Warum wir Johnstone auch heute brauchen

Keith Johnstones Buch “Improvisation und Theater” beginnt mit Johnstones Beschreibung der eigenen einengenden Erfahrung als Schüler im England der 50er Jahre. Engstirnige Pädagoginnen versuchten, die Kinder zu Stromlinienförmigkeit zu erziehen. Die Lehrerinnen wussten, wie man ein Bild zu malen oder eine Geschichte zu erzählen hatte. Bestimmte Themen und Wörter durften nicht benutzt werden oder galten als obszön. Dieser ungeheure englische Konservatismus, diese Furcht vor der Freiheit begleitete Johnstone bis in seine Erwachsenen-Jahre, als Theaterstücke noch vom Zensor abgenickt werden mussten. Das Format “Theatersport” hat unter anderem hier seinen Ursprung: Es war ja nur ein öffentliches Training, behauptete man augenzwinkernd, kein wirkliches Theater.

Für Johnstone war Improtheater auch immer ein Mittel der Befreiung. Der Befreiung des Geistes und der Befreiung der Gesellschaft. Jeder, der über Johnstone oder die Johnstonesche Schule zum Improtheater gekommen ist, hat dieses Gefühl der Befreiung empfunden.

Mehr als andere “Schulen” des Improtheaters betonte Johnstone die Unvorhersehbarkeit. Er war ein Freund des Risikos. Improtheater, das mit Absicherungen arbeitete (zum Beispiel durchstrukturierte Langformen oder zu gut gespielte Games) waren ihm ein Gräuel. Und diese anarchistische Schlagseite von Keith Johnstone liebe ich am meisten an ihm. Fortgeschrittene und Profi-Improvisierer rümpfen bei Impro-Games manchmal die Nase. So als sei alles, was nicht dem elaborierten Storytelling diene, etwas niederes. Sie sind dermaßen mit ihren Formaten beschäftigt, dass sie das Aufregende von Improtheater – die Unvorhersehbarkeit, das Ungewollte, das Peinliche, das unbewusst entstehende Obszöne, das Groteske  – am liebsten ausschalten wollen.

Johnstone bestand sehr auf dem körperlichen Spiel: Wenn wir unseren Körpern die Regie überlassen, gewinnen wir einen Zugang zu unseren Emotionen und schrumpfen tendenziell unseren Zensor, unser Über-Ich. Es gelingt uns weniger, vorauszuplanen. Viele der Johnstone-Games sind auch so angelegt, dass sie die Spieler überfordern sollen. (Und sie funktionieren nicht mehr, wenn man sie beherrscht.)

Das erste Kapitel von Johnstones Buch wird gerne von den Lesern übersprungen, damit sie schnell zum “Eigentlichen” vorstoßen. Aber auch heute gibt es engstirnige Pädagoginnen in den Schulen, die vorgeben wollen, was gute Kunst sei, die Schnappatmung kriegen, wenn sie böse Wörter hören, die genau wissen, wie eine Erzählung aufgebaut sein muss und welche Themen sie behandeln darf.

Johnstone hat auch jetzt immer noch seine Berechtigung. Wir sollten ihn genau lesen und nicht nur als Lieferant von Games und Status-Regeln sehen.

Berührungen im Anfängerkurs

Wieviel Körperkontakt ist bei Anfängergruppen in Ordnung? In vielen Kursen wird diese Frage oft gar nicht gestellt. Und in den meisten Fällen ergeben sich auch erst mal keine Probleme: Die Schüler improvisieren so wie sie auch im normalen Leben miteinander umgehen: Die freundschaftliche Distanz einer Armlänge wird gewahrt. Allenfalls gibt man sich die Hand. Die Probleme kommen später: Wenn die improvisierten Szenen etwas interessanter werden sollen, muss auch Körperkontakt involviert sein. Aber welche Grenzen sollen hier gelten, wenn man nie darüber geredet hat? Auf einmal gibt es eine Umarmung oder einen Klaps auf den Po, und beides ist überhaupt nicht willkommen.
Ich halte es zunächst so: Vor der ersten Stunde etabliere ich als Lehrer, dass körperliches Spiel gewünscht ist. Allerdings schließen wir die Bikinizone ebenso aus wie Gewalt-Szenen. Wer es darüber hinaus unangenehm findet, an bestimmten Körperteilen berührt zu werden, kann das äußern. Auch ich musste diese Lektion auf die harte Tour lernen: Als ich eingeladen war, auf einem Team-Tag eine internationale Gruppe junger Leute einen Improkurs zu unterrichten, unterließ ich mein Körperkontakt-Intro. Als ich dann nach einer halben Stunde den Klassiker Freeze Tag einführte, zuckte eine Schülerin bei der Demonstration weg, als ich sie nur an der Schulter antippen wollte. Kurz darauf erfuhr ich, dass ein Viertel der Teilnehmer orthodoxe Juden seien, bei denen die Berührung zwischen fremden Männern und Frauen verboten war.
Ein weiterer Grund, die Grenze von vornherein klar zu ziehen, besteht darin, dass manchmal junge Männer die Theaterszene nutzen, um sich auf unangenehme Art an Frauen heranzumachen. In meinen Kursen ist das in den ersten zehn Jahren (als ich in der Beziehung noch etwas wischiwaschi war) zwei Mal passiert.

 

522. -523. Nacht

522. Nacht

Nach langer und entbehrlicher Reise gelangt Dschanschâh wieder zum Scheich Nasr, der aber nichts vom Edelsteinschloss weiß und ihm rät, auf die in einigen Monaten wieder eintreffenden Vögel zu warten. Er bleibt also. Aber diese wissen ebenso wenig vom Edelsteinschloss.
Scheich Nasr befiehlt einem der Vögel, Dschanschâh zurück nach Kabul zu tragen. Nachdem dieser sich wegen des Windes die Ohren verschließt, fliegen sie los, aber der Vogel verliert nach einer Weile die Orientierung und er lässt ihn beim Schah Badri, dem König der Tiere, welcher, man kann es sich schon denken, ebenfalls nichts vom Edelsteinschloss weiß.

523. Nacht

Auch weitere Tiere wissen nichts vom Schloss. Und jedes Mal weint Dschanschah.

Der Tierkönig aber sprach zu ihm: “Sei unbesorgt, mein Sohn! Ich habe einen Bruder, der ist älter als ich. Er heißt König Schammâch. Einst war er gefangen bei dem Herren Salomo. Keiner von den Geistern ist älter als er und Scheich Nasr.

Wer nun geglaubt hat, dieser König wisse etwas vom Edelsteinschloss, hat sich gewaltig geschnitten. Allerdings kennt er einen Zaubermönch, der

“aus seiner Hand allerlei kunstvolle und seltene Erfindungen hervorgehen [lässt]. Ja, er ist ein Hexenmeister voll Lug und Trug, ein gefährlicher Kerl. Er heißt Jaghmûs; und er beherrscht alle Zauberformeln und Beschwörungen. Zu ihm muss ich dich auf dem Rücken eines großen Vogels mit vier Flügeln senden.”

