52. Nacht

Abrîza wehrt sich durch Dichtung:

Ghadbân, lass ab von mir! Genug hab ich gelitten
Vom Unbill der Geschicke und der grausamen Zeit.
Unzüchtiges Gebaren hat Gott, der Herr, verboten;
Er sprach: ‚Wer mir nicht folgt, ist dem Höllenfeuer geweiht.‘
Fürwahr, ich werde nie zu schlechtem Tun mich neigen;
Nein, das verachte ich. Lass mich, sieh mich nicht an!
Lässest du mich mit deiner Gemeinheit nicht in Ruhe
Und wahrst nicht meine Ehre um Gottes willen, dann
Ruf ich mit aller Kraft die Mannen meines Volkes
Und hole sie, die Nahen, und auch die Fernen herbei,
Und würde ich auch zerschlagen mit einem jemenitischen Schwerte,
nie zeigte ich einem gemeinen Kerle mein Antlitz frei,
Keinem von allen Freien und Leuten aus edlem Geschlecht –
Und wieviel weniger noch einem elenden Bastard und Knecht!

Abrîza warnt den Sklaven Ghadbân  mehrfach, allerdings in einer Art und Weise, die auch weniger leicht erzürnende Menschen51 aufbringen könnte:

"Wie darf deinesgleichen ein solches Ansinnen an mich stellen? Du Bastardbrut und Tunichtgut! Glaubst du, die Menschen sind alle gleich schlecht?"

Die Rhetorik der Ehre misst hier mit zweierlei Maßstab: Einerseits gilt es, die spezielle adlige Ehre der Prinzessin zu wahren. Und diese funktioniert ihrem Kodex vor allem als Abgrenzung nach unten, zu anderen sozialen Schichten. Das betrifft sowohl das Ansinnen des Sklaven, mit ihr sexuellen Kontakt zu haben aber auch die adelsinternen Codes der Ehre überhaupt (z.B. sich mit Waffen zu verteidigen, obwohl Abrîza hier natürlich auch schon durch ihre Kämpfe die Gender-Grenzen gesprengt hat). Andererseits misst sie an einer "alle Menschen" umfassenden Moral, der zufolge man einer gebärenden Frau nicht mit solchem Anliegen gegenübertritt und schon gar nicht: sie bedroht.

Beim Anhören dieser Worte wurde der elende Knecht noch zorniger, und seine Augen noch röter; er trat zu ihr hin und schlug mit dem Schwert in ihre Halsader und verwundete sie zu Tode.

Ups! Das ist ja nun mal eine narrative Überraschung! Abrîza, die schon Heldin der Geschichte zu sein schien, stirbt hier etwas unvermittelt. Allerdings scheint auch, seit sie durch Omar ibn en-Nu’mân entehrt wurde, kein Platz mehr für die Fortsetzung der Liebesgeschichte zwischen ihr und Scharkân gewesen zu sein. Es ist ein wenig, wie auch in den modernen "Urbanen Legenden": Wer sich in Gefahr begibt, wird bestraft. Hier liegt der Sündenfall bei Abrîza, die ihre Eltern verlässt.

Im Sterben gebiert Abrîza einen Knaben, die Dienerin Mardschâna ist dabei Hebamme. Und während der Sklave Ghadbân flieht, nähert sich eine Staubwolke, und es ist tatsächlich König Hardûb, der seine Tochter suchte und nun sehen muss, dass er nach all der langen Zeit nur Minuten zu spät gekommen ist. Als er dann noch hört, dass der Mörder ein Sklave des Königs Omar ibn en-Nu’mân gewesen ist, und dass dieser König die Prinzessin vergewaltigt hat, steht für ihn fest, Rache zu nehmen. Aber als sie zurückkehren und er sich bei seiner Mutter, der alten Dhât ed-Dawâhi ausheult, sagt diese:

"Niemand hat deine Tochter getötet als Mardschâna."

Und sie rät ihm, die Rache gegen Omar ibn en-Nu’mân von langer Hand vorzubereiten:

"Bringe mir eine Anzahl von Mädchen, hochbrüstige Jungfrauen, und berufe die Weisen der Zeit. Die lass die Mädchen unterrichten in der Philosophie und im feinen Benehmen vor Königen, in der Kunst der Unterhaltung und des Dichtens."

Die Weisen sollen Muslime sein. Und die Rache soll durch diese Mädchen eingefädelt werden:

"denn die Liebe zu den Mädchen ist seine schwache Seite."

