Partisan

Die Wunden schwarze Löcher.
Ohne Heimat sterben
gönnt man doch keinem, nicht wahr?
So pflegten wir ihn, wie wir’s konnten,
mit tröpfelnder Hoffnung im Bauch
und Angst man würde ihn finden
und ihn erwürgen.

Im Juni stand er auf und ging
ohne ein Wort
und gab keinen Blick,
als gehörte Undank zu seiner Sorte
wie der Stein zur Pflaume.

Geruch der Kälte

In einer alten Laube,
der Tisch bedeckt vom Staube,
sucht’ ich des Nachts Asyl.
Ich fand zwei Tagebücher,
inmitten dicker Tücher.
Ich warf sie über: Es war kühl.

Schlaflos las ich die Seiten
aus längst vergangnen Zeiten.
Wer war wohl wer darin?
Autorin ist gestorben
Die Zeilen sind verdorben,
verfasst von der Selbstmörderin.

Nachruhm

Erst als er starb, begann man, ihn zu loben.
Ihr rühmtet ihn, obschon ihr früher schwiegt,
was nur zum Teil an euren Drecksmanieren liegt.
Ihr habt das Loben vor euch hergeschoben.

Und nun erfolgreich aufs Podest gehoben:
Er hat vom Lob nicht mehr viel mitgekriegt.
So geht’s: Der Körper kämpft, die Seele fliegt.
Er – noch hier unten. Sie – schon fast da oben.

Wir preisen den Versterbenden in hohen Tönen.
An sein Versterben muss man sich gewöhnen.
Die Rührung fett euch aus den Ohren quillt.
Jetzt, da er leider muss für immer dösen,
sagt ruhig, ihr wärt mit ihm ganz dick gewesen.
Denn Nachruhm nur den Lebenden was gilt.

Genuss

Einatmen, ausatmend seufzen.
Kein Andres jetzt existiert.
Der Geist ist wach und doch unbewusst übermannt vom gewaltigen Schauer.
Licht und Wärme und Harmonie und ein samtiger Kitzel.
Es schwillt und quillt, und du bleibst ganz und gar fokussiert.
Alle Morgen und alle Gestern verschmelzen in diesem Moment.

Geradheit

bereit, sich niemals aufzugeben, wie’s auch kommt,
so schlackerten nun die dürren arme, das haar zerzaust
zeugte von kämpfen, die er selten gewann.

die freunde wussten, auf ihn können wir uns verlassen,
der steht zu einem, komme was da wolle, doch viele
freunde waren ihm nicht geblieben.

ehrlichkeit währt am zweit- oder drittlängsten
geradheit ziert den, der den sturm überlebte
wenn du’s überlebt hast, lieben wir dich.

Kleine Panik

Zu seiner Hochzeit hatte er uns eingeladen.
„Was solln wir mit Geschenken! Schenkt uns lieber Geld!
Sucht euch in Monte Carlo ein Hotel!
Und sucht es schnell!“
Fürwahr, ein Mann von Welt,
der pendelt zwischen Geiz und Prahlerei
– das Kleid, der Porsche und der Ring.
Und doch, in seinem Blick noch stets ein Rest von Panik hing
des stets zu kurz gekommnen.

Kinderlied (Version: Alter Mann)

Liebe, liebe Sonne
komm ein bisschen runter.
Wärm mein kahles Hinterhaupt
(kahl, da es des Haars beraubt).
Wärme des Gesichtes Falten
(ich gehöre zu den Alten).
Wärme meinen schlaffen Po
(sitzen kann ich grad noch so).
Wärm mir den behaarten Bauch
(an Verdauung hapert’s auch).
Wärme mir die dürren Schenkel
(sind zu schwach für meine Enkel).
Spende Wärme meinen Eiern
(ham ja sonst nicht viel zu feiern).

Die Lüge

Zwei lange Jahre hat er dich belogen,
in denen du vor Kummer ihn verschontest
und, ihm zu helfen, bei ihm wohntest,
und Trost ihm gabst, wenn seine Sorgen überwogen.

Und jeden Wunsch, auch wenn er überzogen,
du rasch erfülltest und mit Küssen lohntest.
Du hast dich dabei nicht einmal verbogen,
wie du mir gegenüber stets betontest.

