Impro-Terror (5) – Partner lässt sich nicht verändern

Dagmar: „Möchtest du noch einen Pudding?“
Lars: „Danke. Schatz, ich muss dir etwas sagen.“
Dagmar: „Was denn?“
Lars: „Ich habe wieder angefangen zu zocken.“
Dagmar: „Im Glücksstern-Casino?“
Lars: „Ja, genau. Ich habe alles verspielt.“
Dagmar: „Na, das ist ja schade.“
Lars: „Schatz!! Ich habe gestern Abend unser komplettes Vermögen verzockt! Das Konto, das Auto, das Haus – alles!“
Dagmar: „Hm. Dann wirst du dir einen Zusatz-Job suchen müssen.“

Die Spielerin arbeitet zwar inhaltlich-konstruktiv mit: Sie fügt den Namen des Casinos hinzu und sie bietet an, wohin die Szene inhaltlich führen könnte (ein Zweit-Job für den Mann), aber sie lässt sich nicht emotional auf die Szene ein. Der Satz „Das ist ja schade“ akzeptiert das Angebot auf einer rein rationalen Ebene.
Lars verstärkt die Wucht seines Angebots sogar, indem er die Konsequenzen radikalisiert. Da die Partnerin aber auch an dieser Stelle emotional unbeteiligt bleibt, wird es nicht helfen, hier weiter nachzustochern. Vielmehr muss das Opfer dieser emotionalen Blockade sich selbst emotional verändern.

Dagmar: „Hm. Dann wirst du dir einen Zusatz-Job suchen müssen.“
Lars (nickt unterwürfig): „Ja, Schatz. Auf jeden Fall. Und… danke!“
Dagmar: „Danke? Wofür?“
Lars (zu Tränen gerührt): „Danke, dass du mir nicht böse bist, dass du Verständnis hast für meine Sucht, dass du mir hilfst, aus dieser Misere herauszukommen… Schatz, ich liebe dich so sehr…“

Impro-Terror (4) – Partner liefert keine Angebote

Ben: „Schatz, weißt du, wer eben am Telefon war? Der Makler!“
Paula: „Und? Was hat er gesagt?“
Ben: „Wir kriegen die Wohnung.“
Paula: „Super! Endlich eine Wohnung!“
Ben: „Lass uns gleich hinfahren.“
Paula: „Großartige Idee.“
Ben: „Ich muss dir noch was sagen: Der Vormieter hat sich in der Wohnung erhängt.“
Paula: „Oh nein! Wie schrecklich.“
Ben: „Ziehen wir trotzdem ein?“
Paula: „Wie du willst, Schatz.“

In diesem Beispiel akzeptiert Paula und reagiert angemessen emotional, aber auf Dauer könnte es für Ben schwierig werden, mit ihr zu improvisieren, da sie keinerlei inhaltliche Angebote liefert. Diese Form des Impro-Terrors kommt meist von sehr positiven und privat sehr umgänglichen Spielern. Sie sind im Grunde „zu höflich“ und wollen nicht riskieren, mit den eigenen Angeboten die Ideen ihrer Partner zu torpedieren. Die „Höflichkeit“ verdreht sich aber in ihr Gegenteil, da die Spielerin ihrem Partner die alleinige Definitions-Arbeit der Szene zuschiebt.
In solchen Situationen hilft es nur, sich in sein Schicksal zu fügen und eben zu akzeptieren, dass man nun selbst für den Inhalt zuständig ist. Allerdings wäre es zu weit gegriffen, zu glauben, man würde nun allein improvisieren. Der Partner ist ja immer noch da. Das heißt aber, dass ich auf kleinste emotionale Veränderungen groß reagieren muss, denn diese sind der Impuls für den weiteren inhaltlichen Verlauf.

Ben: „Ziehen wir trotzdem ein?“
Paula: „Wie du willst, Schatz.“
Ben: „Ich will! Und ich danke dir für deine Großzügigkeit. Na ja, es wird ja nicht gleich spuken wegen eines Selbstmörders.“
Paula: „Haha, nein bestimmt nicht.“

Impro-Terror (2) – Umgang mit Blockaden

Blockieren erscheint in zwei Formen. In der radikalen Variante wird die einmal auf der Bühne etablierte Realität verneint:

Nicole und Carl. Carl klingelt an der Tür. Nicole öffnet.
Nicole: „Hallo Papa! Hast du die Schlüssel vergessen?“
Carl: „Ich bin nicht Ihr Papa. Ich bin der Pizzabote und soll diese Pizza Calzone bei Ihnen abgeben.“

Diese radikale Form des Blockierens trifft man bei fortgeschrittenen Spielern nur selten an, aber auch Improspieler sind nur Menschen. So wie einem Profi-Fußballer ein ungewolltes Handspiel unterlaufen kann, so kann auch deinem Partner dieses Blockieren unterlaufen. Oder es ist vielleicht ein Angebot, das du nicht erkennst, weil es sich auf einen Teil der Geschichte bezieht, den ihr vor zehn Minuten improvisiert habt. Da es für die Szene völlig unproduktiv wäre, die Figuren sich streiten zu lassen, lautet die einfache Lösung: Dein Partner hat Recht.

Carl: „Ich bin nicht Ihr Papa. Ich bin der Pizzabote und soll diese Pizza Calzone bei Ihnen abgeben.“
Nicole: „Was? Können Sie mal bitte das Licht im Hausflur anmachen? Danke. Ist ja unglaublich, jetzt hätte ich Sie wirklich beinahe verwechselt. Wieviel bekommen Sie für die Pizza?“

In einer abgeschwächten Variante blockiert der Mitspieler die Handlungs-Vorschläge.

