Nicolaus Harnoncourt: „Ich kann mir keinen wirklich bedeutenden Künstler denken, der tatsächlich glaubt, dass er seine überragenden Fähigkeiten sich selbst zu verdanken hat.“
(Spiegel-Interview, Februar 2009)
Wullewupp Kartoffelsupp
Bei Helge Schneider im Admiralspalast.
Helge sicherlich nicht in Höchstform, ein wenig müde, aber selbst in diesen vergleichbar schwachen Momenten noch inspirierend.
Der Admiralspalast ein wenig ungeeignet. In der 14. Reihe fällt es schon schwer, optisch und akustisch zu folgen. Ob das an den Haustechnikern oder an der Crew von Helge liegt, ist schwer zu sagen.
Sehr schön die mexikanischen Trompeten. Gleitmanns Gymnastik. Die Statusspielchen mit dem Butler. Aber irgendwann würde man auch gern mal jemanden vom Ensemble was sagen hören. Trauen sie sich nicht? Oder sollen sie nicht, weil es Helge vielleicht doch schwerfallen würde, darauf zu reagieren?
Wunderbar: „Der Meisenmann“. Der Liedtext schön weiterentwickelt zu einer absurden Odyssee des Meisenmannes. Und selbst „Katzeklo“ klingt schön entspannt und wie ein gut abgehangener alter Jazz-Standard für Vibraphon.
Ehrenhaft, dass die ganze Band die Bühne räumt, damit Pete Yorke ein 5minütiges (Steffi meint, es seien mindestens 10 Minuten gewesen) Schlagzeugsolo hinlegt. Er bekommt auch seinen wohlverdienten Applaus, aber im Zusammenhang des Gesamtabends wirkt die Leistung Yorkes wie eine Arbeitsverweigerung von Helge.
Für die Zugabe holt er die Panflöte heraus, beginnt einen kleinen Monolog und verabschiedet sich. Als habe er aufs Flötespielen dann doch keine Lust mehr gehabt.
Dabei fraß ihm das Publikum wie gewöhnlich aus der Hand. Gelächter nach praktisch jedem Satz. Teilweise schon hysterisch. Seine Fernsehkritik und -parodien zu Casting- und Gerichts-Shows eher einfallslos, beinahe ranschmeißerisch. Prompter Gesinnungsapplaus.
Die musikalischen Beiträge insgesamt stärker. Sehr uneitel holt er diverse Instrumente heraus und spielt sie, ohne eine Sansation draus zu machen, als sei es eine Selbstverständlichkeit: Trompete, Akkordeon, Gitarre, Saxophon, Mundharmonika, Vibraphon. Und das einzige Instrument, das er im klassischen Sinne „gelernt“ hat, – das Klavier – lässt er an diesem Abend von einem anderen Musiker spielen.
Minas Anmut
Anmut und Haltung mit nur 20 Jahren. Wann erlebt man so etwas schon? Zum Glück hatte jemand eine Kamera zur Hand.
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Übungsaufbau Kopieren Anfänger
1. Langsam an die Spiegel-Übung heranführen. Einer führt langsam, der andere wird geführt. Wo ist die Grenze des möglichen Tempos? Spiel mit Distanzen – oben/unten, vorn/hinten, links/rechts. Beachten: Nicht kopieren, sondern spiegeln.
2. Häufige Wechsel zwischen Führer und Geführtem, bis beide gleichzeitig führen und geführt werden.
3. Zu dritt/viert/fünft: Langsam Sound aus dem Nichts entstehen lassen und weiterentwickeln.
4. Als Gruppe oder zu zweit synchron („aus einem Munde“) sprechen. Fokus: Gleichzeitig führen und geführt werden. Nicht vor- oder nachsprechen.
Nicht ihr spielt das Spiel. Das Spiel spielt euch!
24.-25.1.07
Nach mehreren Nächten mit schrecklichen 2.-Weltkrieg-Träumen, in denen ich entweder an der Front oder im KZ leide, mildert sich die Heftigkeit meiner nächtlichen Erlebnisse. (Vor ein paar Jahren stellten wir in einer After-Show-Diskussion bei der Reformbühne fest, dass sämtliche anwesenden Ostler schon von Hitler geträumt hatten, die Wessis hingegen noch nie.) In der letzten Nacht wollte mir lediglich die Stasi an den Kragen. In einem dramaturgisch gewagten Cut wechselte der Schauplatz zu einer S-Bahn, in der mein vor nunmehr sechzehn Jahren verstorbener Freund Ralf Gitarre spielte. Und zwar eigenartigerweise so, wie er immer Gitarre spielte. Ich muss dazu sagen, dass die akustischen Facetten meiner Träume eher verschwommen sind. Ich träume eher, dass jemand etwas sagt, als dass ich träumend hören würde, wie er das sagt. Aber das Gitarrespiel hörte ich genau. Wenn ich von Verstorbenen träume, wollen sie meistens verschwinden, also das, was sie ja in der Wirklichkeit auch getan haben – Verschwinden. Leise ahnend, dass es ja doch nur ein Traum ist, wage ich dann erst gar nicht zu fragen, wie es denn sein könne, dass er sich in all den Jahren nicht gemeldet habe, wenn er nun doch lebe. Diesmal aber war es anders. Ralf nahm seine schlecht gestimmte Gitarre, quetschte sich in eine vollbesetzte S-Bahn-Bank und improvisierte dudelnd auf einem D-Dur-Akkord herum. Selbst seine Stimme hörte ich deutlich.
