Gutes Scheitern, ungutes Scheitern

Man kann schön und unschön scheitern .
Schön, wenn man voller Hingabe Risiken eingeht, das Engagement sichtbar wird.
Unschön, wenn sich ein Gefühl der Trägheit, der Leere, der Vorsicht auf der Bühne ausbreitet.
Letzte Woche ein künstlerisch anspruchsvolles Genre über einen ganzen Abend gemeistert. Diese Woche mit zwei Langform-Standards, die wir seit Jahren spielen gescheitert. Die Jonglier-Bälle der Improvisation sind uns nicht bei einer atemberaubenden Nummer zu Boden gefallen, wir haben sie nicht einmal hochgeworfen, da kullerten sie uns schon aus der Hand. Vielleicht stellt sich nach enormem Erfolg auch ein Gefühl der Nachlässigkeit ein: Wir können’s ja. Auf einmal ist man weniger engagiert, und missachtet sogar die Grundlagen der Kunst.
Da ist das heitere Scheitern nicht leicht. Nicht die Schuld beim Publikum suchen, nicht bei den Mitspielern. Was hätte ich tun können, um die Show zu retten!
Durchatmen, lächeln, toitoitoi fürs nächste Mal.

Harsche Kritik, die uns erfreute

Vor ca. zwei Jahren improvisierten wir (Foxy Freestyle) ein zweistündiges Stück im Stil von Tennessee Williams. Ein Titel und zwei, drei Vorschläge zu Beginn waren alles, was wir uns vom Publikum geben ließen. Das Stück war in unseren Augen und anscheinend auch in den Augen der meisten Zuschauer großartig. Ein Zuschauer hinterließ allerdings in einem Online-Bewertungs-Forum die kritische Bemerkung:
„Sehr schönes Theaterstück. Aber leider kein Improvisationstheater. Denn wenn das improvisiert gewesen wäre, dann wären die Schauspieler ja Genies.“
Lächelnd nahmen wir diese schöne Kritik zur Kenntnis.

Kontrastieren oder Kopieren

Wenn ich als Improspieler einen neuen Impuls in die Szene geben will, stelle ich mir die Frage: „Braucht die Szene mehr vom Selben? Oder braucht sie das Gegenteil?“ Dabei kann ich mein Augenmerk auf verschiedene Elemente der Szene richten, zum Beispiel:
Ist die Szene düster oder leicht?
Sind die Charaktere positiv oder bedrohlich?
Welche Körperlichkeit haben die Charaktere?
An welcher Stelle des impliziten Games befinden wir uns?
An welcher Stelle der Story befinden wir uns?
Ist die Szene laut und derbe oder leise und zart?
Ist die Szene schnell oder langsam?
Die Liste könnte nach Belieben erweitert werden. Entscheidend ist, dass wir hier nicht besonders „inhaltlich denken“. Es sind eher die formalen Aspekte, die uns herausfordern.
Vielleicht verallgemeinere ich etwas, aber als Daumenregel könnten wir sagen:
Die Szene verträgt Kopieren, wenn sie im Aufbau begriffen ist, wenn etwas verstärkt werden muss. Kontraste dienen der Vielfalt.
Wie wir schon besprochen haben, wird das Kopieren oft unterschätzt. Selbst wenn schon vier Spieler in den improvisierten Chor einstimmen, kann man immer noch einen draufsetzen, wenn man als fünfter dazukommt. Und der neunzehnköpfigen Tanzformation hilft auch der zwanzigste noch. Wer die Wucht der Gleichzeitigkeit großer Improgruppen einmal erlebt hat, weiß, was ich meine.
Ein schönes Beispiel für das Kopieren und Kontrastieren von Stimmungen kann man im Horror-Genre, speziell im Sub-Genre Slasher sehen: Eine Gruppe von Teenagern ist zu Beginn total fröhlich und übermütig, bis schließlich der Schrecken über sie hereinbricht. Das Positive kann ihr gar nicht groß genug sein; jeder neu hinzukommende Spieler kann eine neue Facette der Ausgelassenheit einbringen, denn so steigert sich unsere Fallhöhe. Aber es kommt der Zeitpunkt, ab dem diese Positivität der Kontrast des Bösen entgegengesetzt werden muss: Die Szene braucht einen Unhold, die Szene braucht Angst. Wenn das Unheil eine ganze Weile gelaufen ist, können wir wieder Heiterkeit durch Comic Relief einbauen.
Wenn es von der Kopie bisweilen zu wenig gibt, sehen wir manchmal vom Kontrast zu viel. Bleiben wir beim Beispiel des Grusel-Genre. Unsere Teenager-Gruppe betrinkt und befummelt sich fröhlich in der Hütte im Wald. Als ein Sturm hereinbricht, können sie nicht weg, und ein unheimlicher Jäger sucht in der Hütte Unterschlupf. Es wäre nun einigermaßen hirnrissig, die Gruseligkeit des Jägers kopieren zu wollen und außerdem noch einen wahnsinnigen Pfarrer, einen blutrünstigen Grafen, ein experimentierfreudiges Alien und Satan persönlich einzuführen. Der Schauer würde sich eher verflüchtigen als verschärfen. Auch eine Gruppe von sieben unheimlichen Jägern wäre vermutlich etwas albern.  
Kopieren verstärkt die Wucht. Kontrastieren verschärft die Spannung.
Wenn wir auf die abstrakten Elementen der Szene fokussieren, sind wir weniger gefesselt vom Inhalt.
Vor allem wenn man als Spieler im Off steht, hat man einen freien Blick für diese Elemente. Man erkennt schneller, wenn eine Szene noch etwas zusätzlichen Schwung gebrauchen kann (Kopieren ist gefragt) oder wenn sie dazu neigt, im Immergleichen zu verschwinden und Kontrastierungen nötig sind.
Zwei düstere Szenen sind meist mehr als genug – etwas Positives ist gefragt.
Nach einer längeren statischen Szene brauchen wir wieder ein bisschen Energie auf der Bühne.
Wenn wir die Beobachtungstiefe verstärken, können wir innerhalb einer Szene verschiedene Elemente kontrastieren oder kopieren.
In einer Langform mit meinen Kolleginnen Janine und Steffi entstand in einer Szene durch einen minimalen Pantomime-Fehler der Eindruck eines Bürgeramts mit verschlängelten Gängen. Sobald das einmal etabliert war, wurde es kopiert und es entstand eine surrealistische Stadt, in der die Bewohner sich in ihren Häusern nur mit seltsamen Mitteln zwischen den Räumen bewegen: schräg fahrende Aufzüge, Rutschen, Vertikalseile, Röhren usw.
Ein Kontrast durch „normales“ Treppensteigen hätte hier das Game gebrochen.
Auf der anderen Seite wurden die verschiedene Charaktere so breit gefächert wie möglich angelegt. Jeder Figur wurde ein Kontrast gegenübergestellt.

