Doof spielen versus Doofe spielen
Ich lehre, möglichst keine Doofen zu spielen, Leute, die keine moralischen Entscheidungen treffen bzw. starke Angebote machen können: kleine Kinder, Betrunkene, geistig Behinderte usw.
Charna Halpern formulier es noch genauer:
„Spiel mit deiner Intelligenz. Das ist wichtig, wenn du Respekt erwartest und überhaupt Erfolg haben möchtest, egal in welcher Kunstform. Deine Figur kann ein Rassist sein, ein Sklave, ein Kiffer, sogar ein geistig Behinderter – aber du solltest dafür sorgen, dass es motivierte Figuren sind, die starke Entscheidungen treffen. Als Performer musst du deine Würde auf der Bühne bewahren. Wenn du deinen Status ohne jeden Grund verringerst, nur um jemanden zu beleidigen, dann beleidigst du sowohl deinen Mitspieler als auch das Publikum.“
Intelligenz ist unterhaltsam ohne Zuckerguss
Tina Fey: „Del taught me not to be cute or purposely humorous in anything you were doing. If you were really exploring a suggetion at the top of your intelligence, it would be compelling, and there would be no need to be entertaining. Anything sugary in that way would be wiped out when you studied with Del.“
Bewegende Schauspiel-Impro
Rich Talarico: „Wir spielten in einer großartige Szene eine italienische Akrobatenfamilie. Als wir alle so taten, als stünden wir hoch oben auf dem Seil, hörte ich das Publikum nach Luft schnappen, als wir beinahe herunterfielen. Dieser Moment war überaus kraftvoll für mich, weil ein ganzer Zuschauerraum uns unser Spiel abnahm.“
Del Close Storys
- Del Close lebte lange Zeit in einer verdreckten Wohnung mit Kakerlaken. Auf einer Party zu Ehren von Tennessee Williams gab er einer weißbehandschuhten Frau die Hand und eine Kakerlake schlüpfte aus seinem Ärmel. Die Frau lief schreiend davon. Tennessee Williams darauf: „Boy, I like your style.“
- Als er mit Charna Halpern zusammenkam, überzeugte sie ihn, sich ein Bankkonto zuzulegen, und das trotz seiner wahnsinnigen Angst, in einen See zu fallen, so dass sein Sparbuch durchnässen könnte und er all seine Ersparnisse verlieren würde. Das erinnert sowohl an Karl Valentins absurde Ängste und an Michael Steins Abscheu vor der Scheinwelt.
- Del begann seinen Impro-Unterricht oft (Charna sagt „immer“) mit einem 45minütigen Vortrag über ein Buch, das er gerade las. Was muss das für eine Faszination gewesen sein, die von diesem Mann ausging, dass sich seine Schüler, die schließlich Geld für einen Improkurs bezahlt hatten, das gefallen ließen!
- Del war der Typ, der eine Gegenposition einnahm, einfach weil eine andere Meinung notwendig war. So nahm er Hitler in Schutz: Wenn die ihn damals nur an die Kunsthochschule gelassen hätten, wäre seine Energie in die richtige Richtung gelenkt worden. „Stell dir die großartige Kunst vor, die wir heute hätten!“ Klar, dass Charna nervös war, als sie ihn ihren jüdischen Eltern vorstellen sollte. Alles verlief einigermaßen gut, sogar als er ihrer Mutter seine Heroinnarben zeigte, bis ihr Vater ihn fragte: „Mögen Sie Jerry Lewis?“ – „Nein.“ – „Warum nicht.“ – „Er ist Jude.“ Charna erstarrte. Aber ihr Vater lachte. Er war auf Dels Trip. (Auch diese Anekdote erinnert mich sehr an Stein.)
Wenn ein hartnäckiger Schüler überaus schlecht war, zückte Del seine Brieftasche, gab ihm seine 200 Dollar Workshop-Geld zurück und warf ihn aus dem Kurs. Charna wurde wütend, denn einige von ihnen hatten noch nicht einmal bezahlt. Del antwortete: „Das war es wert, schon um ihn loszuwerden.“ - Chris Farley, einer der Zöglinge von Del und Charna wurde erfolgreich für Saturday Nightlife gecastet. Das Erste, was sie von ihm wollten, war, dass er mit freiem Oberkörper in einem Wettkampf gegen Patrck Swayzee tanzen sollte. Der etwas dickliche Farley rief nachts verzweifelt bei ihnen an. Del gab ihm den Rat: „Sei so gut wie du es kannst, und lass es nicht zu, dass sie aus dir ein Klischee machen.“
- Del wusste, er hatte nur noch drei Tage zu leben, und er hatte das Glück, diese Tage bei einigermaßen klarem Bewusstsein zu erleben. Also schmissen sie eine Party. Alle kamen angereist. Bill Murray unterbrach die Dreharbeiten und bezahlte die gesamte Feier im Krankenhaus. Man trieb sogar heidnische Priester auf für eine Zeremonie nach Dels Willen. Als alles vorbei war und Charna ihn wieder in sein Zimmer schob, sagte er: „Ich glaub, jetzt sollte ich schnell sterben, sonst werden einige Leute wirklich enttäuscht sein.“
Aus Charna Halpern: „Art By Committee. A Guide to Advanced Improvisation“
Einfach bleiben
Erzähle eine zweiminütige Geschichte (spiel eine Szene, tanze eine Performance) mit Anfang, Mitte, Schluss.