Olga: „Mein König, wenn die Hunnen unser Schloss angreifen wollen, müssen wir einen Verteidigungsgraben bauen.“
Jan: „Verteidigungsgraben? Papperlapapp! Wir dürfen keine Zeit verlieren. Positioniert alle Bogenschützen auf den Burgmauern!“

Die Impro-Szene würde stagnieren, wenn nun beide das Pro und Contra der einen oder anderen Variante abwägen. Wenn dein Vorschlag abgelehnt wurde, umarme den Vorschlag des anderen. Das Angebot des Gegenübers ist genial.

Olga: „Bogenschützen! Natürlich! Warum bin ich nicht selber darauf gekommen. Mein König, ich werde sämtliche Bogenschützen sofort auf ihre Position stellen.“

Es könnte allerdings auch sein, dass dieser Widerspruch ein inhaltliches Angebot ist, das später noch einmal in die Story einfließen wird, zum Beispiel indem die Bogenschützen das Schloss nicht verteidigen können und der Verteidigungsgraben eben doch die bessere Option gewesen wäre. (Eine solche Option sollte aber nicht dem Mitspieler aufgezwungen werden, sondern sollte möglichst von ihm selber kommen bzw. sich aus der Szene heraus ergeben.)
Das habherzige Blockieren taucht manchmal auch in Form der Kein-Bock-Haltung auf.

Carsten: „Guck mal, Schatz, ich habe Karten fürs Musical mitgebracht!“
Tina: „Oh nein, ich hab heut ganz schlimme Kopfschmerzen.“

Kopfschmerzen oder ähnliche Beeinträchtigungen werden oft dann ins Spiel eingeführt, wenn Spieler Angst davor haben, sich inhaltlich zu engagieren. Umso großzügiger musst du mit deinem Gegenüber umgehen. Reagiere groß! Und mache die Ablehnung möglichst liebevoll zum Thema.

Carsten: „Was?? Die Kopfschmerzen sind wieder da? (wählt eine Nummer auf dem Telefon) Bitte ein Krankenwagen in die Plesserstraße 12. Ja, es ist dringend! (wieder zu Tina) Bitte, atme ganz ruhig. Stirb jetzt bitte nicht!“

Impro-Terror (1) Impro-Terror und Leichtigkeit

Wir wissen, dass man in einer Szene die Angebote der Mitspieler akzeptieren und Eigenes hinzufügen sollte, dass es der Szene gut tut, wenn man den Mitspielern aufmerksam zuhört, dass man sich verändern möge usw. Allerdings wird uns die Umsetzung dieser Grundsätze nicht immer so gelingen, wie es uns unsere hehren Impro-Ideale gebieten. Es wird vielleicht szenische Momente geben, in denen wir von den eigenen Ideen so begeistert sind, dass wir das subtile Angebot des Mitspielers verpassen. Vielleicht sind wir mal vom Verlauf einer Szene dermaßen verwirrt, dass wir innerlich aufgeben und uninspiriert weiterspielen. Vielleicht haben wir auch einfach einen schlechten Tag und sind daher unaufmerksam. Oder wir sind irgendwann so sehr an eine bestimmte Art des Improvisierens gewöhnt, dass wir innerlich erstarren, wenn uns Ungewohntes angeboten wird. Wir werden lernen müssen, damit zu leben, dass wir nicht jederzeit auf gleich hohem Niveau improvisieren können, dass wir Rückschläge erleiden und glauben, nicht voranzukommen.
Die große Herausforderung besteht darin, diese Unvollkommenheit auch unseren Mitspielern zuzugestehen. Stellen wir uns folgende Impro-Situation vor.

Ihr improvisiert gerade eine wunderschöne, zarte Liebes-Szene zu zweit und plötzlich kommt der dritte Mitspieler hereingeplauzt und ruft mit „witziger“ Stimme: „Wackelpudding gratis! Lasst uns alle Spaß mit Wackelpudding haben!“


Nun hilft es nicht, zu versuchen, unsere zarte Szene gegen den scheinbar trampligen Spieler durchsetzen zu wollen oder in Frust, Gram oder Ärger zu verfallen. Wir können nur eines: Improvisieren!
Selbst wenn wir uns über Jahre bemühen, uns als Team aufeinander einzuspielen, müssen wir immer noch improvisieren, das heißt, die seltsamen Angebote unserer Mitspieler wie Gold wertschätzen und unsere Mitspieler wie Genies behandeln.
Um beim szenischen Beispiel zu bleiben: Wir müssen herausfinden, was das Spiel-An¬ge-bot unseres Mitspielers ist: Was steckt hinter dem Wackelpudding? Gewiss – unsere Szene war eine ergreifende Liebes-Szene. Aber heißt das, dass unsere Story ein Liebes-Melodram sein muss? Oder ist die Szene vielleicht nur ein Anfang für eine Liebeskomödie? Bietet unser Mitspieler uns hier einfach einen Clash der Erwartungen an? Oder ist er schon in einer neuen Szene? Das lässt sich natürlich nur in der Situation entscheiden. Und auch mit unserer Einschätzung können wir falschliegen. Aber unsere Aufgabe als Impro-Spieler ist es, alles als Spiel-Angebot aufzufassen und uns freudig ins Spiel zu stürzen.
Als fortgeschrittene Spieler haben wir die Grundlagen natürlich seit Jahren internalisiert, aber es gilt, diese immer wieder auf das nächste Niveau zu heben. Und das Akzeptieren im allerweitesten Sinne steht hier auf Platz Eins der Impro-Tugenden.
Bei Foxy Freestyle spielen wir von Zeit zu Zeit Open-Stage-Shows – mit erfahrenen Spielern, mit Profis, aber auch mit blutigen Anfängern und Leuten, die noch nie auf einer Theaterbühne standen. Auf diese Shows bereiten wir uns mit einem Spiel namens „Impro-Terror“ vor: Ein Spieler fokussiert auf eine Impro-Sünde (Z.B. Blockieren, Nörgeln oder Unterbrechen), während der andere Spieler die Aufgabe hat, eine gute Szene daraus zu zaubern. Wenn man ein paar Mal Impro-Terror gespielt hat, wird man bald herausfinden, dass es nichts bringt, zu versuchen, den anderen Spieler bzw. seine Figur zu ändern (etwa sie für ihre Nörgelei zu kritisieren). Vielmehr muss man alles, was der Andere tut, wie ein geniales Geschenk annehmen. Diese Großzügigkeit, die man einem Anfänger gewährt, sollte man aber auch den Mitspielern des eigenen Teams entgegenbringen. Wenn uns das gelingt, erreichen wir gemeinsam eine neue Leichtigkeit. Wir können nicht wissen, ob und wie unser Spiel unseren Mitspieler während der Szene verändern beeinflusst. Aber wir können uns von ihm beeinflussen lassen und mit ihm spielen.