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Mi, 24.1.07
E-Mail Diskussion über die anstehende Geburt von Stephans Tochter – soll man ihr, solange sie noch im Mutterleib ist, eher Mozart oder Tocotronic vorspielen?
"Theatersport Berlin" kündigt die Premiere von "Bühnenpiraten" am Kudamm an.
Schöne Impro-Show mit der Bö im Zebrano.
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Über die Schönheit der DDR-Kindermärchenplatten, die von den Schauspielstars gesprochen wurden. Fred Düren, Rolf Ludwig, Klaus Piontek, Elsa Grube-Deister, Kurt Böwe, Dieter Mann, Dietrich Körner, Jutta Wachowiak. Klaus Piontek hatte ein Abonnement auf die kindlich-jugendlichen Helden wie Zwerg Nase.
"Der Froschkönig" umgeschrieben auf das Leiden des Jochen Schmidt.
Bemerkenswerte Änderung vom Blog zum Buch: Aus dem "eisernen Dan" wird nun doch der "eiserne Heinrich". Gut, die Leser hätten "Dan" nicht verstanden. Ich aber schon.
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Und Marcel beschließt nun tatsächlich, jeglicher sozialen Kontakte zu entsagen und sich allein dem Schreiben zu widmen. Im Grunde ist jeder Künstler ein Autist auf Zeit, man betreibt sein Spiel und muss nicht mehr auf die anderen hören. In Abstufungen natürlich. Aber bei Schriftstellern vielleicht am ehesten.
Marcel beschließt, niemanden mehr zu empfangen, da er "ein Rendezvous mit meinem Ich" habe.
Die "große Berma" (nur eine versuchsweise Suche im Blog gibt mir Aufschluss darüber, dass schon mehrfach von ihr die Rede war) vereinsamt, da alle sich den Guermantes zuwenden. Warum funktioniert die eine Lesebühne und die andere nicht. Wenn ich beim lebendigen griechischen Schnellrestaurant einen Schweinespieß esse, fällt mein Blick auf die gegenüberliegende Seite zum Türken, der sich wirklich alle Mühe gibt, bei dem sich höchstens zwei Teenager mit einer Cola langweilen. Sein Leiden dürfte nicht geringer sein als das der großen Berma.
Do, 25.1.07
Vollständige Besetzung bei der Chaussee. 240 Zuschauer. Die Enthusiasten in Hochform. Schöner kann es kaum sein.
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Man höre, so Jochen, Schriftstellern lieber zu als Bekannten, die ja dieselben Tragödien erlebten.
Und Schreiben? "Wozu soll man Prousts Experiment beim Schreiben wiederholen? Der Rückzug in die Erinnerung ist ja eher ein menschliches Schicksal als eine freie Entscheidung." Im Blog schreibt Jochen noch treffender: "Der immer zwanghaftere Rückzug in die Erinnerung…" Mit anderen Worten, unser Hang, die Vergangenheit zu verklären, den "verlorenen Paradiesen" nachzutrauern, ist eher ein Zwang. Und was zwanghaft ist, ist nicht schicksalhaft. So wie wir uns eher nach dem Sofa als nach den Laufschuhen sehnen und es eine magische Anziehungskraft ausübt, ist es auch mit der paradiesischen Vergangenheit – wir verklären die Zeit, die sorglos war, da wir nicht handeln mussten. Und um das Bild vom Paradies zu schärfen – ähnlich wie Adam und Eva waren wir blind für die wirklichen Grenzen aber auch die wirklichen Möglichkeiten. Das ist, je nach Perspektive, anstrengend, traurig, beängstigend oder leicht, erfreulich, ermutigend.
*
Die Herzogin von Guermantes lebt vom Ruhm vergangener Zeiten. J.S.: "Vielleicht werde ich so meine Tage als vorlesender Autor beschließen, einfach nur noch die Bühne betreten, schweigen und damit noch einmal den Glanz früherer Darbietungen heraufbeschwören."
22.-23.1.2007
Der Schnee schmilzt. Ich entdecke erste weiße Härchen im Bart. Wer mich künftig noch als "jungen Autor" bezeichnet, verdient es, Ausmecker zu kriegen.
Mo, 22.1.07
Die Reckstange im Flur ein gutes Trainingsgerät, so dass ich wenigstens ein kleines bisschen zum Sport komme, denn Sport scheint mich doch immer wieder aus Phasen der Demotivierung emporzuholen.
Angenehme Routinen nach großen Aktionen wie Reisen oder eben einem Umzug wiederherzustellen, scheint schwer, man muss sich aber bemühen. Montags Website aktualisieren.
Das Goethe-Institut will von uns wissen, wieviel Geld wir wollen. Immer dieses Hickhack. Warum können uns Veranstalter nicht einfach ein faires Angebot machen, und dann kann man sagen, ob das geht oder nicht. Wir können doch deren Budget nicht erraten.