Die Jacke

Freitag, 22. Mai 2015. Langform von Foxy Freestyle „Strangers In The Night“.
Ich lasse mir als Inspiration für meine Figur aus dem Publikum eine Jacke geben. (Das habe ich das letzte Mal wahrscheinlich vor 10 Jahren gemacht.) Ich ziehe die Jacke an und werde der Character. Ab diesem Moment spielt sich die Show (ein zweistündiges improvisiertes Stück) wie von allein. Selten war ich für einen Vorschlag aus dem Publikum so dankbar.

Scheiter heiter, aber nicht mit meinem Format

Wenn wir bei Foxy Freestyle mit Gästen spielen, laden wir sie dazu ein, eines unserer aktuellen Lieblingsformate zu spielen und im Gegenzug uns in ihr Lieblingsformat einzuweihen, ohne große Probe, nur mit kurzer Besprechung der formalen Details vor der Show. Es zeigt sich, dass alle mit diesem Konzept recht zufrieden sind, mit folgender Einschränkung: Wenn es ein neues Format ist, dass die Gäste gerade in irgendwelchen Workshops unterrichten, sind sie oft geradezu überbehütend mit ihrem Format. Vielleicht weil sie es als ihr kleines Baby betrachten, das noch wachsen muss und das man nicht einfach dem derben Scheitern aussetzen möchte.

Wie ich mal interviewt wurde

Die bezaubernde Claudia Hoppe lud mich zu einem Gespräch bei Kaffee und Mikrofon ein.

Podcast Nr. 18 – Dan Richter über Impro, Lesebühnen und seinen Blog

Unter anderem zu folgenden Themen:

00:01:14 Prokrastinieren 3:21
00:04:35 Wie kam Dan zum Impro? 5:48
00:10:23 Dan über Impro-Gruppen-Chemie 10:52
00:21:15 Dans persönlicher Werdegang 2:50
00:24:05 Foxy Freestyle Shows & Formate 14:57
00:39:02 Über die Häufigkeit von Proben und Auftritten 3:21
00:42:23 Kleidung beim Impro 2:26
00:44:49 Dan über Theatersport 5:33
00:50:22 Über Lesebühnen 10:39
01:01:01 Lesebühnen & Impro 3:43
01:04:44 Lesebühnen & Comedy 5:09
01:09:53 Dans Impro-Blog 4:38
01:14:31 Arbeitsroutinen von Künstlern 3:47
01:18:18 Dans Buchveröffentlichungen 3:03

Noch einmal pro Warm Up

Bei allem Pro und Contra zum Thema „Aufwärmen vor der Show“ bin ich inzwischen ziemlich sicher, dass ein Warm Up in jedem Falle nützlich ist. Gestern etwa spielten wir eine komplexe Langform, und zwar nach über zweieinhalb Stunden konzentrierter Probe. Man könnte meinen, diese probe sei Warm Up genug gewesen, aber wir nahmen uns dann doch noch mal 10 Minuten, um einen gemeinsamen Groove zu finden und ein bisschen herumzualbern. Spielerisch und technisch waren wir sicherlich schon vorher gut drauf. Aber das Warm Up gibt einem dann doch noch eine Portion Leichtigkeit, erhöht das Wohlwollen und das Vertrauen untereinander.