Improvisationstheater. Band 1 bis 12

Seit 2005 veröffentliche ich in diesem Blog meine Gedanken zum Thema Improvisationstheater, Kreativität und Kunst.
Vor ungefähr zehn Jahren reifte die Idee, daraus ein Buch zu machen. Nach vielen Entwürfen, Verwerfungen und Neuanfängen entschied ich mich, das Werk in mehreren Bänden zu veröffentlichen. Und heute darf ich freudig verkünden:
Der erste Band Improvisationstheater. Die Grundlagen erschien im Oktober 2018 im Verlag Theater der Zeit.

https://foxy-freestyle.de/produkt/improvisationstheater-band-1-die-grundlagen/
Der erste Band behandelt vor allem die Grundlagen der Improvisation, die Haltungen, die wir immer wieder trainieren müssen, um improvisatorisch geschmeidig zu bleiben. Es ist daher nicht allein für Impro-Anfänger geschrieben, sondern auch für fortgeschrittene Spieler, für Impro-Lehrer und Theater-Praktizierende, die die Fähigkeiten der Improvisation vertiefen wollen.
*
https://foxy-freestyle.de/produkt/dan-richter-improvisationstheater-band-8-gruppen-geld-und-management/
Gruppen, Geld und Management“ ist der achte Band des Werkes „Improvisationstheater“ und eine Handreichung für Impro-Spieler, die sich für die organisatorischen und finanziellen Belange ihrer Gruppe interessieren.
Sowohl Amateure als auch Profis bekommen Hilfestellungen zu den alltäglichen Herausforderungen, mit denen eine Improtheater-Gruppe konfrontiert ist. Das betrifft künstlerische Themen, wie Proben-Arbeit, Feedbacks, Show-Vorbereitungen. Aber auch ganz besonders organisatorische Fragen werden erörtert: Wie baut man eine Impro-Gruppe auf? Wie hält man sie zusammen? Welche internen Konflikte entstehen typischerweise und wie können wir sie lösen? Wie lässt sich mit Improtheater Geld verdienen?
Hier der Veröffentlichungsplan:
Band 1 Die Grundlagen Oktober 2018
Band 2 Schauspiel-Improvisation April 2020
Band 3 Spiele das Spiel September 2020
Band 4 Szenen improvisieren Januar 2020
Band 5 Storys improvisieren Juli 2020
Band 6 Freie Formen und Collagen November 2020
Band 7 Musikalische Improvisation März 2021
Band 8 Impro-Gruppen Februar 2019
Band 9 Impro-Shows Juni 2019
Band 10 Improtheater unterrichten Juli 2021
Band 11 Impro überall Januar 2022
Band 12 Improspiele für Shows, Proben und Workshops Oktober 2021

Der aufmerksamen Leserin wird nicht entgangen sein, dass sich die Veröffentlichungs-Reihenfolge nicht nach den Bänden richtet. Dies hat mit dem Schreib-Rhythmus des Autors zu tun, und es bleibt uns nichts übrig als das in guter alter Impro-Manier zu akzeptieren.

Bedingungslose Hingabe

Extreme Hingabe zum Spiel löst Freude beim Publikum aus. Wenn man sieht, dass die Spieler bis an den Rand ihres Könnens (und vielleicht sogar darüber hinaus) gehen, sind wir begeistert. Diese Hingabe ist beim Improtheater oft mehr wert, als schauspielerisches Können oder die technische Beherrschung der Games. Deshalb schaue ich mir recht gerne Szenen von begeisterten Impro-Anfängern an, die noch nicht zu viel von Storytelling, Szenen-Strukturen, Staging usw. wissen. Dann genügt es bisweilen schon, wenn sie einfach eine Vorgabe bedienen oder auf ein seltsames Angebot eingehen, dass einen die Impro-Komik innerlich schier zerreißt.

Schmerzhafte Gruppengründung aus Workshops

(Ergänzung: Diese Gedanken habe ich bearbeitet und weiter ausgeführt im Buch „Improvisationstheater. Band 8: Gruppen, Geld und Management


