98. Nacht

Seit fast achtzehn Jahren lese ich die zitty. 1990 im März habe ich das erste Heft für damals 9 Ostmark gekauft und habe in den ersten Jahren jedes Heft von vorn bis hinten studiert. Man kann sagen, dass mir zitty geholfen hat, im Westen anzukommen. Die besten Comics von Woessner und Fickelscherer schnitt ich aus. Mit Didi und Stulle von Fil tue ich das heute noch. Ich habe alle Aufs und Abs der Zeitschrift erlebt, bis hin zu den schrecklichen Layout-Tragödien, die nun Mitte dieses Jahr ein Ende hatten. Ein tolles Heft.
Und nun ist es vorbei. Ich werde mein Abo kündigen. Warum? Ganz einfach. Der Abdruck des Programmteils (also des Teils, weshalb man sich überhaupt eine Programmzeitschrift kauft), wird kostenpflichtig. Die Preise sind zugegebenermaßen nicht allzu hoch. Aber doch so, dass es sich manche Kleinveranstalter überlegen werden, ob sie diese Art von Hinweis überhaupt benötigen werden. zitty und tip auf dem schlechten Wege. Jetzt könnte man sagen, dann kauf dir doch den Tip. Aber Tip und zitty stecken inzwischen unter einer Verlags- und Management-Decke. Was soll mir aber eine Programmzeitschrift, die nicht mehr über das Programm anständig Auskunft gibt? Nur um Didi und Stulle tut es mir leid, aber dann werde ich eben die Alben kaufen. Das tut dann dem Portemonnaie von Philipp Tägert auch gut.

***

Dau el-Makân und Dandân betrachten ihre Lage und checken es immer noch nicht:

"Fürwahr: Ungehorsam gegen diese Heiligen bringt noch schlimmeres Unheil als dies; die Not, in der wir uns befinden, ist die gerechte Strafe."

Stellt der Autor die beiden absichtlich so dumm dar? Oder ist es ein Spiel zwischen den Werten Frömmigkeit und Klugheit, die, wie wir ein paar Kapitel früher erfahren haben, als hohe Werte unter muslimischen Königen gelten?

Mit harter verbaler Knute geht der antireligiöse Pat Condell gegen Religionen vor. Sehr hart und wahrscheinlich für die meisten ganz und gar nicht lustig. Mich etwa nervt sein latenter Nationalismus, das "Wir vs. Sie"-Gerede. Dennoch beachtlich: Jegliche Religion ist für ihn dummer Aberglaube.

 

Die Christen setzen den in der Höhle verbliebenen Moslems ein Ultimatum, und fordern sie auf, das Land friedlich zu verlassen.
Für Scharkân steht das völlig außer Frage.

Der Unwille zu Friedlichkeit bleibt hier bemerkenswert positiv besetzt.

Es kommt wieder zur Schlacht.

An jenem Tag schied sich der Feige vom Mutigen;
rot leuchteten Schwert und Lanze, die blutigen.

Obwohl sie wissen, dass sie eigentlich keine Chance haben, verharren sie noch eine Nacht in der Höhle, um darauf zu warten, dass der Heilige Hilfe holt.… Weiterlesen

