genommen. Das Reisen wird banalisiert, die grundlegenden Fakten kann ich mir ganz ohne Reiseführer aus der deutschen Wikipedia zusammenklauben. Es liegt einzig in der Kraft des Einzelnen, sich die Aufregung zurückzuerobern. Goethe ritt aus purer Neugier nach Italien, und das zu einer Zeit, als man in Italien nichts davon wusste, was man außerhalb von Italien für ein Italienbild hatte, und somit auch keine entsprechenden standardisierten Klischee-Wünsche industriell zu befriedigen wusste. Das Staunen war echt. Heute hat jede Stadt, jeder Ort ihr Muss-man-gesehen-haben, und dort ist Staunen Pflicht. Da man aber zu einer derartigen spontanen Empfindung ja allein durch die Standardisierung des Ortes nicht in der Lage ist, muss der Besucher die Besonderheit durch das Hervorholen der Kamera signalisieren. Aber selbst das ist vergebliche Liebesmüh, denn um so gute Fotos wie die vom Postkartenstand oder in der Google-Bildersuche hinzukriegen, müsste man schon mehrere Jahre in eine Profi-Fotografen-Ausbildung investieren. Man kann sich zwar auch selber vor der Sehenswürdigkeit ablichten lassen, aber was ist das viel mehr als der Beweis, seine Pflicht des Sich-Ablichtens vor der Sehenswürdigkeit erfüllt zu haben? Da uns also die Unmittelbarkeit des Erstaunens versperrt bleibt, suchen wir panisch die Besonderheit im kleinen Detail: Man hält es schon für verrückt, dass Jekaterinburg eine Millionenstadt ohne McDonald’s ist, die Schreibtische im Hotel sind aus Massivholz, im Erdgeschoss der Rüstungsfabrik eine Spielhölle. Jochen Schmidt geht spazieren, um dem Zufall auf die Sprünge zu helfen. Ich gehe schlafen, um meinen Jetlag auszugleichen.

(13.4.07)
Das hier angebotene Frühstück deutet darauf hin, dass die Hoteliers mit westeuropäischen Standards in Berührung gekommen sind, sogar ein probiotisch anmutendes Müsli lockt auf dem Büffet. Die vier Fernseher, auf denen Dauernachrichten dröhnen, sind so angeordnet, dass man ihnen nicht ausweichen kann, und so muss ich es zulassen, dass mir die morgendliche Mahlzeit mit Bildern vom Anschlag auf das irakische Parlament gewürzt wird. Vielleicht ist man das als Frühstücksfernsehgucker gewöhnt, aber ich habe keinen Fernseher mehr und reagiere morgens auf solche Bilder wie ein Kleinkind, das man mit Thrash-Metal-Doppelalbum weckt.
In der Jekaterinburger Universität sollen wir vor den Deutsch-Studenten einen Vortrag über die Berliner Lesebühnen halten. Das können sie dann im Studienbuch unter "Landeskunde" verbuchen. Zunächst hatte ich Jochens Einstiegsreferat, das er mir per Mail zugeschickt hatte, für etwas speziell gehalten: Würde eine 19jährige russische Studentin verstehen, was es für einen wendegebeutelten Ostdeutschen im Jahre 1998 bedeutete, den Humor launiger Kurzgeschichten zu entdecken? Würden sie die Anspielungen verstehen, die Bedeutung von Steins Gebet gegen die Arbeit, dass wir uns an der Tatsache aufgegeilt hatten, dass Tube mit kaputten Schuhen auf die Bühne ging? Kurz vor Beginn des Seminars wärmen wir uns im Institutsbüro auf. Ich beäuge die Lehrbücher in den Regalen. "Zeitungsdeutsch verstehen" klingt gut. In diesem Buch von 1968 wird sogar mit Wörtern wie Omnibusschimmel jongliert. Wenn man hier sogar Vokabeln benutzt, die nicht einmal ich kenne, dann werden sie wohl auch Jochens Vortrag verstehen. Notfalls werde ich die Sache mit ein paar Fotos und Filmen von unseren Lesebühnen auflockern.
Endlich auf der richtigen Seite des Hörsaals stehen – auf der Seite der Wahrheit. Nicht einmal die Professorinnen dürfen uns hier kritisieren, denn wir sind die Experten, die Spezialisten. Jochen beginnt den Einstiegsvortrag mit der Binsenweisheit, überall in der Welt glaube man, die Deutschen hätten keinen Humor. Die Studentinnen schauen ihn angesichts dieser Neuigkeit an wie einen Senegalesen, der dasselbe von seinem Volk behauptet. Jochens Einsamkeit, Tubes kaputte Schuhe, die Studentinnen in der hintersten Reihe beginnen, Käsekästchen zu spielen, eine Bemerkung darüber, wie witzig es doch war, wie Ahne damals 1998 eine Serie über seine Möbelstücke vorlas – von der hinteren bis zur mittleren Reihe machen die Studentinnen nun ihre Hausaufgaben für die nächste Stunde oder schicken SMS. Die Freude, die Wahrheit gepachtet zu haben, verfliegt, wenn sich für die Wahrheit niemand interessiert, außer ein paar Professorinnen.
Ein Wort zu den Männern: Ihre Aufgabe in diesem Hörsaal besteht darin, den Beamer zu installieren, dann verschwinden sie. Der einzige männliche Student hier, wird wohl entweder der Hahn im Korb sein oder der schwulste Mann westlich von Wladiwostok. Fragen zu Jochens Vortrag gibt es keine. Ich versuche, mit einem kleinen Chaussee-der-Enthusiasten-Filmchen aufzulockern. Leider ist der Film auf der Riesenleinwand nur so groß wie eine Postkarte und man kann wegen des schlechten Tons nichts verstehen. Ich erkläre, was man da jetzt sehen könnte.
Ich spreche langsam.
In Hauptsätzen.
Damit alle Studentinnen verstehen.
Das sind Jochen und ich.
Bei einer Lesung.
Wir sprechen da gerade über Gewalt.
Über Gewalt von Frauen gegen Männer.
Die Studentinnen lachen.
Ich notiere auf einem Zettel: "Gewalt-Witze gegen Männer funktionieren."
Und? Gibt es jetzt Fragen?
Warum schreiben Sie? – Weil wir es in der Schule gelernt haben?
Kennen Sie russische Autoren? – Ja.
Haben Sie schon mal Probleme mit der Polizei gehabt? – Nur, wenn Stephan Zeisig die Diskothek zu laut aufgedreht hat.
Für das Referat würde ich uns eine Drei Plus geben, aber hinterher kommen ein paar achtzehnjährige Studentinnen an, die so aussehen, als hätten sie ihre Pubertät noch vor sich und begehren Autogramme. Wir zieren uns nicht.