521. Nacht (1001) und Die Top Ten meiner Pandemie-Lektüre

In den letzten drei Jahren hat meine Lektüre arg nachgelassen. Als die Corona-Pandemie begann, glaubten ja viele, all die Gelockdownten würden nun mehr lesen, sich ihren Familien widmen, ein neues Instrument lernen usw. Aber, soweit ich es unter meinen Bekannten höre, war das nur bei sehr Wenigen der Fall. Es gab ein paar halbherzige Versuche, Schach zu lernen. (Die Serie Damen-Gambit kam gerade zur rechten Zeit.) Viele Paare trennten sich. Statt zu lesen, wurden Serien geglotzt.
Ich habe es in der Zeit auf sechzig beendete Bücher gebracht. (Und ungefähr genauso viele angefangene.)
Wenn ich in mein Zu-Lesen-Regal schaue, machen mir besonders jene Bücher ein schlechtes Gewissen, die mir Freunde geschenkt haben. Vielleicht ist es ja gerade dieser Verpflichtungs-Druck, der einen diese Bücher im Regal stehen lässt, dieses Gefühl, etwas abarbeiten zu müssen. Lediglich fünf der letzten einhundert durchgelesenen Bücher waren Geschenke. Manche Schenker tun mir geradezu leid – sie geben wieder und wieder Geld für gedrucktes Papier aus, in der Hoffnung, mir eine Freude zu machen. Hingegen nehme ich Lesetipps immer wieder mal auf.

Hier also die Top 10 meiner bisherigen Pandemie-Lektüre. (Einen Großteil davon habe ich hier bereits besprochen.)

10. Svenja Flasspöhler: “Sensibel”


Ein großartiges Buch, dass beide Seiten der Frage von Sensibilität und deren Grenzen beleuchtet.

 

9. Botho Strauß: “Besucher”

Hätten mich äußere Umstände nicht dazu gezwungen, wäre ich wohl kaum auf dieses Theaterstück gestoßen, das so überraschend und so witzig ist, dass ich bereue, nicht schon früher darauf gestoßen zu sein.

8. Albert Camus: “Die Pest”

Gleich zu Beginn der Pandemie wurde das Buch zum neuen Bestseller. Ich habe es erst 2021 wieder aus dem Schrank geholt, nachdem es mir doch schon empfohlen wurde, als ich erst vierzehn war. Die Parallelen waren oft frappant: Das Warten, die Langeweile, die Frustration der aufs Untätigsein Zurückgeworfenen. Die Erschöpfung und emotionale Anspannung der pausenlos arbeiten müssenden. Das Leugnen der Rebellen, die zögerliche Reaktion der Bürokratie, die undankbare Tätigkeit der Impfstoff-Entwickler. Was mir aber erst nach und nach klar wurde, ist, dass sich doch für Viele die Perspektive auf das Leben verändert hat. Sie ist, um es mal plakativ zu formulieren, „existenzialistischer“ geworden. „So zerstörte die Krankheit, die die Bevölkerung scheinbar zu einer Gemeinschaft von Belagerten gezwungen hatte, gleichzeitig die hergebrachten Verbindungen und überantwortete den einzelnen seiner Einsamkeit.”

7. “Tausendundein Nächte. Band 3”.

Es muss wohl sechs Jahre her sein, dass ich diesen Band begann und inmitten einer sich hinziehenden Erzählung abbrach (es fehlten nur 50 von über 800 Seiten).

6. Kathrin Passig: “Je Türenknall desto wiederkomm”


Eine der freundlichsten und unterhaltsamsten Kolumnen-Sammlungen, die ich je gelesen habe.

5. Isabel Allende: “Ein unvergänglicher Sommer”


Genau die richtige tröstliche Lektüre im Corona-Sommer 2020.

4. Jochen Schmidt: “Ich weiß noch, wie King Kong starb.”


Jochen Schmidt – immer eine Erholung für Geist, Geschmack und Humor.

3. James M. Cain: “The Postman Always Rings Twice”


Am liebsten würde ich solche Erzählungen andauernd lesen – schwungvoll geschrieben, mutig in der großen Behauptung, achtsam im Dialog und mit einer Handvoll sehr überraschender aber glaubwürdiger Wendungen.

2. Abigail Shrier: “Irreversible Damage. Teenage Girls and the Transgender Craze”

Mit großer Sensibilität und Genauigkeit zeichnet Shrier den Weg der Mädchen auf, die den psychischen, physischen und sozialen Herausforderungen der Pubertät nicht standhalten und nun glauben, dies sei ein Zeichen dafür, sie steckten im falschen Körper. (Der früher übliche Weg im Westen war bei solchen Mädchen oft die Anorexie.) Die Influencer, die Eltern, die Lehrerinnen, die Ärzte – alle ermutigen die Mädchen dazu, sich verstümmeln zu lassen und beklatschen jeden Schritt auf diesem Weg.

1. Ryan Holiday: “The Daily Stoic. 366 Meditations on Wisdom, Perseverance, and the Art of Living”


Genau das richtige Buch für die tägliche Meditation. Gut, dass ich es im September 2019 schon begonnen hatte.

0. (Lobende Erwähnung) Harry G. Frankfurt: “Bullshit”


Dem Bullshitter „ist der Wahrheitswert der Aussage egal. Deshalb kann man nicht sagen, [er] habe gelogen… Gerade in dieser fehlenden Verbindung zur Wahrheit, in dieser Gleichgültigkeit gegenüber der Frage, wie die Dinge wirklich sind, liegt meines Erachtens das Wesen des Bullshits.“

*

521. Nacht

Während es in Kabul bei der Belagerung bleibt, reist Dschanschâh weiter auf der Suche nach dem Edelsteinschloss Takni – über Indien, Chroasân, Mizrakân und zur “Stadt der Juden”. Er begibt sich wieder in die Anstellung des Betrügers, der ihn auf dem Edelsteinberg verhungern lassen wollte.

In der Geschichte vom Edelsteinberg, die ich aus der bereits erwähnten Amiga-Schallplatte kannte, nimmt der Held Mirali nun Rache, indem der Kaufmann selbst in die Tierhaut gewickelt und so von den Greifvögeln auf den Berg getragen wird.

Wieder geht es an den Fuß des Berges. Aber im Gegensatz zu bereits erwähntem Schallplatten-Mirali lässt sich Dschanschâh selbst wieder in die Pferdehaut einnähen und von den Greifvögeln auf den Berg tragen, offenbar in der Hoffnung, wieder den Weg zu seiner Geliebten zu finden. Als der Kaufmann ihm befiehlt, die Edelsteine hinabzuwerfen, antwortet Dschanschâh:

“Du bist es, der vor fünf Jahren so und so an mir gehandelt hat; da musste ich Hunger und Durst leiden, und viel Mühsal und großes Unheil kam über mich. Jetzt hast du mich zum zweiten Male hierhergebracht und denkst mich in den Tod zu treiben. Bei Allah, ich will dir nichts hinabwerfen.” Daraufhin ging er fort und machte sich auf den Weg, der ihn zu Scheich Nasr, dem König der Vögel bringen sollte.

Das ist allerdings eine äußerst milde Rache: Nicht erhaltene Edelsteine als Strafe für versuchten Mord.