Psychology: Rock-scissors-paper on stage / Schere-Stein-Papier auf der Bühne

In the beginning of this year Paul Moragiannis and I were in a scene where our two characters had to play rock-paper-scissors. It took us 12 to 15 moves until finally it was not undecided. I refuse any esoteric idea of telepatic „vibes“ and the like. But isn’t this worth a study: Do our minds get in some kind of synchronicity if we perform regularly together?

Anfang dieses Jahres waren Paul Moragiannis und ich in einer Szene, in der unsere Charaktere „Schere-Stein-Papier“. Es dauerte ungefähr 12-15 Runden, bis endlich kein Unentschieden dabei herauskam. Wer mich kennt, weiß, dass ich nicht viel von „Seelenschwingungs“-Quatsch halte. Aber das wäre doch mal eine Studie wert: Tickt man, wenn man gut aufeinander eingespielt ist, irgendwie gleich? Hallo Psychologen in spe, die ihr ein Thema für eure Diplomarbeit sucht!

Kotzen

„Keine Szenen übers Kotzen spielen“ – dieses Johnstone-Gebot hatte sich dermaßen in meinem Hinterkopf eingebrannt (und tatsächlich sieht man selten eine gute Szene, in der gekotzt wird), dass ich wohl noch nie in einer Impro-Aufführung gekotzt habe. Am letzten Freitag dann als Nebenfigur eine kotzende Partyleiche gespielt. Fast hatte der Tabu-Bruch etwas erlösendes. (Dabei hat man ja als Spieler sonst kaum Probleme, Mörder zu spielen.)
Dann noch mal über Johnstone nachgedacht: Es war ja keine Szene übers Kotzen, sondern das Kotzen war nur ein nebensächliches Element, dem nicht einmal viel Bedeutung zukam.
Knack deine Tabus!

Und ist das alles improvisiert?

Die Frage, ob auch wirklich alles improvisiert ist oder ob es nicht doch heimliche Plot- oder gar Text-Absprachen gibt, wird wohl nie verschwinden. Ich finde es auch nicht schlimm, wenn die Frage in aller Unschuld nach einer Show gestellt wird. Aber es gibt eben auch die ewig skeptischen Zuschauer, die während der ganzen Show nach „dem Trick“ suchen. Oder Zuschauer, die einem einfach nicht glauben. Vor einem Monat spielten wir ein komplett improvisiertes zweistündiges Stück im Stil von Tennessee Williams. Einziger Ausgangspunkt war der vom Publikum vorgeschlagene Titel. Vier Tage später die Internet-Rezension: Das Stück sei überzeugend vorgetragen worden. Aber „zu Beginn der Aufführung sollten die Zuschauer den Namen des Stückes bestimmen. Das war es dann auch mit dem Improvisationstheater.“ Denn wenn das alles improvisiert sein sollte, dann hätten ja die Spieler genial sein müssen.
So geschmeichelt man sich dabei auch fühlen mag, es ist doch erstaunlich, dass diese Art von Zuschauern es der Show nicht gönnen können, „genial“ zu sein. Und sich selbst den Genuss nicht gönnen, etwas Großartigem beizuwohnen.
Aber wir sollten nicht in de Falle tappen, den Zuschauern durch Extra-Gimmicks „beweisen“ zu wollen, dass alles improvisiert ist; denn erstens verwässert man dann die eigene Show für sich und die Mehrheit der Zuschauer und zweitens, das zeigt die Erfahrung, werden die Skeptiker stets Skeptiker bleiben.

Laurel, Hardy und meine Kollegen

Gab es eigentlich schon mal Improspieler, die systematisch den Stil von Laurel und Hardy zu erfassen versucht haben?
Am letzten Freitag ist mir das spontan gelungen. Aus einer lang angelegten Story, die eigentlich voller Szenenwechsel sein sollte, entstand eine 20minütige Slowburn-Szene mit meinem genialen Kollegen Paul Moragiannis.
Applaus verdient aber auch Janine Tuma, die die Szenen mit kleinen Nebenfiguren unterstützte, uns sozusagen Futter gab, und nicht etwa die „Story vorantrieb“.