Oft passiert es, dass sich ganze Workshop-Klassen selbständig machen. Das fühlt sich oft zunächst ganz gut an, da man den positiven Schwung aus den Impro-Kursen in die Gruppe mitnimmt. Aber dieser Automatismus schlägt manchmal zurück, da vieles unausgesprochen bleibt, über das sich eine Gruppe verständigen sollte. Eine Workshop-Gruppe ist etwas anderes als ein regelmäßig auftretendes Ensemble. Die Trennungen, die sich hier vollziehen, sind oft schmerzhaft, da man einander oft mag und gemeinsam in die Geheimnisse der Improvisation eingedrungen ist. Aber um wieviel schmerzhafter ist es, wenn man sich in einer bestehenden Gruppe von Mitgliedern trennen muss! Jede, wirklich jede Gruppe, die aus einem Workshop hervorgegangen ist, muss diesen Schritt früher oder später gehen. Geht man ihn während eines bestehenden Workshops, gerät die Chance, die kameradschaftliche Grundlage zu erhalten, zwar ins Wanken, wird aber nicht zerstört. Der Rausschmiss eines Mitglieds führt fast immer zu gegenseitigen Verletzungen. Zwei Fragen muss man sich hier stellen: 1. Will man mit dieser oder jener Person zusammen auf der Bühne stehen? 2. Kann diese Person das auch dauerhaft leisten? Nur wenn man beide Fragen herzhaft bejahen kann, sollte man die Personen aufnehmen. Dass man sich gegen einen Spieler entschieden hat, muss nicht einmal mit seinen Impro-Fähigkeiten zu tun haben. In einer mir bekannten Gruppe, flossen Tränen, als sich alle darüber im Klaren wurden, dass O., den alle mochten und der ein großartiger Improvisierer war, nicht in den Kreis der Spieler aufgenommen werden konnte, da seine kaputten Stimmbänder verhinderten, dass man ihn überhaupt im Publikum hätte verstehen können. Schließlich gab man ihm den Techniker-Job – eine Lösung, mit der alle gut leben konnten.

Ergänzung 2019: Diese Gedanken wurden später noch ausgeführt in Dan Richter: „Improvisationstheater. Band 8: Gruppen, Geld und Management“

Herbie Hancock: Wie Miles Davis aus Gift Medizin machte

„Right in the middle of his solo, I played the wrong chord, a chord that (…) sounded like a complete mistake. I did it and I put my hands around my ears. And Miles paused for a second, and then he played some notes that made my chord right, that made it correct, which astounded me. (…) Miles was able to make something that was wrong into something that was right. I couldn’t play for a minute. But what I realize only now is that Miles didn’t hear it as a mistake. He heard it as something that happened, just an event. And so that was part of the reality of what was happening at that moment, and he dealt with it. And since he didn’t hear it as a mistake, he felt it was his responsibility to build something that fit, and he was able to do that. And that taught me a big lesson not only about music but about life. We can look at the world as we would like it to be as individuals. You know, make it easy for me, that idea. You can look for that. But I think the important thing is that we grow. And the only we can grow is a mind that is open enough to be able to accept, to be able to experience situations as they are, and turn them into medicine, turn poison into medicine. Take whatever situation you have and make something constructive happen with it.“

„Mitten während seines Solos spielte ich einen falschen Akkord, einen Akkord, der wie ein totaler Fehler klang. Ich legte meine Hände auf meine Ohren. Miles hielt für einen Moment inne, und dann spielte er ein paar Noten, die meinen Akkord richtig klingen ließen, was mich total erstaunte. Miles war in der Lage, etwas Falsches zu etwas Richtigem zu machen. Ich konnte für eine Minute gar nichts mehr spielen. Aber erst jetzt wird mir klar, dass Miles das gar nicht als Fehler hörte. Er hörte es als etwas, dass gerade geschah, irgendein Ereignis. Es war quasi Teil der Wirklichkeit, die gerade geschah und mit der er umging. Und das lehrte mich eine wichtige Lektion nicht nur über die Musik, sondern übers Leben. Wir können die Welt so betrachten, wie wir sie gerne hätten, wir als Individuen. So nach dem Motto: Hauptsache für mich wird es einfacher. Danach kann man suchen. Aber ich glaube, das Wichtige ist, dass wir wachsen. Und die einzige Möglichkeit zu wachsen besteht darin, dass unser Geist offen genug ist, um die Situationen, so wie sie sind akzeptieren zu können, erleben zu können, und sie in Medizin zu verwandeln. Gift in Medizin zu verwandeln. Egal in welcher Situation du dich befindest, lass daraus etwas Konstruktives entstehen.“

Publikumsvorschläge ablehnen?

Wenn wir schon mit Publikumsvorschlägen arbeiten, gibt es eigentlich keinen Grund, sie abzulehnen. Wenn wir als Improspieler vor dem Problem stehen, die immergleichen Vorschläge zu hören, müssen wir eben anders fragen.
Bei Foxy Freestyle bemühen wir uns um eine neue Akzeptier-Radikalität gegenüber dem Publikum: Vorschläge nur dann ablehnen, wenn sie nicht der erfragten Kategorie entsprechen. („Nennen Sie mir ein Säugetier mit K.“ – „Kakao.“)
Scheinbar negative Vorschläge, wie z.B. „Shitstorm“, haben uns zu großartigen Harolds inspiriert.
Vor obszönen Vorschlägen braucht man sich sowieso nur zu fürchten, wenn man nur klischeehaft zu spielen in der Lage ist.

Künstlerische Irrwege akzeptieren

Irrwege sind oft wichtige Schritte auf dem Weg zu neuen Durchbrüchen und Selbsterkenntnissen. Mein Lieblingsbeispiel ist das Album der Rolling Stones „Their Satanic Majesties Request“ – der Versuch, das Beatles mit ihrem „Sgt. Peppers“-Wunder zu übertrumpfen. Man muss wohl sagen, dieser Versuch ist gescheitert. Aber eigentlich nur, wenn man ihn an seinem ursprünglichen Anspruch misst. Für sich genommen ist es ein wunderbares, spielfreudiges Werk, das Psychedelic und Blues mixt. Die Stones haben daraus gelernt, dass der Blues immer noch das Herz der Band sind. Und doch haben sie nie das Experimentieren aufgegeben – vom Country Folk bis zu Disco, Jazz und House haben sie immer wieder verschiedene Stile in ihre Musik einfließen lassen.