520. Nacht

520. Nacht

Dschanschâh indessen beschließt, trotz des Krieges sich auf die Suche nach seiner Braut zu machen. Er bricht mit tausend Kriegern auf und verlässt sie während der nächtlichen Pause in der Hoffnung, Allah würde ihm den Weg weisen, wenn er allein ritte.
Sein Vater, als ihm berichtet wird, was sein Sohn getan hat,

geriet in eine gewaltige Erregung; fast sprühten Funken aus seinem Munde, er warf seine Krone von seinem Haupte und reif: Es gibt keine Macht und es gibt keine Majestät außer bei Allah! Meinen Sohn habe ich verloren, und der Feind steht immer noch vor mir!”

König Tighmus zieht sich vor Trauer in die Stadt zurück, welche daraufhin von König Kafid sieben Jahre lang belagert wird.

 

517. – 518. Nacht

517. Nacht

Die Inder ziehen nun gegen den König von Kabul in den Krieg.

Dort begannen sie das Land auszuplündern, untern den Einwohnern zu wüten, die Alten zu morden und die Jungen in Gefangenschaft zu schleppen.

Die Heere der beiden Königreiche begegnen sich im Wadi Zahrân.

Obwohl dieses Tal in alten deutschen Erdkundebüchern erwähnt wird, konnte ich nicht herausfinden, wo das liegt.

König Tighmus von Kabul bietet König Kafîd von Indien einen Zweikampf an:

“Wenn du nun umkehren willst und weiterem Unheil zwischen dir und mir vorbeugst, so mag es damit ein Bewenden haben. Willst du aber nicht heimkehren, so tritt mir auf offenem Kampffelde entgegen und streit mit mir an der Stätte, da Schwerter und Lanzen sich regen.”

Selbst im grußlosen Kampfbrief ist man sich nicht für einen kleinen Reim zu schade.

Auf diesen Vorschlag geht Kafîd (ebenfalls in einem gereimten Brief) ein.

518. Nacht

Dennoch wird weiterhin – stellvertretend durch die Wesire –  Krieg geführt. Diese Schlacht gewinnt Tighmus von Kabul, woraufhin der indische König nun selbst in einer großen Schlacht seine Ritter befehligt.

519. Nacht

Nun fechten zwei Ritter, Barkîk für Indien und Ghadanfar für Kabul, einen Stellvertreterkampf.

Dass die beiden Könige direkt miteinander kämpfen, wahr wohl doch nicht so wörtlich gemeint.

Barkîk schlug mit dem Schwerte, und der Hieb traf Ghadanfars Helm, doch er fügte ihm keinen Schaden zu. Wie Ghadanfar das sah, ließ er die Keule auf den Gegner niedersausen, und da ward sein Leib zu Brei, flach auf dem Rücken des Elefanten. Alsbald sprengte ein anderer herbei und rief: ‘Wer bist du, dass du meinen Bruder zu töten wagst?’ Dann ergriff er seinen Wurfspeer und schleuderte ihn gegen Ghadanfar, und er traf seinen Schenkel mit solcher Kraft, dass er ihm den Panzer ans Fleisch nagelte. Wie Ghadanfar das merkte, zückte er das Schwert mit der Hand, traf den Feind und spaltete ihn in zwei Hälften, so dass sein Leib zu Boden sank und in seinem Blute lag.

Ausführlich wird auch die darauf hin einsetzende opferreiche Schlacht beschrieben. Kafîd, der sich seiner Sache nun doch nicht mehr so sicher ist, fordert in einem Brief Verstärkung durch seinen Verwandten, König Fakûn el-Kalb.

 

515.-516. Nacht

515. Nacht

König Tighmûs ist noch so von den Socken, dass er aus Dankbarkeit seiner Schwiegertochter Schamsa ein Schloss inmitten eines Blumengartens erbauen lässt. Die Wiederkunft des Prinzen Dschanschâh wird ausführlich und in aller Pracht gefeiert. Dieser aber lässt aus einem weißen Marmorblock eine Truhe bauen, in der er das Federkleid seiner Braut verbirgt

und ließ sie im Fundament versenken.

Dies ist ein seltsames Motiv, das sich auch in Grimms Märchen finden lässt: Das Halbwesen ist an seine Hülle gebunden und fühlt sich zu ihr hingezogen. Erst wenn sie völlig vernichtet ist, wird es zum Menschen.

 516. Nacht

Tatsächlich verspürt Schamsa beim Eintreten ins Schloss den Duft des Federkleids, wartet bis der Prinz eingeschlafen ist, begibt sich zur Truhe,

und nahm das Blei ab, mit dem sie verschlossen war.

Sie zieht das Federkleid an, steigt auf das Dach des Palastes, lässt den Prinzen holen und ruft ihm zu:

Du mein Lieb, mein Augentrost, meines Herzensfrucht, bei Allah, ich liebe dich über die Maßen, und ich bin so unendlich froh, dass ich dich in dein Heimatland zurückgebracht und deine Mutter und deinen Vater gesehen habe. Doch wenn du mich liebst, so wie ich dich liebe, so komm zu mir nach Takni dem Edelsteinschloss!” Und zur selbigen Stunde schwebte sie davon und flog zu den Ihren.

Dass junge Frauen, vor allem verwandelte, ihren Jungs einige Herausforderungen auferlegen, kennen wir. Aber das hier ist ja wohl unerhört. Vielleicht war es eine schlechte Idee, das duftende Federkleid nur zu vergraben?

Der König tröstet Dschanschâh und lässt Kaufleute befragen, ob sie Takni kennen. Da aber keiner Auskunft geben kann,

so befahl er, man solle seinem Sohne schöne Mädchen bringen, Sklavinnen, in deren Händen die Musikinstrumente erklangen, und Odalisken, die da sangen, derentgleichen nur bei Königen zu finden waren.

Wir ahnen schon, dass sich der Prinz davon nicht ablenken lässt. Denn Herzeleid ist großes Leid, und in den 1001 Nächten unstillbar.

Geduld schwand mir dahin, die Sehnsucht ist geblieben:
Mein Leib ist siech, von schwerer Liebespein gebannt.
Wann wird mich das Geschick mit Schamsa einst vereinen,
Wo mein Gebein zerfällt, von Trennungsschmerz verbrannt.

König Tighmus, so erfahren wir, ist verfeindet mit Kâfid, dem König von Indien. Dieser

hatte tausend Ritter, von denen jeder über tausend Stämme gebot, und jeder von diesen Stämmen vermochte viertausend Berittene zu stellen.

Das wären Vier Milliarden indische Reiter!
Der Höhepunkt der Anzahl von Armeeangehörigen weltweit war offensichtlich 1995 mit ca. 30 Millionen.

Na gut, wir bewegen uns ja immer noch im Reich der Fiktion und wollen es angesichts an- und abgelegter Federkleider und sprechender Schlangen mit historischer Präzision nicht übergenau nehmen.

Da der Kabuler König Tighmus einst viele Inder tötete, ist nun wohl ein guter Zeitpunkt, um Rache zu nehmen.

