Freiheit und Grenzen beim Storytelling

Man kann sich die Optionen beim Storytelling wie bei einer umgekehrten Pyramide oder einem Trichter vorstellen: Zu Beginn ist praktisch alles möglich. Wir assoziieren frei und wild. Je mehr aber bereits etabliert ist, umso mehr sind die Möglichkeiten limitiert.
Das beginnt bereits mit dem ersten Angebot. Ich etabliere meinen Mitspieler als „Papa“, dann ist er eben nicht der Pizza-Bote oder der Papst. (Es sei denn, die Story geht genau um einen Typen, der nicht weiß, dass sein Vater der Papst ist oder der Pizza-Bote eigentlich sein Vater.)
Je mehr wir voranschreiten, umso eher sollten wir das bereits Etablierte im Auge behalten. Wir müssen praktisch nur noch einsammeln und verknüpfen.
Wenn Improvisierer gar am Ende noch „erfinden“, wirkt die Story für uns als Zuschauer konstruiert. Das beste Rezept für ein schlechtes Ende: Einfach Aliens einführen, die die ganze Zeit am Werk waren (z.B. im Film „The Forgotten“).

Marina Abramovic – To be an artist, to be present

[Transcript]

„How do you know, you’re an artist? That’s the main question. (…) It’s like breathing. (…) So if you wake up in the morning and you have some ideas and you have to make them and it has become some kind of obsession that you have to create, and you have this urge to create, you’re definitely an artist. You’re not a great artist, you’re an artist. To be a great artist, there are all different kind of rules…“

„The great astists have to be ready to fail which is something not many people do. Because if you have success, then the public accepts you in a certain way, you start somehow involuntarily reproduce the same images, the same type of work. And you’re not risking. Real artists always change the territories. They go to the land where they’ve never been. (…) And there you can fail. That failure actually is what makes this „extra“. The readiness to fail is what makes great artists.“

„As a young one, if you want to be famous and rich, you just can forget about it. It’s not a good idea being an artist. The money and the success is not the aim. It’s just a side effect.“

„I had an old pfrofessor whom I loved very much. He gave me two advices. He said: If you’re drawing with your right hand and you’re getting better and better, and you become vituous, you can do it with closed eyes, you can draw anything you want, the immediately change to the left hand. That was an important advice, because if you become ‚routine‘, that’s the end of everything. And the second great advice, he said to me: ‚In your life time you’ll probably have one good idea, if you’re a really good artist. And if you’re a genius, two good ideas, and that’s it. But be careful with them.“

„When I was young I had a lot of ideas, but they weren’t linear. So I never developed a certain style that would be recognized. So I had this obsession about one thing, and I had to do it. And mostly I would do the work I’m afraid of. If I’m afraid of an idea, this is exactly the point I have to go to. If you do the things you like, you never change, there is nowhere. You will always do the same shit again and again. But if you do things that you don’t know, that you’re afraid of, something really different, then it’s really important to go to that different pattern. (…)
One of my exercises for my students: For three months they had to buy hundreds of sheets of paper and one rubbish can. And every day the will sit on the chair and write good ideas. And the ones they like, they put on the left side of the table, and the ones they don’t like they put in the rubbish. And after three months, they all want to present the good ideas. I’m totally not interested in good ideas. I just took the rubbish cans. And every single idea was incredible, the ones you reject, the ones you don’t want to deal with.“

„It’s also interesting which media you should use. You may be a painter, and if you want to be a performer it doesn’t work. (…) You have to know which tool is best for your expression. So for me, to recognize a good performance artist is really simple: The idea can be totally shit, the execution can be wrong, but it’s just the way how he stands, and that’s it. In the space, you know, how you occupy physically the space, and what that standing does to everybody else looking at that person. That kind of difference really makes the difference. It’s a certain energy. You recognize it right away. And you can learn how to execute things, ideas and all the rest. But it’s about energy you cannot learn. You have to have it. It’s just there, when you’re born.“ [Here I would disagree. I’ve seen students freeing themselves from their own limitations, gaining an extraordinary stage presence. – DR]