Gags und Brechungen

Crossover-Impro mit Jochen Schmidt als Autor von der Chaussee der Enthusiasten. Erstaunliches szenisches Engagement. Gutes Gespür fürs Aufeinandereingehen.
Hinterher die Diskussion, wie man mit dem Impuls des Brechens und der Pointe umgeht. Vermutlich eröffnet sich hier noch ein sehr weites Feld, das mit dem Johnstoneschen Verbot des Gagging nicht abgehakt ist. Gags (bzw. Pointen), die das Gesehene auf den Kopf stellen, setzen im Prinzip einen Schluss, es geht nicht mehr weiter oder man muss von vorn anfangen.
Andererseits kann das gegenseitige Brechen der Perspektiven auch im angenehmen Flow geschehen, wie wir es bei den Chaussee-Dialogen erfahren. Es ist auch immer eine Frage des Spannungsbogens. Ein kurzer Sketch kann gut mit einem Gag beendet werden. Derselbe Gag kann tödlich sein, wenn wir uns in einem langen Narrativ befinden oder überhaupt eine Plattform bauen.
Jochen meint, die Frage liege darin, was man überhaupt will: Storys erzählen oder Sachverhalte beleuchten. In jedem Fall ist, so denke ich, der schnelle Gag der billigste. Die Freude an der langen fließenden Improvisation oder Komposition ist anhaltender. Aber dafür braucht sowohl das Publikum als auch das Ensemble Kraft.
Um etwas brechen zu können, muss ich auch erst mal die Kraft haben, etwas aufzubauen.

Das alles sind nur kurze Gedanken. Man müsste es noch genauer analysieren.

97. Nacht

Es hilft ja nichts. Nach mehrmaligem Innehalten, muss ich doch hier mal wieder das Tempo des Lektüre-Blogs anziehen. Inzwischen haben sich Bücher auf meinem Tisch angesammelt, die ich, ich wage es mir kaum einzugestehen, viel lieber bloggen würde: Luhmanns "Die Gesellschaft der Gesellschaft" und "Die Politik der Gesellschaft", Rimbauds gesammelte Gedichte, Shakespeares Historien. Wenn ich im jetzigen Tempo mit den 1001 Nächten weitermache, bin ich beim Ende 48 Jahre alt und reichlich märchenmüde. Nun also mehrere Nächte pro Tag, mt dem Ziel, das Ganze am 31.12.2008 abzuschließen.

***

Dhât ed-Dawâhi in Verkleidung des Heiligen schlägt Scharkân und Dau el-Makân vor, dass sie sich unsichtbar macht und

in Allah entschwunden sein wird,

so dass sie sich zu den Truppen vor Konstantinopel aufmachen kann, um mit zwanzigtausend Reitern zurückzukehren. Sie könne sogar zwei von ihnen mitnehmen,

denn der Schatten eines Heiligen kann nur zwei Menschen bedecken.

So willigt Dau el-Makân ein, ihr gemeinsam mit Dandân zu folgen, während Scharkân bei den Soldaten bleiben soll. Tatsächlich spazieren sie unbehelligt durch das Lager der (von der alten Dhât ed-Dawâhi instruierten) Soldaten und kommen am Engpass vorbei:

"Bei Allah, dies ist ein Wunder des Heiligen; kein Zweifel, er gehört zu den besonderen Freunden Gottes."

Dau el-Makân scheint so deppert wie sein Vater, der ebenfalls von der Alten ins Unglück gestürzt wurde.
Oder macht sich der Autor gar über den Heiligenglauben der Moslems lustig?

Und schon ergreifen die Soldaten die beiden.

Der Wesir Dandân rief: "Seht ihr nicht jenen dritten Mann vor uns?" Doch die Heiden erwiderten: "Beim Messias und bei den Eremiten, beim Primas und beim Metropoliten: wir sehen niemanden als euch."

Regeln und Freiheit

Etwas Grundsätzliches zum Lernen und Unterrichten. Impro-Unterricht sollte immer davon geprägt sein, Freiheiten zu eröffnen, statt zu verschließen. Um dies zu erreichen, kann es durchaus mal notwendig sein, bestimmte Dinge zu „verbieten“, wie z.B. in den gewöhnlichen Impro-Games eine bestimmte Regel aufgestellt wird, die bestimmte Züge gebietet und andere „verbietet“.
Manche Schüler denken, man wolle sie einengen. Z.B. wenn ich sie dazu auffordere, sich nicht körperlich selbst zu fesseln, sondern locker da zu stehen. Oder wenn man Schüler auffordert, auf den Mitspieler zu hören, anstatt einfach drauflos zu quatschen. Der springende Punkt ist in diesem Beispiel, dass die Information, die ich vom anderen bekomme, mich mehr bereichert und überrascht, als es mein eigenes Gerede tun könnte.
Aber auch Lehrer sind nicht frei von diesem Regelfetischismus, wenn sie z.B. glauben, eine Story könne nur auf eine bestimmte Art und Weise erzählt werden, ein Musical müsse auf eine bestimmte Art erzählt werden oder Schauspiel müsse auf eine bestimmte Art geschehen.
Sowohl Lehrer als auch Schüler sollten sich immer wieder neu befreien.