***

Nachdem der Maure seinem angeblichen Neffen Alâ ed-Dîn die Sehenswürdigkeiten und sogar den Sultanspalast gezeigt hat, verspricht er ihm, ihn am Freitag nach dem Gottesdienst zur Stadt hinauszuführen – zu den Gärten und Lustplätzen.

In welcher chinesischen Stadt sollte den ein Sultan über ein muslimisches Volk geherrscht haben?
Was nicht besonders für Gallands Erzähltalent spricht: Die Handlungen werden angekündigt, ausgeführt und berichtet, so dass wir sie drei Mal lesen müssen.

Die beiden gehen also vor die Tore der Stadt, wo

die Wasser flossen aus Mäulern von Löwen, die von gelbem Messing waren.

Es dauert mehrere Stunden, und Alâ ed-Dîn verliert allmählich die Geduld,

bis sie zu der Stätte gelangten, die das Ziel des maurischen Zauberers war.

Alâ ed-Dîn holt auf Geheiß des Mauren Brennholz, und dieser entfacht ein Feuer, zaubert ein bisschen, und der Erdboden öffnet sich. Alâ ed-Dîn versucht zu fliehen, doch der Maure schlägt ihn nieder. Im Boden ist eine Platte eingelassen, in die ein Ring eingefasst ist, den nur unser Held Alâ ed-Dîn zu heben vermag. Dies tut er und steigt auch hinab, da ihm der scheinbare Oheim verspricht, er könne ihn reich machen. Alâ ed-Dîn möge in den hinteren Saal gehen und von dort die Lampe holen. Erst auf dem Rückweg dürfe er sich die Taschen mit Juwelen, Gold und Silber vollstopfen, die er in den dorthin führenden Gärten finden würde. Zur Sicherheit steckt er ihm einen Siegelring an den Finger, den man nur in der Not zu drehen bräuchte.
Alâ ed-Dîn tut wie ihm befohlen wurde. Als er mit der Lampe zurückkommt, ist die letzte Stufe der Treppe zu hoch, und Alâ ed-Dîn bittet seinen "Oheim", ihm zu helfen, doch dieser verlangt zuerst die Lampe. Da Alâ ed-Dîn aber die Lampe unter all den Juwelen hat, vermag er nicht an sie zu gelangen.
Vor Zorn wirft der Maure Weihrauch ins Feuer, und die Platte schließt sich über Alâ ed-Dîn.

Das Motiv ist eindeutig das vom "Blauen Licht" bei Grimms bzw. der Version von Andersen "Das Feuerzeug". Unklar bleibt, wer hier von wem abgekupfert hat. "Das Blaue Licht" erschien in der Grimmschen Sammlung 1814, es ist durchaus denkbar, dass "Aladin" oder Motive dieser Geschichte zu jener Zeit in popularisierter mündlicher Form durch Europa geisterten.… Weiterlesen

269. Nacht a) – Jekaterinburg – Betrug fängt im Kopf an

(12.4.07)

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Jekaterinburg – Betrug fängt im Kopf an

