Liebster Award. Ob sich Volker Strübing und Claudia Hoppe kennen, weiß ich gar nicht.

Irgendwie war dieser Hype an mir vorübergegangen. Und so hielt ich Claudias Einladung zum Liebster Award zunächst für eine Mischung aus Kettenbrief und Schmu. Vielleicht ist es das ja auch, aber dann hat sich dieser Award schon davon emanzipiert und verbreitet auf lustige Art Freude unter den Menschen.
Ich wurde also von Claudia Hoppe „nominiert“, was wohl in diesem Zusammenhang einfach heißt, dass sie meinen Blog mag. Und dafür danke ich dir, liebe Claudia.
Zu den Spielregeln gehört, dass man einen anderen Blogger nominiert. Aus Zeitgründen lese ich nur noch sehr wenige Blogs regelmäßig. Einer ist der Blog Schnipselfriedhof meines Kollegen Volker Strübing, mit dem ich jahrelang bei der Chaussee der Enthusiasten auf der Bühne stand. Volker ist wahrscheinlich der vielseitigste Künstler, die ich persönlich kenne. Er schreibt Kurzgeschichten, komponiert, fotografiert, programmiert, dichtet, singt, macht Animationsfilme, und bloggt. Und in allem erkennt man seine Stimme, seine Handschrift. Ich weiß nicht, ob Volker auch kocht. Aber ich glaube, ich würde sogar an von ihm zubereiteten Spaghetti mit Tomatensauce den Volker durchschmecken.
Volkers Blog gewinnt seine Qualität nicht durch ein inhaltliches Alleinstellungsmerkmal, sondern durch die Vielzahl der Themen, Kindererziehung, Richard Wagner, Makroökonomie, die alle durch Volkers sehr spezielles Hirn wandern. Volker, du musst jetzt Fragen beantworten, die du am Ende dieses Artikels findest. Das ist Teil des Spiels.

Aber hier kommen erst einmal meine Antworten auf Claudia Hoppes Fragen.

1. Warum Improtheater?
Ich denke, Improvisationstheater ist eine Kunstform, deren Komplexität tendenziell unterschätzt wird. Der einzelne Improspieler spielt zu jedem Zeitpunkt auf drei Ebenen – mit den Zuschauern, mit seinen Mitspielern und sich selbst. Die Aufgaben sind kolossal: Es werden schauspielerische, erzählerische und Regie-Fähigkeiten verlangt, möglicherweise auch noch Tanz, Musik, Poesie. Dazu kommen noch die improvisatorischen Fähigkeiten: Zuhören, Akzeptieren, Fortführen, Wiedereinführen usw. Das macht Improvisationstheater zu einer aufregenden künstlerischen und persönlichen Herausforderung. Improtheater lässt einerseits eine ungeheure Breite an Themen zu, andererseits ist man gefordert, den Strom des Unbewussten zuzulassen, sein Bestes zu geben, und gleichzeitig „mittelmäßig zu sein“ (wie Keith Johnstone es formulierte). Das heißt, man ist nicht nur künstlerisch gefordert, sondern auch persönlich. Man kann nicht improvisieren, ohne sich der Herausforderung zu stellen, seine Persönlichkeit zu verändern, was das Improvisieren wieder zu einer spirituellen Erfahrung machen kann, die wiederum Einfluss auf das künstlerische Ergebnis hat. (Wenn das jetzt zirkulär klingt, dann hast du richtig gelesen.)

2. Langform oder Games?
Auf der Bühne dominieren bei mir seit inzwischen zehn Jahren die Langformen, die ich sehr schätze, weil sich hier die große Kraft des Improtheaters entfalten kann, die Kreativität erst richtig strömt und den Storys mehr Raum gegeben wird. Games nutze ich in Workshops und Proben. Gute Games sind erstens lehrreich, sie fokussieren auf eine bestimmte Impro-Tugend. Und zweitens sind sie durch ihre bizarren Restriktionen vergnüglich anzuschauen. Ich halte Games im Improtheater für unverzichtbar. Letztlich wird man auch Langformen nur spielen können, wenn man einen Nerv für Games im weiteren Sinne hat, denn jeder guten Szene liegt ein Game zugrunde, ein Hebelpunkt.

3. Liegt der Fokus für Dich beim Impro mehr auf dem „künstlerischen“ Aspekt oder auf der Persönlichkeitsentwicklung?
Seit langem ist es der künstlerische Aspekt (s.o.). Als geistige Quelle war Improtheater für mich vor allem in den ersten Jahren der Praxis ungeheuer bereichernd. Durch das Buch „Free Play“ von Stephen Nachmanovitch bin ich auf die zugrundeliegenden Prinzipien gestoßen, die auszuführen hier zu weit gehen würde. Seitdem ist Improtheater eine von verschiedenen Übungen, die die Persönlichkeitsentwicklung beeinflussen.