„One of the lectures [lessons??] of Robert Wilson when I was doing the theater piece with him. He was saying to the actors and to me: „When you’re standing in one place and you take it to the next movement, you’re not present.“ So this is an incredibly important lesson. When you’re standing in one place, you can’t think of the next step. The next step has to come with your body and mind together. Otherwise you’re missing that moment of presence. So, it’s a hard thing to do, but it’s quite important. There are lots of exercises how to learn that presence.“… Weiterlesen

Arbeitsroutinen von Künstlern XVIII – Der Spaziergang

Der Spaziergang scheint für viele kreative Geister – für Schriftsteller und Musiker mehr als für Maler und Wissenschaftler – ein wichtiger Teil der Tagesroutine zu sein. Sowohl Schriftsteller als auch Musiker müssen den inneren mit dem äußeren Rhythmus harmonisieren. Was ist damit gemeint? Ein Schriftsteller kann eine Grundidee für ein Buch, eine Story, ein Kapitel aus einem Roman im Kopf fertig haben. Ein kreatives Problem besteht aber darin, dass der Prozess des Schreibens mit dem Prozess des Denkens in Einklang gebracht werden muss. Jeder hat schon mal das Gefühl gehabt, dass man nicht so schnell schreiben kann wie einem die Gedanken in den Kopf schießen. Oder auch umgekehrt: Der Schreib-Impuls ist da, aber die Gedanken können nicht mithalten. Ersteres führt zu Schludrigkeiten des Ausdrucks, zweites zu Schreibblockaden.
Spazieren kann den nervösen Geist beruhigen und den lahmen Geist auf Trab bringen. Da wir mit dem Spazieren kein bestimmtes Ziel haben, bleibt der Geist auch eher bei uns als Pflichten nachzuhängen. (Es wäre also Quatsch, einen Künstler-Spaziergang mit Erledigungen zu verknüpfen.)
Spazieren ähnelt in manchem der Gehmeditation. Aber anders als bei dieser erlauben wir unserem Geist zu fliegen: Man kann einen Gedanken eher vorantreiben als auf dem Sessel.
Aber auch zielloses Rumspinnen funktioniert beim Spaziergang eher als beim Spiegeleier-Braten. Dieses ziellose Denken, für das Künstler ja oft gehänselt oder belächelt werden, ist aber ein entscheidender Teil des kreativen Prozesses. Die Impulse, die wir täglich aufsammeln, müssen in unserem Hirn verarbeitet werden, müssen die Möglichkeit haben, sich neu zusammenzusetzen (ähnlich, wie es in Schlafträumen geschieht). Wir brauchen die Möglichkeit, auch Unbrauchbares, Unmögliches zu denken. Der Künstler ist schließlich kein Sachbearbeiter.

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Sergej Rachmaninow (1873-1943)
2 Stunden Üben
4 Stunden Komponieren.
Zeit-Mangel empfand er nur beim Komponieren.

Wladimir Nabokow (1899-1977)
Die Erstentwürfe seiner Romane schrieb er auf Karteikarten, die er in langen Karteikästen aufbewahrte.

Diese Kästen dienten ihm auch als transportable Schreibtische.
Als junger Mann schrieb er vormittags, dabei kettenrauchend.
Später: Aufwachen am Morgen, meist geweckt durch eine Dohle vorm Balkon. Im Bett bleibend – Nachdenken.
8 Uhr Aufstehen, Rasieren, Frühstück, Meditation, Badezimmer.
Mittag gegen 13 Uhr.
Weiterarbeiten ab 13:30 Uhr bis 17:30 Uhr.
Zeitungen. Abendessen 19 Uhr, danach keine Arbeit mehr.
Zu Bett gegen 21 Uhr, dann lesen bis 23:30 Uhr!
Kampf gegen Schlaflosigkeit bis 1 Uhr.
Hobbys: Fernsehen (selten für regelmäßig erfolgreich arbeitende Schriftsteller), Sonnenbaden, Erstellen von Schachrätseln!