Am Jekaterinburger Flughafen empfängt uns Irina. Ich habe noch nie eine russische Reisebegleiterin erlebt, die nicht Irina hieß. Wahrscheinlich eine zwingende Voraussetzung bei der Bewerbung um diesen begehrten Job Womöglich legen russische Eltern per Namensgebung den beruflichen Weg ihrer Nachkommen fest. Gennadis werden Metro-Rolltreppen-Reparateure und Irinas Reisebegleiter für deutsche Touristen.
Der vom Goethe-Institut angeheuerte Fahrer wirkt wie einer jener Schlägertypen des KGB aus amerikanischen Spionagefilmen. Schweigsam, aber irgendwann, wenn er von oben das Kommando bekommt, wird er uns umlegen und seinem Kommissar Bericht erstatten. Bis dahin verhält er sich zugeknöpft und korrekt. Das früher Swerdlowsk genannte Jekaterinburg ist, so berichtet uns der Fahrer-Agent, nach Moskau, Petersburg und Nishni-Nowgorod die viertgrößte Stadt Russlands. Allerdings wird man das in den Städten Omsk, Nowosibirsk und Krasnojarsk, die wir in den nächsten Tagen besuchen, ebenfalls behaupten.
Jekaterinburg scheint sich in der Phase der ursprünglichen Akkumulation zu befinden (s. Karl Marx: Das Kapital Band I): Holzhäuschen, Beton-Glas-Stahl-Konstruktionen und Sowjetfassaden wechseln sich ohne Sinn und Verstand ab. Die Hauptstraßen sind, wie uns auch auch aus anderen russischen Städten bekannt ist, dermaßen breit, dass man als Fußgänger einen halben Tag braucht, um auf die andere Straßenseite zu gelangen. Dabei fuhr zur Zeit ihrer Entstehung höchstens alle zwei Stunden ein PKW den Leninprospekt herunter. Jochen Schmidt argumentiert, es läge an den extrem breiten Flüssen Russlands. Doch warum sind dann die Straßen des am Mississippi-Delta gelegenen New Orleans so wurschtelig schmal? Ich vermute eher, dass die russischen Architekten nach der Oktoberrevolution alle erschossen wurden und man das Relaunch einer Kindergarten-Werkstatt übertrug: Patsche-patsche – fertig ist die Straße. Der weitblickende Stalin ließ die Verantwortlichen erschießen, aber die Straßen wurden dennoch gebaut, denn die seherischen Fähigkeiten des Generalissimus ließen ihn schon damals erahnen, dass der zu hochprozentigem Alkohol neigende Russe als Autofahrer ein großzügig angelegtes Manövrierfeld benötigt.
Das Hotel gehört zu den besten der Stadt. Falko Hennig, der vor kurzem ebenfalls in Russland aufgetreten war, hatte berichtet, dass man ihm die Rezeption per Anruf ein paar Abendhäppchen anbot, die nicht nur aus Kaviar, Wodka und frisch gezapftem Bier sondern auch aus frisch bezopften russischen Mädchen bestanden. Sollte man, nachdem man so oft derartige Angebote auf der Oranienburger Straße abgelehnt hat, sich nicht wenigstens mal nach dem Preis erkundigen. Aber was, wenn es nachher bloß 2,99 Euro kostet? Dann kann man sich schlecht rausreden, das es einem zu teuer wäre. Man könnte ja auch nur mal mit dem zu einer derart erniedrigenden Arbeit gezwungenen Mädchen reden, und das unter „Recherche“ verbuchen, wobei ich natürlich nichts dagegen hätte, wenn mir das arme Mädchen während unseres Gesprächs den Nacken massiert. Oder die Füße, oder den Bauch, oder die Schläfen, den Rücken, die Oberschenkel. Ab welcher Art von Massage würde ich meine Freundin betrügen? Doch eigentlich nur, wenn das Mädchen einen Körperteil berührt, der von meinem Slip eingefasst wird. Aber heißt das, dass Beziehung, Treue und Liebe nur auf Hintern und Genitalien beschränkt sind. Treue oder Betrug – das fängt doch im Kopf an. Und wenn es alles nur eine Frage des Kopfes ist, dann könnte ich auch gleich die Hose runterlassen. Angstvoll schiele ich nach 23 Uhr immer wieder auf das Telefon, aber es bleibt still. Glück gehabt.

***

Die Geschichte von Alâ ed-Dîn und der Wunderlampe
(Aladin)

In einer Stadt in China lebt ein armer Schneider, dessen Sohn Alâ ed-Dîn heißt.

Und dieser Knabe war von seiner Jugend auf ein Tunichtgut und Taugenichts.

Schon dieser Anfang ist anders konstruiert als die bisherigen Erzählungen, und es ist unglaubwürdig, dass Galland die Geschichte woanders als in seinem Kopf „gefunden“ hat:

  • Der Held ist bei 1001 Nacht in der Regel noch gar nicht geboren.

  • Warum hat er einen arabischen Namen, wenn er in China lebt?

  • Warum heißt er genau so wie der Held der vorherigen Geschichte?

  • Tunichtgut und Taugenichts scheinen auch eher vom europäischen Ethos geprägte Bezeichnungen zu sein als typische zu überwindende Eigenschaften.

Alâ ed-Dîn spielt nun auch lieber

mit den anderen Buben, Lehrlingen,

als seinem Vater zu helfen, welcher dann auch stirbt.

Seine arme, unglückliche Mutter aber musste ihn von dem ernähren, was sie durch Spinnen mit eigener Hand verdiente, bis er fünfzehn Jahre alt war.

Spinnen als Handwerk der Ärmsten – auch ein europäisches Motiv?

Eines Tages kommt ein maurischer Derwisch in die Stadt, der Alâ ed-Dîn beobachtet:

„Dieser Knabe da ist ja der, den ich suche.“

Dass der Derwisch ein Maure sein soll, scheint mir ebenfalls eine europäische Projektion. In der Figur des Mauren sammelt sich das Unheimliche, das Exotische, das Dunkle, das Afrikanische verbindet sich mit dem Orient. Der Derwisch wäre eher im persischen Raum zu vermuten, bestenfalls in Ostafrika.

Der Derwisch gibt sich als Oheim Alâ ed-Dîns aus und beklagt den „Tod seines Bruders“. Er erklärt, Alâ ed-Dîn solle nun wie sein Sohn sein, gibt ihm zehn Dinare und kündigt seinen Besuch bei ihm und seiner Mutter an. Die Mutter scheint einigermaßen verwundert über den nie gekannten Oheim, kocht aber am nächsten Tag, als Alâ ed-Dîn wieder mit zwei Dinaren heimkommt ein gutes Essen, um den Mauren zu empfangen.
Langwierig erzählt der Maure (man könnte auch sagen Galland) eine dürre Geschichte, wie er von seinem angeblichen Bruder getrennt wurde und nun nach vierzig Jahren wieder zurückkehrte. Er fragt nach dem Handwerk Alâ ed-Dîns und die Mutter klagt:

„Mühsam spinne ich Baumwolle Tag und Nacht.“

Der Derwisch verspricht Alâ ed-Dîn, ihn zu einem feinen Kaufherrn zu machen. Da

freute er sich sehr; denn er wusste genau, dass diese Herren alle immer feine und saubere Kleider tragen.

Ich kann mir nicht helfen – auch das klingt für mich europäisch.

Am nächsten Tag führt der Maure Alâ ed-Dîn zum Basar, kleidet ihn ein, geht mit ihm ins Badehaus, trinkt mit ihm Scherbett und

zeigte ihm die Stadt, die Moscheen und alles Sehenswerte, was es in dem Orte gab.