Ist diese Zeit durchs Lügen korrumpiert?
Du selber sagst, du hast sie tief genossen.
In seinen Armen hast du Glück gefunden.

Das Glück durch Lug und Lug durch Glück verziert.
Lass los, denn beide sind bereits verflossen.
Vorbei! Was bleibt, sind die gelebten Stunden.

Dachbodenfreundschaft

Genascht Konfitüre aus staubigem Fach
auf dem Boden des Daches klammheimlich zu zweit.
Und Hefte und Schachteln, ein Hakenkreuz.
Die Sonne streng durch das Dachfenster strahlt.
Wir, in dem Glauben, es wär uns verboten,
nach immer größeren Schätzen gespäht,
nicht ahnend, der größte war hier und jetzt
der Augenblick
des wahren, gemeinsamen Abenteuers
der zwei Freunde,
die sich viel später erst wiederbegegnen
fast vierzig Jahre
und kurz nur nickend sich grüßen.

Regen und Notwendigkeit

Der Regen fällt auf Friedas Grab
Früh gab sie ihre Löffel ab.

Der Regen fällt aufs hübsche Beet.
Wenn Hilfe käm, käm sie zu spät.

Es regnet auf den Rosenstrauch.
Vorbei – es war ihr letzter Hauch.

Es regnet auf den Fliederbusch.
Der Posaunist spielt einen Tusch.

Der Regen nässt sein Instrument.
Die Frieda jetzt für immer pennt.

Und nass wird auch ihr brauner Sarg.
Jetzt ist sie hin, einst war sie stark.

Tod und Regen und die Zeit:
Traurig- und Notwendigkeit.

Orgasmus

Als würd’ ein großes Flugzeug Anlauf nehmen,
bevor es in die Höhe steigt,
und niemand könnt’, was jetzt kommt, zähmen.
Der Pfeil im Kopf auf Abflug zeigt.

Ein Schub von wilden Lendenkontraktionen
erwärmt dich bis zum großen Zeh.
Und viele tausend Nervenexplosionen
tun angenehm dem Körper weh.

Du kannst nichts hören und du willst nichts sehen.
Ein buntes Feuer in dir brennt.
Erleuchtungsgleich umfassendes Verstehen
in diesem einen Glücksmoment.

Paris

Wir waren am Eiffelturm angekommen,
dem Bauwerk von erstem Rang,
und hatten schon von weitem vernommen
tausender Stimmen Klang.

Die Handys, die Fotos, das Lachen, das Posen.
Der Turm war ihnen Tapete, wie geil.
Verzweifelte Händler in dreckigen Hosen
boten Miniaturen feil.

An einer Wand hinten bei den Toiletten
steh ich allein und beobachte sacht
die (ungeachtet der tausend Doubletten)
noch immer betörende kühle Pracht.

Betrachtung

In meinen übel trüben Stunden
hab ich noch stets zu dir gefunden,
war deinem Wirken auf der Spur,
du Lebensmeisterin Natur.

Werd ich zum Opfer meiner Launen,
wend ich mich zu dem großen Staunen.
Wer hat noch nie vor dir gekniet,
der deine großen Wunder sieht.

Das kleine Werden und Entstehen,
das große Enden und Vergehen
gehorchen alle dem Prinzip
des Leb und Nimm, des Stirb und Gib.

Der Traum

Ich bin um Drei, grad in der Nacht,
aus einem Traume aufgewacht,
und frag mich nun den ganzen Tag,
ob er etwas bedeuten mag.

Im Dreiecksraum kam durch die Tür
ein kleiner Stier, der wollt zu mir.
Ein zweiköpfiges Lederweib
begehrte meinen nackten Leib.

Der Priester spricht: „’s ist Gottes Ruf.“
Herr Freud: „Das Es die Träume schuf.“
Der Hirnforscher: „Es macht nichts aus.“
Vielleicht lern ich trotzdem daraus.

Ehre

Es lebt ein grausiges Monster, gewandet in feinstem Tuch.
Es ruft mit würdiger Stimme. Sein Rufen ist ein Fluch.
Bösen Blickes, reflexhaft zuckend, ständig beleidigt,
selbstgerecht bis in den Tod eisern verteidigt.