96. Nacht

Endlich Arbeit und Einkommen zu entkoppeln, würde wohl eine Menge Druck aus dem alltäglichen Miteinander nehmen. Zurzeit sieht’s doch so aus: Alle wollen einen Job, aber kaum einer will arbeiten, weil die Jobs so schrecklich sind. Es wird ein gigantisches Heer von Beamten damit beschäftigt, Menschen in irgendwelche „Maßnahmen“ oder Jobs zu zwingen, in denen sie unglücklich werden. Und das bei Androhung des Entzugs vom grundlegenden Einkommen. Sich nicht in Lohnarbeit zu begeben, sondern selbst zu bestimmen, was man tut, wird als irgendwie unanständig angesehen. Ehrenamt schön und gut, aber bitte nur die Zahnarztgattin.
Der Gedanke eines bedingungslosen Grundeinkommens, ist inzwischen bei allen großen Parteien angekommen. Vor allem die SPD hadert noch sehr damit, ist doch gerade bei denen der Gedanke, dass Arbeit und Einkommen zusammengehören, fest verwurzelt. Schlimm auch, dass sich die Verfechter der Idee eher gegenseitig beharken, statt miteinander zu kämpfen. Man mosert über die Begrifflichkeit: Bürgergeld oder Grundeinkommen. Über die Höhe: 400, 800 oder 1.600,- Euro. Vor allem aber unterstellt man dem politischen Gegner bösen Willen. Aus dem Kampf um die Sache wird eine Ideologieschlacht. Eine kleine Liste von Gruppen, Personen und Parteien, die für ein bedingungsloses Grundeinkommen kämpfen oder gekämpft haben:

***

Das Heer bricht nun nach Konstantinopel auf, während Dau el-Makân, Scharkân, Dandân und Dhât ed-Dawâhi sich heimlich auf den Weg ins Kloster machen und dabei ein paar bewaffnete Reiter aber auch Maultiere und Kisten für die erwarteten Schätze mitnehmen.

Nun hatte die Hexe dem König von Konstantinopel auf den Schwingen eines Vogels eine Botschaft zugesandt, darin machte sie ihn bekannt mit allem, was geschehen war.

Dies dürfte eine Brieftaube gewesen sein, was aber zu der Zeit bei den Arabern bekannt war. So hielt sich der syrische König im 12. Jahrhundert bereits Brieftauben. Zu den europäischen Christen kam dieses Kommunikationsmittel anscheinend erst durch die zurückkehrenden Kreuzfahrer.

In dem Brief bittet sie den König, den Berg des Klosters heimlich zu umzingeln und weiht ihn ein in ihren Plan, der allerdings auch beinhaltet, den im Kloster lebenden Mönch Matruhina zu töten.
Tatsächlich finden sie den großen Schatz, töten den Mönch und warten drei Tage auf die von Dhât ed-Dawâhi versprochene Jungfrau, die aber, da sie die Anwesenheit der Muslime wittert, fernbleibt. Man beginnt den Abstieg vom Berg. und prompt fallen die christlichen Heere über sie an einem Engpass her.
Dandân rät, in einer Höhle Zuflucht zu suchen, doch Dhât ed-Dawâhi spornt sie zum Kampf an.