Zugabe herbeiprovozieren – oder verhindern

Das Licht geht aus, die Schauspieler verbeugen sich, bekommen vielleicht noch Einzelapplaus und gehen ab. Da tönen die ersten Rufe: „Zugabe! Zugabe!“ – und verpuffen, weil das Saallicht bereits angeschaltet wurde.
Wenn man Zugaben-Applaus wünscht, sollte man schnell von der Bühne gehen und den Applaus sich entfalten lassen. Bei einer guten Show mit begeistertem Publikum, wird der rhythmische Applaus fast automatisch einsetzen. Sobald der Wille des Publikums deutlich genug ist, lasse man sich nicht lange lumpen, bedanke sich und spiele die Zugabe.
Will man keine Zugabe, schalte man das Saallicht an und (wenn möglich) auch die Hintergrundmusik, der Applaus versiegt dann meist rasch. In den etwas unangenehmen Situationen, in denen ein Teil des Publikums weiterklatscht, während die andere Hälfte schon aufsteht, solltet ihr ebenfalls auf die Zugabe verzichten und das ebenfalls durch Saallicht und Musik markieren.

(Dies ist ein Auszug aus “Improvisationstheater. Band 9. Impro-Shows“)

Gute und schlechte Zugaben

Die Show ist wunderbar gelaufen, ihr habt zu zehnt gespielt. Und nun kommt der Moderator auf die Idee, dass alle noch gemeinsam ein Lied singen sollen, zu dem jeder eine Strophe beitragen soll. Das Lied zieht sich in die Länge, die Hälfte der Spieler hat keine Lust auf Singen oder es klingt grausam. Am Ende gehen die Zuschauer mit dem Gefühl nach Hause, dass es zwar insgesamt recht nett war, aber man müsse es sich nicht so schnell noch mal antun.
Eine gute Zugabe ist knapp und spritzig und entlässt die Zuschauer noch mit einem kleinen Extra-Lachen. Gerade bei großen Besetzungen lassen sich Moderatoren vom Gedanken der „Gerechtigkeit“ dazu verleiten, jedem einzelnen Spieler noch mal angemessen viel Raum zu geben, um sich ein letztes Mal zu entfalten. Lieber zwei, drei kleine Freeze-Tag-Szenen von 15 Sekunden als ein ausuferndes Rein-Raus-Spiel mit dem gesamten Riesen-Ensemble.
Als Zugabe eignen sich zum Beispiel:

  • knackige Gag-Spiele, die kürzer als eine Minute sind,
  • eine Kaskade von „Was-danach-geschah“-Szenen aus den verschiedenen Storys,
  • ein kurzer Abschluss-Monolog einer zentralen Figur
  •  ein Game, das das Format abschließt. So könnte das Sieger-Team eines Theatersport-Matches als Einwort-Geschichte erzählen, was die Mitglieder nach diesem phänomenalen Sieg als nächstes für Ziele haben.

(Dies ist ein Auszug aus “Improvisationstheater. Band 9. Impro-Shows“)

Zugabe im Improtheater – Ja oder Nein?

Als erstes sollte man sich fragen: Wollen wir überhaupt eine Zugabe? Für manche scheint diese Frage absurd, gehört die Zugabe doch „irgendwie zur Show dazu“. Und tatsächlich kann eine Zugabe wie ein kleines Dessert nach einem Hauptgang wirken. Besonders in einer game-orientierten Kurzform-Show kann ein besonders flottes Game oder ein „Best Of“ die Show abrunden.
Aber stellen wir uns vor, ihr habt eine Langform gespielt, deren Ende überaus gelungen war. Das Publikum ist gerührt, amüsiert, erschüttert. Der Abend ist „rund“. Was kann dann noch kommen?
Am Ende von Comedy-Filmen werden manchmal Ausschnitte von Versprechern, Schnitzern und Malheuren gezeigt. Bei „Das Schweigen der Lämmer“ oder „Schindlers Liste“ würde man das nicht tun.
Aber auch eine comedylastige Impro-Show profitiert nicht immer von einer Zugabe. Man lasse sich nicht vom lange klatschenden Publikum in die Irre führen. Gerade deutsches Publikum neigt zum Klatsch-Exzess. Es ist, als wollten die Zuschauer den schönen Moment auf ewig ausdehnen. Aber sind sie mit Zugabe tatsächlich glücklicher?
Ich denke, man sollte eine Zugabe nur spielen, wenn
– das Format viele kleine Storys und Szenen beinhaltet,
– die Zugabe die Show wirklich abrundet,
– wenn es das Publikum wirklich will.

[Dies ist ein Auszug aus “Improvisationstheater. Band 9. Impro-Shows“]

Schwimmbadmoment

Die U-Bahn rattert
am Viadukt.
Der Eis-Wimpel flattert.
Mein Mundwinkel zuckt.

Ich schwimme zehn Bahnen
und hab schon genug
und muss mich ermahnen
der Zeiten Flug.

Die U-Bahn rattert.
Ich fress es. Ich kau’s.
Der Eis-Wimpel flattert.
Ich fahre nach Haus.

Schulhausmeister

Herr Hausmeister, haben Sie’s gefunden?
Freundlich lässt er die Bockwurst liegen,
ist, wie alle seiner Art, kurz angebunden.
Und ich muss mich seinem Tempo fügen.

Das Fundbüro der Schule – eine Kiste
gleich neben der Erwachsnen-Toilette.
Das Dinosaurier-T-Shirt, das ich auch vermisste.
Und auch, schau an, die grüne Zahlenkette.

Zwei Minuten später wieder im Büro.
Der Hausmeister entspannt und heiter.
Ich sage: „Danke!“ Er sagt: „Ach, i wo!“,
setzt sich hin und isst die Bockwurst weiter.

Betrügerisch

Die Sonne ist heut aufgestiegen
und strahlt, wie um uns aufzuheitern.
Sie will, scheint’s mir, uns arg betrügen,
weil wir am Ende doch nur scheitern.
Ich nehm es hin
mit leichtem Sinn.
Kann sie nur einen Tag uns borgen,
verschieb ich meine Sorg auf morgen.

Ausruhen im Prinzenbad

Das kieksende Jauchzen beim Sprung ins Nass.
Das Kleine-Jungen-Geprahle.
Ein Kreischen beim Springen – nur zum Spaß.
Die Pommes gibt’s aus der Schale.

Wie hab ich vermisst das Life-Zelebrieren
In der dürren Zeit von Coröna.
Ich kann mich beim Lesen jetzt nicht konzentrieren.
Doch ist’s mit Kinderlärm schöner.

Sommermoment

Ein Park in Hamburg, kurz nach Zehn.
Hoffnungsfrohe Geschäftigkeit.
Zur Arbeit oder zum Spielplatz geh’n.
Des Abends Enttäuschung noch weit.

Auf Rollen die Kinderwagenflotte.
Ein Jogger mit Mickymaus-Shirt.
Im Schokoklecks ertrinkt eine Motte.
Ein Rasenmäher die Stille stört.