Ausblenden von Komplexität

Könnte es Beim Einstudieren von Genres hilfreich sein, Deutungen und Interpretationen von Werken bewusst auszublenden? Diesen Eindruck hatten wir vor allem bei Tschechow, Brecht und den Surrealisten.
Tschechow konnten wir knacken, indem wir die politischen Deutungen ausblendeten – die ergeben sich unter Umständen von ganz allein. Wir näherten uns ihm, weil es uns gelang, die Stücke als Komödien aufzufassen, was er, wie wir beim Nachlesen feststellten, ja auch selber getan hatte.
Der Surrealismus trug bei seiner Entstehung seine Deutung schon quasi mit im Gepäck, da sich seine Protagonisten viel mit Psychologie (was damals praktisch dasselbe war wie Psychoanalyse) befassten. Die Schwierigkeit für unseren Schaffensprozess bestand nun darin, die Deutungen nicht schon vorwegzunehmen, was ja das Schaffen eher lähmt. Einige der Mechanismen, mit denen Psychoanalyse arbeitet – wie z.B. freies Assoziieren – sind uns ja sehr vertraut. Wir konnten also frei damit arbeiten, so wie es übrigens auch Bunuel und Dalí auch taten. Schwierig war es auch gerade beim Surrealismus, die genre-bildenden Elemente von den zufälligen Elementen des jeweiligen Künstlers zu unterscheiden. Z.B. also das stilbildende Assoziative des Surrealismus vom künstlertypischen Element der Gewalt bei Bunuel.
Brecht ist vielleicht der Schwierigste von allen gewesen; denn ihn kann man ja nicht von seiner politischen Aussage trennen. Auf die wird er freilich oft reduziert und in den Impro-Kopien entsteht dann ein billiger Agitprop-Abklatsch. Auch muss man viel von Brechts eigenen Theater- und Schauspiel-Vorstellungen ausblenden. Das von Brecht so verachtete Einfühlen in eine Rolle etwa zugunsten der zeigenden Skizze lässt dann oft nur noch eine Schablone übrig, wenn man es missversteht. Den V-Effekt wenden wir sowieso andauernd im Improtheater an. Die Sprache Brechts wäre eine Möglichkeit gewesen, sich ihm zu nähern. Aber auch die ist wieder so flexibel, in jedem Stück, jeder Rolle anders. Also war für uns der Begriff des „Versuchs“ hilfreich. Sowie die Brechtsche Grundfrage: Kann ein Mensch in einer bösen Gesellschaft gut sein? Auch Brecht kommt nicht ohne Helden aus. Aber ihm fehlt jegliches melodramatisches Element.

Versuch, über Brecht zu improvisieren

Nach Tschechow wieder eine völlig neue Erfahrung, eine Story anzugehen. Ich muss sagen, wir haben Brecht sicherlich nicht so gemeistert wie den Russen in der letzten Woche. Aber wenn Bertolt gesehen hätte, wie wir uns ihm von verschiedenen Seiten genähert haben, hätte ihn das sicherlich gefreut.
Aus der Sicht des Improvisierers ist mir natürlich auch wieder einmal klar geworden, wie sehr wir im Improtheater zu Melodramatik neigen. In einem längeren Stück zeigten wir einen unsicheren Mann, der versucht, über Facebook eine Freundin kennenzulernen und der erst am Ende versteht, dass es sein eigener Mitbewohner ist, mit dem er chattet und in den er verliebt ist. Die beiden treffen sich zum Date im Park. Jeder Improvisierer ist hier natürlich instinktiv froh, die Story rund hinbekommen zu haben. Aber es widerspricht natürlich völlig dem Brechtschen Ansatz, die Moral von der Geschicht in eine Psycho-Botschaft zu verpacken (á la „Der Mensch, den du liebst, steht neben dir.“) Vielmehr geht es immer um soziale Zusammenhänge. Damit herumzuexperimentieren, macht natürlich außerordentlich Spaß.
Und wir haben – schließlich sind wir bei Brecht – durch den V-Effekt alle Möglichkeiten, dies auch auf der Bühne zu diskutieren. „Endlich! Endlich!“, geht es mir durch den Kopf – improvisierte wahre Dialoge auf der Impro-Bühne, also das, was wir bei der Chaussee der Enthusiasten schon seit Jahren tun.

Tschechow improvisieren

Ich habe hier schon vor zwei Wochen einen Artikel über unsere Probe zu Tschechow geschrieben. Gestern also die Aufführung. Trotz allem Spaß bei der Probe, waren wir durchaus auch etwas skeptisch, ob das Publikum diesen Spaß würde teilen können. Und tatsächlich: Es hat funktioniert. Es wurde gelacht, es gab gespannte Ruhe, keine Nervosität. Alle sind nach der Pause geblieben. (Wenn 5-10% nichts damit anfangen konnten, waren sie zumindest so höflich, es nicht zu zeigen und ihre kritischen Gedanken für Zuhause aufzusparen.
Als Inspiration ließen wir uns einen Titel geben, einen fiktiven russischen Ortsnamen sowie vier Haupt-Charaktere.
Daraufhin improvisierten wir ein zweistündiges Stück in vier Akten. Beim Umgang mit Tschechow wurde mir immer mehr bewusst, wie sehr unser Impro-Spiel und überhaupt viele Improtheater-Konventionen sich auf den Film beziehen: Die Darstellungsweise, das Tempo, das Storytellipng. Hier jedoch muss man es erst mal aushalten, den Schauplatz über 20 Minuten nicht zu verlassen, die angekündigte Handlung eben nicht geschehen zu lassen, die Story nicht voranzutreiben.
Eine wahre Freude ist es, ein Blockiergewitter abregnen zu lassen.
Der Major zum Koch: „Jetzt geh und hol die Suppe.“
Koch: „Ja.“, (setzt sich aber hin).
Das schließt auch Selbstblockaden ein.
Die Mutter des Majors, die sich im ganzen Stück todkrank fühlt: „So frisch habe ich mich seit Jahren nicht mehr gefühlt. Wollen wir ein Fest haben!“
Der Arzt: „Das ist eine gute Idee.“ (geht ab)
Mutter des Majors: „Alle wollen wir zusammen sein.“
Arzt (von draußen): „Ich reite fort. Ich muss mich nun verabschieden.“
Major: „Ja, lasst uns feiern.“
Sohn des Majors: „Ich werde mich stärken, und dann geht’s auf nach Paris.“
Koch tritt auf: „Die Bäume im Garten sind umgefallen.“
Mutter des Majors: „Ich werde neue Bäume pflanzen.“
Koch: „Ich habe Euch noch nie so krank gesehen.“
Mutter des Majors fröhlich: „Ich bin so unruhig. Ich habe Fieber. Ich werde sterben. Herrlich!“