Meine alte Telefonnummer funktioniert wieder. [Nachtrag 2009: Dass ich drei Wochen lang nur unter einer anderen Nummer erreichbar war, hatte zur Folge, dass mich bis heute noch einige Leute versuchen, unter dieser zu erreichen.]
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Jochen über die Achtzehnjährige, die ihm (wie und wann auch immer) berichtet, was sie liebt und was sie hasst. Man liest die Liste und taucht in ein Universum. Soll man sie um die Eindeutigkeit der Urteile beneiden oder froh sein, dass man diese adoleszente Radikalität hinter sich gelassen hat.
"Sie (…) mag Donald Duck, aber nur von Carl Barks gezeichnet."
"Sie mag keine Comics mit sprechenden Tieren."
Welche widersprüchlichen Vorlieben und Animositäten ließen sich bei mir finden? Ich arbeite ja daran, vor allem meine Mäkligkeiten abzubauen. Jedes Jahr mindestens einmal Fisch essen. Bei Ingwer hat es schon geklappt. Aber: Ich kann über Orthographie-Fehler und -Schwächen anderer leicht hinwegsehen. Aber es macht mich wahnsinnig, wenn jemand die Akzent-Taste ´ statt der Apostroph-Taste ‚ benutzt.
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J.S./M.P.: "’Unverschämte Domestiken‘ dringen in die Salons ein und trinken dort Orangeade."
Wie im Atelier89 oder im Knaack. Als man in diese Welten stieß und auf Ältere stieß, berichteten diese davon, dass es früher cooler, besser, aufregender gewesen sei. Und selbst hatte man mit Ende Zwanzig auch das Gefühl, die jetzigen Besucher seien viel zu kindisch und verstünden nicht, worum es ging. Sie tranken die falschen Getränke, tanzten zur falschen Musik, bewegten sich falsch und waren so unangenehm jung. Wie aber soll man bei etwas, das einem so viel bedeutet hat, die Vogelperspektive einnehmen und sich sagen, dass es diese brutalen Routinen des Generationenwechsels immer gegeben hat?
Die Kategorie "Verlorene Praxis" wird immer mehr in Richtung "bemerkenswertes Verhalten" erweitert. Schadet nix.
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Di, 23.1.07
Mein altes Nokia-Handy wird unbrauchbar. An das kaputte Display hatte ich mich schon gewöhnt. Die Akkudauer ist nun aber völlig inakzeptabel. Die Schwierigkeit besteht nun darin, ein Handy zu finden, das einerseits sehr gut ist – gute Bedienbarkeit, leichte Handhabung, das mich aber vor weiteren Zusatzfunktionen wie Fotoapparat und und mp3-Player verschont, das habe ich schon, und zwar besser als in der Quasi-Funktionalität bei Handys.
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Überraschende Information: Auch Jochens Eltern spielen Skat. Ich hatte eher Dame oder vielleicht sogar Bridge erwartet.
J.S.: "Seit ich mit achtzehn ausgezogen bin, habe ich im Grunde kein Zuhause mehr." Ist Zuhause, wo Familie ist?
Die ewige Partnersuche. Die lauernde Angst im Hinterkopf, es könnte die Falsche sein. Oder die Angst vor der Trennung, weil es ja vielleicht doch die Richtige ist. Vor was für Qualen einen die Freiheit der Wahl setzt. Wären wir unglücklicher, wenn wir, eine sexuell autoritärere Gesellschaft vorausgesetzt, die Erste geheiratet hätten und mit ihr alt geworden wären?
All die Freiheiten, die einem die Gesellschaft bietet, führen zu psychischen Verwerfungen, an denen die Ratgeberbuch-Industrie verdient:
– Aufräumen
– Partnerwahl
– Konzentriert arbeiten
– Gesundheitstipps
– Aufmerksam und freundlich sein
Vieles davon würde sich ja schon erledigen, wenn man die Ratschläge der Eltern stur beachten würde. Aber die spielen ja auch nicht mehr ihre Rolle als Autoritätsfiguren, sondern kicken ihre Kinder in die Freiheit.
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Marcel erkennt in der dicken Dame seine Jugendliebe Gilberte nicht wieder.
Unklar: Für Jochen ist der "Aufbruch à l’anglaise" unklares Inventar.
21.1.07
Nicht nur schweren Herzens, sondern auch schlechten Gewissens setze ich das Entrümpeln fort. Ungefähr 120 Kassetten, die das letzte Ausräumen überstanden haben, finden nun ihre vorletzte Ruhe im Müllcontainer hinter unserem Haus, darunter solche, für die ich damals Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt habe. Die UB40-Kassette, die mich Jakob Hein, der einen Doppelkassettenrekorder besaß, überspielen ließ. Die vielen "Aquarium"-Kassetten, die ich von lieben Moskauer Freunden geschenkt bekam und die ich nun handlich als mp3 besitze. Die Dutzenden Rolling-Stones-Raritäten-Kassetten. Und so weiter. Es bleiben übrig absolute Ausnahmen: Der wahrscheinlich zu Recht vielfach wegen seiner Fascho-Nähe in den 90ern und seinem häufigen Rumgebrülle gescholtene Jegor Letow, von dem ich sieben Stücke auf Kassette habe, die großartig sind Wsegda budu protiv, Russkoje pole eksperimentow, My ujdjom is zooparka, und natürlich das legendäre "Wsjo idjot po planu", eine sarkastische Hymne auf die Perestroika, die ja schließlich auch planmäßig abgewickelt wurde. (1991 sang ich dieses Lied auf der Krim und gewann ein Schwein. Danke, Jegor)
Lales Persisch-Lektionen. Und völlig unerwartet: Verzerrte Aufnahmen der Quatsch-Interviews, die Ralf Petry und ich 1986 in einem Haus der Harnackstraße machten: "Was halten Sie davon, dass die Friedrichstraße jetzt überdacht werden soll." Wenige Jahre später wurde das populär – Quatschinterviews führen und Teile der Friedrichstraße überdachen.