 

 

51 Ghadbân = Der Zornige

51. Nacht

Die Mädchen legen nun die fränkische Kleidung ab und ziehen

die Kleidung der Töchter Griechenlands

an. Scharkân sendet einen Voraustrupp, der ihr Kommen ankündigt, und so werden sie in Bagdad von tausend Reitern und dem Wesir Dandân empfangen. Scharkân geht in den Palast zu seinem Vater und berichtet ihm von den wahren Hintergründen der Geschichte mit den Edelsteinen und der Sophia und lobt Prinzessin Abrîza.
Der König lässt Abrîza zu sich führen, ist von ihr geblendet und lässt sich von ihr die drei Juwelen schenken.

Doch als sie davonging, nahm sie sein Herz mit sich.

Der König schenkt Scharkân ein Juwel:

"… eins will ich deinem Bruder Dau el-Makân geben und das andere deiner Schwester Nuzhat et-Zamân."

So erfährt Scharkân erstmals davon, dass er noch einen Bruder hat, der inzwischen sechs Jahre alt ist.

Das kam Scharkân hart an; doch er bewahrte seine innersten Gedanken.

In seiner Sorge geht er zu Abrîza, der vom König ein eigener Palast gewährt worden ist.

Die Lässigkeit, mit der die Bagdader Herrscher Paläste verschenken, lässt entweder auf eine unglaubliche Palastdichte in dieser Stadt oder auf eine hohe Fluktuation der Besitzer schließen.

Abrîza ist verärgert, dass der König die Juwelen nicht in seine Schatzkammer gelegt, sondern sie seinen Kindern geschenkt hat, sie erbittet von Scharkân die Rückgabe des Juwels, das in seinem Besitz ist. Sie beruhigt ihn, dass sie sich trotz der unübersehbaren Avancen des Königs diesem niemals hingeben wird, hat aber auch Sorge, dass ihr Vater, wenn er erfährt, dass sie in Bagdad ist, einen Krieg vom Zaun brechen könnte. Scharkân meint, sie dann zu beschützen. Sie essen gemeinsam.

Doch bald ging er voll Sorgen und Gram in sein eigenes Haus.

Der König Omar ibn en-Nu’mân indessen geht zu seiner Nebenfrau Sophia und schenkt deren Kinder die beiden Juwelen. Aber er fragt sie auch, warum sie ihm nie gesagt habe, die Tochter des Königs Afridûn zu sein.

"O König, was sollte ich mir denn Größeres oder Höheres wünschen, als diesen Rang, den ich bei dir einnehme?" (…) Ihre Antwort gefiel dem König, und als er sie verlassen hatte, da bestimmte er für sie und ihre Kinder einen wundeschönen Palast. Auch ernannte er Eunuchen und Diener für sie, und Rechtsgelehrte, Philosophen, Astrologen, Ärzte und Chirurgen, deren Obhut er sie anvertraute.

Ein eigener Chirurg – wer wünscht sich das nicht!

Doch den König zieht es zu Abrîza, die er in den nächsten Tagen immer wieder aufsucht, die aber höflich seine Avancen aufgibt. Der listige Wesir Dandân, bei dem sich König Omar ibn en-Nu’mân Rat holt, rät ihm, ihr vorm Schlafengehen ein Stück Bendsch in den Wein zu werfen.

"Dann gehe du ihr nach und bleibe bei ihr und stille dein Verlangen an ihr!"

Nachdem der Wesir schon den Rat zum Krieg gegeben hat, wird er jetzt von Nacht zu Nacht unsympathischer.

Omar ibn en-Nu’mân befolgt den Rat.

Wie der König sie so daliegen sah und zu ihren Häuptern eine brennende Kerze fand und zu ihren Füßen eine zweite, die da beleuchtete, was ihre Lenden umschlossen, da verließ ihn sein Verstand, Satan führte ihn in Versuchung, und er konnte sich nicht mehr beherrschen; sondern er zog das Kleid aus, fiel über sie her und nahm ihr die Mädchenschaft. Dann stand er auf, ging zu einer ihrer Frauen, Mardschâna mit Namen, und sagte: "Geh zu deiner Herrin, sie lässt dich rufen!" Die Sklavin lief hinein und fand ihre Herrin bewusstlos auf dem Rücken liegend, während ihr das Blut von den Beinen herabrann.