4. Mit wem würdest Du gerne einmal Impro spielen?
Tess Degenstein, deren Auftritt mich vor anderthalb Jahren aus einer kleinen Improkrise herausgeholt hat. TJ & Dave. Jacob Banigan, Beatrix Brunschko, Nadine Antler.

5. Welchen Berufswunsch hattest Du als Kind?
Als ich ein kleines Kind war, redete mir mein Großvater ein, Rot-Kreuz-Fahrer wäre ein Traumberuf. Vielleicht hat das mit dem Zweiten Weltkrieg zu tun, wo dieser Job etwas sicherer war, als sich direkt in den Kampf zu begeben. Ernsthaft wollte ich Lehrer werden, ich hab ständig anderen etwas beigebracht. Auf Umwegen bin ich es ja dann auch zumindest teilweise noch geworden.

6. In welchem Schulfach warst Du richtig gut / schlecht?
Ich war in Mathematik so gut, dass ich es sogar studieren wollte. Deutsch, Musik und Fremdsprachen lagen mir auch, ohne dass damit weitere Ambitionen verknüpft gewesen wären. Komischerweise war ich in Sport ziemlich gut, obwohl ich mich immer für unsportlich hielt, weil ich nicht werfen konnte. Alles, was mit räumlicher Vorstellung zu tun hatte, hat mir Mühe bereitet: Werken, PA, Kunst. Bio und Chemie waren die zwei Fächer, in denen ich büffeln musste. Theater gab es an unserer Schule nicht.

7. Was macht Dir so richtig gute Laune?
Waldspaziergang. Lesen am See. Mit humorvollen Improspielern sich gegenseitig auf der Bühne zu necken. Und natürlich das, was allen Erwachsenen gute Laune macht.

8. Hast Du ein Lieblingslied? Wenn ja, welches?
Ich glaube, das mit den Lieblingssongs hat aufgehört, als ich zwanzig wurde. Der letzte Song, den ich als Lieblingslied bezeichnet habe, war wohl „Buffalo Soldier“ von Bob Marley. Ich will mich aber nicht dem Game verweigern, und so lasse ich mal ein paar Namen fallen, um das Ganze einzukreisen.
Klassik:
Mozart: Credo aus Missa Solemnis KV 337
Verdi: Duett Rigoletto/Gilda
Händel: I know that my redeemer liveth.
Pop:
Eminem: Kill You
Eurythmics: I Saved The World Today
The Beatles: For No-One / In My Life
Sex Pistols: Anarchy In The UK
Ideal: Rote Liebe
AC/DC: Touch Too Much
Jazz:
Charlie Parker: Dexterity
Clifford Brown/Max Roach: Jordu

9. Auf Netflix / im Fernsehen: Filme oder Serien?
Kino wäre schwerer, da ich so gut wie keine Serien gucke. Am meisten beeindruckt haben mich The Wire und The Office (das englische Original). The Wire entfaltet eine ungeheuer reiche und wahrhaftige Geschichte, die keinen wirklichen Protagonisten hat, aber voll von menschlichen Dramen und Tragödien ist. Das englische Office stellt alle  in den Schatten. Man leidet beim Lachen. Im Gegensatz zur amerikanischen Serie wird nichts aufgelöst. In gewisser Weise erinnert das mich an den Karl Valentin.

10. Worauf bist Du besonders stolz?
Darüber mache ich mir eigentlich wenig Gedanken. Es gibt eine Handvoll Dinge, auf die ich im privaten Bereich auf eine Weise froh bin, die dem Gefühl von Stolz sehr nahekommt. Beruflich: Als wir bei der Abschieds-Show der Chaussee der Enthusiasten stehenden Applaus bekamen, wurde mir erstmals so richtig klar, dass wir mit dieser Show in den Jahren 1999 bis 2015 etwas geschaffen haben, das sehr vielen Berlinern und Berlin-Besuchern etwas bedeutet hat. Wir haben Menschen zusammengebracht. Manche Paare haben sich bei uns kennengelernt. Und wir haben unsere vielleicht etwas schräge Perspektive auf das Leben anderen nahegebracht. Manchmal werde ich auf der Straße darauf angesprochen und mit einem Zitat eines der Kollegen konfrontiert. Es war eine Kollaboration, bei der ich froh bin, dabei gewesen zu sein.