Unangenehmes von der Ebay-Front. Ein "Käufer" beantragt bei Paypal Käuferschutz, kaum dass der Kauf über die Bühne gegangen ist. Nach kurzer Recherche bei Google stellt sich heraus, dass er bereits wegen Misshandlung verurteilt wurde und mit der Super-Geschäftsidee auf den Plan getreten ist, bei Ebay Händler zu verklagen, die urheberrechtlich geschützte Fotos in der Produktbeschreibung einstellen, er bräuchte nur noch einen Anwalt. Ich kann nur hoffen, dass ich nicht der Einzige bin, mit dem er diesen Trick versucht.
Aber das neue Foxy-Freestyle-Projekt kommt ins Rollen. Am Freitag eine wunderschöne Horror-Show gespielt. Die Alte Kantine hat grünes Licht gegeben. Und am 13. März starten wir freitags an diesem schönen Ort mit einer wöchentlichen Impro-Show.
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So, 21.1.09
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Jochen über die Annehmlichkeiten, die es mit sich bringt, wenn man sagt, man sei ein Autor. Im Gegensatz zu früher, als man stolz (in Wahrheit aber in Angst, sich festlegen zu müssen) behauptete, man mache nichts. "Es ging doch darum, was man ‚war‘." Es könnte natürlich sein, dass wir auch aus diesen Berufsbezeichnungen und Titeln versuchen, unseren Status festzunageln. "Ich bin Schriftsteller", damit erübrigen sich einige andere Fragen. an macht sich unangreifbar, wenn man vielleicht noch von der Frage absieht, ob "man" denn davon leben könne. Interessanter ist es aber allemal, was einer "macht", denn daraus zeigt sich doch viel eher, was er "ist" als durch die Selbst- und Fremdzuschreibungen. Nichtsdestotrotz funktionieren die Bezeichnungen als Türöffner, "weil man sozusagen seine Qualifikation schon nachgewiesen hat."
Selbst Helge Schneider spricht, je älter er wird, immer häufiger von seinem "Beruf", so als befürchte er, mit den Comedy-Ganoven in eine Schublade gesteckt zu werden. Bei den Lesebühnen, selbst den erfolgreichen, wird man ja auch, vor allem deswegen immer wieder mit der Frage konfrontiert, ob man davon leben könne, weil wir uns unprätentiös geben. Schlimmer noch beim Improtheater, wo man bei manchen Zuschauern ein Erkennen im Gesicht aufblitzen sieht, wenn man sagt, man habe eine Gesangsausbildung ("Das hört man.") und die Enttäuschung, wenn man sagt, dass man keine Schauspielschule besucht habe ("Wie kann denn das sein, dass ich mich da so getäuscht habe.")
Zum Wohnungsstil: "Ich wüsste nicht, was mir lieber wäre, Reduktion oder Unübersichtlichkeit." Gute Frage zur richtigen Zeit, da ich gerade am Reduzieren bin. Unübersichtlichkeit wäre mir wahrscheinlich auch lieber. Am liebsten eine indisch angehauchte Kuschelstyle-Wohnung, mit lauter Polstern, kleinen Glöckchen, Tüchern an den Wänden usw. Nur leider fiele es mir äußerst schwer, so etwas überhaupt umzusetzen, außerdem kann ich schon kaum meine ohnehin sehr reduktionistisch angelegte Wohnung einigermaßen ordentlich zu halten. Die Vermüllung bei anderen ist nur schwer zu ertragen, schlimmer noch die eigene.
*
Weiter auf der Matinée. Gruselige Beschreibungen des Alters, und man fragt sich, ob das am Ende Marcels Selbstporträt inzwischen ist. Aber wie immer wissen wir ja nicht, ob es Marcel ist, der uns hier etwas verschweigt, oder Jochen.
Ohne Spiel keine Gerechtigkeit
Martha Nussbaum von der Univerität Chicago formuliert zehn Grundansprüche, die man an ein menschenwürdiges Leben stellen muss, wenn man von Gerechtigkeit sprechen will.
Als Grundanspruch Nr. 9 nennt sie Spiel: Die Möglichkeit zu haben, zu lachen, zu spielen und seine Freizeit zu genießen. (Being able to laugh, to play, to enjoy recreational activities.)
Obama über Basketball
„In der gesamten Geschichte dieses Spiels [Basketball] waren die großartigsten Spieler, die Champions, die, die nicht nur ihr eigens Spiel vervollkommneten, sondern auch die Spieler um sich herum besser werden ließen. Die ein Team vereinigten, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen.“ Obama strickt daraus natürlich eine Parabel für das Gemeinwesen USA. Mir genügt die Parallele zum Improtheater.