Balthus (1908 – 2001 !!)
9:30 Uhr Frühstück
Danach ins Studio, das außerhalb des Dorfs lag.
„Ich habe stets beim Arbeiten geraucht. (…) Ich verstand intuitiv, dass das Rauchen meine Konzentrationsfähigkeit erhöhte und mir erlaubte, in die Leinwand einzutauchen.“
[Sicherlich hätte er es auch anders geschafft, sagen wir, mit einem Lolli, wenn er diese Gewohnheit nicht schon seit seiner Jugend gehabt hätte. Und fast scheint es mir unverantwortlich, dieses Zitat im Zusammenhang mit dem von ihm erreichten hohen Lebensalter aufzuschreiben. Aber so ist das Leben. Und ich vermute, dass sein hohes Alter seiner andauernden Bewegung und seiner Arbeit zuzuschreiben ist.]
Exkurs:
Regionen, in denen die Lebenserwartung extrem hoch ist, beunruhigt mich. Zusammengefasst, sind die Voraussetzung diese:
– andauernde Freundschaften
– geerdete Spiritualität
– überwiegend vegetarische und vielseitige Ernährung,
– natürliche Bewegung, d.h. die alltäglichen Handlungen sind bewegungsreich
– täglicher Lebenszweck – ein täglicher Grund, warum man aufsteht
– tägliche Ruhepause
– gute Familienbeziehungen und -traditionen
– mäßig essen und wenig Alk
– sich in gute Gesellschaft begeben.
(s. Dan Buettner)

16:30 Rückkehr ins Landhaus.
20 Uhr Abendesssen.
Danach Lesen oder Fernsehen.… Weiterlesen

Arbeitsroutinen von Künstlern XVII – Parks und Bibliotheken

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Wenn die Idee so stark ist, dass sie sich fast von alleine bewegt, dass es praktisch nur noch ein Niederschreiben ist, dann kann auch ich fast überall schreiben (ggf. mit einem ordentlichen Paar Ohrstöpsel). Aber wenn das Pflänzchen noch zart ist, der Gedanke auf den Weg gebracht werden muss, dann ist fast jeder Ort eine Zumutung. Im Sommer habe ich mich manchmal in den Park oder den Wald zurückgezogen, um zumindest die ersten Abschnitte per Hand zu schreiben. Den Rest vervollständigte ich per Laptop zu Hause.
Interessant, dass bis auf Karl Marx keiner der hier beschrieben Autoren öffentliche Bibliotheken als Schreibort nutzte. Eigentlich seltsam. Stille wird hier noch mehr als Konvention akzeptiert als „Kein Schweiß auf Holz“ in der Sauna. Vielleicht ist ja genau das das Problem: Man kann es sich nicht richtig gemütlich machen in der Bibliothek, das Sich-Ausbreiten kann von anderen eventuell als Zumutung empfunden werden. Man kann den Text nicht mal laut für sich lesen. Kaffee ist nicht überall erlaubt. Und schließlich war das Schreibgerät des 20. Jahrhunderts – die Schreibmaschine – wohl das Letzte, was in einer öffentlichen Bibliothek erwünscht war.

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Mark Twain (1835-1910)
Seine schaffensreichsten Phasen hatte Twain während der Sommer der 70er und 80er Jahre auf der Quarry Farm in Upstate New York, vor allem seit man ihm ein Schreibhäuschen (da ist es wieder) gebaut hatte.