Übung Tier-Inspiration

Durch den Raum laufen.
Fokussiere auf deinen Atem und deine Schritte.
Bleibe bei dir selbst.
Wähle ein zufälliges Tier.
Fokussiere auf den Atem dieses Tieres.
Auf den Gang.
Wie sieht dieses Tier die Welt? Ist sie voller Feinde oder voller Opfer? (Vermeidet zu diesem Zeitpunkt Interaktion)
Wie fühlt sich der Bauch dieses Tieres an?
Wie der Hintern?
Spiele mit allen Elementen
Das Wichtigste: Nimm das Tier von innen wahr statt von außen. Also bitte beim Elefanten keine Arm-Rüssel, beim Hasen keine Hand-Ohren.

Abigail Shrier: “Irreversible Damage”

Ein adoleszentes Mädchen betritt eine psychotherapeutische Praxis. Sie ist dürr, die Muskeln kaum mehr wahrzunehmen. Sie eröffnet dem Therapeuten, dass sie in Wahrheit viel zu fett sei und sich dem Druck der Gesellschaft, sich „ausgewogen“ ernähren zu müssen, nicht mehr beugen wolle. Der Therapeut hört sich das alles an und antwortet: „Gut. Wenn das so ist, dann lassen Sie sich nichts von anderen einreden. Wahrscheinlich sind Ihre Eltern lediglich Bodyshamer. Ich gebe Ihnen hier ein paar Abführmittel, falls Sie mal welche brauchen.“ Ein solches Szenario wäre ziemlich abwegig, und der Therapeut würde gegen einen wichtigen Standard seiner Profession verstoßen, nämlich dass zwar die Erfahrungen eines Patienten ernst zu nehmen, aber nicht gleichzusetzen sind mit der Diagnose. Denn der Selbstbeschreibung muss die therapeutische Expertise entgegengesetzt werden.

Genau dieser Standard wird aber heute in den USA (und zunehmend auch in Europa) in den Wind geschossen, wenn es um die Selbstdiagnose Gender-Dysphorie geht. Die Wahrscheinlichkeit, dass die pubertätstypischen Depressionen oder Angststörungen nicht als solche behandelt werden, sondern vielmehr als Symptom von Gender-Dysphorie behandelt werden, ist enorm gestiegen. Und das betrifft vor allem Mädchen. Bis zum Jahr 2012 gab es praktisch keine Literatur zu gender-dysphorischen Mädchen. Inzwischen hat sich die Zahl der sich als trans identifizierenden biologischen Mädchen in den USA innerhalb von zehn Jahren mehr als verzehnfacht.

Die Journalistin Abigail Shrier hat sich diesem Phänomen in ihrem Buch „Irreversible Damage“ gewidmet. Der Name des Buches legt es schon nahe: Es geht hier nicht nur um einen Hype, vielmehr geht es um die systematische physische Zerstörung weiblicher Körper durch diesen Hype. Und nein, transfeindlich ist Shrier ganz und gar nicht, auch wenn ihr das vor allem in den sozialen Medien, aber auch in einigen Zeitungen vorgeworfen wird. Dies kann nur behaupten, wer das Buch nicht wirklich gelesen hat. Kritiker, die sie als “Terf” bezeichnen, beziehen sich auch fast nie auf den Inhalt des Buches, sondern zielen bei ihren Angriffen fast immer auf die Person. Nach deren Definition muss transphob sein, wer Aspekte des politischen Trans-Aktivismus kritisiert.

Für die Mehrheit der Adoleszenten ist die Pubertät die Hölle, in der wir alle eine Transition erfahren – den Übergang des kindlichen zum erwachsenen Körper, der kindlichen zur erwachsenen Psyche und den Übergang der sich damit verändernden Erwartungen der sozialen Umwelt. Mädchen erleben diesen Übergang im Durchschnitt deutlich härter als Jungen: Er ist mit enormen Zumutungen verbunden – die einsetzende Periode, die Veränderung des körperlichen Erscheinungsbildes, verbunden mit permanenter Prüfung durch andere und sich selbst. Naheliegenderweise sind Depressionen bei adoleszenten Mädchen auch deutlich häufiger als bei Jungen.

Eine merkwürdige Kombination verschiedener sozialer Faktoren und Akteure haben dazu geführt, dass Mädchen, die mit diesem Übergang hadern, eine Tür geöffnet wurde: Könnte es nicht sein, dass du in Wirklichkeit gar nicht dafür gemacht bist, eine Frau zu werden, sondern dass du im Körper eines Jungen lebst? Oder, wenn das nicht zutrifft, dass du schlicht non-binär bist? Manche Therapeutinnen eröffnen ihre Gespräche mit depressiven Teenagern mit der suggestiven Leit-Frage: „Mit welchem Pronomen soll ich dich anreden?“ Alles Weitere läuft nach dem eingangs beschriebenen Muster der „affirmativen“ Therapie.

Shrier: „Ich glaube, es gibt Fälle, in denen geschlechtsdysphorischen Menschen durch Geschlechtsumwandlungen geholfen wurde. (!) Aber die neue positive Fürsorge (…) geht über Sympathie hinaus und geht direkt zu der Forderung über, dass Psychotherapeuten den Glauben ihrer Patienten übernehmen, diese seien im falschen Körper.“ Sie zitiert eine ehemalige Transperson namens Benji: „Ich möchte diese Leute fragen, unter welchen Umständen ihrer Meinung nach eine Lesbe zu einem Gendertherapeuten gehen und sagen kann: ‚Nein, du bist nicht trans, du bist eine Lesbe.‘ (…) Wie ist es möglich, dass jede einzelne Person, die wegen des Verdachts auf eine bestimmte Krankheit durch die Tür kommt, definitiv diese Krankheit hat?“

Die Initialisierung läuft aber nicht durch die Therapeuten, sondern erstens durch Peers und zweitens durch Youtube- und Instagram-Influencer. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mädchen sich plötzlich als Trans identifiziert, ist deutlich höher, wenn sie in ihrem unmittelbaren Umfeld Peers hat, die sich ebenfalls als Trans identifizieren. In Internetforen und sozialen Medien finden sie die Bestätigung, auf Youtube die Vorbilder und Anleitungen. Die Influencer machen es vor: Jeder Schritt der Transition wird gefeiert. In der Selbstdarstellung finden sich auch Momente des Suchens und Momente der Traurigkeit, aber so gut wie nie Zweifel am Weg. Sobald ein Mädchen glaubt, es könnte trans sein, dann ist das auch der Fall. Es gibt Anleitungen, wie man sich die Brüste abbinden soll. (Dagegen erscheinen die Korsetts des 19. Jahrhunderts geradezu harmlos.)

Pubertätsblocker, die die Hirnentwicklung beeinflussen und Testosteron, dessen gesundheitliche Risiken auf den weiblichen Körper gravierend sind, werden als Allheilmittel angepriesen. Es gibt Anleitungen, wie man seine Eltern und die Ärzte belügt. Damit fällt übrigens auch das Argument der Aktivisten in sich zusammen, sich als trans identifizierende Mädchen habe es immer in hoher Zahl gegeben, sie seien nun einfach „sichtbar“ geworden.
Die Schulen nehmen sich in vielen Bundesstaaten das Recht heraus, die betroffenen Jugendlichen in jedem Fall zu bestätigen und Eltern nicht darüber zu informieren. Lernschwierigkeiten, Depressionen, soziale Ängste – für all das wird zwar nicht in jedem Fall „Trans“ diagnostiziert, aber es ist ein willkommener Shortcut.