11. Wenn eine gute Fee erschiene und Dir einen Wunsch erfüllen würde: Was würdest Du Dir wünschen?
Ich weiß gar nicht, welche Kraft Feen so haben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie den Klimawandel aufhalten können, sonst hätten sie es ja schon getan. Eher etwas, das mit einem Blingeling aus ihrem Zauberstab eine klitzekleine Wirkung hat. Vielleicht sollte sie den kleinen Leberfleck auf meinem linken Zeigefinger entfernen, aber das wäre wohl Missbrauch der Feenkräfte. Soll ich sie um Geld bitten? Zu trivial. Um Weisheit, so wie Salomon? Aber was nützt die Weisheit, wenn man sie sich selber nicht erarbeitet? Ich würde der Fee und mir wahrscheinlich einen guten Tag wünschen.

Hier nun die Fragen für Volker.

1. Wer ist dein liebster lebender und wer dein liebster toter Dichter deutscher Sprache?
2. Was würdest du mit einer (plötzlich geschenkten) Million Euro tun?
3. Welche drei Filme, die man gesehen haben muss, hast du nicht gesehen?
4. Was fasziniert dich am Katholizismus am meisten?
5. Ein peinliches Lied aus deiner Jugend, das du immer noch gerne hörst? (Ich habe ein Fragezeichen gesetzt, obwohl es keine Frage ist. Krass.)
6. Welche deutsche Mundart (außer Thüringisch oder Berlinerisch) hörst du gern?
7. Wann ist ein Science Fiction Roman gut?
8. Welche Fremdsprache (außer Englisch und Niederländisch) würdest du gern perfekt sprechen können?
9. Und was, wenn es eine Milliarde Euro sind?
10. In welchen Situationen bist du wie jener legendäre Sachse „zufrieden, ruhig und glücklich“?
11. Was würdest du dem zwölfjährigen Volker raten?

Herbie Hancock: Wie Miles Davis aus Gift Medizin machte

“Right in the middle of his solo, I played the wrong chord, a chord that (…) sounded like a complete mistake. I did it and I put my hands around my ears. And Miles paused for a second, and then he played some notes that made my chord right, that made it correct, which astounded me. (…) Miles was able to make something that was wrong into something that was right. I couldn’t play for a minute. But what I realize only now is that Miles didn’t hear it as a mistake. He heard it as something that happened, just an event. And so that was part of the reality of what was happening at that moment, and he dealt with it. And since he didn’t hear it as a mistake, he felt it was his responsibility to build something that fit, and he was able to do that. And that taught me a big lesson not only about music but about life. We can look at the world as we would like it to be as individuals. You know, make it easy for me, that idea. You can look for that. But I think the important thing is that we grow. And the only we can grow is a mind that is open enough to be able to accept, to be able to experience situations as they are, and turn them into medicine, turn poison into medicine. Take whatever situation you have and make something constructive happen with it.”

“Mitten während seines Solos spielte ich einen falschen Akkord, einen Akkord, der wie ein totaler Fehler klang. Ich legte meine Hände auf meine Ohren. Miles hielt für einen Moment inne, und dann spielte er ein paar Noten, die meinen Akkord richtig klingen ließen, was mich total erstaunte. Miles war in der Lage, etwas Falsches zu etwas Richtigem zu machen. Ich konnte für eine Minute gar nichts mehr spielen. Aber erst jetzt wird mir klar, dass Miles das gar nicht als Fehler hörte. Er hörte es als etwas, dass gerade geschah, irgendein Ereignis. Es war quasi Teil der Wirklichkeit, die gerade geschah und mit der er umging. Und das lehrte mich eine wichtige Lektion nicht nur über die Musik, sondern übers Leben. Wir können die Welt so betrachten, wie wir sie gerne hätten, wir als Individuen. So nach dem Motto: Hauptsache für mich wird es einfacher. Danach kann man suchen. Aber ich glaube, das Wichtige ist, dass wir wachsen. Und die einzige Möglichkeit zu wachsen besteht darin, dass unser Geist offen genug ist, um die Situationen, so wie sie sind akzeptieren zu können, erleben zu können, und sie in Medizin zu verwandeln. Gift in Medizin zu verwandeln. Egal in welcher Situation du dich befindest, lass daraus etwas Konstruktives entstehen.”