Wohl in der Annahme, dass diese Kampfeshelden an diesem Ort keine Chance haben.

Doch sie halten sich bis zum Einbruch der Nacht und verkriechen sich erst dann in die Höhle. Man vermisst den „Heiligen“ (Dhât ed-Dawâhi). Und kurz darauf kommt sie mit dem abgeschlagenen Kopf eines der christlichen Feldherren an.

Dieser war freilich schon vorher tot. Aber sie kann nun behaupten, ihn mutig im Kampf getötet zu haben und etwaige Zweifel an ihrer Story zerstreuen.

Schlimmes Publikum

Mehrfach habe ich hier hingewiesen darauf, dass man sich nicht zu leicht von einer Handvoll zu nerviger Zuschauer ins Bockshorn jagen lassen muss. Mit einer Art Bühnen-Aikido lässt sich so etwas gut habndhaben, wenn man das trainiert hat: Schlechte Energie in positive verwandeln.
Aber es gibt Grenzen: Zu Gast bei einer Mix-Show, die an schlechter PR litt. Im Publikum drei zufällig hereingestolperte Gäste und 6 betrunkene Punks der übelsten Sorte, die wegen eines Liedermachers gekommen waren, der in diesen Kreisen einen gewissen Ruf hatte.
Natürlich kann man auch in solch einer Situation versuchen, das ganze als eine Art öffentliches Training aufzufassen oder sich auf eine Art Kräftemessen einlassen. Andererseits fordern solch extreme Situationen auch den eigenen Charakter sehr heraus. Wenn es dann der Veranstalter nicht schafft, die Pöbler zu entfernen, muss man sich nicht schämen, den Auftritt abzublasen.
Mit Foxy Freestyle bemühten wir uns immerhin, den drei anständigen Gästen einen Happen zum Ankosten zu geben und trösteten sie hinterher mit einer Freikarte. Aber das Improvisieren wird ja auch nicht gerade leichter, wenn man 50% der Aufmerksamkeit den störenden Idioten widmen muss.
Für immer im Gedächtnis wird mir da ein gemeinsamer Auftritt mit Tube bleiben. Wir mussten als Vorprogramm einer Punkband lesen. Die Punks grölten. Ich versuchte, die Störungen irgendwie zu integrieren. Tube hingegen las eisern seinen Text vor, wie er es immer tut, und zog dadurch zumindest einige der Zuhörer auf seine Seite.

Der Pate

„In all of my films I try to have a couple of weeks to have the all the cast together and very often if the first time the actors work together they do so in improvisation especially sensual improvisation: eating together or preparing food together. Or doing some activity that you touch and making something together. And for the Godfather what I did in Patty’s restaurant uptown: they had a backroom. And before the cast really knew each other, I arranged to have a family style table put in that backroom. And I had all this Italian food. (…) And I just told them to have an improvisation as a familiy, you know, talk while eating (…). And I very much believe that it was in that first improvisation that they established what it was like for them to be a family. And I always have felt that that improv and other things we did afterwards really gave them something fundamental that helped them throughout every scene that was to come and made it believable that they were brothers or father and son. (…)“
(Coppolla on Godfather)

Verknüpfungen

Wann soll verknüpft werden. Manche Spieler sind geradezu blind für in der Luft liegende Verknüpfungen, die sozusagen die Szene „rund“ machen, andere sind übereifrig im Verknüpfen. Im Grunde sind zu flinkeVerknüpfungen auch eine Form des Gagging. Das superschnelle Benennen macht ist eine Form des „Comic Relief“, die den für lange Szenen oder Stücke notwendigen Spanungsbogen zu schnell aufhebt.
Wie man damit umgeht? Keine Ahnung. Zuschauen, ausprobieren, Sensibilität entwickeln.