Nach herzhaftem Frühstück sofort ins Arbeitszimmer, wo er bis 17 Uhr ununterbrochen arbeitete. Danach Dinner.
Bei dringenden Fragen blies die Familie in ein Signal-Horn, so dass er entscheiden konnte, ob er seine Arbeit fortsetzte oder sich der Familie widmete.
Sonntags keine Arbeit!
Drogen: Konstantes Zigarre-Rauchen.
Verschiedene Mittel ausprobiert, um seine Schlaflosigkeit zu bekämpfen, bis er eines Tages ohne Mittel um 22 Uhr einschlief und dann nie wieder Mittel zu nehmen.
Alexander Graham Bell (1847-1922)
Als junger Mann kam Bell mit nur vier Stunden Schlaf aus und führte das Leben eines Workaholic. Zuliebe seiner Frau änderte er seine Lebensweise, konnte aber gewissen Arbeitsanfällen von Zeit zu Zeit nicht widerstehen.
Vincent Van Gogh (1853-1890!!)
Oft pausenloses Arbeiten von 7 bis 18 Uhr, ohne Essen.
Man beachte den frühen Tod durch Selbstmord (oder Unfall). Mir scheint, dass ungesunde Lebensweise der Künstler auch frühen Tod durch nicht-krankheitsbedingte Todesarten herbeiprovoziert.)
N.C. Wyeth (1882-1945)
Aufstehen 5 Uhr. Dann 90 Minuten Holzhacken!
6:30 herzhaftes Frühstück.
Verdauung während des Schreiben eines Briefs.
Dann an die Arbeit.
Schneller Arbeiter.
Mittag 13 Uhr, wenn die Arbeit gut lief.
Kinder durften nachmittags in sein Atelier, während er schweigend weiterarbeitete.
Georgia O’Keeffe (1887-1986!!)
Aufstehen in der Dämmerung. Feuer anmachen, Tee zubereiten. Wieder ins Bett, dem Sonnenaufgang zuschauen.
1/2 Stunde Morgenspaziergang, um Klapperschlangen auf dem Grundstück aufzustöbern und zu töten.
7 Uhr Frühstück
Arbeit bis zum frühen Abendessen um 16:30, unterbrochen vom Mittag.
So sehr sie alle anderen Tätigkeiten auch schätzte – das Malen war für sie eine Tätigkeit des Einklangs mit der Zeit.

Arbeitsroutinen von Künstlern XVI – vorläufiges Resümé

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Was lässt sich bis jetzt aus den Routinen der Schriftsteller herausdestillieren:

  1. Habe Routinen. Gleiche Aufstehzeiten, gleiches Frühstück, gleiche Bettzeiten usw. erleichtern es, den Kopf freizuhaben für die wirklich wichtigen Dinge.
  2. Schreib viel in einem Minimum an Zeit. 2-3 Stunden genügen schon. Das dann aber täglich.
  3. Spaziere entweder nach dem Frühstück oder nach dem Mittagessen.
  4. Alkohol lässt dich früher sterben.
  5. Soziale Verpflichtungen, Partys usw. auf ein Minimum reduzieren.
  6. Nickerchen zwischendurch.
  7. Schreib früh am Morgen oder nachts. In den Zeiten ist es am ehesten möglich, soziale Kontakte zu reduzieren.
  8. Wenn du nachts schreibst, dann nur wenn du jung bist und nur für deine ersten ein, zwei Romane, sonst gefährdest du deine Gesundheit und dein Sozialleben.
  9. Wenn du einen Brotjob hast, dann schreib entweder vor der Arbeit oder in der Mittagspause. Reinschrift und Korrekturen am Abend.
  10. Kein Fernsehen. Internet und Telefon beim Schreiben verbannen.
  11. Wenn du auf einem Landgut lebst, dann nutze das Gartenhäuschen.
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Charles Darwin (1809-1883)
Vom Verfassen von „Der Ursprung der Arten…“ bis zur Veröffentlichung wartete Darwin Jahrzehnte, in denen er an seiner wissenschaftliche Reputation arbeitete, um sich später weniger angreifbar zu machen.
Fast mönchisches in Downhouse, Kent.
Frühstück allein, dann Spaziergang.
Arbeitsbeginn ab 8 Uhr: 90 Minuten.
Danach Post.
10:30-12 Uhr weiterarbeiten.
kurzer Spaziergang.
Mittag, Zeitung.
Nachmittags Briefe beantworten. (Er beantwortete jeden Brief!)
Dritter Spaziergang.
17:30 Ruhe, Abendbrot.
Danach Lesen, Backgammon.
22 Uhr Schlafen.
10 Kinder (die er ja auch irgendwie gemacht haben muss.)
Hermann Melville (1819-1891)
Schrieb täglich 6-8 Stunden.
Jeden Tag Feldarbeit auf seiner Farm, um sich vom Schreiben zu erholen.