Als die Nacht verstrichen ist, niest Abrîza das Stück Bendsch wieder aus. (s. auch 40. Nacht )Sie sieht, was der König ihr angetan hat und zieht sich nun in ihre Gemächer zurück, wo sie in den nächsten Monaten einsam lebt, während des Königs Verlangen nach ihr erstirbt.
Sie ist aber schwanger geworden, und als sie fast so weit ist auszutragen, überkommt sie die Reue.

So sprach sie zu ihrer Dienerin Mardschâna: "Wisse nicht die Welt hat unrecht an mir gehandelt, sondern ich habe mich gegen die Welt versündigt, weil ich meinen Vater, meine Mutter und mein Land verlassen habe."

Was sagt da die moderne Psychologie dazu, wenn das Trauma in einen Schuldkomplex internalisiert wird?

"Gibt es Trost für den, der kein Land und keine Heimatstatt,
Keinen Freund und keinen Becher, ja auch kein Dach mehr hat?"

Dann machte Abrîza alles bereit, bewahrte ihr Geheimnis und wartete ei paar Tage, bis der König auf die Jagd auszog und sein Sohn Scharkân sich zu den Burgen begab.

Abgesehen davon, dass man sich fragt, warum Scharkân Abrîza in den letzten Monaten offenbar vernachlässigt hat: Von was für Burgen ist hier die Rede?

Mardschâna sucht einen Diener, der bestochen wird, um mitzukommen und die beiden Frauen auf der Reise zu beschützen –

einen schwarzen Sklaven namens el-Ghadbân.

Dieser willigt ein, aber spricht zu sich selbst:

"Ich werde schon meinen Willen an ihnen durchsetzen; und wenn sie mir nicht zu Willen sind, dann töte ich sie beide und nehme ihnen ihr Geld."

Es wäre ja auch zu schön, wenn einmal etwas Gutes von einem "Negersklaven" käme!

Die drei reiten los, aber schon nach drei Tagen wird Abrîza von den Schmerzen der Wehen überwältigt, dass sie absteigen und sich niederlegen muss.

Als aber el-Ghadbân sie auf dem Boden sah, da drang Satan in ihn ein, und er zog sein Schwert vor ihrem Antlitz und sagte: "O Herrin, gewähre mir deine Gunst." Doch als sie seine Worte hörte, da sah sie ihn an und sagte: "Es bliebe nur noch übrig, dass ich mich Negersklaven hingäbe, nachdem ich mich Königen und Helden verweigert habe!"

Wenn man mich fragt, wird die Story nun schon fast so komplex wie die Ilias – entführte Prinzessinnen (Sophia – die sogar Griechin ist!), ein eifersüchtiger Prinz (Scharkân), ein einfältiger, sich gehenlassender König (Omar), unheilstiftende Berater (Wesir Dandân und die alte Dhât ed-Dawâhi). Es riecht förmlich nach Schlacht.

50. Nacht

Scharkân erkennt,

dass sie niemandem etwas von ihm gesagt hatte, sondern dass die Kunde von ihm im Lande sich verbreitet hatte.

Er kämpft zunächst mit Ritter Masûra

und hieb ihm mit dem Schwert auf die Schulter, so dass ihm die Klinge glitzernd zum Rücken und zu den Eingeweiden herausfuhr.

Prinzessin Abrîza spornt die anderen Ritter an:

"Nehmt Rache für euren Führer."

Diesen anspornenden Blutdurst von Frauen, die bei Männerkloppereien anwesend sind, habe ich nie verstanden. Hier natürlich besonders deutlich, da ja Abrîza auf Scharkâns Seite steht.

Nachdem er fünfzig Ritter einzeln erschlägt, überfallen ihn alle gemeinsam, und er stürmt auf sie los,

bis dass er sie zermahlen und zerdroschen und ihnen Sinne und Leben geraubt hatte. (…) Dann trat die Prinzessin zu Scharkân und zog ihn an ihre Brust.

Brutalität, die mit Liebe belohnt wird.

Die Prinzessin bittet nun Scharkân, auch noch den Torwächtern, die die Boten des Königs durchgelassen hatten, die Köpfe abzuschlagen, was er prompt erledigt. dann offenbart sie sich:

"Wisse denn, ich bin die Tochter des Königs Hardûb von Kleinasien; ich heiße Abrîza, und die Alte, die Dhât ed-Dawâhi heißt, ist meine Großmutter von Vaters Seite her."