Es fragt sich, ob einige kleine Redundanzen noch vermieden werden könnten, wenn die Haltungen der verschiedenen Figuren zueinander noch klarer differenziert werden könnte. Denn das scheint mir inzwischen die Stärke zu sein. Wenn man es noch einmal aufführt, wäre meine Frage: Welches Tempo muss die Story haben, um nicht zu sehr stille zu stehen und andererseits noch die Tschechowsche „Wir-tun-nur-so-als-bewegten-wir-uns“-Komik zu haben?

Wenn ihr Erfahrungen zum Improvisieren mit Tschechow habt, schreibt es gern in die Kommentare oder mir per Mail.

Tschechow sprengt unsere Impro-Konventionen

Einen Monat läuft bereits das Foxy-Sommer-Experiment: Kurze Proben zu schwierigen Genres und Formaten mit Gästen aus anderen Gruppen. Drei sehr schöne Shows, eine durchwachsene. Für ein Experiment ein guter Schnitt.
Nun also Tschechow. Könnten wir etwas an diesem zu Tode inszenierten Dramatiker, der über nichts als sich langweilende russische Bürgerliche auf dem Lande schreibt, finden, das es wert ist, aufgeführt zu werden?
Die Probe verspricht Gutes. Als Spieler sehen wir, wie sehr wir doch oft eher filmischen Konventionen verhaftet sind: Story-Bögen, schnelles Zeigen neuer Szenen, usw.
Aber 20 Minuten die Szene zu halten, ohne dass wirkliche Action auf der Bühne passiert – das muss man erst mal aushalten. Aushalten als Spieler, sollte ich dazu sagen, denn für mich als Zuschauer war es einfach unglaublich komisch.
Figuren zu sehen, die andauernd aneinander vorbeireden, die alle ihre eigenen Ziele verfolgen, ohne den anderen zu beachten. Personen, die sich nur dann verlieben können, wenn sie wissen, dass es aussichtslos ist. Menschen, die das Unglück auf sich zukommen sehen, ohne auch nur das Geringste dagegen zu unternehmen.
Um mit Zimbardo zu sprechen: wehmütiges Verhältnis zur Vergangenheit, fatalistisches Verhältnis zur Gegenwart, pessimistisches Verhältnis zur Zukunft. Der Klischee-Russe?
Es schüttelt mich regelrecht vor Lachen.
Und es befreit uns von so manchen Improkonventionen, die wir wohl teilweise unbewusst mit uns herumtragen. Tschechow gestattet uns, nebeneinander herzureden, ohne auf den anderen einzugehen, wobei wir natürlich sehr wohl auf den anderen eingehen, nur eben kontrastierend statt fortschreitend. Wir können die Handlungsbögen extrem minimieren. Kein Begehren wird erfüllt. (Urban Luig bezeichnet die Bewegung sogar als linear.)
Wir können uns in endlosen egoistischen Monologen ergehen, die sicherlich schlau sind, aber die mit dem anderen nur insofern zu tun haben, als er das Assoziationsmaterial geliefert hat.
Tschechow hat seine Dramen als Komödien bezeichnet. Ich hab heute das Gefühl, wir sind die Ersten, die ihn verstanden haben.