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„Wenig innovativ“
Aus dem Absage-Brief nach einer Bitte um Reisekostenunterstützung: „Allerdings gehört der Bereich Improvisationstheater weniger den künstlerisch innovativen Theaterformen, als vielmehr dem kommerziell gut verwertbaren Genre Unterhaltungstheater an, das deshalb unabhängig von der Qualität nicht zu unserem Förderauftrag gehört.“
Mentale Gesundheit oder Wo steckt das Genie?
Die Bestseller-Autorin Elisabeth Gilbert über die Angst vor „dem Buch nach dem Erfolg“. Wir Künstler machen uns krank, wenn wir das Genie in uns selbst suchen statt die Muse außerhalb von uns zu sehen. Denn wir werden mit der Last der Erwartung nicht mehr fertig.
Auch die Tom-Waits-Anekdote ist schön, selbst wenn Tom Waits sie sich ausgedacht hat, um eine Tom-Waits-Geschichte zu erzählen.
Ob sie Stephen Nachmanovitchs Buch gelesen hat?… Weiterlesen
19.-20.1.07
Ähnlich wie vor zwei Jahren steht ein großes Aufräumen und Ausmisten ins Haus. Im Gegensatz zu Jochen kann ich meine Wohnung nicht als Archiv des eigenen Lebens betrachten, auch wenn es zu einem solchen quasi ungewollt und automatisch wird. Aber wenn man zwischendurch immer wieder mit seinen Gedanken mehr in der Vergangenheit als in der Gegenwart hängt und die Zukunft aus Mauern von Gegenständen verdeckt wird, die einem als Teenager oder Twen etwas bedeutet haben, dann nimmt einem das regelrecht die Luft zum Atmen und Handeln. Natürlich ist all das auch "Material", aber als künstlerisches Material existiert es ja in meinem Kopf weiter. Wir wissen, dass Kleinkinder von massenhaften Beschenkungen regelrecht erschlagen werden. Warum sollte das bei uns anders sein? Bertolt Brecht: "Des Flüchtlings dritte Regel: Habe nichts!" (Was mögen die anderen gewesen sein, fragte ich mich immer.)
Mindestens so beeindruckend wie die bibliotheksartigen Zimmer sind doch die fast buchleeren Wohnungen jener Menschen, die jedes Buch, das sie gelesen haben, jemandem verschenken, von dem sie glauben, es interessiere ihn. Bücher, die ein Jahr lang ungelesen in der Wohnung verweilen, werden ebenfalls verschenkt oder weggeworfen. Zu einer solchen Radikalität kann ich mich nicht entscheiden, nur ein paar drittklassige Ostbücher fallen der Auräumwut zum Opfer. Wieviel das Wert ist, erkennt man an den niedrigen Preisen bei Ebay für Bücherpakete. Aber ich weiß ja heute noch nicht, welche Bücher ich aus irgendeinem Grund in zwei Jahren wieder in die Hand nehmen will.
Teil des Aufräumprogramms 2009: Ordner entmisten. Darunter den Ordner "Dokumenty", tatsächlich in kyrillischen Buchstaben beschrieben. (Ein Ratgeberbuch, zum Thema aufräumen, das mir in diesen Tagen in die Hände fiel, rät genau dazu: Ordner nicht mit langweiligem "To do" oder "Ablage XIV" beschriften, sondern knackige Bezeichnungen). 1990 habe ich ihn angelegt, als meine Kiste zu klein wurde für all die Papiere von Uni, Vermieter und Versicherung. Wie optimistisch von mir zu glauben, das würde in den kommenden Jahren genügen. Bei meinen Eltern, die bei mir wie bei den meisten anderen sicherlich auch, die Erwachsenenwelt repräsentierten, standen schließlich keine Ordner rum. Inzwischen brauche ich jeweils mehrere Ordner für Geschäftliches, Versicherungen, Bankenkorrespondenz, Miete und Strom, Korrespondenz mit Verlagen, Veranstaltern und Kollegen. Aus dem Dokumenty-Ordner entferne ich:
– Mietvertrag mit Videothek
– mehrere Überweisungen
– Registrierungsbescheid des DPMA
– Negativdiagnose des Krankenhauses
– Vorbereitungsblatt zur Untersuchung
– mehrere Zahnarztrechnungen
– kuriose Rechnung über 0,00 Euro der großzügigen Firma "Derby Cycle", die mir eine gestohlene Fahrradpumpe gratis ersetzt.
– Kreditkarteninfo
– Info über ein ergonomisches Telefon
– mehrere Praxisgebührquittungen
– Bestätigung eines Nachsendeauftrags 2006
– Info der DiBa über "Zinsanpassungen"
– Ablehnungsschreiben des Senats zum Antrag auf ein Autorenstipendium 2005
– Auftrag für Stampit (die mir immer noch Geld schulden)
– unangenehme Korrespondenz mit einer Inkasso-Firma
– Nachricht über Verfahrenseinstellung wegen meinem geklauten grünen Nishiki
– mehrere Schreiben zur Höhe des Dispokredits mit der Sparkasse. (Nach dem letzten wechselte ich die Bank.)