Das sollte Alâ ed-Dîn, der Herumtreiber noch nicht gesehen haben?… Weiterlesen

206. Nacht

Kamar ez-Zamân beschließt zurückzureisen und Budûr lässt sich von ihrem Vater die Erlaubnis geben mitzureisen. Diese erteilt er mit der Bedingung einmal im Jahr besucht zu werden.

Eine nicht unerhebliche Bedingung, wenn man bedenkt, dass allein die Reise jedes Mal mehrere Wochen dauert und Berliner Studenten heute schon zu heulen anfangen, wenn sie mal zu Weihnachten ihre Eltern in Stuttgart besuchen sollen.

Sie machen sich auf den Weg, und als sie eines Tages rasten, entdeckt Kamar ez-Zamân seine junge schlafende Frau in aprikosenfarbenem Seidenhemd, das vom Wind abgehoben wird, so dass ihre Brüste und ihr schneeweißer Leib sichtbar werden.

In jeder seiner Falten hätte eine Unze von Behennussöl Platz gefunden.

Schneeweiße Haut und zentimetertiefe Falten. Ein seltsames Schönheitsideal!

Kamar ez-Zamân öffnet ihr nun die Hose und findet an einer Schnur einen Stein, in den eine im Dunkeln nicht lesbare Schrift eingraviert ist.

"Wäre dieser Stein nicht ein großes Kleinod für sie, so hätte sie ihn nicht in dieser Weise an die Schnur ihrer Hose festgebunden und ihn nicht an der sichersten Stelle bei sich verborgen, um ihn nicht zu verlieren."

205. Nacht

Budûr liest die Nachricht und wird im Nu gesund. Sie improvisiert ein Gedicht.

Nach diesen Worten erhob sich die Herrin Budûr alsbald, presste ihre Füße fest gegen die Mauer und zerrte mit der ganzen Kraft an dem eisernen Ring, bis sie ihn am Halse zerbrochen und auch die Kette zerrissen hatte.

Erinnert an Zampanos Kettentrick in "La Strada".

Dann eilte sie hinter dem Vorhange hervor, war sich Kamar ez-Zamân entgegen und küsste ihn auf den Mund, gleichwie die Tauben sich schnäbeln.

Der Eunuch berichtet dem König von der Heilung. Dieser geht zu ihr.

Als sie ihn erblickte, sprang sie auf, verhüllte ihr Haupt…

Unklar: Hauptverhüllung vor dem eigenen Vater, während sie sich vor "Sterndeuter" und Eunuch unverhüllt zeigen darf!

Kamar ez-Zamân berichtet nun dem König seine ganze Geschichte, und der König lässt die beiden sich vermählen.

Und in selbiger Nacht ruhte Kamar ez-Zamân bei ihr und erreichte bei ihr das Ziel seiner Wünsche; und auch sie stillte ihr Verlangen nach ihm und genoss seine Schönheit und Anmut.

Nach einiger Zeit erblickt Kamar ez-Zamân jedoch seinen Vater im Traum, der ihn mahnt.

204. Nacht

Kamar versucht, die Prinzessin zu heilen, ohne direkt in ihr Gemach zu gehen.

Verwundert über seine Worte entgegnete der Eunuch: "Wenn du sie von hier aus heilest, so ist das ein größerer Beweis deiner Vortrefflichkeit."

Kamar ez-Zamân setzt sich nieder, lässt sich Schreibzeug bringen und beginnt gereimte Prosa und Verse zu schreiben, u.a.

Ich schreibe, und mein Herz begehrt nur dein zu denken,
Das Auge ist mir wund vom Blute, das es weint.
Den Leib bedeckt das Feuer der Sehnsucht und er Trauer
Mit einem Hemd der Hagerkeit, dem Leid sich eint.
Ich klage die Liebe an bei dir, seit sie mich peinigt
Und der Geduld ist mir die Stätte weggerafft:
Sei huldvoll, hab Erbarmen, bezeuge deine Neigung:
Mein Herze ist zerrissen durch der Liebe Kraft.

Allein Kamar ez-Zamâns gereimte Unterschrift ist eine Seite lang.

Und zuletzt schrieb er auf die Rückseite des Briefes

Ich sende deinen Ring, den ich einst eingetauscht,
Als wir uns nahe waren, schick du mir deinen Ring.

Der Eunuch spielt nun den Postillon d’amour.

203. Nacht – Freuds Witz

Regal Religion, Psychologie, Ökonomie

Elftes Buch von links

Sigmund Freud: "Der Witz"

Erworben: ca. 1997 in einem Antiquariat
Status: Gelesen, einige Passagen übersprungen.
Erster Satz: "Wer einmal Anlass gehabt hat, sich in der Literatur bei Ästhetikern und Psychologen zu erkundigen, welche Aufklärung über Wesen und Beziehungen des Witzes gegeben werden kann, der wird wohl zugestehen müssen, dass die philosophische Bemühung dem Witz lange nicht in dem Maße zuteil geworden ist, welches er durch seine Rolle in unserem Geistesleben verdient."
Kommentar: Freud ist natürlich wie immer recht unterhaltsame Lektüre, wenn man ihn nicht zu ernst nimmt. Das Wesen von Witz und Komik hat wohl kaum ein bedeutender Autor so unzutreffend beschrieben wie Freud. Aber immerhin versucht er, auch hier seine immer noch neue Wissenschaft, die Psychologie, anzuwenden.

**

Kamar ez-Zamân lässt sich weder von den Bewohnern der Stadt abbringen noch vom König, der ihn vorlädt und selber warnt:

"Um Gottes willen, mein Sohn, wenn du kein Sterndeuter bist, so setze dein Leben nicht aufs Spiel und geh nicht auf meine Bedingung ein! Denn ich habe es mir zur Bedingung gemacht, dass ich einem jeden, der zu meiner Tochter hineingeht und sie nicht heilt, den Kopf abschlagen lasse; aber wer nur immer sie gesund macht, den will ich mit ihr vermählen. Lass dich durch deine Schönheit und Anmut nicht irreführen; bei Gott, bei Gott, wenn du sie nicht heilst, so werde ich dir den Kopf abschlagen lassen!"