Das Foxy Freestyle Sommer-Experiment

Ein Ensemble-Mitglied auf Dienst- und Urlaubsreisen, das andere Neu-Mutter.
Statt nun selber 5 Monate Spielpause einzulegen, beschlossen Stefanie Winny und ich, aus der Not eine Tugend zu machen. Wir fragten uns: Welche Formate und Genres wollten wir schon immer mal ausprobieren? Mit welche Berliner Improvisierern würden wir gern auftreten und proben?
Der Clou dabei: Zu jeder Show gibt es nur eine 3stündige Probe, wobei jeder Spieler natürlich seine Hausaufgaben erledigen muss und sich mit den Genres beschäftigen.
Zwischenstand:
Die erste Show am 1. Juli war das von uns selbst entwickelte Format „Strangers in the night“, das wir bereits vor einem Jahr zu zweit gespielt hatten. Diesmal allerdings erstmals über beide Hälften einer kompletten Show. Überraschend schön, wie man nahe am Sentiment improvisieren kann. Neben viel Lachen auch die guten Momente, in denen man das Publikum vor Rührung schlucken hören kann. Und erstmals ergab sich bei diesem Format ein Happy End.
Der Vorschlag „Bollywood“ kam von Steffi. Ich hatte noch nie einen kompletten Bollywood-Film gesehen und mir nun „Mother India“, „Lagaan“ und einige Youtube-Clips angetan, sowie ein paar Artikel zum Thema gelesen. Es blieb exotisches Territorium. Trotz einiger Befürchtungen lief die Probe für die Bollywood-Show phantastisch. Unsere Gäste waren Uta-Maria Walter von Praxis Dr. Patschke und die Dichterin Christina Schneider, die erst vor einem Jahr mit Improvisieren begann, deren Stil uns aber neugierig gemacht hat. Das Gefühl „Wir haben nichts zu verlieren“ ließ sich allerdings nicht so leicht in die Show mitnehmen. Wie so oft war es nicht so sehr die Story, wie einige Zuschauer vermuteten (Zuschauer glauben immer, es läge an der Story), sondern an einer gewissen Zögerlichkeit, an der Überwältigung vom musikalischen Material, der Furcht, Erwartungen nicht erfüllen zu können und einigen Missverständnissen. In der Pause beschlossen wir, das Format nicht durchzuziehen, sondern lediglich das Ende zu spielen und dann zu einer einfachen Langform zu wechseln. Nach der Show lobte uns das Publikum trotzdem. Und es zeigte sich wieder einmal, dass einem die eigenen Ansprüche oft im Weg stehen. Auch der Video-Mitschnitt zeigt uns eine Menge schöner Szenen, die zwar nicht an die Szenen aus der freigespielten Probe heranreichen, aber dennoch lustig und sehenswert waren.
Bollywood war auf seine Weise schwer, aber nun ging es an Shakespeare. Was macht eigentlich den Stil von Shakespeare aus? Wie geht er eine Tragödie an, wie eine Komödie? Ich erstellte eine Liste der Stücke, die ich gelesen oder gesehen hatte: Macbeth, Hamlet, Romeo und Julia, Richard III., Der Sturm, Maß für Maß, Sommernachtstraum. Ansatzweise wusste ich bescheid über Lear und Othello. Also nur eine Komödie, wenn man das Problemstück „Maß für Maß“ nicht mitzählt. Also noch „Der Widerspenstigen Zähmung“ und „Viel Lärm um Nichts“ hinzugenommen, damit wir uns nicht zu sehr auf Zwillings- und Verwechslungs-Firlefanz einlassen müssten, der mit vier Schauspielern nur schwer zu bewältigen wäre. Hilfreich war auch eine kleine Merkliste von Herrn Hauswirth zu einem Impro-Shakespeare-Workshop mit Randy Dixon. Zum Hausaufgaben-Repertoire gehörte für mich: Pentameter-Sprechen, Natur-Metaphern improvisieren, im Geiste Listen erstellen von Shakespearschen komödiantischen Mitteln, Handlungs-Orten, Figuren usw.
Die Probe mit Uta-Maria Walter und Thomas Jäkel vom Portal Impro-News und den Changeroos machte Mut.
In beiden Proben ließen wir klassische Warm Ups einfach weg. Stattdessen begannen wir mit Brainstorming zu genre-typischen Elementen, die uns faszinieren. Wir assoziierten Szenen, die wir im nächsten Schritt auch einfach anspielten. Es folgten Monologe, aus denen sich Szenen entwickelten. Wir entdeckten, dass Shakespeare uns plot- und impro-technisch eine Menge Hilfsmittel in die Hand gab: Jeder folgende Schritt wird lang und breit angekündigt. Und schließlich fanden wir in der kurzen Probenzeit sogar die Möglichkeit, je eine viertelstündige Komödie und eine Tragödie anzuspielen.
Die Show war für mich eine der besten, die ich in den letzten Jahren gespielt habe: Geistig fordernd, niemand spielte unter seinen Fähigkeiten, alle gaben ihr Bestes, jeder Schritt ging Hand in Hand, wir haben das Genre ziemlich gut gemeistert, das Publikum (wo kamen die eigentlich alle her bei dieser Jahreszeit?) ging gut mit. Nach der Show sprach ich mit einem sehr jungen Pärchen Erstbesucher, die begeistert waren – für mich ein Beleg dafür, dass es nicht nötig ist, „unerfahrene“ Impro-Zuschauer unbedingt erst mit Games an Impro-Theater heranzuführen.
Wir fragten uns vor der Show: Wie wollen wir die Musik einbauen? Passt Musik überhaupt zu einem Shakespeare-Stück? Noch in der Probe haderten wir ein wenig mit dieser Frage. Wir einigten uns auf den Kompromiss, dass die Musik zwischen den Szenen erklingen sollte. Die Show begann, die erste Szene lief. Fee Stracke spielte, und es war großartig! Kein auf Renaissance getrimmtes Pseudo-Mittelalter, keine Film-Musik, sondern seltsam-modern und doch nie gewollt, sondern stets passend klingende Theatermusik.
(Wird fortgesetzt.)

Negativ starten mal anders

Test auf der Probe: Szenen negativ beginnen und trotzdem interessant werden lassen. Wir probieren:
– Genörgel
– Lauter Streit
– Depression

Es funktioniert, wenn man das Negative nicht auf den Schauspieler rüberschwappen lässt und wenn man das Negative als Plattform bzw. Routine begreift, dass die Charaktere letztlich vereint.
Interessant auch der Bruch dieser Routinen, der automatisch immer ein positiver war.