Tief in unsren Herzen hat sich’s eingerichtet.
Die Klauen und Zähne hat schon ein jeder täglich gesichtet.
Es nährt sich vom Dünkel des bis aufs Mark gekränkten Ich.
Wer macht sich frei von ihm? Auch ich hoffentlich.

Erfüllung

Was soll mir das Haben? Was soll mir der Schein?
Was soll ich von anderen anerkannt sein?
Was soll mir der Kitzel? Was soll mir der Stolz?
Das Geld und das Wissen, die Kunst – ach, was soll’s?
Hätt all die Bedürfnisse ich auch gestillt,
sie kämen ja wieder, ich blieb unerfüllt.

Ich lös mich vom Wollen, von geifernder Gier
und such meinen Trost nur im Jetzt und im Hier.
Was soll all das Streben? Es zählt der Moment.
Das Künftige doch sowieso keiner kennt.
Ich löse mich schließlich vom eigenen Bild.
Was bleibt, ist die Liebe, die mich nun erfüllt.

Häuptling auf dem panafrikanischen Treffen

Der Arm geschmückt mit fünfundvierzig goldnen Reifen.
Die tiefen Narben auf der Wange sind gewollt.
In stiller Würde lässt er seine Blicke schweifen.
Ein jeder Gast an diesem Tag Respekt ihm zollt.

Er trägt die Hitze stoisch unter seinem Schirme,
den ohne Murr’n ein edler Diener für ihn trägt
Und rinnt ihm doch ein Tropfen Schweiß von seiner Stirne,
verdunstet er, bevor er noch zu Boden fällt.

Ein kleines Lächeln wandert durch die Häuptlingsmiene.
Noch zählt in diesem Land sein Wort und seine Macht.
Denn dass der Chief dem eignen Land und Volke diene,
darüber angestrengt das Müttergremium wacht.

Verfall

Das Denken schwand,
vom nahen Tod fast aufgesogen.
Und der Verstand
vom bisschen Leben bald betrogen.

Durch die Räume
deines Hirns Erinnrungsspuren.
Vergangne Träume,
durch die Nervenbahnen fuhren.

In gedehnter Agonie
wird alles verwehen.
Bei einer alten Melodie
bleibst du manchmal noch stehen.

Höflichkeit

In leichten Zeiten grüßt sich’s deutlich leichter.
Das Lächeln hat mir mein Gemüt gebastelt.
Der Hass des Andern bleibt im Sommer ziellos.
Wie kann der Tanzende unhöflich sein!
Doch wenn die scharfen, kalten Winterwinde
sich unbarmherzig drängen in die Seele,
dann braucht es freilich Erdung und auch Übung,
die immerhin das Standardlächeln freigibt.
„Guten Tag!“, „Pardon!“ „So ist es Recht.“
Wenn diese sich nicht leicht gebären lassen,
so sei es unter Wehen. Hilf, Vernunft!
Denn ohne Höflichkeit, dies alte Schmieröl,
blieb ich in meinem Käfig ewig sitzen.

Düsternis

Bittres Hirn und bittres Herz
übles Denken, übles Fühlen
ohne Weisheit, ohne Scherz
bist ja nur ein Wicht von vielen.

In des Übelwollens Moor
werden schlackig die Gedanken.
Die, kommt’s dir auch nicht so vor,
langsam immer tiefer sanken.

Richtest dich behaglich ein.
Schuld sind freilich all die andern.
Besser ist es ganz allein.
Und die düstern Bilder wandern.

Müßiggang

Ich beicht es heut, verheimlich es nicht länger:
In meinem Herzen wohnt ein Müßiggänger,
der sich nicht kümmert um die großen Pflichten
und der’s genießt, die Stunden zu vernichten.

Man hat ihm oft vom Fleißigsein gepredigt.
Doch hat das Gute sich meist selbst erledigt.
„Was nutzt’s, wenn ich hier meine Kraft verschwende.
Ihr Emsigen, was braucht ihr meine Hände?“

Der Schlingel sagt, schelt ich ihn manchmal selber:
„Von Arbeit wird die Sonne auch nicht gelber,“
Trotz allem nehme ich sein Dasein heiter.
Sein Mitbewohner ist ein Bauarbeiter.