Ein wesentlich angenehmerer König als Kamar ez-Zamâns Vater. Er lässt dem Jüngling noch einen Ausweg.

Auch der Eunuch warnt ihn.

202. Nacht

Natürlich kann sich der Prinz nicht einfach so der Prinzessin nähern, und so rät ihm Marzuwân, sich als Sterndeuter auszugeben, sich entsprechend zu verkleiden und unterhalb des Palastes auszurufen:

Ich bin der Berechner, der schreibkundige Mann!
Ich bin’s, der das Gesuchte und den Suchenden erkennen kann!
Ich bin der Weise, klug und gewandt!
Ich bin der Sterndeuter, überall bekannt!
Wo ist der, der da sucht?

Dies tut Kamar ez-Zamân auch, obwohl ihm die Bevölkerung abrät:

"Um Allahs willen, du schöner junger Mann, setze doch dein Leben nicht aufs Spiel, begib dich nicht selbst in Todesgefahr im Streben nach Vermählung mit der Prinzessin Budûr, der Tochter des Königs el-Ghajûr! Sieh nur mit deinen eigenen Augen auf die Häupter, die dort hängen!"

Aber Kamar ez-Zamân weist die Bedenken zurück.

201. Nacht

Die beiden reiten los und nach vier Tagen schlachtet Marzuwân ein Pferd und ein Kamel und legt Hemd und Hose daneben, nicht ohne sie zuvor zu zerfetzen. So soll der Tod Kamar ez-Zamâns vorgetäuscht werden.

Da rief Kamar ez-Zamân: "Bei Allah, das ist eine treffliche List. Was du getan hast, ist gut."

Nach mehreren Tagen erreichen sie die Inseln des Königs el-Ghajûr.

194. Nacht – Genetik

Regal Trash und Naturwissenschaft

Elftes Buch von rechts

Ernst-Peter Fischer: „Die Beweglichkeit der Gene. Den Rätseln der Vererbung auf der Spur“

Erworben: ca. 2000
Status: Durchgeblättert, ein paar Abschnitte überflogen.
Erster Satz: „Gene sind wie Männer.“
Kommentar: So wie manche nichts mit Mathematik, moderner Musik oder Fremdsprachen anfangen können, stolpere ich immer wieder über Genetik – sie will mir nicht in den Kopf.

**

Prinzessin Budûr berichtet ihrem Milchbruder Marzuwân ihr Erlebnis und illustriert es mit Klageversen, und obwohl er die Story nicht versteht, verspricht er zu helfen.
Er bricht am nächsten Morgen auf und zieht einen Monat durch die Länder,

bis er zu einer Stadt kam, die et-Tairab hieß

Dass man den Namen dieser Stadt erfährt, muss noch nichts über ihre Bedeutung in dieser Erzählung sagen.

Er erfährt vom Zustand des Prinzen Kamar ez-Zamân von Inseln von Chalidân

Und wir erfahren zum ersten Mal den Namen seines Herkunftsorts. Anscheinend ist der Ort aber fiktiv, und wir können davon ausgehen, dass er zwar in der Nähe Persiens liegt, aber nicht dazu gehört.

Marzuwân nimmt ein Schiff, um dorthin zu segeln. Kurz vor Erreichen der Küste bricht ein Sturm aus, und das Schiff kentert.

193. Nacht – Randy Dixon – Im Moment

Elftes Buch von rechts

Randy Dixon: "Im Moment. Theaterkunst Improtheater Reflexionen und Perspektiven"

Erworben: ca. 2002
Status: In einem Ruck durchgelesen. Dann immer wieder abschnittsweise.
Erster Satz: "Zwei Improspieler betreten an einem Samstagabend die Bühne."
Kommentar: Dieses Buch beschäftigt sich vor allem mit Storytelling in Langformen: Wie erschaffen wir klare Geschichten und bleiben dabei leicht und im Moment, ohne vorauszudenken. Völlig unklar, warum dieses Buch, dessen Autor einer der führenden Impro-Theoretiker ist, nicht in den USA publiziert wurde. Im Literaturteil empfiehlt Dixon Stephen Nachmanovitch: "Free Play. Improvisation in Life and Art". Im Frühjahr 2003 fand ich dann dieses Buch in einem Chicagoer Buchladen. Es sollte mein Leben verändern. Und schließlich übersetzte ich es. Es erschien bei O.W. Barth unter dem Titel Das Tao der Kreativität.

**

Prinzessin Budûr rastet, als die Alte darauf besteht, es habe keinen Jüngling gegeben, regelrecht aus:

Sie zückte ein Schwert, das sie bei sich hatte, traf die Aufseherin damit und schlug sie tot.

Lehre für die Väter jugendlicher Töchter, die ihre Emotionen nicht im Griff haben: Schwerter unter Verschluss halten.

Der Eunuch aber und die Sklavinnen und Nebenfrauen schrien über sie, eilten zu ihrem Vater und taten ihm kund, was mit ihr geschehen war.

Man legt ihr eine Kette um den Hals und schließt sie am Fenster des Palastes an. Der König ruft Ärzte, Sterndeuter und Talismanschreiber um Hilfe.

Unklarer Beruf: Talismanschreiber

Keiner kann helfen, und er bestraft sie entsprechend:

Und so geschah es denn, dass er alle, die zu ihr gingen und sie nicht heilten, enthauptete und ihre Köpfe vor dem Tore des Palastes aufpflanzen ließ, bis er um ihretwillen vierzig Ärzte hatte köpfen und vierzig Sterndeuter hatte kreuzigen lassen; da hielten sich alle von ihr fern.

Prinzessin Budûrs Milchbruder Marzuwân kehrt von einer Reise zurück und will sie wiedersehen. Seine Mutter lässt ihn sich als Mädchen verkleiden und beredet den Eunuchen, der sie gewähren lässt.