95. Nacht

Gestern festgestellt, dass das Geschirr-Spülmittel, ein knappes Jahr lang gehalten hat. Es war ein Notkauf bei der Ausbeuter-Drogerie Schlecker, alle anderen Läden in der Umgebung hatten schon geschlossen, nur in dieser Sklaven-Hölle mussten die Ausgestoßenen noch schuften. 79 Cent hat es dort gekostet. Nun frage ich mich, wieviele Geschirrspülmittel ich noch in meinem Leben kaufen werde. Da ich mir mein Geschirr mit der Liebsten teile, kann man ausrechnen, dass eine Flasche wohl zwei Jahre hält. Wenn ich nicht auf Geschirrspüler umsteigen sollte, dann sind das, eine großzügige Lebenserwartung von noch 40 Jahren angesetzt, 20 Flaschen zu 79 Cent. Das heißt, ich werde in meinem Leben noch 15,80 Euro für Geschirrspülmittel ausgeben. Ich finde den Gedanken beunruhigend, aber warum? Weil er mich auf meine Endlichkeit hinweist oder darauf, dass Geschirrspülmittel-Hersteller eigentlich keine Rücksicht auf den Preis zu nehmen bräuchten. Aber tatsächlich gibt es Leute, die einen großen Aufwand beim Preisvergleich von Geschirrspülmitteln betreiben.

***

Die angeblichen syrischen Kaufleute berichten Scharkân und Dau el-Makân die Story vom einsiedelnden Mönch sowie von den noch auf dem Berg zu findenden Schätzen. Dhât ed-Dawâhi wird mit leuchtender Salbe auf der Stirn als der Einsiedler präsentiert.

Und Scharkân erhob sich vor ihr und küsste ihr die Hand.

Dabei wurde in der letzten Nacht noch ausführlich von ihrem üblen Geruch erzählt.

Genau wie den Vater Scharkâns und Dau el-Makâns macht sie nun auch diese beiden durch ausgiebiges Fasten glauben, es mit einem sehr frommen Menschen zu tun zu haben.
Sie erzählt den beiden nun eine umständliche Geschichte, wie sie (=der fromme Einsiedler) von christlichen Rittern über Jahrzehnte auf einer Burg gefangen gehalten wurde, wo auch eine schöne Jungfrau lebte, die nur in Verkleidung als Ritter fliehen konnte.

Auch in dieser Geschichte-in-der-Geschichte werden Motive aus der Rahmenhandlung aufgenommen, hier die Verkleidung einer Frau als Mann. Dhât ed-Dawâhi tut das immerhin unter der Gefahr, selbst entdeckt zu werden.

Sie bietet den beiden an, sie zu der Burg zu führen, damit der Schatz gehoben werden und das Mädchen gefangen genommen werden könne. Einzig der Wesir Dandân zweifelt an dem Bericht der Alten.

Ihre Worte wollten ihm nicht in den Sinn; dennoch fürchtete er sich, mit ihr zu reden, aus Scheu vor dem Könige.

Dau el-Makân steht nun vor dem Problem, dass er gerade einen Feldzug auf Konstantinopel führt, ihm aber Schätze und ein Girl locken. So schickt er den Heerführer Rustem voraus. Mit Scharkan, Dandân und hundert Rittern begibt er sich jedoch zu der Burg, begleitet von Dhât ed-Dawâhi.

Kraft der Fehler – Coppolla/Montana

Lenny Montana – ein Wrestler, spielt in „Der Pate“ den Killer Luca Brasi. Ungewohnt einen Text zu sprechen, friert er förmlich ein, als er vor Marlon Brando steht. Coppolla nahm dieses Missgeschick zum Anlass für die hübsche Idee, Luca Brasi seinen Text vorher „üben“ zu lassen, wodurch die Missgeschick-Stelle ihren Sinn bekommt.
The Power of Mistakes.