Schöne Show

Wie im letzten Posting erwähnt, fand ich die gestrige Show ziemlich gelungen.
Unsere Wiki-Langform im 2. Teil:

1.

Colt Defense
Der einsame Rächer Merge Black sucht seinen Sohn Joe, der vom Comanchen-Häuptling „Schwarze Narbe“ entführt wurde. In seinem Colt Defense Gewehr sind Kerben für jeden getöteten Indianer. In einem Saloon in Nebraska gibt ihm ein kleiner Junge den entscheidenden Tip, aber als Vater und Sohn sich treffen, erkennt Merge Black, dass Joe inzwischen zu einem Comanchen geworden ist. Entscheidender Satz: „Ein Vater erkennt seinen Sohn am Geruch.“

2. Das junge Paar – Oliver und Simone – hat ein Rendezvous auf dem Seeparkturm, aber ihr Vater, Herr Keinzle, mit seinem Schmetterlingsfimmel legt ihnen Steine in den Weg. Ende gut, alles gut, wenn die beiden nicht die Fackeln am Turm stehengelassen hätten.

„Den Korallenfalter hast du im Seepark gefunden?“
„Nein, bei Ihnen im Elektrozaun.“

3. Wir schreiben das Jahr 1935. Billy aus Detroit lebt in den Elendsvierteln der Stadt und kann mit seinem Job auf dem Bau kaum seine Frau und sein Kind ernähren. Da kommt ihm ein Job als Spitzel des Chefs ganz recht: Er soll alle verpfeifen, die eine Gewerkschaft gründen. Ein Brechtsches Musical, das den sozialen Zusammenhalt in den Slums beleuchtet, in der soziologischen Tradition von Herbert J. Gans .

„Du hast McEnroe und Turnstyle auf dem Gewissen, die auf dem Grunde des Eriesees liegen. Und jetzt auch Jack.“
„Der Pegel des Eriesees ist schon gestiegen.“

Foxy Show vom 2. April 2010

Baummarkierer am Werk. Über Schmalzstullen. Heißluftballons, Radfahrerin, Kirche, Schachspieler, Häuschen kehren wir zurück in den Schaukelstuhlmann mit der Zipfelmütze.

Die Lebensmittelpolizei ist Schäubles CIA-Connection aus den 70ern längst auf die Schliche gekommen. Aber es wird ihm nicht gelingen, Berlin zur Schwabenhauptstadt zu machen.

*

Die pädagogische Bäckerin trifft auf einen Physiker und einen soziologisch bewanderten Kunsthistoriker.
*

Ob Ken auch liest?
*

Raskill haben die Mörderbienen trotz Rauchkanne als ersten erwischt.
*

Parallelspiegel sind sicher, solange man in sie nicht mit einem Fernglas schaut.

Weiterlesen

Show vom 19. März 2009

In einer Abstellkammer des Bundestages stärkt sich ein Putzmann für den neuen Arbeitstag. In dieser begegnen wir einem Straßenfeger-Verkäufer, zwei Alleinerziehenden im Park und zwei Yuppies im Café. Einem türkischen Ramschverkäufer, einer Oma, deren Wellensittich davonfliegt, einem Selbstmörder und seiner verschwenderischen Frau, und wieder beim Putzmann angelangt kulminieren die Storys.

Ist der Schwimmer Maschowski, der den Helden mit einem Periskop beobachtet, tatsächlich von einer Terror-Einheit der Regierung?

Eine Flugzeuggeräteherstellerin ist hin und her gerissen zwischen zwei Männern. Auf den Rat ihres Vaters hin, sich mal fallenzulassen, entdeckt sie die Liebe zu den Frauen.

***

Collage mit Schneckenreiter, Verführung durch Bussardfedern, Perser werden von Spartanern mit Bildern von Frauen abgelenkt. Geschenke entfalten sich ethisch ambivalent.

Zuschauer in der ersten Reihe

Ich glaube inzwischen, es hilft, Zuschauer in der ersten Reihe, wenn nicht zu ignorieren, so doch weitgehend auszublenden. Wenn sie gut drauf sind besteht die Gefahr, dass man den Fokus auf sie richtet. Sind sie schlecht drauf, versprühen sie ihre schlechte Laune.
Beim Kantinenlesen habe ich es am häufigsten erlebt: Ein eingefleischter Fan bringt einen Freund mit, der für den Rest des Abends uns stonefaced anstarrt und mit seinem ganzen Körper kommuniziert: „Was soll die Scheiße?“
Beim Improvisieren ignoriere ich glücklicherweise oft die erste Reihe mehr als alle anderen. Einmal sogar meine Schwester übersehen. Gestern eine beschwipste Vierergruppe. Darunter zwei Zuspätkommer, die sich dann auch noch ausführlich Küsschenlinksküsschenrechts verteilen mussten und in den ersten kürzeren Szenen ständig demonstrativ lachten, aber an Stellen und in einer Weise, dass man merkte: Die haben nichts verstanden. (Immer wieder gern genommen: Der Echo-Lacher, der das letzte Wort, das auf der Bühne fiel, wiederholt und dann angestrengt lacht.)
Den zweiten Teil – eine Collage. die beim Publikum insgesamt sehr gut ankam – haben sie enfach nicht begriffen. Vermutlich wären sie im politischen Kabarett besser aufgehoben gewesen, wo schon die Nennung des Namens „Westerwelle“ für Lacher sorgt.
Meine Kollegen waren irritiert, als der Herr immer nur missbilligend den Kopf schüttelte, ber da habe ich die Truppe glücklicherweise schon übersehen.