Angeblich gilt aber das Einandersehen-Verbot nicht für Milchgeschwister, weshalb ja auch kürzlich eine Fatwa erlassen wurde, die das Stillen von Erwachsenen für islamisch erlaubt erklärt, damit nichtverwandte Männer und Frauen in denselben Büros aufhalten können. Unverständlich also der Aufwand, der hier getrieben wird.

Marzuwân erkennt, dass seine Milchschwester liebeskrank ist.

192. Nacht

Kamar ez-Zamân kaut nun seinem Vater mit langen Versen ein Ohr ab, und dieser lässt es sich gefallen, bis ihn der Wesir an seine Staatsgeschäfte erinnert. Man bringt den Prinzen nun zu einem Schloss, dass direkten Blick zum Meer gewährt, für den Fall dass die Prinzessin von dort aus auftauche.

Jenes Schloss stand mitten im Meere, und man gelangte zu ihm auf einem Damme, der zwanzig Ellen breit war.

Das Schloss wird prächtig eingerichtet.

Dorthin brachte man für Kamar ez-Zamân ein Lager aus Wacholderholz, das mit Perlen und kostbaren Steinen ausgelegt war, und auf ihm setzte der Prinz sich nieder.

Spiegelbildlich verläuft das Geschehen in China: Prinzessin Budûr erwacht, und beschuldigt die Alte, ihr zu verheimlichen, wo der Jüngling abgeblieben sei:

"Weh dir, du elende Alte, wo ist mein Geliebter, der schöne Jüngling, von Antlitz so lieblich, von Gestalt so zierlich, mit den schwarzen Augen un den zusammengewachsenen Brauen, der in dieser Nacht vom Abend bis fast zum Anbruch des Tages an meiner Seite geruht hat?"

180. Nacht

Dämon und Dämonin schließen eine Wette ab, wer den schöneren Geliebten habe.

Allerdings wetten sie um nichts. Das habe ich mich schon immer gefragt: Ob eine Wette ohne Einsatz überhaupt eine Wette ist.

Sie betrachten zunächst Kamar ez-Zamân, dann Budûr und können ihren Streit nicht schlichten. Also tragen sie Prinzessin Budûr schlafend neben den Prinzen, um im direkten Vergleich zu entscheiden.

179. Nacht

Der Vater dieser Schönen, so der Dämon weiter sei ein Tyrann, der seiner Tochter sieben Schlösser gebaut habe, und zwar aus:

  • Kristall

  • Marmor

  • chineischem Stahl

  • Edelsteinen und Juwelen

  • Mosaik aus buntem Ton und Achat

  • Silber

  • Gold

In diesen müsse sie abwechselnd wohnen. Der Name der Prinzessin sei Budûr und sie habe eine Abneigung gegen das Heiraten. Daraufhin habe ihr Vater sie eingesperrt und das Gerücht verbreiten lassen, sie sei geistig umnachtet.

Nachtigall, ick hör dir trapsen. Zwei schöne Heiratsunwillige. Es müsste doch mit dem Teufel zugehen…

Der Dämon schaut sie nun jeden Tag an und betrachtet sie gewissermaßen als seine Geliebte. Es kommt zum Streit zwischen Dämonin und Dämon, wer den schöneren Menschen habe.

178. Nacht

In der Gegend, von der der Dämon spricht, herrscht König el-Ghajûr,

der Herr der Inseln und der Meere und der sieben Schlösser.

Dessen Tochter sei unendlich schön, u.a.:

sie hat zwei Brüste wie Kästchen aus Elfenbein, von deren Glanze Sonne und Mond ihr Licht entleihn; und einen Leib mit Falten so zart wie koptisches Gewebe von ägyptischer Art.

Die Beschreibung ihrer Schönheit zieht sich über anderthalb Seiten hin, und dabei habe er seine

Beschreibung kurz gemacht, da ich fürchte, sie würde sonst zu lange dauern.

Bemerkenswert wieder das Lob schwerer Hüften:

Die Hüften hängen an ihrem zarten Rumpfe
Und diese Hüften handeln schlecht gegen sie und mich.
Sie halten stets mich fest, wenn ich nur an sie denke,
Und ziehen sie herab zum Boden, erhebt sie sich.

155. Nacht

Die Sklavin lässt Abu el-Hassan und Ali ibn-Bakkâr am anderen Ufer zurück, und die beiden tauchen bei einem Freund el-Hassans unter, der in dieser Gegend wohnt und dem sie mit einer Ausrede die Gastfreundschaft abtrotzen.
Am nächsten Tag kehren sie zurück und Abu el-Hassan versucht, seinen Freund mit Wein, Weib und Gesang aufzuheitern, doch das kann natürlich nur schiefgehen.

Wie ihnen nun so wohl war, griff die Sängerin zur Laute und begann zu singen:

Ich ward vom Schicksal getroffen mit dem Geschoss eines Blickes,
Der warf mich nieder. Ich hab vom Liebsten Abschied genommen.
Das Schicksal ward mir feind, und meine Geduld versagte.
Doch ahnte ich zuvor, es müsse also kommen.

Der aufmerksame Leser ahnt, was folgt: Ali ibn-Bakkâr sinkt in Ohnmacht. Als er sich erholt, begleitet ihn Abu nach Hause.

***

(22. April – Shanghai – Nanjing)
Wer je mit Jochen Schmidt verreiste, wird sein periodisch auftauchendes Bedürfnis, sämtliche externen Eindrücke von sich abzuschirmen, nicht vergessen.

Schlafforscher warnen übrigens vor ständiger Benutzung dieser Hilfsmittel.