Sobald das Wort einmal ausgesprochen ist, gibt es kein Zurück. Die Mädchen, die soeben noch soziale Ängste und womöglich Zurückweisung erlebt haben, werden nun gefeiert und bestätigt. Jeder Schritt wird bejubelt, ist aber nur eine Vorstufe für den nächsten Schritt – die modischen Entscheidungen und der neue Name sind das Eintrittsticket. Es folgen das Brustabbinden, die Hormonbehandlung, Masektomie und Hysterektomie. Wer aber umkehrt wird bedauert oder gar, wenn man sich ganz vom Transsein abwendet („detransition“), kann man rasch als Verräterin gebrandmarkt werden, die das alles nur vorgetäuscht hat. Die Influencer ermutigen nicht nur, die Eltern zu belügen, sie erklären auch jede Person, die nur den leisesten Zweifel äußert, als transphob.

Shrier bemerkt einen antifeministischen und anti-weiblichen Grundton in der Debatte: So werden klassische Heldinnen der Geschichte, der Literatur usw. als „nicht ganz weiblich“, sondern eben trans beschrieben. „In diesem perversen Schema gilt per Definition: Je erstaunlicher eine Frau ist, desto weniger zählt sie als Frau.“ Auf dieselbe Weise werden Mädchen, die sich für Mathe, Logik und Sport interessieren als „gender-nonkonform“ bezeichnet. Sie werden nebenbei ihrer Weiblichkeit beraubt. Die Errungenschaften der Frauenbewegungen werden in den Grundschulen aus dem Fenster geworfen, die Stereotype (Mathe für Jungs, Puppen für Mädchen) reproduziert. In den Highschools schließlich wird nun zementiert, dass, wer nicht in die stereotypen Klischees von Mann und Frau passt, offenbar queer sein muss. Da „Frau“ nicht mehr als biologische Kategorie gilt, wird das Ganze beliebig, und Transaktivisten greifen auf Stereotype zurück, die teils archaisch oder beleidigend sind.

Die Eltern werden in die Entscheidungen der Kinder, der Lehrer, der Psychologen und Psychiater kaum eingebunden. Alles, was sie beizutragen haben, was die Selbstdiagnose des Kindes relativiert (zum Beispiel Berichte über psychische Erkrankungen, fehlende Anzeichen aus dem Kleinkindalter, psychische Probleme der Adoleszenten) wird ignoriert. Stattdessen die Drohung: Wenn Sie nicht mitspielen, sind Sie schuld am Suizid Ihres Kindes. Shrier entlastet aber auch die Eltern nicht völlig. Es gibt eine Tendenz, jede Traurigkeit, jede emotionale Belastung eines Kindes zu pathologisieren und eine Diagnose zu fordern. Mädchen wird auf diese Weise nahegelegt, dass mit ihnen etwas nicht stimmt.

Eine Gruppe, die in dieser Gemengelage ebenfalls verliert, ist die Gruppe der Lesben: Lesbische Vertreterinnen kämpfen gegen die Vorstellung, dass männliche Kleidung oder Haartracht sie zum Mann macht oder ihr Frau-Sein schmälern würde. Im Vergleich zu Trans sind Lesben in Highschools im Tiefstatuts. „Lesbisch“ gilt nunmehr als Porn-Kategorie. Die Trans-Rechte schlagen inzwischen die Rechte der Mädchen. So werden die Proteste junger weiblicher Athletinnen niedergehalten. Selbst Martina Navratilova wurde angegriffen und verlor ihren Sponsor, weil sie sagte, die neuen Regelungen seien unfair gegenüber Frauen. Shrier: „Wenn Martina Navratilova, die vielleicht prominenteste homosexuelle Sportlerin der Welt, als Anti-LGBT-Fanatikerin gebrandmarkt werden konnte, weil sie sich für Mädchen eingesetzt hat, wie könnten unbekannte Sportlerinnen sich gegen diese Dinge auflehnen?“

Schließlich beschreibt Shrier das Umwandlungsbusiness. 2007 gab es eine Gender-Klinik in den USA. Im Jahr 2020 fünfzig. Das zustimmungsfähige Alter liegt in Oregon bei 15. Den meisten Mädchen ist nicht klar, dass die Auswirkungen der Einnahme von Geschlechtshormonen nicht rückgängig zu machen sind. Sie führen unweigerlich in die Unfruchtbarkeit und die Unfähigkeit, jemals einen Orgasmus zu erleben. „Kein plastischer Chirurg könnte seinen Kollegen vorschlagen, jemandes Nase zu substituieren, wenn der dabei die Fähigkeit zu riechen verlöre. Aber die Fähigkeit des Stillens wird ohne medizinische Notwendigkeit über Bord geworfen. (…) Die meisten hormonverschreibenden Ärzte bieten diesen verzweifelten Patientinnen keine Bremsen und keinen Realitätscheck.“

Personen, die schon länger trans sind, beschreiben den Hype ebenfalls als gefährlich. Buck Angel: „Es gibt für Transkids keinen echten psychischen Gesundheitscheck. Sie werden zu 100% von Youtubern beeinflusst.“ Teenager sind per definitionem auf der Suche nach der eigenen Identität. Und jetzt werden Mädchen, die gern Jungsklamotten tragen, ins Transsein gedrängt. Shrier: „Sie alle [Eltern und Mädchen] sollten Feministinnen einer früheren Ära zuhören und aufhören, Sexklischees ernst zu nehmen. Eine junge Frau kann Astronautin oder Krankenschwester sein, ein Mädchen kann mit Lastwagen oder Puppen spielen. Und sie fühlt sich vielleicht zu Männern oder anderen Frauen hingezogen. Nichts davon macht sie weniger zu einem Mädchen oder weniger geeignet für die Weiblichkeit.“

Alfons Zitterbacke 2: Endlich Klassenfahrt

Die Neuverfilmung von „Alfons Zitterbacke“ war offenbar so erfolgreich, dass sich ein Sequel lohnte. Zitterbacke ist inzwischen Teenager, und daher nicht nur ein Pechvogel, sondern in einem Alter, in dem einem ohnehin fast alles peinlich ist. Die Prämissen für eine Komödie sind ideal: Erstens geht es auf Klassenfahrt, zweitens gibt es eine Neue in der Klasse, in die sich Zitterbacke auch sofort verliebt, und drittens hat er seinen Reisekoffer mit dem seiner Mutter verwechselt. Weitere Zutaten: Der nerdige Freund (natürlich mit cartoonhaft runder Brille und Wuschellocken, als ginge er zum Fasching als Einstein), der fiese Bully, der strenge Klassenlehrer.