TJ & Dave über Klappe halten, Regeln und Ehrlichkeit – Exzerpt III

Kapitel 6
Klappe halten

"Manche Leute sagen etwas und wiederholen es dann auf viele verschiedene Arten. Alles vergeudet- Wir bevorzugen Schweigen oder sparsames und präzises Sprechen." (TJ, 48)

TJ & Dave verachten Sätze wie "Mensch, Ron, jetzt sind wir schon seit zehn Jahren miteinander verschwägert."
Erstens spricht kein Mensch so. Zweitens "weiß das Publikum schon Bescheid. Und eigentlich kümmert es sie auch nicht wirklich."

Kapitel 7
Scheiß auf die Regeln
Die meisten Regeln, so TJ & Dave werden ohnehin zu wörtlich genommen (wie zum Beispiel keine Fragen zu stellen). Aber auch die Regel, schnell das Wer, Wo, Was zu definieren, stellen sie infrage: "Diese Dinge künstlich in den ersten Sätzen zu definieren, baut nur ein Hindernis für die freie Szene auf. Sie werden sich selbst enthüllen, wenn ihr eine wirklich ehrliche Szene improvisiert." (TJ & Dave, 55)
Und doch stellen sie ihre eigenen Regeln auf:
– Seid euch einig.
– Seid aufmerksam.
– Zerstöre und verneine nicht die einmal etablierte Wirklichkeit
– Sorgt füreinander.
– Der Andere ist die wichtigste Person und die Antwort auf all deine Probleme.
– Künstlich einer Szene Tatsachen aufzwingen ist nicht hilfreich.
– Die Szene liegt in der Verbindung zwischen den Charakteren.
– Spiele mit einem Höchstmaß deiner Intelligenz
(TJ & Dave, 56)

Kapitel 9
Über ihren häufig benutzten Begriff "Ehrlichkeit":
"Wir sprechen von einer Art Integrität. Impro-Anfänger sind vielleicht ehrlich, wenn jede Szene um "Ich habe eine Wahnsinnsangst!" geht" Das ist nicht, wovon wir sprechen. Wir meinen – Wahrhaftigkeit gegenüber der Szene, Wahrhaftigkeit gegenüber dem, was wir bereits etabliert haben." (David, 69)

"Versuchen, einen Lacher zu bekommen, ist der Höhepunkt des Egoismus in unserer Kunstform. Wir haben uns dafür entschieden, etwas auf gemeinsam Geteiltem aufzubauen. Wenn du das nicht willst, mach was anderes." (TJ, 70)

"Wenn ich denke, die Zuschauer sind still, weil ich sie verloren habe, sie aber eigentlich völlig bei uns sind, dann werde ich mich an etwas Falsches anpassen. Und DAS führt dazu, dass ich sie verliere." (David, 71)
 

Komm, wir lassen uns erschießen!

Die Akzeptierfähigkeit eines Impro-Spielers lässt sich ziemlich genau daran ablesen, wie umstandslos er seinen Character erschießen lässt.
Blockierer entwickeln folgende Taktiken.
Anfänger-Blockierer (wenn er den Schuss nicht gar völlig ignoriert): „Ha! Der Schuss ging daneben. Nimm dies!“ (schießt selbst)
Fortgeschrittene Blockierer: „Au! Meine Schulter! Sind Sie wahnsinnig geworden?“
oder: „Ah! Bevor ich sterbe, muss ich dir noch folgendes sagen…“ (Es folgt ein zweiminütiger Monolog.)
Profi-Blockierer kommen wieder als Geist oder Engel.

Nachbemerkung: Bühnen-Rambos knallen natürlich (aus Angst) jeden ab, mit dem sie ein Problem haben. Denen kann man auch mal einen Character in schusssicherem Anzug vorsetzen.

Interview Keith Johnstone

„Often the improvisers only know how to accept ideas. That’s not good enough. You have to know what the other person wants. You have to be good at giving them what they want, because if you do it’s the same with the audience.“
„If you do short term improvisation, and if the third or fourth scene isn’t a disaster, you’re in trouble, because the audience starts looking at it like show business and they expect it getting better and better. Biut it’s not like that. You’re performing risky actions in search for a miracle. You don’t get miracles if it’s all safe. (…) Show business covers all the tracks, it hides the faults.“
„In a really good game the best improvisers sometimes lose. And then it’s unpredictable, it’s fun to see it.“
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Das Kleine Zuhören und das Große Zuhören

Wir können ganz allgemein zwischen dem Kleinen Zuhören und dem Großen Zuhören unterscheiden. Das Kleine Zuhören bezieht sich dabei eher auf den Moment, die unmittelbare Szene, das Große Zuhören eher auf die Gesamt-Story.
Die üblichen Impro-Games befassen sich vor allem mit dem Kleinen Zuhören, da es die Voraussetzung für das Akzeptieren ist: Was wird gesagt? Welche emotionale Bedeutung hat das Gesagte? Welches Timing wird angeboten? usw.
Für Storys brauchen wir aber auch das Große Zuhören: Welches Angebot ist das Story-Angebot? Wohin geht der Schwung der Story bzw. (in den Worten von Dixon) was ist das „Versprechen“ der Geschichte?
Die Schwierigkeit besteht natürlich darin, beides gleichzeitig zu tun. Das Große Zuhören darf uns nicht von der authentischen Reaktion des Moments ablenken. Das Kleine Zuhören darf uns nicht davon abhalten, das Gesamtbild aus den Augen zu verlieren.