154. Nacht

Man tändelt weiter, doch da kündigen die Sklavinnen die Ankunft des Kader Eunuchen und Masrûr dem Schwertträger des Kalifen an. Die beiden Herren werden versteckt, und sicherheitshalber lässt sich Schams en-Nahâr von einer Sklavin die Füße kneten.
Von einem Balkon sehen Alî ibn Bakkâr und Abu el-Hasân der Tändelei zwischen dem Kalifen und Schams en-Nahâr zu, nicht ohne dass Alî ibn Bakkâr ständig in Ohnmacht fällt, aus der er mit Rosenwasser wieder zu Bewusstsein gebracht wird. Als es schließlich zu unsicher wird, bringt eine Sklavin sie zu einem Fährmann, der die beiden zum anderen Ufer rudert.

***

Nachtrag zur Anreise in China:

Wenig nur wissen wir über China, als Jochen Schmidt, Volker Strübing und ich in das Reich des gelben Mannes aufbrechen, um dort unsere Texte einem die deutsche Sprache lernenden Publikum vorzutragen. Die wichtigsten Fakten zusammengefasst:

1. Die Wirtschaft des Landes boomt. Bedeutet das jetzt, dass sich jeder Chinese einen Opel leisten kann oder heißt es nur, dass er zur täglichen Schale Reis, von der er bekanntlich lebt, nun auch noch Kompott verlangt?

2. Einen großen Teil seiner sozialen Probleme entsorgt der Chinese dadurch, dass er seine Landsleute ins Gefängnis sperrt. Lediglich die USA haben eine höhere Inhaftiertenquote. Wir werden unser Verhalten diesem Umstand anpassen und unsere Solidaritätsbekundungen mit unterdrückten Bergvölkern zu unterdrücken wissen, denn unser Verlangen danach, den Haftalltag von Gefangenen zu studieren, hält sich in den Grenzen von 1937.

3. Der Chinese hat Philosophien erfunden, die sich der aristotelischen zweiwertigen Logik entziehen, Taoismus und Konfuzianismus sind nur zwei davon, Yin und Yang zwei andere.

4. Mao ist tot. Aber wie heißt der Typ noch mal, den sie jetzt haben?

5. Dass der Chinese kleiner ist als der Europäer, dass er verschmitzt lächelt, dass seine Haut zum Gelbsein neigt, dass er sich flink und verschlagen bewegt und Kampfsportarten beherrscht, in denen die Gesetze der Schwerkraft, der Kohäsion und des gesunden Menschenverstandes außer Kraft gesetzt werden, darf nicht zur Aufbauschung rassistischer Vorurteile genutzt werden.

Das Flugzeug startet so früh, dass wir uns verschlafen begrüßen und nur wenige Worte miteinander wechseln. Diesen geistigen und sozialen Aggregatzustand konservieren wir für die nächsten zwei Wochen. Zwischenstopp in London. Jochen sucht sich, wie er es immer auf Zwischenstopps tut, eine Bank, legt sich hin und schläft sofort ein. Diese Fähigkeit, jederzeit und überall schlafen zu können, erweckt Neid, und die Müdigkeit steckt an. Volker hingegen filmt, fotografiert, schreibt, liest, trinkt Kaffee und spricht gleichzeitig. Diese Unruhe – nach eigener Auskunft hat er seit drei Wochen keinen Schlaf mehr von innen gesehen – ist ebenfalls ansteckend. Und so wanke ich ziellos müde und unruhig durch die Hallen des Heathrow Airport Terminal 5.

Auf einmal sitzen wir in einem Flugzeug, Jochen schläft schon, bevor überhaupt angesagt werden konnte, dass man sich anzuschnallen habe. Volker filmt, fotografiert, schreibt, liest, und mit mir legt sich ein Schwabe an, der sein Handgepäck in meinem Fach verstaut hat. In meinem Fach! Schließlich ist es aber wie früher, wenn man mit der Schulklasse im Kino war – zuerst streiten sich alle um die Plätze, bewerfen sich und nörgeln, die vor einem Sitzenden würde zu sehr die Köpfe in die Höhe strecken, aber wenn es losging, funktionierte es wie von selbst.

Von Stewardessen lernen, heißt Sozialkompetenz lernen. Ihre ewig freundliche Art macht sie unangreifbar. Ihre Körpersprache signalisiert Kompetenz, wie man sie heutzutage selbst von Ärzten nicht mehr erwartet. Sie sind die Göttinnen in Blauweiß. Damit die Fluggäste sich nicht wie Kinder aufführen und zu streiten beginnen, werden einem ständig Snacks, Getränke, Luxusspielzeug und andere Dienstleistungen angeboten. Um in den Genuss der sprichwörtlichen Nymphomanie der Stewardessen zu kommen, muss man aber wahrscheinlich mindestens Business Class gebucht haben.

Jochen schläft, und Volker liest. Jochen schläft und Volker schreibt. Jochen schläft und Volker guckt Acionfilme. So geht es die ganze Zeit. Ich bin zu müde, um zu lesen, zu schreiben oder mich auf die Logik der Zombie-Actionfilme einzulassen, aber auch zu aufgekratzt um zu schlafen. In später, sehr später Nacht setzt das Flugzeug zum Sinkflug an und ich schlummere für zwanzig Minuten ein. Und schon werde ich wieder aus meinem Sessel vertrieben. Wir sind schon da. Kann ich nicht trotzdem sitzenbleiben und weiterschlafen? Nein. Das ist aber ungerecht! Raus, raus! Ich bin doch kein Vieh! Die Sonne scheint. Ich verstehe nicht. Achso, die Zeitumstellung. Hier ist ja noch gestern. Ach nee, hier ist schon morgen! Schnell, schnell! Volker filmt und fotografiert.

Das Zeichen für Passkontrolle sieht aus wie das, was es bedeutet – ein großes Männchen wartet vor einem Häuschen, in dem ein kleineres Männchen hockt, darauf, dass ihm sein Pass zurückgegeben wird.