– Schreiben der Einkaufsgemeinschaft "Wurzelwerk e.V."
– Korrespondenz mit Finanzabteilung von amnesty international
– Buchungsunterlagen meiner Amerika-Reise 2003
– Unterlagen und Korrespondenz zum Einbruchdiebstahl in Malta (Laptop, Geld, Fotoapparat, u.a.)
– Info-Briefe der Hausrat/Haftpflicht-Versicherung
– Antrag auf Einsicht in Stasiunterlagen (Vom Amt bekam ich später eine Kopie einer Vorgangsnummer mit dem Jahr 1986 und der Aufschrift "Lbg. grün", wobei Lbg wahrscheinlich für Lichtenberg steht. Außerdem der Name eines ausreisenden Mitschülers. Ob ich den ausspionieren sollte? Oder er mich?)
– Korrespondenz mit dem Bundesverwaltungsamt über Bafögrückzahlung
– Reklame der Telekom
– Telekomabrechnungen von 2001
– Online-Banking-Vereinbarung mit der Sparkasse
– Vordrucke über Bescheinigung von Nebeneinkommen des Arbeitsamts
– Laborrechnung für den Test
– Bibliotheksausweise: Ibero-Amerikanisches Institut, Lichtenberg, FU – JFK-Institut für Nordamerikastudien, FU, HU, Staatsbibliothek, Seumestr., Friedrichshainer Phonothek
– Anleitung zur Einkommensteuererklärung 1999 (??)
– Absage von Salbader 2001
– Zusage für Werbezuschuss für Kantinenlesen vom Beckverlag
– Fischotterschutz-Werbung
– Einladung nach Moskau von 2000
– Meldekarte Arbeitsamt
– Info über Kabelanschluss
– Verschiedene Briefe der GEZ
– Rechnungen von Bewag, Gasag, Vattenfall
– Kündigung der AOK
– Kopie Arbeitsvertrag von 1989
– diverse Schreiben der AOK
– Zeugniskopien
– Alte Mietverträge und -erhöhungen. (Den ersten mit der Miethöhe von 28 Mark = 7 Euro hebe ich allerdings auf.)
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Fr, 19.1.07
Teil des Aufräumprogramms 2007: Schallplatten und Kassetten wegwerfen, auch wenn’s schmerzt. Welche Mühe ich mir 1988 gemacht habe, an "London Calling" von The Clash ranzukommen und mir zu "überspielen" und dann auch noch die kompletten Texte Wort für Wort abgeschrieben. Aber es hilft ja alles nichts, die Erinnerung an den Nachmittag, an dem ich mir auf der Wachstube bei der NVA eilig den Text von "Lost in the supermarket" abschrieb wird ja nicht dadurch intensiver, dass ich dieses karierte holzige Papier behalte. Und meine Liebe zu "The Clash" hat von Jahr zu Jahr abgenommen. Irgendwann wäre die Wohnung voller riesiger Objekte, die reinen Erinnerungswert und überhaupt keinen Gebrauchswert mehr haben. Die Vergangenheit wird so zu einem riesigen Ballast, der einem im wahrsten Sinne die Bewegungsfreiheit nimmt. [Nachtrag 2009 – Jochen Schmidt, Falko Hennig und sicherlich auch Marcel Proust dürften das anders sehen, aber die Nostalgiestrahlung von Gegenständen beraubt uns oft des Blickes auf die Gegenwart oder die Zukunft. Der Gegenstand verklärt die Vergangenheit, und selbst wenn er für uns damals Leid symbolisierte, steht er heute für das schöne Damals, und das Heute wirkt nur Grau.]
Der Kompromiss sieht nun so aus: Schallplatten bei Ebay versteigern, Kassetten wegwerfen, die entsprechenden CDs bei Ebay kaufen, die Musik entmaterialisieren und die CDs wieder verkaufen.
Am heutigen 19.1.07 kaufe ich bei Ebay und Amazon
– "London Calling" von The Clash
– "The very best of" von Buddy Holly
– Billy Bragg: "Victim of geography"
– Einstürzende Neubauten: "Halber Mensch
– Eros Ramazotti: "Tutte Storie"
– Prince: "Grafitti Bridge"
– Ton Steine Scherben: "Keine Macht für niemand"
– Johnny Cash: "The greatest years"
– Buckshot Lefonque: "Music evolution"
– Janis Joplin: "Anthology"
– Men at work: "Cargo"
– The Beatles: "Yellow Submarin"
– Billy Bragg: "William Bloke"
– Edith Piaf: "The Golden Greats"
– AC/DC: "Powerage"
– The Cure: "Staring At The Sea"
– Ofra Haza: "Yemenite Songs"
– Nena: "Wunder gescheh’n"
– Nena: "Bongo Girl/Eisbrecher"
– Sade: "Diamond Life/Promise"
– Einstürzende Neubauten: "Zeichnungen des Patienten O.T."