Aber weder kommt die Story ins Laufen noch können die Gags der Komödie an irgendeiner Stelle überraschen oder kitzeln. Die Klasse fährt zunächst an die Ostsee. Aber rasch stellt sich heraus, dass das nur ein Vorwand war, um Anna Thalbach mal ein bisschen Platt reden zu lassen, was weder die Charaktere noch die nicht-plattdeutschen Zuschauer verstehen. Für eine kurze Einstellung sieht man mal den ohne die Darsteller gefilmten Ostsee-Strand, und da müssen die Kinder auch schon wieder aus einem fadenscheinigen Grund abreisen. Diesmal in eine Villa in den Harz – mit Gojko Mitic als Herbergsvater.
Zwischendurch fällt Zitterbacke mal hin (was jedes Mal schon eine halbe Minute vorher visuell angekündigt wird) oder er setzt sich mit der Schlafanzughose in die Schokolade. Die Filmemacher könnten Zitterbacke nun zeigen, wie er den ganzen Tag versucht, sein Missgeschick zu verbergen. Stattdessen wird sofort plattmöglichst aufgelöst: „Hast du dir eingekackt?“ Die Schauspieler geben ihr Bestes, aber gegen das Drehbuch können sie auch nichts rausholen. Haben die Drehbuchautoren Schlichter und Chambers noch nie eine Romantische Komödie gesehen? Nachdem es ein böses Missverständnis mit seiner Freundin in spe gab, schreibt Zitterbacke eine Entschuldigungs-SMS. Er will sie löschen, schickt sie dann aber aus Versehen doch. Sie verzeiht ihm, und schon ist alles gut. Echt jetzt? Komödie muss die Probleme schlimmer machen, statt sie gleich zu lösen. Zitterbacke leidet immer wieder mal – für fünf Sekunden. Da hat eine GZSZ-Folge wohl mehr komödiantisches Geschick.

Ein Ukulele übender Gerhard Schöne wird unmotiviert drei Sekunden lang eingeblendet, wahrscheinlich weil man mal Gerhard Schöne einblenden wollte oder weil noch 400 Euro im Budget übrig waren.

Übrigens tauchte auch in diesem Film wieder ein böser Immobilienspekulant auf, der die schöne Künstlervilla abreißen und stattdessen ein Hotel bauen will. Er spielt zwar für die Entwicklung der Geschichte keine Rolle, aber offensichtlich braucht ein deutscher Kinderfilm seit 10 Jahren diese Figur, weil es sonst keine Filmförderung gibt. Die einzige Szene, in der er dann auftaucht, besteht darin, dass er auf einem Dixi-Klo sitzt und Zitterbacke im Auto aus Versehen den Rückwärtsgang einlegt. Was wird wohl passieren? Ja, genau das. Lustig, was?

Bernhard Schlink – Die Enkelin

Nach einem Drittel der Lektüre hatte ich das Buch schon einigen Freunden empfohlen. Nicht nur ist die Grundidee großartig, sondern sie ist auch wunderbar umgesetzt. Der ältere Buchhändler findet eines Abends seine Frau tot in der Badewanne. Und beim Studium ihrer Notizen erfährt er, dass sie, bevor sie dank seiner Hilfe in den Westen geflohen war, ein Kind im Osten gelassen hatte. Der verzweifelte und gleichzeitig abgehärtete Ton der Frau ist so wunderbar getroffen, dass er einen Blick auf eine DDR-Story freigibt, die noch nicht erzählt wurde.
Der alte Mann macht sich auf die Suche und landet, soviel weiß man schon aus den Vorankündigungen und dem Klappentext in der ostdeutschen Provinz, wo es von Nazis nur so wimmelt. Ich hätte Schlink die Blut-und-Boden-Deutschen als Setting durchaus abgekauft. Aber das Unheil beginnt, sobald sie den Mund aufmachen. Vor allem Sigrun, die vierzehnjährige, angeblich intelligente Titelheldin, sondert nur Plattitüden ab: “Die Holländer, die Pfeffersäcke, haben uns unsere Kolonien nicht gegönnt. Sie haben uns belogen und betrogen.” Ihr Lieblingsbuch soll “Ein Mädchen erlebt den Führer” sein, und sie bewundert Irma Grese. Soll man das alles wirklich glauben? Eine Vierzehnjährige, die nicht nur einem 40er-Jahre-Nazismus huldigt, sondern diesen gegenüber einem Fremden freimütig offenbart, als wüsste sie nicht wenigstens durch ihre Eltern, dass das tabuisiert ist? Seitenweise kommt sie einem vor wie eine Sechsjährige oder eben: ausgedacht.
Ja, es gibt im Osten (und nicht nur da) die “Volksdeutschen”, aber der Rechtsradikalismus äußert sich heute anders. Anders als in den 90ern, anders als in der 70ern. Und ganz gewiss anders als in den 40ern. Wer in den letzten Jahren ein offenes Ohr hatte, weiß, dass der Ton sich deutlich geändert hat. Es dominieren Verschwörungstheorien. Alte Rituale werden mit neuer Technikskepsis vermischt.


Es scheint, als seien nicht nur die Nazis sondern auch die Technik in Schlinks Welt in den frühen 90ern stehengeblieben. Das Internet kommt so gut wie gar nicht vor. Ebensowenig Smartphones. Dass sich eine Vierzehnjährige, deren Hauptcharakterzug offenbar Neugierde ist, von ihren Eltern dermaßen vorschreiben lässt, in welcher altertümlichen Welt sie zu leben hat, ist schlechthin nicht vorstellbar.
Gegen Ende gelingt Schlink immerhin noch mal eine tröstliche Wende. Vielleicht hätte ich den Mittelteil einfach überspringen sollen.

Entwicklung des Characters aus der Körperlichkeit – Beispiel: Körperteil führt

(Der folgende Text ist ein Auszug aus dem Buch Improvisationstheater. Band 2: Schauspiel-Improvisation)


Konzeptionelle Zugriffe, zum Beispiel auf Sprache, Psychologie und szenische Notwendigkeit eines Prototyps, verlaufen über den präfrontalen Cortex, also denjenigen Bereich des Gehirns, der für rationales Abwägen zuständig ist.
Der Zugriff auf die Körperlichkeit ist für den Spieler der effektivste und der überraschendste Weg, einen Charakter spontan zu entwickeln. Auf unseren Körper und seine sensorischen Signale und emotionalen Kopplungen, die in der Amygdala verarbeitet werden, können wir viel unmittelbarer zugreifen. (Die Amygdala arbeitet um ein Vielfaches schneller als das Großhirn. Ihre Botschaften werden auch schneller ans Großhirn gesendet als umgekehrt. Das heißt für uns: Unserem Körper wird von selber klar, was gerade los ist, und zwar noch bevor das Großhirn eine Beschreibung oder einen Namen dafür gefunden hat.)
Unsere Körperlichkeit kann in einer Szene eine Eigendynamik entfalten, die uns selbst überrascht, die uns in diesen immer wieder gesuchten Prozess des Flows führt, in dem wir einfach das tun, was offensichtlich ist, ohne unser Hirn mit Konzepten zu irgendwelchen Charakteren zu verknoten oder uns von Strukturen gefangen nehmen zu lassen.