Mozart-Technik
Mozart verstand es, einen bei der Hand zu nehmen. Die betörendsten Passagen seiner Stücke kommen gleich am Anfang, die Irritationen fügt er listig später ein.
McEwan
– „Unschuldige„, das mir Ph. zum Geburtstag (?) schenkte. Ich ging skeptisch und gelangweilt an dieses Buch, und es wurde meine Einstiegsdroge.
– „Zementgarten„, das ich aus Ratlosigkeit kurze Zeit später auf Verdacht E. zum Geburtstag kaufte und dann in einer Nacht durchlas, damit ich es ihr noch rechtzeitig überreichen könnte, ohne Geld für ein zweites eigenes Exemplar ausgeben zu müssen.
– „Amsterdam„, das einen mit diesem moralischen Dilemma vor den Kopf stößt und die unvergessliche Anfangsszene auf dem Friedhof. Sommer 2001, nachts um 4 Uhr zuende gelesen, mir dann eine Zigarette auf dem Balkon meiner Wohnung in der Libauer anzündend, während Matze, mit dem ich damals die Grundlagen der Improvisation studierte, auf dem Fahrrad von einer Party in Kreuzberg über die Warschauer Brücke, also praktisch nebenan, zurück in den Friedrichshain radelte.
– „Erste Liebe, letzte Riten“ – 2003 mit in die USA genommen, zum Glück ein Kurzgeschichtenbuch. Denn immer wenn ich glaubte, dafür nicht richtig Zeit zu haben, war die Story schon vorbei. Und die letzte las ich dann zwischen Amsterdam und Berlin.
– „Schwarze Hunde„, bei dem ich mich eigentlich nur noch erinnere, dass ich es an meinem unaufgeräumten Tisch beendet habe, was psychologisch gesehen wahrscheinlich der Grund dafür ist, dass ich so wenig von seinem Inhalt behalten habe.
– „Der Trost von Fremden„, ein vielleicht inhaltlich eher harmloser Thriller, der einen eher wegen der seltsamen Leere verunsichert. Weil er mich an den Regenroman erinnert, schenke ich ihn Jochen und sorge somit dafür, dass er wohl nie wieder ein Buch von McEwan anfassen wird.
– „Abbitte„, der komplexeste Roman McEwans. Die gekränkte Eitelkeit der frühpubertären Schriftstellerin ist ja letztlich die eines jeden Autoren, nur eben unterm Brennglas. Und wie aus einem Vielleicht eine Affirmation wird, wie die Kränkung verstärkt wird durch die pubertäre Scham, durch Klassendünkel, durch sexuelle Prüderie und (wie auch schon in „Zementgarten“) durch die drückende Hitze, das löst die Katastrophe aus, und der Krieg setzt den Schlusspunkt. Abbitte kann es nicht mehr geben, nur noch in den Szenarien, die sich die Phantasie der Schriftstellerin zusammensetzt.
– „Saturday„, mit dem ich eigentlich nicht viel anfangen konnte. McEwan anscheinend in seiner eigenen ethischen Unentschlossenheit gefangen: Soll England Truppen in den Irak schicken? Von Deutschland aus gesehen, schien schon die Frage deppert. Und dann steht er stundenlang am Fenster – grübel, grübel und studier, und bleibt so klug als wie zuvor. Die McEwan-Action im zweiten Teil, in dem er wieder erzählerisch aufblüht, wirkt aber narrativ aufgesetzt.
– „On Chesil Beach„, ein Bahnhofskauf. Das einzige McEwan-Buch, das ich im Original gelesen habe. Ein junges Paar scheitert an der Hochzeitsnacht. Wie McEwan hier mit Timing spielt, ist unübertroffen, das ist ihm nirgendwo sonst gelungen. Das Ende unerbittlich. Ich schließe das Buch, und werde von einem Weinkrampf gepackt, wie ich es noch nie bei einem Buch erlebt habe. Die absolute bittere Trostlosigkeit der ungelebten und vertanen Liebe.
Fette blinde Angebote
Blinde Angebote sind OK, wenn sie nicht zu groß gemacht werden. Zum Beispiel, ich gebe jemandem ein „Paket“ mit dem Kommentar: „Das ist für Sie abgegeben worden“; zwar schiebe ich dem Mitspieler die Aufgabe des Definierens zu, aber er hat noch immer genügend Spielraum für seine Phantasie.
Keith Johnstone zieht die Grenze bei „Lesen Sie dies vor!“, was ich immer noch für akzeptabel halte.
Ungemein schwierig wird es aber, wenn man pantomimisch Objekte oder Räume etabliert oder andeutet und die Definition dem Mitspieler überlässt.
Grundregel also: Definiere es selbst!