Da sie nun die Rache ihres Vaters und ihrer Großmutter fürchtet, stellt sie sich in Scharkâns Schutz, unter der Bedingung, dass er in sein Land zurückkehrt. Scharkân zögert, denn schließlich soll er seinem eigenen Vater, dem König Omar ibn en-Nu’mân den Schatz mit den drei Wunderjuwelen bringen. Abrîza berichtet ihm den wahren Hintergrund der Geschichte (zum Vgl. für die Geschichte aus der Sicht des konstantinopolitanischen Königs s. 45. Nacht. +++ Sophia, die Griechin ist diejenige, welche Scharkâns Geschwister geboren hat. vgl. 45. Nacht.)
Als vor einigen Jahren der König von Kleinasien das jährliche Klosterfest feierte, zu dem Könige aus allen Gauen  angereist kamen, war darunter auch Sophia, die Tochter des Königs von Konstantinopel. Als Sophia auf einem Schiff wieder abreiste, wurde das Schiff von 500 fränkischen Seeräubern von der Kampferinsel angegriffen und geentert. Die ganze Truppe geriet jedoch in einen Sturm und das Schiff zerschellte auf einem Riff. Die Kleinasier kamen herbei und betrachteten nun Schmuck und Mädchen als Beute, ohne zu wissen, wer diese seien und König Hardûb verschenkte nun die Sophia an den König von Baghdad Omar ibn en-Numân.

Auf die Idee, die Mädchen zu fragen, woher sie stammten, kam man offenbar nicht.

Die Nachricht erreichte nun auch den Vater von Sophia, König Afridûn. Hardûb zögerte, ihm die ganze Wahrheit mitzuteilen, zumal er inzwischen erfahren hatte, dass Sophia dem König Omar ibn en-Nu’mân Kinder geboren hat. Dann tat er es doch und Afridûn flippte aus:

"Was! Hat er eine Tochter gefangengenommen und sie mit Sklavinnen auf eine Stufe gestellt, so dass sie von Hand zu Hand weitergegeben und Königen als Gabe gesandt ist, die ohne Ehevertrag bei ihr liegen? Beim Messias und beim wahren Glauben, ich will nicht ruhen, bis ich Blutrache genommen und meine Schande getilgt hab; wahrlich ich will eine Tat tun, von der man nach meinem Tod singen und sagen soll."

Die Edelsteine hingegen gehörten Sophia, die andere Version (s. 45. Nacht) ist falsch.

Abrîza bittet nun Scharkân vorauszureiten zu seiner Truppe und sie zur Umkehr zu bewegen, sie käme nach:

"Ich sagte ihr Lebewohl: meine Rechte wischte die Tränen,
Die Linke umschlang sie und presste sie an das Herze mein.
Sie fragte: ‚Fürchtest du nicht die Schande?‘ ‚Nein!‘ gab ich zur Antwort,
‚Der Tag des Abschieds ist der Liebenden Schande allein.’"

Scharkân macht sich nun auf, befiehlt seiner Truppe umzukehren und nach fünf Tagen erreichen sie eine bewaldete Talsohle. Nach weiteren fünfundzwanzig Tagen erreichen sie die Grenzen des eigenen Landes

und das Landvolk brachte ihnen Gastgeschenke, Futter für die Tiere und Proviant.

Auf welche Grundlage diese Freiwilligkeit angesichts eines derart bewaffneten Heeres beruht, kann man sich denken.

Das Heer zieht unter der Führung des Wesirs Dandân wieder los, Scharkân aber bleibt mir hundert Reitern zurück.

Warum eigentlich? Wenn er wünscht, dass seine Ankunft in Bagdad gebührend gewürdigt wird, genügt ja ein kleiner Voraustrupp, der ihn ankündigt.

Einen Tag später,

als sie etwa zwei Parasangen50  zurückgelegt hatten,

nähert sich ihnen eine Staubwolke,

da traten hundert Reiter heraus, die sahen wir grimmige Löwen aus, mit eisernen Panzern gerüstet zum Strauß.

Man beachte wieder diese seltsamen Prosareime. "Strauß" im Sinne von Kampf habe ich nie zuvor gehört, aber sowohl Duden als auch der Microsoft-Thesaurus bieten diese Option. Angeblich aus dem Mittelhochdeutschen struz, wovon auch "sich sträuben" abzuleiten ist.Man lernt nie aus.