Fokus bei Anfängern und Profis

„2010 beobachteten Johan Koedijker und sein Team von der Universität Amsterdam, dass Tischtennisspieler auf bestimmte Situationen völlig unterschiedlich reagieren – je nachdem, seit wie vielen Jahren sie schon an der Platte stehen. Beobachteten die Spieler gezielt ihre Schläge und kommentierten jeden Kontakt von Ball und Schläger mit dem Wort »Winkel«, waren die Geübten plötzlich weniger erfolgreich.Anfänger hingegen profitierten von der Beobachtung des eigenen Schlags sogar. Eine höhere Spielgeschwindigkeit hatte demgegenüber genau den gegenteiligen Effekt: Die Profis spielten weiter wie selbstverständlich jeden Ball übers Netz, während ungeübte Spieler fünfmal so viele Fehler machten wie vorher. Für Anfänger scheint es also hilfreich, der Bewegung genug Zeit und Aufmerksamkeit zu widmen, während Profis ohne viel Nachdenken besser agieren. Sie tun am besten daran, automatisierten Bewegungsmustern freien Lauf zu lassen.“ (Gehirn und Geist 6/2013)
Das heißt auch für uns Improspieler (und Künstler überhaupt): Für jedes Stadium brauchen wir einen anderen Fokus. Ein Anfänger sollte sich vielleicht stark aufs Akzeptieren konzentrieren. Später studiert man Story-Strukturen. Dann wieder sollte der Fokus auf das Timing gehen, die Figur usw. Und vielleicht kommt man wieder zurück an den Anfang: Noch radikaleres Akzeptieren…
Auf jeden Fall muss man wegkommen vom Fokus der Außenwahrnehmung auf den eigenen Körper. Diese lässt den Sportler erlahmen und den Schauspieler affig wirken.
Weiteres zum Thema in Choke. What the Secrets of the Brain Reveal About Getting It Right When You Have To

Das Ego zweier großer Musik-Improvisierer

Vor einiger Zeit brachte ich die beiden hervorragenden Impro-Instrumental-Musiker H. und Z. zusammen. Beide hatten Großes voneinander gehört und erwarteten Großes voneinander. Die drei Stücke, die sie dann live performten, waren nicht schlecht, aber sicherlich unter ihrem Niveau. Hinterher beschwerten sich beide unabhängig voneinander, der andere wäre nicht richtig auf ihn eingegangen, beide fühlten sich in eine bestimmte Richtung gepusht. Interessanterweise habe ich, mit beiden schon im Duett musiziert – dilettierend auf Bass bzw. Klavier. Und hier war alles wunderbar: Die Musiker richteten sich nach mir, dem Schwächeren. Der Grund für dieses seltsame Verhalten war mir bis gestern etwas unklar.
Christina Schneider, der ich diese Geschichte erzählte, meinte gestern: Vielleicht hatten sie ja zu viel Respekt voreinander, in dem Sinne, dass sie fürchteten, ihre eigenen Schwächen könnten zutage treten. Vielleicht meinten sie, sich voreinander als Künstler rechtfertigen zu müssen. Das Ego tritt wieder der Kunst in den Weg.

Originalität und Folgerichtigkeit

Oftmals wird die Frage diskutiert, welche Rolle „Originalität“ im Improtheater spielt. Keith Johnstone lehnt sie bekanntlich ab, und schwört auf das Naheliegende, obwohl es in seinen Szenenbeispielen von Elfen, Monstren, wahnsinnigen Tätowierern und verwunschenen Meerschweinchen nur so wimmelt. Dies begründet er damit, das sei eben „sein Naheliegendes“.
Auf dieses Problem hat Gunter Lösel in seinem Buch Theater ohne Absicht hingewiesen: Die erste Assoziation ist auf Dauer doch ein wenig langweilig. Gerade in der Phase der Assoziation, d.h. im Entwickeln des Ausgangsmaterials können wir ruhig unseren Horizont ein wenig verbreitern, ohne gleich albern zu werden. Angenommen, die Szene startet im so oft vorgeschlagenen Schwimmbad, so müssen wir nicht die zwölftausendste Schwimmlehrer-Schüler-Szene sehen. Andererseits wirken Alien, die plötzlich aus der Rutsche trudeln etwas gewollt, oder in Johnstones Worten „originell“. Aber ich kann den Charakteren, die ins Schwimmbad gehen, eine zusätzliche Eigenschaft geben, z.B. Geheimdienst-Agenten, die über unerklärliche Morde spekulieren. Wenn dann die Aliens auftauchen, wäre es gewissermaßen die logische Folge des bereits Etablierten.
Bei allem Akzeptieren, Ja-Sagen usw., sollte man sich nicht davor scheuen, ein frisches Irritierendes Moment hinzuzufügen.

Werden Kontraste zu wenig wertgeschätzt?

Selten wird der Wert des Kontrasts in der Improvisation gewürdigt. Flow wird häufig nur aus der Perspektive des Sanft-Nachahmens und Hinzufügens gesehen. (Vielleicht, weil der Kontrast etwas von Nein-Sagen hat?) Aber auch der scharfe Kontrast hat seinen Wert:
– Der Stimmungs- oder Tempo-Wechsel in der Szene (ähnlich der Musik)
– Der entgegengesetzte Character.
– Die entgegengesetzte Haltung.
– Ein neues Erzählelement.
Auch habe ich bisher kaum Kontrast-Übungen in Improtheater-Workshops erlebt. Ausnahmen bisher: Contact-Impro und Tanz-Impro, die ich durch Nina Wehnert kennengelernt habe, sowie die Storytelling-Workshops von Lee White.
(Bitte um Kommentare)

Start-Angebot in einer freien Szene

Das erste Angebot in einer freien Szene ist nicht nur inhaltlich zu verstehen, sondern setzt vor allem auch stilistisch bzw. genremäßig die Grenzen. Gerade dafür braucht man als Mitspieler ein sehr offenes Ohr.