Flüchtigkeit und Ewigkeit – Leonardo

“Die Malerei ist der Musik deswegen überlegen, weil sie nicht sterben muß, sobald sie ins Leben gerufen ist, wie das der Fall der unglücklichen Musik ist … Die Musik, die sich verflüchtigt, sobald sie entstanden ist, steht der Malerei nach, die mit dem Gebrauch des Firnis ewig geworden ist.” (Leonardo da Vinci: Frammenti letterarii e filosofici) Spricht nicht auch hier die Eitelkeit des Künstlers, oder die Todesangst des Individuums? Die Angst vor dem Tod erschafft die Hoffnung, wenigstens noch in den Werken weiterzuleben. Da Vincis Mona Lisa wird aber genauso sterben, wie wir das schon beim Abendmahl sehen. Und wenn auch niemand mehr von den improvisierten Opern aus Leonardos Zeit berichten kann, so war das ästhetische Glück der Musiker und Reizpienten doch genauso echt und vielleicht noch intensiver als das der kleinen Besuchergruppen, die für 15 Minuten ins Refektorium hereingelassen werden.

Mach dich sichtbar… Und dann?

In David Zweigs Buch “Invisibles. The Power Of Anonymous Work In An Age Of Self Promotion” werden diejenigen geehrt, die ihre Arbeit unsichtbar ausüben, oder noch deutlicher gesagt: deren Existenz uns erst dann ins Gedächtnis gerufen wird, wenn sie ihre Arbeit schlecht gemacht haben: Der Klavierstimmer, der Anästhesist, ein Dolmetscher bei der UNO.
Als Schauspieler und Theatermacher gehören wir natürlich nicht zu dieser Sorte. Aber wir können vielleicht von ihnen lernen. Der Unsichtbare beschäftigt sich mit dem Wesentlichen, dem Kern der Dinge, während wir uns allzu leicht in der Selbstdarstellung verlieren können. Nicht nur in Form von Werbung für die eigene Show, Promo für Improtheater als solches und so weiter, sondern auch für unser Verhalten auf der Bühne. Haben wir etwas zu sagen? Nutzen wir Improvisation? Oder geht es nur darum, unsere Fertigkeiten als Improvisierer zu demonstrieren. Oder wie Oliver Burkeman es ausdrückte: “Sicherlich ist das Leben als Unsichtbarer nicht für jeden geeignet. Aber wenn man sich zu sehr auf das Gegenteil konzentriert, nämlich sich sichtbar zu machen, dann könnte es sein, dass man eines Tages feststellt, dass man nur aus Sichtbarkeit besteht und nichts hat, was wert wäre, gesehen zu werden.

Hier geht es zur äußerst lesenswerten Rezension des Buchs von Oliver Burkeman.

Bad Shows

“The only road to good shows is bad ones. Just go start having a bad time, and if you don’t give up, you will get better.” (Louis C.K.) Hat er Recht? Ich bin mir nicht sicher. Als Improvisierer sind wir gegenüber anderen Komödianten und Kleinkünstler dadurch im Vorteil, dass wir mit dem Scheitern heiter umgehen können; dass der positive Umgang mit dem Scheitern uns praktisch in die Improwiege gelegt wird. Trotzdem. Einige Shows sind furchtbar. Vor allem wenn man mit dem Auftreten anfängt. Das merkt man, während man sie spielt. Das merkt man, wenn die ersten beiden Zuschauerreihen mit gähnenden oder flüsternden Zuschauern gefüllt sind, von denen die Hälfte während der Pause geht. Und das merkt man auch, wenn man nach über zehn Jahren Impro-Auftritts-Erfahrung eine Show versemmelt, und alles Analysieren über Storytelling, Szenen-Struktur, Schauspiel und Improtechnik einem nicht weiterhilft. Man muss da durch, kann versuchen zu lernen und weiß, es gibt keine 100%ige Garantie in diesem Geschäft, das vom Risiko des Scheiterns lebt.

Harold Bloom über Shakespeares Figuren

“Es hat mich schon immer fasziniert, dass bei Shakespeare mehr als bei jedem anderen Autor, mehr als bei jedem anderen Auto – anders selbst als bei Dante, Goethe, Cervantes -, die Charaktere sich verwandeln, während sie ihren Gedanken zuhören, und dass sie selber von dieser Verwandlung überrascht werden. Die Figuren erfinden sich ständig neu. Sie sind auf die eine oder andere Weise mit sich unzufrieden, daher ihr Wille zur Veränderung. Auf diese Weise entsteht ein Macbeth, ein Egmont (Was macht der in dieser Liste – DR), ein King Lear. Man könnte sagen, sie haben die Autorenschaft übernommen, Shakespeare musste nur noch mitschreiben.”
“Es gibt diese Ansicht, dass Shakespeare (…) humanistische Werte vertrat. Aber es ist kein Zufall, dass alle großen Figuren – Falstaff, Hamlet, Shylock, Macbeth, King Lear, Edgar in King Lear, Kleopatra – Nihilisten waren.”
“Es gibt im Faust keine Personen. Faust ist keine Person, Mephisto nicht, Gretchen nicht. Der Unterschied zwischen Goethe und Shakespeare ist derselbe wie zwischen Shakespeare und Christopher Marlowe oder Ben Jonson, beides brillante Autoren, aber sie geben uns keine Menschen, sondern nur Karikaturen. (…) Moliére kommt Shakespeare am nächsten – hat etwas zwölf Personen. Shakespeare hat mehr als hundert bedeutende Figuren geschaffen und etwa tausend Nebenfiguren, und jede von ihnen spricht individuell, handelt individuell, klingt anders, ist anders als all die anderen.”
(Alle Zitate Harold Blum im Interview mit Susanne Meyer in DIE ZEIT)