– The Pogues: "Rum, Sodomy & the Lash"
– Stevie Wonder: "Innervisions"
Ab 1980 habe ich meine ersten Kassettenrekorderversuche auf dem Gerät meiner Eltern unternommen. Bis dahin hatte ich nur ein paar Schallplatten. 1984 durfte meine Oma das erste Mal nach Westberlin, und ich beauftragte sie, mir eine Bob-Marley-Platte zu besorgen. Der praktische Vorteil: Den Namen dieses Interpreten konnte auch meine des Englischen nicht mächtigen Oma problemlos aussprechen. Bis zur Wende hatte ich aber, von der einen oder anderen DDR-Lizenzplatte abgesehen, meine gesamte Musik auf Kassetten (man bedenke: Eine 60-Minuten-Kassette kostete 20 Mark). Ab 1990 behielt ich meinen Kassettenfanatismus bei. Bis auf wenige Platten – vor allem Tom Waits und Rolling Stones – besaß ich fast nur Kassetten. Bis ich mir 1999 (im Alter von 30 Jahren!) einen CD-Player kaufte, den ich inzwischen kaum mehr benutze, weil ich nun völlig auf mp3s umgestiegen bin. Und jetzt? Wird das das definitive Format bleiben? Man möchte es hoffen. Jede Formatumstellung ist ja wie ein großer Umzug.
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Lob von Kriegsfilmen, Madame Bovary, La piscine und Ironija sudby.
"Im Moment scheint mir, daß mir auf ähnliche Weise mein Vergnügen an französischen Eifersuchtsdramen schwinden könnte." Ich müsste ihn mir erst erarbeiten.
Zu Ironija Sudby: "Ach, Liebespaare, ihr seid so öde in euerm vorhersehbaren Glück, die eigentlichen Helden sind die Betrogenen, denen niemand aus dem Publikum die Frau gönnen würde!" Wieder der Proustsche Blick: Die Liebe hat einen oder sie hat einen nicht. Aber die Paare sind eben nicht vorhersehbar in ihrem Glück, bis auf die Frischverliebten vielleicht. Alle anderen werden ohne aktives Tun nicht lange über die Runden kommen, da es keine Liebe ohne Lieben gibt. Allerdings haben wir es in diesem Fall ja wirklich mit dem klassischen Fremdgeh-Schema zu tun. Die Frau sucht das, was ihr der Mann nicht geben kann, hier Poesie. Aber sie wird sich eines Tages auch freuen, wenn er im nächsten Jahr nach der Banja wieder schön besoffen an einem unbekannten Platz auftaucht, womöglich gar erfroren oder überfahren.
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Die den Schriftsteller umgebenden Personen sind für Proust und Schmidt "Material". Unklar für beide, wenn sie sich beschweren, da man sie "nur" als Material betrachtet habe. Das ist natürlich eine spezifische Schwierigkeit des Künstlers, rechtzeitig umzuschalten, d.h. im direkten Umgang das Künstler-Ich abzulegen, und dann man selbst zu sein, vor allem wenn es um den direkten Zugang geht, also in Familien-, Freundschafts- und Liebesbeziehungen. (Als Kunde, Klient oder in der Sphäre des Politischen schadet man in der Regel weder sich selbst noch dem Gegenüber, wenn man noch auf "Kunst" gepolt ist.) Sonst aber muss man das wohl genauso lernen, wie ein Psychologe, von dem man ja auch nicht andauernd analysiert werden will. Oder ein Frauenarzt, der beim Sex immer nur daran denken muss, dass er mit einem Gynäkologenstuhl jetzt besser dran wäre oder ein Geschäftsmann, der jede seiner Handlungen nach Kosten und Nutzen abwägt oder ein Politiker, der in der Familie immer darauf achtet, die richtigen Machtkoalitionen zu schmieden usw. usf. Was aber macht man, wenn man am Schreibtisch sitzt? Mit seinem Ezra-Roman, der ja vorhersehbare juristische Folgen hatte, hat der "Schriftsteller", dessen Namen man nicht mal mehr in einem Blog erwähnen will, uns allen die Zukunft versaut.
M.P.: "In Wirklichkeit ist jeder Leser, wenn er liest, ein Leser nur seiner selbst. Das Werk des Schriftstellers ist dabei lediglich, eine Art von optischem Instrument, das der Autor dem Leser reicht, damit er erkennen möge, was er in sich selbst vielleicht sonst nicht hätte erschauen können." Man spürt den regelrechten Zwang zur Selbstinszenierung. Aber vielleicht ist das auch üblich in der Zeit, da der Geniegedanke schon am abklingen ist, man aber als Künstler dem Rezipienten doch noch nicht über den Weg traut.
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Sa, 20.1.07
Anfragen der Potsdamer Uni an die Chaussee einerseits (150 Euro, falls einer von uns kommt) und an ausgewählte Einzelne von uns (350 Euro) andererseits. Kann man den Organisatoren das vorwerfen? Sie haben eben auch ihren Geschmack oder glauben, dass bestimmte Autoren "teurer" sind als andere. Vielleicht wissen sie nicht einmal, dass wir zusammengehören. Oder sie sind durch ihre BWL-Kurse schon völlig verdorben.
Hingegen eine freundliche Anfrage der TU Freiberg. Auch wenn es nur wenig Geld gibt, ist man viel eher bereit, da man das Engagement spürt, dem keine Hinterfotzigkeit im Nacken sitzt.
Wir bekommen ständig Post für eine schon lange Mitbewohnerin meiner Schwester – Rechnungen, Mahnungen, Gerichtsaufforderungen. Sie geht nicht ans Telefon. Und "PIN" kennt keinen Nachsendeauftrag.