Melvilles Farmhaus.
Leo Tolstoi (1828-1910)
„Ich muss täglich schreiben, nicht so sehr um die Arbeit zum Erfolg zu bringen, sondern um nicht aus der Routine zu kommen.
9 Uhr Aufstehen.
Frühstück: zwei rohe Eier! Das war das Einzige, was er bis zum Abend aß.
Schreiben zwischen 9:30 und 17 Uhr. In den späteren Jahren nur bis 14 oder 15 Uhr.
Seine Kinder haben unterschiedliche Erinnerungen daran, ob sie ihn unterbrechen durften oder nicht.
Pjotr Iljitsch Tschaikowski (1840-1893)
Erst im Alter von 45 Jahren (nach endlosen Touren) entwickelte Tschaikowski eine Tagesroutine, die er genoss, um ungestört arbeiten zu können.
7:30 Uhr aufstehen.
Frühstück, Tee, Rauchen, Bibellektüre, auch andere Werke. Das Lesen empfand Tschaikowski als Teil seiner Arbeit.
Erst Korrespondenz (die „unangenehme“ Tätigkeit), dann Komponieren (die „angenehme“).
Spaziergänge wurden aus Gesundheitsgründen peinlich, fast abergläubisch genau auf die Minute eingehalten.
Das Komponieren selber beschrieb Tschaikowski so: Es gehe darum, dem Samen der Inspiration günstige Umstände zu bereiten, aufzuplatzen und zu gedeihen. Alles andere, das Ausführen der Idee finde sich von selbst. (Hier scheint er völlig anders als Beethoven zu arbeiten.)

Arbeitsroutinen von Künstlern XV – Und was zählt eigentlich zur Arbeit?

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Im ersten Kapitel der Reihe zu den Arbeitsroutinen beschrieb ich den Anteil meiner verschiedenen Arbeits-Bereiche an der Gesamt-Arbeit.
Seit Mai führe ich nun dieses Zeitprotokoll und fast müsste ich mich gegenüber einem normalen Angestellten schämen, wenn ich gestehe, dass meine wöchentliche Arbeitszeit nur ca. 27 Stunden beträgt. Und ich weiß natürlich selber, dass ich auch Zeit verplempere. Andererseits: Führen nicht auch Angestellte Privattelefonate während der Arbeitszeit, erstellen Einkaufslisten, sind „mal kurz“ bei Facebook, gucken nach ihren Privat-E-Mails, erlauben sich ein Schwätzchen mit ihren Kollegen, dehnen die Raucherpause etwas länger aus?
Aber warum bescheißt man das eigene Unternehmen – sich selbst?

***

Friedrich Schiller (1759-1805)
Nachtarbeiter. Der ihn angeblich beflügelnde Duft verfaulender Äpfel ist so legendär, dass ich es schon kaum mehr glauben mag.
Sommers im Gartenhaus. (Da ist es wieder, das Gartenhaus, die Laube, der Pavillon. Das eigene Haus scheint für viele Schriftsteller ein schlechter Ort zum Schreiben zu sein.)
Weitere Drogen: Kaffee, Wein, Schokolade, Tabak und Schnupftabak.