(Harold Blum wurde bekannt durch sein Buch “Shakespeare: Invention of the Human”)

Sieben Jahre Brain Pickings

Sieben Jahre Brainpickings Blog. Woher diese junge Frau die Zeit und die Kraft nimmt, soviel zu lesen und zu schreiben, und das neben einem Vollzeit-Job, ist mir unklar. Ihre sieben wichtigsten Lehre aus diesen sieben Jahren:

  1. Erlaube dir den Luxus, deine Meinung zu ändern.
  2. Tue nichts nur um des Geldes, des Status oder der Anerkennung willen.
  3. Sei großzügig.
  4. Schaffe dir Zonen der Ruhe.
  5. Wenn dir Leute sagen, wer du bist, glaube ihnen nicht.
  6. Präsenz ist eine komplizierter und lohnender als Effizienz.
  7. Alles Lohnende braucht seine Zeit.

Geld und Kunst

Elizabeth Hydes Stevens zum Verhältnis von Geld und Kunst:
“Der Tanz braucht sowohl Geld als auch Kunst, aber nicht zur gleichen Zeit. Auf der ersten Ebene ist das Wichtigste, dass sich der Künstler eine Sphäre für seine Begabung sichert, in der die Kunst geschaffen werden kann. Aus dieser Sphäre muss Geld ferngehalten werden. Aber auf den nächsten zwei Ebenen können sie tanzen. Ich sehe es so, dass [Lewis] Hydes Tanzschritte ungefähr so gehen:
1. Mach Kunst.
2. Lasse die Kunst Geld machen.
3. Lasse Geld Kunst machen.”

Ausführlicher dazu in Maria Popovas Blog

“Durchgedreht”

Der ca. sechste Versuch, Improtheater ins Fernsehen zu bringen, ist wieder einmal völlig misslungen. Dafür können wir fünf Gründe nennen:

  1. Jörg Tadeusz als Moderator ist eine intellektuelle und geschmackliche Zumutung. In keinem Augenblick interessiert er sich für das, was er macht, worüber er spricht oder mit wem er spricht. Das gilt für “Die Profis” auf Radio Eins, seine Talkshow, den von ihm moderierten Poetry Slam, und es wäre ein Wunder, wenn er sich nur ein bisschen mehr als absolut notwendig mit Improtheater beschäftigt hätte. Das Schlimmste aber: Tadeusz hat keinen Humor. Lasst ihn meinetwegen Schlager-Wunschsendungen moderieren.
  2. Die Sendung wird in Köln produziert. Das ist schon fast eine Garantie für billigsten Ich-setze-mir-eine-Perücke-auf-und-dann-lacht-das-Publikum-schon-Humor.
  3. “Durchgedreht” versucht, Improtheater einen politischen Dreh zu geben. Das ist an sich löblich, da gerade diese Kombi hierzulande fehlt. Nun könnte man die Möglichkeit des Improtheater nutzen, wirklich tagesaktuell auf die Themen einzugehen und der Sache wirklich Biss zu geben. Stattdessen Genre-Replay-Softporno zwischen Obama und Merkel. Bruhaha.
  4. Die Schauspieler. Man setzt auf Parodisten und den allgegenwärtigen Hoecker. Was es bräuchte: Intelligente, humorvolle, schlagfertige Schauspieler.
  5. Und überhaupt!

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Chris Bliss: Comedy is translation

  • Gute Comedy gründet sich auf die Wirklichkeit und gibt uns eine neue Perspektive.
  • Bestes Beispiel für wirklichkeitsbasierte Comedy ist Tina Feys Parodie von Sarah Palin, bei der sie nichts tat, als deren Sätze zu wiederholen.
  • Zuschauer der Daily Show von John Stewart sind besser informiert als Zuschauer aller Nachrichtenkanäle.
  • Comedy, die funktioniert, ist im Grunde ein verbaler Trick, der uns auf die eine Seite lenkt und uns woanders herauskommen lässt.
  • Der physische Effekt sind Lachen und Ausschüttung von Endorphinen, das wiederum unsere Verteidigungsmauern einreißt (im Gegensatz zu Adrenalin, das bei Angst, Wut, Panik ausgeschüttet wird). Dadurch wiederum sind wir offen für neue Sichtweisen auf die Wirklichkeit.