Magic Moments: Er ist ein Maulwurf

Einer jener seltenen magischen Momente entstand bei der zweiten Show von Foxy Freestyle in der Alten Kantine. Die Schluss-Szene einer zwar witzigen, aber doch recht verwickelten Geschichte mündet in ein Abschluss-Lied zwischen Matze Fluhrer und mir.
Die letzte Zeile singen wir gemeinsam, ohne uns anzuschauen: Gleicher Text, gleiche Melodie. Das Video ist wie immer lediglich ein müder Abklatsch, aber die Zuschauer sind von diesem besonderen Moment auch begeistert.
Ich denke, die Chance, solche Momente zu erleben, erhöht sich, wenn wir nicht nur aufmerksam sind, sondern vor allem auch mutige Entscheidungen treffen.

Der Song startet ca. bei Minute 3:30… Weiterlesen

Impro für Improvisierer – Rapid Fire

Auftritt von Amy Shostak und Kurt Smeaton (Rapid Fire) im Bühnenrausch. Von 50 Zuschauern sind mindestens 40 Improspieler. Davon kritzelt die Hälfte während der Show Notizen. Von Kanada lernen heißt Impro lernen. Keith Johnstone, The Crumbs Rapid Fire.
Die beiden spielen zwei Langformen. Sehr entspannt, sehr gutes Miteinander. Sie gehen so locker miteinander um, dass es fast scheint, als seien sie langsam. In Wirklichkeit bauen sie Schritt für Schritt aufeinander auf, führen Elemente wieder ein, bleiben im Moment, und behalten das bereits Etablierte im Blick. Schöne Figuren. Alles spezifisch. Die zweite Hälfte beginnen sie in einem kleinen Flugzeug. Eine beinahe Warte-Szene, fast wie Godot. Gleich zu Beginn fragt sie ihn, ob seine Schulter noch schmerze. Er fragt zurück, wie es ihrer Schulter gehe. Wir bleiben mit der Information allein. Und erst am Ende wird sie wieder eingesammelt.

Vor der Show: Freunde, die man lange nicht gesehen hat, im Publikum. Schüler, die vor der Show noch was wissen wollen. Technik, die nicht richtig funktioniert. Ein neues Format. Ein neuer Mitspieler. Stress vom Nachmittag im Hinterkopf.
Dann kommen während der ersten Hälfte Zuschauer zu spät. Die Eingangstür geht wegen des Weihnachtsmarkts auf dem Hof ständig auf und zu. In der ersten Reihe ein Witzig-witzig-Zuschauer. Die extra aufgebaute Kamera fällt aus, und ein Zuschauer versucht, sie zu „reparieren“. Vorschlag für die erste Szene: Zyankali. Alles für sich genommen, keine echten Probleme für einen lockeren Impro-Spieler. Alles zusammen dann aber schon eine Herausforderung. Da genügt die Selbstsicherheit des Teams unter Umständen nicht. Man kann es Eingrooven nennen, Meditieren, Warm Up, Abspacken oder Einfoxen: Wenn der ganze Abend frei improvisiert ist, braucht man sowohl Freiheit als auch Fokus. Darauf muss man sich einstimmen. Man nehme sich die Zeit.

(Dafür war die zweite Hälfte hinreißend.)

Seltsamer Auftritt

Die Hälfte des Publikums ausländische Studenten, deren Deutsch so schlecht ist, dass sie einfachste Sätze nicht verstehen. Die Stille überträgt sich auf die anderen Zuschauer. Dann auch noch technische Störungen. Wir selber lassen uns tatsächlich manchmal zu einer Mischung aus Überdramatisierung und Auf-der-Stelle-Treten hinreißen. Für häufige Impro-Zuschauer waren viele Szenen sicherlich etwas erwartbar. Dennoch sind wir immer noch effizient genug, um eine ordentliche Show abzuliefern – gute Songs, ein paar überraschende Figuren und Wendungen.

Fiese Vorschläge

Man muss sich ab und zu mal wieder an die positive kreative Kraft erinnern, die wir bei unseren wöchentlichen Auftritten mit dem Dunkeltheater entfaltet haben. Das Publikum wegen der doch oft fatalen Mischung au Gastronomie und Unterhaltung oft überdreht. Die Gereiztheit durch die Dunkelheit tut ihr Übriges. Und dann kommt als letzter Vorschlag für ein Lied der Titel „Stuhlgang“. Camilla, in einem Rausch von Positivität, Gutmütigkeit und Großzügigkeit, macht daraus ein Lied, über die kleinen Dinge des Lebens, die man alleine tut, und das Wort Stuhlgang wird irgendwo erkennbar für die Zuschauer, aber irgendwie auch unerheblich für die Schönheit des Lieds.