Der Erzähler am Beginn einer Langform entlastet die Spieler vom Plattform-Bauen, aber eben nicht vollständig. Man achte darauf, was gesagt wurde und ergänze die restlichen Elemente.
Angebote und Reaktionen – Plattformen und Kippen
„An absurd offer is really only as absurd as the reaction it generates. (…) If your partner refuses to be affected, then this is still platform.“ (Salinsky/White – The Improv Handbook)
Das trifft nicht nur auf absurde Angebote zu. Je größer die Reaktion auf das Angebot, desto stärker schwankt die Plattform. Je gleichmütiger die Reaktion, desto „normaler“ ist die etablierte Welt.
Der Film „Leningrad – Die Blockade“ beginnt damit, dass schlecht ausgerüstete Leningrader Zivilisten an die Front gefahren werden und als Kanonenfutter verheizt werden, da selbst taktische Rückzüge verboten sind. Für alle Beteiligten scheint das Normalität zu sein, nur ein Leutnant protestiert schwach. Das für den Zuschauer Haarsträubende ist die Normalität des Films. Für den Zuschauer ist kurioserweise gerade die NKWD-Frau Nina, die die wahnsinnigen Befehle weitergibt und per Waffe durchsetzt, der positive Ausgangspunkt und die Protagonistin der Story.
Ricky Gervais on Comedy
„The least funny thing is someone desperately trying to be funny. Is there anything less funny than a clown?“(12:50)
„Comedy is about empathy. (…) It’s about relationship, and it’s about being precarious. And I think you’ve got to like someone to laugh at them. And Laurel and Hardy nailed that.“(12:00)
„I don’t try to please critics. I don’t even try to please broad audiences. I do things for me and likeminded people.“
Status und Storytelling
Eine der wichtigsten Impro-Techniken besteht darin, sich verändern zu lassen. Wir wollen sehen, wie ein hartherziger Vater, der im Hochstatus agiert, sich erweichen lässt (Ebenezer Scrooge in „Eine Weihnachtsgeschichte“, Don Corleone in „Der Pate“). Wir wollen sehen, wie der verschüchterte Jugendlichene zum Helden wird (Harry Potter, Jim Hawkins in „Die Schatzinsel“, Clarice Starling in „Das Schweigen der Lämmer“ sowie praktisch sämtliche deutschen und russischen Märchen, in denen drei Brüder auftauchen, von denen der jüngste der belächelte Hans bzw. Wanja ist).
Wenn wir in der Lage sind, Status dynamisch zu verstehen und anzuwenden, hilft uns diese Technik, Storys in Gang zu setzen. Fein eingesetzter Status macht eine Szene ohnhin zum Hingucker. Wenn wir beobachten, wie sich das Status-Verhältnis verändert (das muss nicht einmal der soziale, sondern lediglich der theatrale Status sein), wird die Szene interessant. Wenn es uns gelingt, den Wandel von Status über mehrere Szenen zu zeigen – in Statuskämpfen, Statuskippen, wechselndem Status in unterschiedlichen Situationen – bringen wir die Story zum Laufen. Natürlich ist Storytelling in der Regel eine komplexere Angelegenheit, aber dynamischer Status macht die Story sichtbar und spürbar.
Fürs Storytelling können wir uns folgende Status-Faustregeln zunutze machen:
1. Der positive Tiefstatus ist fast immer der Held
Wenn man zwei positive Typen aufeinander prallen lässt, einer ist Hochstatus, der andere Tiefstatus, schlägt das Herz des Publikums fast immer für den Tiefstatus-Character. Vielleicht weil wir sehen wollen, wie jemand wächst, wie ein Held sich aus der Unterwerfung erhebt, wie ein Kind erwachsen wird, wie jemand sich aus den sozialen Fesseln der Familie, der sozialen Zwänge usw. befreit und sein Leben selbst in die Hand nimmt. In der klassischen Heldenreise ist der Held fast immer zunächst ein Held wider Willen. Er muss die Enge, die Bequemlichkeit, das Kindsein hinter sich lassen. Bekannte Typen aus der modernen Film- und Literaturgeschichte wären hier Luke Skywalker, Harry Potter, Frodo, Michael Corleone.
Man kann das in einfachen Impro-Szenen ausprobieren: Stellt zwei positive, hinreichend komplexe Charaktere auf die Bühne, einen Hoch- und einen Tiefstatus, und lasst die beiden ein bis zwei Minuten spielen. In 90 Prozent aller Fälle wird sich das Publikum für das Schicksal des Tiefstatus interessieren.
2. Ein negativer Hochstatus kann sich zur positiven Figur wandeln
Die Wandlung eines negativen Hochstatus zur positiven Figur ist eine der interessantesten aber gleichzeitig auch schwierigsten Varianten des Storytelling. Einen Menschen, der gewohnt ist zu kommandieren und zu dominieren, dabei zu beobachten, wie sein Herz weich wird, wie er Sanftheit und Großmut zulässt, ist im Grunde immer fürs Publikum befriedigend zu sehen. Das Problem ist nur: Der Character darf nicht derart verdorben und widerwärtig sein, dass wir ihm nicht zusehen wollen. Das gute Herz sollte schon irgendwo ein bisschen durchscheinen. Vielleicht spürt man als Zuschauer, dass der Character durch die Umstände zu dem wurde, was er ist. Einen Storytelling-Trick erwähnt hier Peter Blake durch den Titel seiner Drehbuch-Fibel „Save The Cat“: Der zu Beginn eher unsympathische Held sollte zumindest eine winzige gute Tat vollbringen wie zum Beispiel eine Katze zu retten (oder wie in „Der Pate“ eine Katze zu streicheln), so dass wir wenigstens einen kleinen Anknüpfungspunkt haben.