Happiness in improv

What are we doing in improv shows?
“Are we making happy people happier?” (Randy Dixon)
R.D. spricht hier an, dass wir meist die immerselbe Form des Lachen bedienen. Allerdings spricht meines Erachtens auch nichts dafür, irgendwelche Zuschauer unglücklich zu machen. Vielleicht ist “happiness” das falsche Wort.
Auch am Schrecken kann man ästhetisches Vergnügen empfinden, oder an der neu erscheinenden Wahrheit usw. usf.
All das könnte Improtheater erreichen. Aber zu 90% erleben wir das Lachen über flinke Gags oder bestenfalls über Spontaneität per se.

Mangel an Visionen schafft Mittelmäßigkeit

“Was Improvisation so mittelmäßig bleiben lässt, ist der Mangel an Visionen in vielen Gruppen. Ich verbringe viel Zeit damit, Improvisierer zu fragen, warum sie das tun. Es ist erstaunlich, wie wenige sich jenseits der Möglichkeit aufzutreten, über Improvisation Gedanken machen. Ich denke, jeder muss von sich selbst einVerständnis als Performer entwickeln, bevor er sein Handwerk über ein bestimmtes technisches Niveau verbessern kann.” (Randy Dixon)
“What keeps improvisation mediocre is a lack of vision from many groups. […] I think everyone really needs to understand themselves as performers before they can improve their craftsmanshiop beyond a certain technical level.”

Inhaltliches Engagement

Wenn wir nur mit Technik prahlen, sei es Impro-Technik, Gesang oder was auch immer, so reduzieren wir Improtheater auf ein äußeres Spektakel.
Wir müssen natürlich als Spieler transparent sein, und Improvisationstheater an sich ist natürlich eine durchaus komische Angelegneheit, aber wenn wir eine gewisse Tiefe wollen, dürfen wir uns der inhaltlichen Tiefe nicht verweigern.
Denn wir sind nicht nur Schauspieler und Regisseure, sondern auch Autoren unseres improvisierten Stücks.

Hans Magnus Enzensberger im Interview

Hans Magnus Enzensberger (auf die Frage nach seinem Mittel gegen Selbstzufriedenheit): “Nackenschläge. Eine katastrophale Theaterpremiere, ein schlecht geplantes Filmprojekt. Wenn etwas schiefgeht, das ist doch spannend. Ich schätze meine Niederlagen hoch.”
Hans Magnus Enzensberger: “Entweder ich mache etwas umsonst oder ich werde anständig bezahlt. Die schlechten Bezahlungen, die finde ich unpassend.”
Hans Magnus Enzensberger: “Wenn ein Gedicht etwas taugt, dann ist es besser als alles, was darüber gesagt wird.”

Improvisation anwenden um die Welt zu verändern

Vom 23. — 26. September findet unter diesem Titel in Amsterdam die Internationale Konferenz des weltweiten “Applied Improvisation Network” (Netzwerk angewandte Improvisation — siehe unten) statt. Es warten vielfältige kreative und stärkende Impulse!
Es gibt drei “Hauptspuren”, entlang derer die Konferenz laufen wird:
# Die Geschäftswelt: Innovation, Veränderungen in Unternehmen, eigene Geschäftsfelder definieren und ausbauen
# Die soziale Welt: Sozialer Wandel, der Aufbau von Gemeinschaften und Weiterentwicklung von Settings
# Die persönliche Welt: Auseinandersetzung mit unserer eigenen Entwicklung, Einzelcoaching, Methoden die ein besseres und erfüllendes Leben mit LebenspartnerInnen und FreundInnen fördern
Gesucht werden nun Menschen, die in ihren Berufsfeldern oder als KünstlerInnen Improvisationstechniken umsetzen z. B. auch Playback-Theater, Soziodrama, Statuen- und Forumtheater, Methoden von Keith Johnstone oder Viola Spolin usw. Unter http://www.surveymonkey.com/s/QCMKYYJ! können noch bis 6. Mai (Bitte auf Englisch) Vorschläge für 2-Stunden-Workshops eingebracht werden.
“Applied Improvisation Network – AIN” Mitglieder des 2002 gegründeten AIN kommen aus den verschiedensten Ländern der Erde. Es sind Menschen aus verschiedenen Berufen, die Improvisationstechniken in vielfältigen Feldern anwenden: in der Beratung und Begleitung von Unternehmen und Institutionen verschiedenster Branchen sowie von Städten und Gemeinden, in der Erwachsenenbildung sowie im Gesundheits- und Sozialbereich. Dabei geht es um zentrale Themenfelder wie gelungene Kommunikation, emotionale und soziale Kompetenz, Improvisation als Motor für Innovation und Qualitätssteigerung, Umgang mit Konflikten, Supervision und Coaching sowie um neue Zugänge für die Planung und Umsetzung von Projekten oder Arbeitsabläufen. http://appliedimprov.ning.com