Ein Körperteil führt
Hast du schon mal einen dieser hektischen Menschen gesehen, die, sobald sie irgendwo hingehen, mit dem Kopf eigentlich schon da sind? Nicht nur mit den Gedanken, sondern es wirkt, als befinde sich ihre Stirn einen halben Meter vor ihrem Bauch. Weibliche Models hingegen schreiten auf dem Laufsteg mit einem kleinen Stoß des Beckens. Türsteher wiederum scheinen ihre ruhigen Bewegungs-Impulse vom Brustkorb zu bekommen.
Diese Bewegungs-Qualitäten haben einen ungeheuren Effekt, der auch dann noch wirkt, wenn er nur subtil angedeutet wird. Die Bewegungsqualität, die dadurch entsteht, dass sie von einem Körperteil ausgeht, verändert auch die Art, wie man atmet, was leicht einzusehen ist: Ein Bodybuilder atmet anders als ein Model. Das veränderte Atmen hat – wir haben es schon bei der Tier-Inspiration gesehen – einen Einfluss auf die grundlegenden Emotionen und darauf, wie man die Welt wahrnimmt (Diese emotionalen Impulse des Atems sind nun zunächst Impulse an den Spieler, und wir brauchen eine spielerische Haltung, um nicht von ihr weggetragen zu werden.)
Bekannte Beispiele für diese Art von Schauspiel :
•  Sharon Stone in „Basic Instinct“ – Hals
•  Jimmy Stewart in „Vertigo“ – Knie
•  Tom Hanks in „Forrest Gump“ – Brustkorb
Das Auffälligste, ist natürlich zunächst die Körperlichkeit, aber ein Typ wie Forrest Gump wird eben nicht nur durch seine kuriose Körperhaltung seltsam, sondern auch dadurch, wie diese steife Brust-raus-Körperhaltung eben alles andere beeinflusst – seine Sprache, seinen Status und nicht zuletzt vermittelt sie eindringlich die übergroße Anstrengung, die dieser eingeschränkte Mann unternimmt, um unter seinen Mitmenschen respektiert zu werden.

Übung Körperteil führt

Körper lockern.
Raum-Lauf. Fokus auf Atem und das Gehen.
Wähle einen Körperteil, der „führt“.
Nutze den gesamten Raum – alle drei Dimensionen.
Lass dich überraschen, in welche ungewohnten Bewegungen dich dieser Körperteil führt.
Es geht bei dieser Übung noch nicht um Charaktere, sondern um das radikale Ausloten von Bewegungsqualitäten.

Übung Vortrag mit führendem Körperteil

Kleine Lockerung.
Wähle einen Körperteil, der führt, und mime eine kurze Handlung. Achte dabei auf deinen Atem.
Dem Atem folgt die Stimme.
Halte einen physisch lebendigen Vortrag über ein beliebiges Thema.
Der Körper folgt dem Körperteil. Der Atem folgt dem Körper. Stimme und Geisteshaltung folgen dem Atem. Der Inhalt folgt der Geisteshaltung, wenn wir sie verstärken.

Wie können wir das nun auf der Bühne praktisch einsetzen? Zunächst ist es eigentlich immer ein guter Impuls, körperlich zu beginnen. Ganz besonders aber ist das angeraten, wenn man merkt, dass man zu verkopft wird, wenn man anfängt, in Kategorien von Richtig/Falsch oder Gut/Schlecht zu denken.

In einer improvisierten Szene, in der Gina die Bühne mit großen ruhigen Bewegungen ausfüllte, betrat Heike das Bild als kleine, herumfingerndes Mädchen, das die ältere Schwester nervt. Die Szene war komisch, und beide Spielerinnen hatten großen Spaß dabei.
Heike sagte später: „Nachdem ich mich beim Nachdenken über einen möglichen Character ertappt hatte, verließ ich mich auf meinen Körper und ging ins physisch geleitetes Gegenteil. Da mir Ginas Figur Oberarm-gesteuert erschien, folgte ich einfach dem Impuls ,Zeigefinger‘“.

Man sei im Übrigen nicht wählerisch, was den Körperteil angeht. Nimm einfach irgendeinen. Entscheidend ist, dass du mit ihm spielst, dich von ihm überraschen lässt und ihm einen Großteil der Kontrolle der Szene überlässt.

 

Parallele Szenen statt Freeze Tags als Warm Up

Im Laufe der Jahre hat meine Begeisterung für Freeze Tags immer mehr nachgelassen. Meine beiden Hauptgründe habe ich hier bereits mehrfach genannt: 1. Wer “freezt”, also einfriert, beraubt sich der Körperlichkeit. 2. Es ist eigentlich ein Spiel, das den Flow stört und bereits vorhandene Ideen kaputtmacht. Die außenstehenden Spieler neigen dazu, nicht dem Geschehen zu folgen und stattdessen sich selbst etwas auszudenken. Dennoch habe ich es ab und zu als Warm-Up-Spiel in Workshops eingesetzt, einfach um rasch allen Spielern die Chance zu geben, ein paar kleine Szenen gespielt zu haben.
Vor knapp zwei Jahren habe ich nun völlig damit aufgehört. Stattdessen lasse ich die Spieler sich in Paaren an verschiedene Plätze des Raums stellen. Dann bekommen alle von mir dieselbe Vorgabe (meist einen Ort) und haben 45 Sekunden Zeit, die Szene zu spielen. Danach wechseln die Paare und es startet mit einer neuen Vorgabe eine neue Mini-Szene.
Nach einigen Szenen gebe ich zusätzlich zur inhaltlichen Vorgabe einen Fokus-Punkt, etwa “Achtet auf Status.” oder “Findet heraus, um wen es geht.” oder “Spielt die Szene ohne Sprache.”
Auf diese Weise wird die Warm-Up-Zeit deutlich effektiver genutzt und man hat mehr Gelegenheit zum Ausprobieren (und heiter scheitern).

Nach zwei Corona-Jahren

Ein letztes Keuchen quält sich aus der Lunge.
Dann, noch mit Argwohn, bin ich frei,
in neuem Optimismus etwas Zweifelei.
Doch geb ich hin mich meinem neuen Schwunge.

So wie des Frühlings Grüßen ich misstraue,
kann ich Coronas Ende nicht recht glauben.
Lass mich vom Schalk kein zweites Mal berauben.
Wer will schon weiter als zwei Wochen schauen?

Es löst sich noch ein Blatt von unsrer Linde.
Gehalten hat es bis zum Februar.
Die Schwerkraft, ist sie Segen oder Hohn?

Ob ich mich auch im freien Fall befinde?
Mit meinen Plänen schein ich wie ein Narr.
(Und alle Steuerung wie Illusion.)

20.2.22

Fürs Publikum oder für dich

Jerry Seinfeld über das Verhältnis Bühnenkünstler – Publikum:

“Wenn es dir gelingt, 5.000 Menschen zum Lachen zu bringen, dann merkst du, du hast etwas sehr Schönes gemacht. Und es stellt sich für dich heraus, dass du mehr gegeben hast als dass du etwas genommen hättest. Das ist eine gesunde Sichtweise. Und ich glaube, dass das essentiell ist, um in diesem Business lange zu überleben. Wenn du es für sie [die Zuschauer] machst, dann wird es dir gut gehen. Wenn du es für dich selbst machst, könnte es ab einem bestimmten Punkt problematisch werden, denn sie werden das durchschauen.”

ca. ab 3:28 Min.