Temenos
Stephen Nachmanovitch erwähnt in Tao der Kreativität den Temenos, den heiligen Platz des Spielens. Um die Phantasie sich entfalten zu lassen – sowohl beim Künstler als auch beim Publikum brauchen wir einen besonderen Raum. Die Bühne ist insofern nicht nur wegen der besseren Sichtbarkeit erhöht. Auf guten Bühnen wird auch immer meine räumliche Phantasie entfacht, während ich zeitlich eins mit mir bin. Vor einigen Jahren spielten monatelang wir auf einer nett eingerichteten Bühne, und doch hatte ich jedesmal das Gefühl, das ist hier alles nur Pillepalle-Wohnzimmer-Darbietung, der Raum hatte für mich keine Atmosphäre. Keine Pantomime konnte sich vor meinem Auge entfalten. Innerlich wurde ich hektisch – der Einklang mit der Zeit kam abhanden. Man kann hier natürlich kein allgemeines Gesetz formulieren. Als wir mit der Chaussee der Enthusiasten im Cube Club auftraten, war es immer so eng, dass die Zuschauer direkt vor dem Mikro saßen. Eine Bühne im eigentlichen Sinne gab es nicht. Ein schwacher Scheinwerfer beleuchtete den Vorleser. Und dennoch waren die Abende magisch. Der Temenos war reduziert und fokussiert auf den Platz am Mikrofon und den kleinen Tisch an dem die Kollegen saßen. Außenstehende mochten das als Aufhebung der Trennung zwischen Künstlern und Publikum wahrgenommen haben. Aber diese Trennung blieb bestehen, indem das Mikrofon (das wir, wenn wir alle geschulte Stimmen gehabt hätten, an sich gar nicht gebraucht hätten) mehr oder weniger unbewusst ein heiliger Ort inszeniert wurde. Unausgesprochen haben das sowohl wir als auch die Zuschauer so empfunden.
Seltsamer Auftritt
Die Hälfte des Publikums ausländische Studenten, deren Deutsch so schlecht ist, dass sie einfachste Sätze nicht verstehen. Die Stille überträgt sich auf die anderen Zuschauer. Dann auch noch technische Störungen. Wir selber lassen uns tatsächlich manchmal zu einer Mischung aus Überdramatisierung und Auf-der-Stelle-Treten hinreißen. Für häufige Impro-Zuschauer waren viele Szenen sicherlich etwas erwartbar. Dennoch sind wir immer noch effizient genug, um eine ordentliche Show abzuliefern – gute Songs, ein paar überraschende Figuren und Wendungen.
Schauspiel und Authentizität
Interview mit Christoph Waltz in der taz:
„Ich empfinde als Zuschauer dramatische Schauspielerei als Behinderung. Ich will mich nicht dafür schämen müssen, mein Hirn angeschaltet zu lassen, wenn ich ins Kino gehe. Als Zuschauer wird mir durch zu viel Schauspielerei oft der Blick verstellt. Ich will aber als Schauspieler den Blick des Zuschauers auf die Inhalte lieber frei machen. Im Grunde lässt sich mein Berufsverständnis auf einen Satz reduzieren: Geh aus dem Weg – und gib den Blick frei auf das, was wirklich wichtig ist!“
(…)
(zu „Der Untergang“) „Ich sehe nicht ein, wieso ein Staatsschauspieler, dem man ein Bärtchen aufgeklebt hat, mehr Anspruch auf Wahrheit haben sollte als irgendeine Kasperlpuppe.“
Moderation ist Kommunikation
Sei dir ungefähr darüber klar, was du sagen willst, aber lerne nie Moderationen auswendig. Man fühlt sich als Zuschauer veralbert.
szenisch gerechtfertigte Angst
Manchmal wird des Spielers Angst vor dem Unbekannten augenfällig in die Szene überführt. Neulich, als wir spontan einen Sänger und Schauspieler, der aber relativ wenig Erfahrungen mit Improtheater hatte, spontan zu einer Szene einluden. War seine Antwort auf das erste Angebot: „Ich wollte mich doch erst mal umbringen!“
Übersetzt: „Ich würde am liebsten abhauen.“
Umgekehrt lieben wir als Zuschauer natürlich Figuren, deren Mut sich aus dem Mut der Spieler speist.
Fiese Vorschläge
Man muss sich ab und zu mal wieder an die positive kreative Kraft erinnern, die wir bei unseren wöchentlichen Auftritten mit dem Dunkeltheater entfaltet haben. Das Publikum wegen der doch oft fatalen Mischung au Gastronomie und Unterhaltung oft überdreht. Die Gereiztheit durch die Dunkelheit tut ihr Übriges. Und dann kommt als letzter Vorschlag für ein Lied der Titel „Stuhlgang“. Camilla, in einem Rausch von Positivität, Gutmütigkeit und Großzügigkeit, macht daraus ein Lied, über die kleinen Dinge des Lebens, die man alleine tut, und das Wort Stuhlgang wird irgendwo erkennbar für die Zuschauer, aber irgendwie auch unerheblich für die Schönheit des Lieds.
Impro-Weisheit aus dem Yoga
Glaube nicht, die Übergänge verschludern zu dürfen, um schneller zum Eigentlichen zu gelangen. Die Übergänge sind das Eigentliche.