Politik der Achtsamkeit

“[Ein Planungsstaat] ist weder demokratietheoretisch wünschenswert noch zukunftsfähig, da Planer sich notwendigerweise am Gegebenen orientieren. Und das ist in einer Phase fatal, in der nicht nur gesellschaftliche Teilbereiche wie die Wirtschaft, das Gesundheits- oder das Bildungssystem in der Krise sind, sondern das Bezugssystem dieser Krisen, die atlantisch-kapitalistische Kultur der Ressourcenübernutzung, selbst an eine Funktionsgrenze geraten ist. (…)
[Man kann lernen von] Institutionen, bei denen das Eintreten unerwarteter Ereignisse nicht einfach nur unangenehme, sondern katastrophale Folgen haben kann. Beispiele dafür sind Atomkraftwerke, Flugzeugträger, Feuerwehren, Krisenteams, die bei Geiselnahmen eingesetzt werden, Katastrophenschützer et cetera. Die Arbeit in solchen Organisationen zielt vor allem darauf ab, dass bestimmte Ereignisse nicht eintreten – weshalb eine ganze Reihe von Eigenschaften, die in anderen Organisationen als wertvoll gelten, hier problematisch sind: Jede Form von Routine etwa ist ein Problem, weil sie die Sensibilität in Bezug auf sich abzeichnende oder ankündigende Probleme unterminiert. (…)
“Erfahrung an sich”, schreiben Weick und Sutcliffe, “ist noch kein Grund für Sachkenntnis”, sie kann im Gegenteil zur Falle werden. Nämlich dann, wenn etwas so aussieht wie ein Ereignis, das man kennt, in Wahrheit aber etwas ganz anderes ist – die beiden größten Störfälle in Atomkraftwerken, die Beinahe-Kernschmelze in Harrisburg und der GAU in Tschernobyl sind entstanden, weil die Mannschaften den Fehler falsch interpretierten. (…)
Für den Umgang mit Unerwartetem kommt es vor allem darauf an, Sensorien dafür zu entwickeln, dass sich etwas ankündigt oder abzeichnet, das die routinemäßige Behandlung sofort überfordern würde – das heißt, es geht darum, misstrauisch gegenüber der Erfahrung zu sein und die Phänomene immer aufs Neue in Augenschein zu nehmen. Und es geht auch darum, auf Unerwartetes nicht mit Rückgriff auf “bewährte” Rezepte zu reagieren, sondern so schnell wie möglich die unterschiedlichsten Kompetenzen zu versammeln, die zu einer zutreffenden Problembeschreibung und -analyse beitragen können. (…)
Wenn Politiker und Planer keine Ahnung haben, mit welcher Art von Krise sie es zu tun haben, dann wissen sie logischerweise auch nicht, wie sie zu managen ist. Wäre es nicht produktiver, das zu sagen, als mit dem Verfahren von Versuch und Irrtum (Lehman pleitegehen lassen, Hypo Real Estate retten) scheinbar zu steuern und schließlich bei absurd kontraproduktiven, weil veränderungsfeindlichen Lösungen zu landen wie der Abwrackprämie oder der Auflistung von Steueroasen. (…)
Achtsamkeit ist in diesem Sinn ein Instrument zur Sicherstellung der Reversibilität von Entscheidungen, um verhängnisvolle Entwicklungspfade und Eskalationswirkungen systematisch zu vermeiden. Eine Gesellschaft, die sich für ihre Fehler und Fehlentwicklungen interessiert und weiß, dass ihre Entwicklung dynamisch und nicht vollständig planbar ist, die Erfahrung für hinderlich hält bei dem Versuch, das Unerwartete zu erkennen, ist eine in Echtzeit lernende Gesellschaft, und genau die brauchen wir, weil das, was wir zu bewältigen haben, das Unerwartete ist, das wir noch gar nicht im ganzen Umfang erkannt und beschrieben haben. Eine solche Gesellschaft ist jedem Planungsstaat prinzipiell überlegen, weil sie im Gegensatz zu diesem auf Veränderungsanforderungen flexibel und schnell reagieren kann.”