Die Ritter sind Franken, und nachdem sie einen Tag miteinander gekämpft haben, ziehen sich beide Parteien zurück, und bemerken, dass keiner verwundet oder gefallen ist. Die Moslems haben den Eindruck, von den Franken geschont zu werden. Am nächsten Tag wird einzeln im Zweikampf gefochten, und nun nehmen die Franken einen Moslem nach dem anderen gefangen, obwohl der Führer der Franken auf der Wange noch keinen Flaum hat.
Am nächsten Tag kämpft nun Scharkân mit dem fränkischen Anführer, und ist am Abend völlig perplex, denn er bemerkt an dem fränkischen Ritter:

"wenn er an seinem Gegner eine Blöße für einen Todesstoß sieht, so kehrt er seine Lanze um und stößt nicht mit dem unteren Ende!"

Erst am nächsten Tag, als sie wieder miteinander kämpfen, gibt sich der Anführer zu erkennen: Es ist Abrîza selbst, und die "Ritter"

"sind Jungfrauen, und doch haben sie im offenen Kampf deine Reiter besiegt."

Allgemeine Verbrüderung. Man zieht gemeinsam Richtung Bagdad, nicht ohne das Scharkân die Christen bittet, ihre fränkischen Gewänder abzulegen.

 

50 Eine Parasang (–> pers.) = eine Reitstunde. Die Distanz variiert zwischen vier und sechs Kilometern.

49. Nacht

Als Scharkân und die griechische Prinzessin ordentlich angetütert sind, lässt letztere sich von ihrer Dienerin

eine Damaszener Laute, eine persische Harfe, eine tartarische Flöte und eine ägyptische Zither

bringen.

Wein, Weib, Gesang – gibt es dafür eine arabische Entsprechung? Wenn ja, so erlebt Scharkân wohl gerade den Himmel auf Erden, so man denn das Schäkern zwischen Mann und Weib höher schätzen soll als die Vereinigung.

Ihren griechischen Gesang versteht Scharkân nicht und so singt sie auf arabisch:

Der Trennung Geschmack ist bitter!
Wie kann ich das ertragen?
Dreierlei hat mich betroffen:
Verstoßung, Fernsein, Entsagen.
Ich liebe den Schönen; er fing mich
Durch Schönheit. Ach, Trennung bringt Klagen!

Das ist ja mal schön, weil nicht recht verständlich.

Dann wendet sie sich ab, um schlafen zu gehen.
Am nächsten Morgen lässt sie Scharkân zu sich rufen.

Rings um den Saal aber standen in Menschengestalt geschnitzte Figuren, wenn der Wind durch sie hindurchstrich, so gerieten Instrumente in Schwingung, die darin verborgen waren, und der Beschauer meinte, sie sprächen.

Das scheint mir eine ausgestorbene Kunst zu sein. Schade.

Wieder singen und trinken die beiden, um (voneinander getrennt!) schlafen zu gehen.
Am nächsten Morgen lädt die Prinzessin Scharkân zum Schachspiel ein;

aber wenn Scharkân auf ihre Schachfigur blicken wollte, so blickte er auf ihr Antlitz, und er setzte den Springer statt des Läufers und den Läufer statt des Springers.

So verliert er fünf Mal

"Ach, meine Herrin, wie sollte jemand, der mit deinesgleichen spielt, nicht geschlagen werden?"

Wieder trinken und singen sie, gehen ein jeder zu Bett, um am nächsten Tag wieder zu singen.

Während sie sich also die Zeit vertrieben, da erhob sich plötzlich ein großer Lärm, und ein Haufe von Christenrittern und Knechten stürzte herein, gezückte, blinkende Schwerter in der Hand, und sie riefen in griechischer Sprache: "Du bist uns in die Hände gefallen, o Scharkân, also sei des Todes gewiss!"

Scharkân glaubt nun, von dem Mädchen in eine Falle gelockt worden zu sein.
Die Prinzessin Abrîza verteidigt ihn jedoch vor dem Kommandanten der Truppe, der ihr berichtet, dass der König durch die Alte Dhât ed-Dawâhi von Scharkâns Anwesenheit erfahren hat.

Man hätte es sich denken können, dass die Anwesenheit der Alten vor ein paar Tagen nicht ganz ohne Grund in die Story eingeführt wurde.