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Erstaunliche Behauptung: "Wir hatten nämlich auch zwei Stunden BRD im Geographie-Unterricht." Das hat in meiner Erinnerung allein in der 6. Klasse mindestens drei Monate gedauert – Ruhrgebiet, Niederrheingraben, Alpen, Nordsee, politische Geographie. All das komischerweise bevor die sozialistischen Bruderstaaten in Osteuropa drankamen. Vielleicht folgte man da ja noch dem Unterrichtsaufbau aus der Vorkriegs-Volksschule, zumindest deutet mein alter Atlas von 1934 darauf hin.
J.S.: "Der Blick vom Hof des Admiralspalasts auf den S-Bahn-Bogen war dann überraschend schön, weil die Perspektive ungewohnt war. Gleich um die Ecke habe ich früher immer auf die Straßenbahn Nr.22 gewartet, dort sind jetzt nur noch ein paar Gleisreste. Das Geräusch der um die Kurve biegenden S-Bahn war tröstlich, es ist schön, daß es noch Geräte gibt, deren Geräusche man nicht attraktiver für die jugendlichen Konsumenten machen kann."
War es nicht eine Straßenbahn, die da um die Kurve quietschte? Eine der schön alten, natürlich. Am meisten machte es Spaß, in der Kurve, wenn die Bahn langsam fuhr und einen der Fahrer nicht sehen konnte, auf die Wagontürschwelle zu springen und bis zur Haltestelle mitzufahren. Wir wurden zuvor von Professor Nietsch bei der MSG in die Wahrscheinlichkeitsrechnung eingeführt, aber was wir hinterher anstellten, hätte uns mit hoher Wahrscheinlichkeit das Leben kosten können, denn auch bei der S-Bahn fuhr ich mit, sprang in den U-Bahn-Schacht, kletterte auf einen Schornstein. Ich bekomme heute nasse Hände, wenn ich daran denke. Die aktuelle Gehirn und Geist meint dazu, dass wir, je sicherer wir uns fühlen, sozusagen als Ausgleich den Kick suchen.
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Ein Treffen mit alten Bekannten. Proust lässt einen wieder im Unklaren über die verstrichene Zeit, seine Bekannten von damals sind steinalt geworden. Über sein eigenes Altern schweigt Proust (wenn wir Jochen glauben wollen) sich aus. So erscheint er ohne Alterung, wie man es von Comicfiguren kennt.
Aber heißt dieser Band nicht "Die wiedergefundene Zeit"? Wir finden sie wieder auf den früher schönen Gesichtern.
Drehungen
Auch das Billige kann intelligent eingesetzt werden
„Rosemary’s baby opens like a Doris Day movie, that’s the whole point. “ Man wird völlig auf die falsche Fährte geführt. Eine charmante Komödie, vielleicht ein wenig exzentrisch. Dann auf einmal werden wir in das Psychogramm einer Paranoiden eingeführt – und am Schluss die völlig unerwartete Auflösung, die alles auf den Kopf stellt. Interessanterweise ist „Der Mieter“ Polanskis totales Gegenstück zu „Rosemary’s Baby“. Ein Sozialdrama, das sich immer mehr zu Verfolgungen zuspitzt. Wieder die Überraschung, diesmal umgekehrt.
„It’s a great horror film without a horror in it.“… Weiterlesen
Kunst und Verbrechen
Im Forum Demmler-Mädchen – Forum über sexuellen Missbrauch von Kindern, Jugendlichen, aber auch Erwachsenen :
„Immerhin gab es zwei, drei Lieder von Demmler, die auch mich berührt haben, und so wird es wohl den meisten gegangen sein. Das Entsetzen aller, einschließlich der Betroffenen, rührt wohl aus diesem Widerspruch: Die direkt ins Herz gehenden Lieder einerseits und dem unglaublich amoralischen Verhalten andererseits.Am liebsten will man sich abwenden oder entweder das Eine (die große Kunst) oder das Andere (das Verbrechen) leugnen. Es geht über unsere Vorstellungskraft, uns den großen Künstler als großen Verbrecher vorzustellen. Oder den großen Verbrecher als großen Künstler.“
Talent und Üben
Helges Produzent Tom Täger: „Ich habe mal Cello-Unterricht gehabt. Und der alte Cellolehrer sagte dann ,Ach nu, jetzt ist gerade hier einer rausgegangen, der hat geübt.‘ Es stellte sich dann raus, das war Helge Schneider, der hat nie geübt, aber der war einfach besser.“
Ja, Helge Schneider begreift offenbar jedes Instrument auf Anhieb. Dass er aber nie üben würde, stimmt nicht. Er übt im Kopf, er spielt Musik. Für ihn sind Spielen und Üben eins.
Helge vor leeren Häusern
Helge Schneiders zweite Freundin, Heide Jansen, berichtet, wie Helge in der Anfangszeit selbst dann spielte, wenn nur ein einziger Zuschauer im Saal saß: „Ich saß an der Kasse, und da war eine Mark drin.“
Der Dokumentator: „Leere Säle durch kompesniert Helge durch die ihm eigene Mischung aus blinder Besessenheit und unglaublicher Musikalität.“