Gegenwart und Hedonismus

Unsere Persönlichkeit ist also geprägt von unserem Verhältnis zu Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Unser Handeln wird davon beeinflusst, auf welche dieser Zeiten wir fokussieren und in welcher Weise.
Vergangenheit – positiv oder negativ
Gegenwart – hedonistisch oder fatalistisch
Zukunft – lebenszielorientiert oder transzendentalistisch (auf ein Leben nach dem Tod)
Der ideale Persönlichkeitstyp, der gelernt hat, den zeitlichen Fokus flexibel zu halten und die anderen Aspekte zunächst zurückzustellen, ist also folgendermaßen strukturiert:
Vergangenheit positiv – hoch. (Verwurzelt uns)
Gegenwartshedonismus – gemäßigt (Verleiht uns Energie.)
Zukunft – leicht erhöht (verleiht uns Flügel)
Vergangenheit negativ – niedrig
Gegenwartsfatalismus – niedrig

In der Regel werden wir durch eine Perspektive dominiert. Improvisation trainiert den Gegenwarts-Muskel.
Aber können wir ihn auch übertrainiern, so dass wir zu süchtigen Hedonismus-Idioten werden?

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Inseln des Könnens

Wie gehen wir mit Szenen, Spielen, Fähigkeiten um, die uns nicht liegen, die wir scheinbar nicht beherrschen? Man suche sich Inseln des Könnens. Angenommen ich glaube, nicht singen zu können, so kann ich wenigstens den Takt klatschen. Angenommen, ich kann kein sinnvolles Gedicht improvisieren, so kann ich wenigstens lautmalerisch Reimen. Das Spiel mit Form ist uns gegeben. Wir können uns von diesen kleinen Inseln des Könnens aus bewegen, Brücken bauen in andere Gebiete der Kreativität. Es kommt darauf an, mit der improvisierend-spielerischen Haltung ans Werk zu gehen, mit dem zu spielen, was uns gefällt, was uns seltsam erscheint, und sogar mit dem, was wir völlig bekloppt finden. Indem wir es nämlich in die Hand nehmen und es formen, wird es zu unserem Werk.

Hauptsache absahnen

Helge Schneider im Interview mit der Berliner Zeitung:
Helge: “Und dann musste es irgendwann so einen Scheiß geben wie Paris Hilton, die plötzlich auch noch singt. Im Grunde genommen ist es heute so: Mit wenig Material viel Geld zu verdienen. Also mit wenig Tun. Und diese Frau – Beispiel Paris Hilton – ist Repräsentantin dieser Politik und damit auch der Finanzkrise, die dadurch entstanden ist. Damit ist es mal ganz deutlich beim Namen genannt.”
Berliner: “Nichts tun, nichts können, nur absahnen: Paris Hilton als personifizierte Finanzkrise?”
Helge: “Richtig. Faulheit siegt!”

Kunst und Verbrechen

Im Forum Demmler-Mädchen – Forum über sexuellen Missbrauch von Kindern, Jugendlichen, aber auch Erwachsenen :

“Immerhin gab es zwei, drei Lieder von Demmler, die auch mich berührt haben, und so wird es wohl den meisten gegangen sein. Das Entsetzen aller, einschließlich der Betroffenen, rührt wohl aus diesem Widerspruch: Die direkt ins Herz gehenden Lieder einerseits und dem unglaublich amoralischen Verhalten andererseits.Am liebsten will man sich abwenden oder entweder das Eine (die große Kunst) oder das Andere (das Verbrechen) leugnen. Es geht über unsere Vorstellungskraft, uns den großen Künstler als großen Verbrecher vorzustellen. Oder den großen Verbrecher als großen Künstler.”

Skepsis

Richard Dawkins: “Nach meiner Überzeugung ist vertrauensselige Gutgläubigkeit bei Kindern etwas Normales und Gesundes, aber bei Erwachsenen kann sie zu einer ungesunden, sträflichen Einfalt werden.”
Dawkins spricht hier über die Gutgläubigkeit Erwachsener angesichts von Scharlatanen, Astrologen, PSI-Medien usw., die sich dm Schauder des Moments überlassen und dies für Evidenz halten.
Widerspricht diese Beobachtung nicht dem, was wir bei vielen Impro-Anfängern erleben – den Hang zum Nein-Sagen, zur Skepsis, zum Zu-viel-Überlegen?
Ich denke, es ist eher eine Frage von Zeit und Ort – wo lasse ich mich auf Intuition und Jasagen ein? Wann halte ich inne, überlege, berechne?