„Die Nacht naht bald heran, Sir John, ihr seht,
die Türen Eures Schicksals sind geöffnet.“
„Okay, dann gucken wir doch einfach mal rein, oder wat?“

Proben im Sommer

Mit jeder weiteren Probe, jeder weiteren Probe im Foxy Spezial-Sommer erweitert sich der Horizont.

1. Das Verhältnis zum Publikum. Wir finden tiefer in die Inhalte. Nicht das Improvisieren an sich steht im Vordergrund, sondern was gesagt wird, wie es gespielt wird, wie wir das Genre bzw. den Stil umsetzen.

2. Das Verhältnis zu einigen „Regeln“. Über die Relativierung von Akzeptieren und „Zug um Zug“ schrieb ich hier bereits. Aber auch unser Verhältnis zu Storytelling ändert sich. Warum brauchen wir einen Protagonisten? Warum soll die Handlung logisch sein? Warum sollen wir Elemente wieder einführen? Warum sollen wir positiv starten? Warum sollen wir uns in Zeit und Ort bewegen? Warum handeln? Gezielt an diesen Forderungen vorbeizuspielen, und das bei vollem Einsatz improvisatorischer Fähigkeiten, zeigt nicht nur, wozu diese Regeln gut sind, aber auch, dass es auch ohne sie geht.

Tschechow improvisieren

Ich habe hier schon vor zwei Wochen einen Artikel über unsere Probe zu Tschechow geschrieben. Gestern also die Aufführung. Trotz allem Spaß bei der Probe, waren wir durchaus auch etwas skeptisch, ob das Publikum diesen Spaß würde teilen können. Und tatsächlich: Es hat funktioniert. Es wurde gelacht, es gab gespannte Ruhe, keine Nervosität. Alle sind nach der Pause geblieben. (Wenn 5-10% nichts damit anfangen konnten, waren sie zumindest so höflich, es nicht zu zeigen und ihre kritischen Gedanken für Zuhause aufzusparen.
Als Inspiration ließen wir uns einen Titel geben, einen fiktiven russischen Ortsnamen sowie vier Haupt-Charaktere.
Daraufhin improvisierten wir ein zweistündiges Stück in vier Akten. Beim Umgang mit Tschechow wurde mir immer mehr bewusst, wie sehr unser Impro-Spiel und überhaupt viele Improtheater-Konventionen sich auf den Film beziehen: Die Darstellungsweise, das Tempo, das Storytellipng. Hier jedoch muss man es erst mal aushalten, den Schauplatz über 20 Minuten nicht zu verlassen, die angekündigte Handlung eben nicht geschehen zu lassen, die Story nicht voranzutreiben.
Eine wahre Freude ist es, ein Blockiergewitter abregnen zu lassen.
Der Major zum Koch: „Jetzt geh und hol die Suppe.“
Koch: „Ja.“, (setzt sich aber hin).
Das schließt auch Selbstblockaden ein.
Die Mutter des Majors, die sich im ganzen Stück todkrank fühlt: „So frisch habe ich mich seit Jahren nicht mehr gefühlt. Wollen wir ein Fest haben!“
Der Arzt: „Das ist eine gute Idee.“ (geht ab)
Mutter des Majors: „Alle wollen wir zusammen sein.“
Arzt (von draußen): „Ich reite fort. Ich muss mich nun verabschieden.“
Major: „Ja, lasst uns feiern.“
Sohn des Majors: „Ich werde mich stärken, und dann geht’s auf nach Paris.“
Koch tritt auf: „Die Bäume im Garten sind umgefallen.“
Mutter des Majors: „Ich werde neue Bäume pflanzen.“
Koch: „Ich habe Euch noch nie so krank gesehen.“
Mutter des Majors fröhlich: „Ich bin so unruhig. Ich habe Fieber. Ich werde sterben. Herrlich!“

Es fragt sich, ob einige kleine Redundanzen noch vermieden werden könnten, wenn die Haltungen der verschiedenen Figuren zueinander noch klarer differenziert werden könnte. Denn das scheint mir inzwischen die Stärke zu sein. Wenn man es noch einmal aufführt, wäre meine Frage: Welches Tempo muss die Story haben, um nicht zu sehr stille zu stehen und andererseits noch die Tschechowsche „Wir-tun-nur-so-als-bewegten-wir-uns“-Komik zu haben?

Wenn ihr Erfahrungen zum Improvisieren mit Tschechow habt, schreibt es gern in die Kommentare oder mir per Mail.

Tschechow sprengt unsere Impro-Konventionen

Einen Monat läuft bereits das Foxy-Sommer-Experiment: Kurze Proben zu schwierigen Genres und Formaten mit Gästen aus anderen Gruppen. Drei sehr schöne Shows, eine durchwachsene. Für ein Experiment ein guter Schnitt.
Nun also Tschechow. Könnten wir etwas an diesem zu Tode inszenierten Dramatiker, der über nichts als sich langweilende russische Bürgerliche auf dem Lande schreibt, finden, das es wert ist, aufgeführt zu werden?
Die Probe verspricht Gutes. Als Spieler sehen wir, wie sehr wir doch oft eher filmischen Konventionen verhaftet sind: Story-Bögen, schnelles Zeigen neuer Szenen, usw.
Aber 20 Minuten die Szene zu halten, ohne dass wirkliche Action auf der Bühne passiert – das muss man erst mal aushalten. Aushalten als Spieler, sollte ich dazu sagen, denn für mich als Zuschauer war es einfach unglaublich komisch.
Figuren zu sehen, die andauernd aneinander vorbeireden, die alle ihre eigenen Ziele verfolgen, ohne den anderen zu beachten. Personen, die sich nur dann verlieben können, wenn sie wissen, dass es aussichtslos ist. Menschen, die das Unglück auf sich zukommen sehen, ohne auch nur das Geringste dagegen zu unternehmen.
Um mit Zimbardo zu sprechen: wehmütiges Verhältnis zur Vergangenheit, fatalistisches Verhältnis zur Gegenwart, pessimistisches Verhältnis zur Zukunft. Der Klischee-Russe?
Es schüttelt mich regelrecht vor Lachen.
Und es befreit uns von so manchen Improkonventionen, die wir wohl teilweise unbewusst mit uns herumtragen. Tschechow gestattet uns, nebeneinander herzureden, ohne auf den anderen einzugehen, wobei wir natürlich sehr wohl auf den anderen eingehen, nur eben kontrastierend statt fortschreitend. Wir können die Handlungsbögen extrem minimieren. Kein Begehren wird erfüllt. (Urban Luig bezeichnet die Bewegung sogar als linear.)
Wir können uns in endlosen egoistischen Monologen ergehen, die sicherlich schlau sind, aber die mit dem anderen nur insofern zu tun haben, als er das Assoziationsmaterial geliefert hat.
Tschechow hat seine Dramen als Komödien bezeichnet. Ich hab heute das Gefühl, wir sind die Ersten, die ihn verstanden haben.