Wer holt uns eigentlich ab? Es soll wohl ein Chinese sein, auf dessen Schild „Berliner Lesebühne“ steht. Jetzt stehen wir dumm da. Lauter Chinesen, lauter Schilder. Wir hatten vergessen, bescheid zu sagen, dass der Chinese „Berliner Lesebühne“ auf Deutsch schreiben soll. Wir stehen verloren rum und warten, bis sich vor unseren Augen ein junger Mann kung-fu-film-mäßig materialisiert und uns akzentfrei begrüßt und einen Fahrer des Goethe-Instituts kommandiert, uns zur Wohnung unseres Gastgebers zu lotsen. Der Name des jungen Mannes ist Wenn, aber mein schreibt es Wuan. Trotz seiner Akzentfreiheit und seines stellenweise thomas-mann-artigen mündlichen Stils versteht er kaum ein Wort von dem, was wir sagen. Schließlich lernt er erst seit einem halben Jahr die Sprache der Deutschen.

Unser Gastgeber, Rupprecht Mayer, ist eigentlich Schriftsteller, aber als er als junger Mann einmal seinen Berufswunsch in einer Liste ankreuzen musste, ist er in der Zeile verrutscht, und kreuzte aus Versehen Sinologe statt Schriftsteller an. Um aber vor seinen Altersgenossen und seinen Eltern nicht deppert dazustehen, richtete er seinen Lebenskompass nun auf China aus, was schließlich dazu führte, dass er als Dolmetscher im oberen Stockwerk eines Shanghaier Wolkenkratzers lebt. Damit hat er es gut getroffen.

Rupprecht wohnt in der Nähe der iranischen Botschaft, vor deren Gebäude das Shanghaier Gartenbauamt den Ahornbäumen Stacheldraht umgehängt hat, damit, wie wir erfahren, politisch unterdrückte Shanghaier nicht versuchen, über die Botschaft abzuhauen. Ich frage mich, wie schlecht es einem politisch Verfolgten gehen muss, dass er versucht, ausgerechnet in den Iran abzuhauen.

Rupprechts Wohnung ist, wie es sich für Diplomaten gehört, mehrstöckig, mehrbalkongig, mehrwc-ig und mehrbettig sowieso. Fünf Zimmer gibt es – für jeden eines, und dann bleibt noch eins übrig. Wir haben die Schlafräume noch nicht gesehen, aber schon regt sich in Volker und Jochen die Panik, womöglich das schlechtere zu erwischen. Prinzip Zufall entscheidet. Man schläft dort, wo man gerade hinfällt. Es wird ein ausgedehnter Mittagsschlaf, der die innerer Uhr völlig durcheinanderbringt.

Als ich aufwache, müssen wir schon los, zum Bund, einer sehenswürdigen Uferpromenade, deren Sehenswürdigkeit darin besteht, dass man von hier aus gut die modernen Wolkenkratzer auf der gegenüberliegenden Seite fotografieren zu können. Alte Frauen bieten einem lustige Knetfiguren an, die, ähnlich wie früher in der Sesamstraße, auf den Boden geworfen werden und sich dann von selber wieder in ihre ursprüngliche Form zurückverwandeln. Alle zwei Meter werden einem diese Dinger hier angeboten, und dann auf unserer Reise nie wieder. Wir werden bereuen, sie nicht gekauft zu haben.

Ich war lange nicht mehr an einer richtigen touristischen Sehenswürdigkeit und nun erinnere ich mich wieder, warum. An Sehenswürdigkeiten fotografiert man im besten Falle Sehenswürdigkeiten, die man auf Postkarten besser fotografiert bekommt. Im schlechteren Falle, der meistens der Fall der Fälle ist, fotografiert man Touristen, die andere Touristen beim Fotografieren fotografieren, während sie versuchen, den Postkartenverkäufern, auszuweichen, die doch lediglich versuchen, ihnen Postkarten zu verkaufen, auf denen die Sehenswürdigkeiten aus besserer Perspektive, mit besseren Lichtverhältnissen und ohne störende Touristen, Fotografen und Postkartenverkäufer zu sehen sind.

Auf der Mauer, auf der Lauer

Der Platz des Himmlischen Friedens unterscheidet sich von anderen Top-Sehenswürdigkeiten auf unserem Planeten nicht. Man fotografiert Touristen, die Touristen fotografieren. Eine im Vergleich zu anderen Orten ist das Wegducken eine auffällig häufige Bewegung: Man duckt sich aus Höflichkeit weg, um nicht auf dem Foto eines fremden Posierenden vorzukommen. Dadurch, dass aber stets und ständig in alle Richtungen fotografiert wird, tauchen auf Sehensüwrdigkeitsfotos immer häufiger gebückte Menschen auf, die so wirken, als gingen sie vor Schüssen in Deckung.

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Wir fahren einen mehrstündigen Umweg, um einen Teil der chinesischen Mauer zu besichtigen, der weniger frequentiert ist.
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Ein Verkehrsregler scheint es darauf anzulegen, Fußgänger unter die Räder zu bringen.

Wieder in Shanghai

Drei Lesungen in Nanjing, Hangzhou und Shanghai mit Jochen Schmidt, Volker Strübing und Rupprecht Mayer. Auf Rupprechts eigentlich putzig-kaminereske Geschichte über die Schwierigkeiten eines Europäers, sich durch den Shanghaier Verkehr zu bewegen, reagieren einige Chinesen etwas verschnupft: Wo denn das Positive bleibt. Sie können es nicht verknusen, dass sich ein Europäer erdreistet, einen satirischen Blick auf „ihre“ Stadt zu werfen. Ebenso seltsam: Jochens Geschichte über die Warnungen, die Eltern ihren Kindern auf den Weg geben, wird nur von wenigen Chinesen goutiert. Sie glauben, er mache sich über den Tod von Kindern lustig und ordnen es sozusagen technisch-analytisch unter „schwarzer Humor“ ein.