Abrîza verleugnet die Identität Scharkâns und beruft sich darüberhinaus auf die Gastfreundschaft, die sie dem "Fremden" gewährte. Und als drittes Argument:

"Dieser ist nur ein einzelner Mann, und ihr seid hundert Ritter: wenn ihr ihn also angreifen wollt, so tretet einzeln vor, auf dass der König sehe, wer von euch der Tapferste ist."

Kara Ben Nemsi hätte es nicht besser sagen können.

 

48. Nacht

Es half alles nichts – eine komplett naive Lesart der Sammlung konnte ich mir sowieso nicht erhalten – , und so habe ich mich nun ein wenig eingehender mit der Sammlung der "Erzählungen aus den Tausendundein Nächten" beschäftigt, um wenigstens eine gewisse Orientierung zu behalten. Die meisten der im heutigen Standard enthaltenen Erzählungen wurden von Galland hinzugefügt, der im 17. Jahrhundert eine Handschrift fand. Strittig ist offenbar bis heute, ob "1001" wörtlich oder symbolisch zu verstehen war. Auf jeden Fall brach die Handschrift beiGalland  nach der 282. Nacht ab. Da Galland keine weiteren Teile fand, ergänzte er die Sammlung um weitere Geschichten aus dem Orient, vor allem sind hier die populären Aladin, Sindbad und Ali Baba zu nennen. Nun habe ich mir auch die neuere und am Original dichtere Übersetzung der ursprünglich erhaltenen Ausgabe von Claudia Ott besorgt, aber leider habe ich in diesem Blog den größten Teil dieses Textes hier schon erfasst. Werde also weiterhin auf die Übersetzung von Enno Littman stützen und nur in den übrigen Fällen ggf. auf die Vers-Übertragungen von
Claudia Ott
  zurückgreifen.

***

Und auch diese Geschichte ist nicht in der ursprünglichen Galland-Sammlung enthalten, sondern eigentlich ein selbständiger Roman. Wann genau er eingefügt wurde, lässt sich anscheinend noch nicht eruieren.

Trotz der immanenten Provokation der Worte und der wogenden Hüften der Maid, reißt sich Scharkân zusammen. Das Kloster ist reich und geschmackssicher eingerichtet. Auf einem mit Seidenstoffen belegten Thron soll Scharkân Platz nehmen. Während sie sich zurückzieht, wird Scharkân von den Dienerinnen bewirtet. Seine Gedanken schweifen zum Heer und zu den Ermahnungen seines Vaters.

Es fehlt mir nicht an Festigkeit, allein
Ich bin verwirrt und weiß nicht aus noch ein.
Nähm‘ einer von mir meine Leidenschaft,
Ich würd gesund durch meine eigne Kraft.
Mein Herz ist, ach, vom Liebeswahn betroffen –
Auf Gott nur kann in meiner Not ich hoffen.

Wie er diese Verse gesprochen hatte, siehe, da kam ihm ein wunderbar schöner Reigen entgegen: mehr als zwanzig Mädchen, Mondsicheln gleich; die umgaben jene Maid wie die Sterne den vollen Mond und hüteten sie. Ihr Kleid war aus Brokat, wie er für Könige passt; um den Leib trug sie einen feingewebten Gürtel, der mit vielerlei Edelsteinen besetzt war und sie eng umgab, so dass ihre Hüften hervortraten; die glichen einem kristallenen Hügel unter einem silbernen Schaft, über dem die Brüste wie ein Granatapfelpaar prangten. (…)
Sie aber sah ihn lange an und immer wieder, bis sie ihrer Sache sicher war und ihn erkannt hatte.

Womit natürlich nicht das sexuelle "erkannt" gemeint ist, sondern bei ihr fällt der Groschen, dass sie es mit Scharkân höchstpersönlich zu tun hat.

Doch sie beruhigt ihn:

"Du bist mein Gast. Brot und Salz haben uns verbunden; so stehst du unter meinem Schutz und Schirm und kannst dir sicher sein."

Brot und Salz  auch hier als Zeichen der Gastfreundschaft.

Sie scherzte mit ihm, bis seine Besorgnis wich und er einsah, dass sie ihn in der vorigen Nacht getötet hätte, wenn sie das hätte tun wollen.

Und wie bringt eine Christin einen Moslem um den Verstand? Richtig – mit Alkohol!

Und sie trank weiter mit ihm, und schenkte ihm ein, bis er die Besinnung verlor.