Akzeptieren auf zwei Ebenen

Oft bleiben zwei Ebenen des Akzeptierens nicht klar voneinander unterschieden, so dass eben immer wieder Diskussionen darüber auftauchen, ob akzeptiert wurde oder nicht. (Auch Johnstone unterscheidet hier nicht immer klar.)
1. Akzeptieren der szenischen und spielerischen Wirklichkeit: Dies ist sozusagen die Grundlage aller Improvisation. Wenn ich als „Papa“ angesprochen werde, dann bin ich eben der Papa, egal, was für brillante Ideen ich sonst noch im Kopf hatte. Ein Satz wie „Ich bin nicht Ihr Papa“, würde die etablierte Wirklichkeit zerstören.
2. Akzeptieren einer szenischen bzw. narrativen Bewegung: Wenn mir angeboten wird: „Schatz, wir haben eine Reise nach Korsika gewonnen!“, dann nehme ich natürlich den Schwung auf; das Angebot ist voller Energie, es bietet eine Fallhöhe und szenische Entwicklung. Wenn meine Figur jedoch ablehnt, mit nach Korsika zu reisen, nehme ich zwar den Schwung aus der Szene, die Wirklichkeit bleibt aber erhalten. Angenommen also, die Szene findet mitten im Stück statt, könnte es durchaus sinnvoll sein, wenn der Angesprochene antwortet: „Sie haben mir den Urlaub gestrichen, Angelika!“
Oder als typisches Beispiel: Wenn mich szenisch ein Gangster bedroht und ich ihm freudig die Geldbörse überreiche, wäre das ein Akzeptieren der Bewegung, würde aber mit der szenischen Wirklichkeit brechen.

Im Grunde läuft es darauf hinaus: Akzeptiere stets die szenische Wirklichkeit! Akzeptiere stets das Spiel! Akzeptiere so viel wie möglich szenisch vorwärts treibende Bewegung. Erkenne, wann Widerstand nötig ist und setze ihn sparsam und gezielt ein.

Akzeptieren als Spieler vs. Akzeptieren als Figur

Was bei Johnstone unbeleuchtet bleibt: Es gibt einen Unterschied zwischen dem Akzeptieren des Angebots eines Mitspielers und dem Angebot der Figur.
Wenn A zum Beispiel sagt: „Komm mit!“, dann sollte man natürlich im Zweifel „Ja“ sagen und eben mitgehen. Nun kann es aber auch im Sinne der Szene sein, Widerstand zu leisten, etwa wenn der Sohn gegen den tyrannischen Vater endlich aufbegehrt. Entscheidend ist, dass beide Spieler sich über das Spiel einig sein sollten, d.h. man sollte nicht als Spieler streiten.
Das Akzeptieren eines Angebots einer Figur treibt die Handlung (oft auch im physischen Sinne) voran. Das ist besonders wichtig, wenn wir Plattformen bauen. Irgendwann brauchen wir Widerstand, und dann ist das Nein die akzeptierende Antwort.

Das Problem der Improspieler besteht aber oft darin, dass sie allzu schlau ihre andauernden Neins mit der Logik ihrer Figur begründen. Es ist wohl im Improtheater noch nie eine Szene mit zu vielen Jas gespielt worden.

Shakespeare: Zug um Zug ein Angebot

Lese wieder Shakespeare. Es wirft mich jedes Mal um, wenn man sieht, welches Tempo diese Dialoge haben. Wie jedes Angebot akzeptiert wird und poetisch gewandelt zu einem neuen wird.
Hier der Auszug eines Dialogs aus Richard III. zwischen Anna, deren Gatten Richard gemordet hat und um die er nun buhlt.

ANNA.

Hast du nicht diesen König umgebracht?

GLOSTER.

Ich geb‘ es zu.

ANNA.

Zugibst du’s, Igel? Nun, so geb‘ auch Gott,

Daß du verdammt seist für die böse Tat!

Oh, er war gütig, mild und tugendsam.

GLOSTER.

So taugt er, bei des Himmels Herrn zu wohnen.

ANNA.

Er ist im Himmel, wo du niemals hinkommst.

GLOSTER.

Er danke mir, der ihm dahin verholfen:

Er taugte für den Ort, nicht für die Erde.

ANNA.

Du taugst für keinen Ort als für die Hölle.

GLOSTER.

Ja, einen noch, wenn ich ihn nennen darf.

ANNA.

Ein Kerker.

GLOSTER.

Euer Schlafzimmer.

ANNA.

Verbannt sei Ruh‘ vom Zimmer, wo du liegst!

GLOSTER.

Das ist sie, Herrin, bis ich bei Euch liege.