Franz Schubert (1797-1828!!)
Einer der Junggestorbenen.
Arbeitete von 6 Uhr morgens bis 13 Uhr. Dabei andauerndes Pfeiferauchen. Komponierte nie nachmittags. Dann nämlich ins Kaffeehaus, Zeitunglesen.
Im Sommer Spaziergänge in den ländlichen Außenbezirken Wiens. Vermied trotz andauernder Geldnöte andere Arbeiten, wie Klavierunterricht. „Komponieren war für ihn die einzige Arbeit, die zählte.“

Franz Liszt (1811-1886)
4 Uhr morgens Aufstehen, auch nach übermäßigem Alkoholgenuss am Abend zuvor. Den ganzen Tag über Briefe beantworten und Musik ausprobieren.
Starker Alkoholkonsum am Abend.

George Sand (1804-1876)

Täglich ca. 20 Manuskriptseiten, die sie nächtens in einer Art schlaflosem Delirium verfasste. Zur Frage der Drogen meinte sie:
„Inspiration kann durch die Seele sowohl in einer Orgie als auch in der Stille des Waldes erfassen. Aber wenn es daran geht, den Gedanken eine Form zu verpassen, musst du – egal ob auf der Bühne oder in deinem Schreibzimmer – völlig Herr deiner selbst sein.“

Honoré de Balzac (1799-1850)
Er hat einen der seltsamsten Schlafrhythmen: 18 Uhr ins Bett, 1 Uhr Aufstehen und sieben Stunden lang Schreiben. (So kommt er auch auf seine sieben Stunden. Es wirkt auf uns ziemlich kurios, aber wenn man um 23 Uhr zu Bett geht und um 6 Uhr morgens aufsteht, hat man auch nicht mehr oder weniger vom Sonnenlicht des Tages.
8 Uhr ein 90-Minuten-Nickerchen, dann Weiterschreiben.
Massen an Kaffee. Kurz vorm Schlafengehen Besucher empfangen.

Victor Hugo (1802-1885)

Ab seiner Zeit in Guernsey auf den Kanalinseln verfolgte Hugo ein strenges Regime.
Früh aufstehen und zwei rohe Eier zum Frühstück, bis 11 Uhr Arbeiten.
Nachmittags Zeit für Briefe und Familie.

Charles Dickens (1812-1870)
7 Uhr Aufstehen
8 Uhr Frühstück
9 Uhr Schreiben. Totale Stille und Ordnung auf seinem Schreibtisch nötig. Kurze Mittagspause, in der er oft mechanisch dasaß und aß (was auch bei Picasso beobachtet wurde), da er noch von der Arbeit absorbiert war.
14 Uhr weiter schrieben.
Blieb bei seinem strengen Plan auch dann, wenn er statt der üblichen 2.000 Wörter kein einziges zu Papier zu bringen vermochte.

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Arbeitsroutinen von Künstlern XIV – Krankheit

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Letzte Woche musste ich, nachdem ich den  Montag mit guter Arbeits-Routine abgeschlossen hatte, eine Pause einlegen: In der Nacht packte mich ein furchtbares Fieber. Die Nachwirkungen waren noch bis Donnerstag zu spüren.
Krankheit ist wohl das Schlimmste, was unsere Arbeitsroutine stoppen kann. Entscheidend ist, rechtzeitig wieder anzufangen, und das Gammel-Leben des Kranken nicht in die gesunde Phase mitzunehmen. (Bei einem normalen Büro-Job geht das ja auch nicht.) Schwierig vor allem dann, wenn man nur halb auf den Beinen ist, vielleicht gerade mal eine halbe Stunde etwas lesen kann oder ein paar Mails beantworten und sich dann schon wieder ausruhen muss. Wichtig: Den Flow nicht abreißen lassen. Sich wenigstens ein paar Minuten am Tag Gedanken zum Thema machen, Notizen aufschreiben und vielleicht ein paar ausformulierte Sätze.