Beispiele gefällig? In „Rain Man“ ist der Held der Story eigentlich nicht der von Dustin Hoffman gespielte Autist, sondern der von Tom Cruise gespielte Unsympath, dessen Weg der Wandlung von einem harten, gierigen Menschen zu einem warmherzigen, liebenden Bruder wir in über zwei Stunden Film beobachten.
Im weltweit bekannten Kinderbuch „Heidi“ ist Heidi natürlich die Hauptfigur, aber sie ist nicht Heldin im eigentlichen Sinne. Vielmehr ist sie eine Art Engel-Figur, die die sie umgebenden Menschen verändert, vor allem natürlich den strengen Alm-Öhi, der schon allein durch Heidis Anwesenheit sanfter wird, und am Ende wieder in die menschliche Gemeinschaft zurückfindet.
Oskar Schindler in „Schindlers Liste“ ist zunächst ein skrupelloser Kapitalist, der die Situation der entrechteten, ghettoisierten Juden für seine Zwecke ausnutzt. Im Laufe der Ereignisse werden nicht nur seine Taten menschlich, sondern auch sein Über-Hochstatus relativiert sich.
Man kann folgendes ausprobieren: Ein Hochstatus wird in einer Handvoll kurzer Szenen gezeigt, in denen er dominant agiert. Aber zwischendurch sehen wir ihn bei einer sympathischen Tätigkeit – einem Hobby, einer spontanen menschlichen Geste usw. Gelingt es uns, diesen Hochstatus so zu improvisieren, dass die Zuschauer ein Interesse daran haben, wie seine Story weitergeht?
3. Der negative Tiefstatus bleibt ein Schurke
Den negativen Tiefstatus verbinden wir mit Verhaltensweisen wie Nörgeln, Lügen, Intrigieren. Wir können hier natürlich mit komischen Figuren spielen, wie z.B. dem jammernden Schwester oder der nörgelnden Ehefrau . In seiner klarsten Form aber bleibt der negative Status vor allem Lügnern und Intriganten vorbehalten. Meine Lieblingsfigur in dieser Kombination aus Tiefstatus und Negativität habe ich schon oben in der Matrix erwähnt: Jago in Shakespeares Tragödie „Othello“ ist ein Zum-Munde-Redner. Er versucht nie, jemanden direkt zu etwas zu zwingen oder gar mit Einschüchterung etwas zu erreichen. Die Manipulation ist hintergründig und eben darum so diabolisch. Im deutschen Theater könnte man Mephistopheles aus „Faust“ so einordnen, dessen Status in fast allen Szenen Tiefstatus ist, allerdings mit markanten Ausnahmen (Auerbachs Keller). Unter den großen Hollywood-Charakteren wäre zum Beispiel der Kriminelle Kint (in „Die üblichen Verdächtigen“), gespielt von Kevin Spacey, ein schöner negativer Tiefstatus, obwohl man auch argumentieren könnte, dass er theatral durchaus positiv spielt und seine Diabolik nur in einigen Momenten aufscheint. Als vielleicht stärkste negative Tiefstatus-Figur wäre Gollum aus der Trilogie „Herr der Ringe“ zu nennen. Das angstvolle Zucken, welches das sich ständig bedroht Fühlen zeigt, die gekrümmte Haltung, der jammernde bis gehässige Tonfall. Wer negativen Tiefstatus lernen will, ist hier an der richtigen Adresse.
4. Positiver Hochstatus
Eine Figur, die als positiver Hochstatus eingeführt wird, ist oft eine Nebenfigur. Denken wir an Mentoren, zum Beispiel die stets lächelnden chinesischen Kampfsport-Meister, durch deren Schule die Helden in Kampfsport-Filmen gehen. Großeltern werden oft als positiver Hochstatus gezeigt, desgleichen in sich ruhende Mütter. Diese Figuren werden sich oft nicht verändern. Sie begleiten die Hauptfiguren nur für eine gewisse Zeit, geben ihnen einen Rat, bewahren sie vor Übel, halten sie zurück usw. Die eigentliche Wandlung geht im Helden selber vor.
Es ist aber auch möglich, dass der positive Hochstatus sich verändert. In einer Tragödie wird er meist zum negativen Hochstatus, seltener zum Tiefstatus. Ich sehe zum Beispiel Shakespeares Macbeth als einen solchen Typen. Er beginnt als strahlender Hochstatus-Held. Sein Status sinkt paradoxerweise in dem Moment, als er allmählich zum Opfer seiner Machtgier wird: Er wird unruhiger, zittriger, sprunghafter. Am Ende bleibt von ihm nur ein mordendes Wrack – pendelnd zwischen Tiefstatus und behauptetem Hochstatus, sich immer weiter in die Düsternis der menschlichen Seele verstrickend.
Status und Definieren
Häufig kann man sehen, dass Hochstatus-Charaktere eher den Inhalt einer Szene definieren als Tiefstatus-Charaktere.
Das Phänomen ist durchaus psychologisch nachvollziehbar. Im Tiefstatus verschließen wir uns körperlich und somit auch tendenziell geistig. Die offene körperliche Haltung des Hochstatus lässt die Gedanken eher fließen.
Dieses Problems sollte man sich auf jeden Fall bewusst sein, wenn man in einen Tiefstatus-Character geht. Springe über deine inneren Barrieren und beteilige dich am Aufbau der Szene!