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Philip Roth (geb. 1933)
„Schreiben ist keine harte Arbeit, es ist ein Alptraum.“
Das wichtigste Herausforderung für den Schriftsteller, so beschrieb es Roth, liege darin, still zu sitzen in diesem extrem ereignislosen Geschäft.
Nach dem Frühstück Sport.
10-18 Uhr Schreiben in einer abgelegenen Hütte auf seinem 25 Hektar großen Grundstück in Connecticut.
1 Stunde für Mittagessen und Zeitung.
Lebt seit 1994 allein, ohne dass es ihn zu stören scheint.
Seine Ex-Frau Claire Bloom beschreibt ihn als „Psychopath, tablettenabhängig, voller Hass auf Frauen, paranoid, ein Sadist. Und krankhaft geizig.“ Als sie die Scheidung einreichte, verlangte er per Anwalt eine Entschädigung von 60 Milliarden (!) Dollar.
P.G. Woodhouse (1881-1975!)
7:30 Uhr Aufstehen und Calisthenics-Übungen.
Dann Frühstück mit Buch (Krimi oder Humor), Pfeife-Rauchen, Spaziergang mit Hunden.
9 Uhr Schreiben auf Schreibmaschine.
2.500 Wörter in jüngeren, 1.000 in späteren Jahren.
14 Uhr Mittagessen.
Nachmittags Fernsehserie.
Abendessen 18 Uhr mit Martini.
Edith Sitwell (1887-1964)
5:30 Uhr Beginn des Schreibens im Bett. Meist nur vormittags, manchmal auch den ganzen Tag bis zur Erschöpfung.
„Jede Frau sollte einen Tag pro Woche im Bett verbringen.“
Thomas Hobbes (1588-1679!!)
7 Uhr Aufstehen und Frühstücken.
Danach Morgenspaziergang, bei dem er meditierte. (Hobbes ist hier eine der wenigen bemerkenswerten Ausnahmen; denn die meisten Autoren unternehmen diese Spaziergänge eher am Nachmittag.)
Nach Heimkunft Notizen über die beim Spaziergang aufgekommenen Gedanken.
Mittag 11 Uhr. Dann Pfeife und halbstündiger Mittagsschlaf.
Am Nachmittag wurden die Gedanken des Vormittags ausformuliert.
Hübsche Marotte: Laut Singen vorm Schlafengehen, um die Lungen zu stärken.
John Milton (1608-1674)
4 Uhr Bibel Vorlesen lassen.
Danach Kontemplation und Verfassen von Versen im Kopf (Milton war in den letzten Jahrzehnten seines Lebens blind.)
7 Uhr Diktieren der erdachten Verse. Kam der Diener zu spät, beschwerte sich Milton, er müsse endlich „gemolken“ werden.
Danach wieder Vorlesen lassen.
Vormittags Spazieren im Garten.
Mittag.
Nachmittags und Abends Gäste.
21 Uhr Schlafen.
René Descartes (1596-1650)
Lange Schlafen. Aufstehen gegen 11 Uhr. Müßiggang sei wichtig für geistig tätige Menschen.
Nachmittags Spazieren und Konversationen.
Abends Korrespondenz.
[Wann verfasste er seine Werke?]
1649 wurde er an den Hof der schwedischen Königin gebeten, was er annahm. Er ahnte nicht, dass sein vorgeschriebener Tagesablauf Unterricht ab 5 Uhr umfasste. Einen Monat später war Descartes tot.
Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)
Als junger Mann schrieb er den ganzen Tag. (Ergebnis laut eigener Aussage: Eine Druckseite. Was wohl heißen muss, dass er viel Zeit aufs Korrigieren verwendete.)
Im Alter nur morgens und auch nur wenige Zeilen.
Er weigerte sich außerdem, zu schreiben, wenn er uninspiriert war. Man möge das nicht forcieren.