Freiheit

Es gibt ein paar wenige Menschen, die mir das seltene Gefühl überbordender endloser Freiheit vermittelt haben:

  • Ralf Petry
  • Aljoscha, Flake, Paul von Feeling B.
  • Erich Siebenschuh
  • Ahne
  • Leon Düvel
  • Michael Stein
  • Stephen Nachmanovitch

Menschen, die in einer Weise offen waren (oder zumindest diese Offenheit ausstrahlten), dass ich versuchte, soviel davon zu trinken wie möglich.

94. Nacht

Viel mehr als die Lektüre von Tausendundeine Nacht hat mich in den letzten dreieinhalb Jahren "Die Gesellschaft der Gesellschaft" von Niklas Luhmann beschäftigt. Pro Tag ungefähr eine Seite. Lektüre-Ort war derselbe Lokus wie jener, auf dem ich von 2000 bis 2003 die Bibel gelesen habe. Zwischendurch immer wieder. Man kann gewiss behaupten, ein Lektüre-Blog von "Die Gesellschaft der Gesellschaft" wäre allemal wichtiger für die Welt als die mit banalem Schnickschnack versehenen Geschichten aus Tausendundein Nächten. Nur habe ich schon mit der Darstellung und Kontinuität der 1001 Nächte meine liebe Müh. Wieviel mehr wäre das bei einer derartig komplexen Materie?

Outing: Mein Außen-WC in der Libauer Str. 9. Die Jahre 1991-2006.

Niklas Luhmann: "Die Gesellschaft der Gesellschaft", Hochzeitsfoto Hille Linders/Wilfred Takken, Zeitungsfoto Mike Tyson, Faschingsfoto meiner Schwester ca. 1976, Ausriss aus Feministenkalender 1995 von Eva Hernández, Cartoon von ©TOM, Foto-Cartoon mit Walter Ulbricht und Paul Robeson von Freimut Wössner, Hundekackverbotsschild (Zeitungsausriss), Schlüsselbund, Klopapierrolle leer, Klopapierrolle angefangen, Gassi-Tüten-Verpackung zweisprachig italienisch/deutsch von meinen Nachbarn Sandra Brust und Markus Groß aus Österreich (??) mitgebracht

Foto von Annie Lennox, Cartoon von Kriki

Bild einer Plastik "Kackender Hund" Ausriss aus taz 1990. Von wem die Plastik ist, weiß ich nicht, der Text darunter war ein Pamphlet von Freya Klier.

Foto Hundekack-Verbotsschild in Antwerpen, ca. 1993, König Baudouin I., Foto amerikanische Austauschstudenten 1953 an der FU Berlin, Foto Kinder in New York 30er, Foto Jugendliche in New York 80er, Straßen-Basketball – Angreiferin und Verteidiger (Ort unbekannt)  Ausriss aus taz, Mode-Trash-Queen, Eichhörnchen und Marder – antapezierte Bilder meiner Vorgänger.

Zeitungsausriss taz: Tanzende in Marokko, Zeitungsfoto verlierender Boris Becker, Zeitungsfoto verlierende Steffi Graf, Arbeitsschuhe – Bild aus "ZEIT-Journal" ausgesucht von Eva Hernández, Foto-Triptychon Viktor Timschin, aufgenommen von Stefan Müller, "Say no to Sex" Agitationsbildchen aus ghanaischem Aufklärungsheft, Cartoon von ©TOM, Foto von mir in Amsterdam vor Hundekackverbots-Schild, "Frauen bitte hinsetzen" – Bitte an Stehpinklerinnen, Brief meiner Nachbarn Sandra Brust und Markus Groß, in dem sie sich dafür entschuldigen, nicht mit mir essen zu gehen und stattdessen zur Fete de la Musique gehen, notiert auf einem Rechnungszettel einer portugiesischen Bibliothek

Foto von Karl Valentin, Foto von Spermien, die um eine Eizelle schwimmen, Doppelcartoon von ©TOM und OL

 

Foto von Jochen Schmidt/Dan Richter/Ralf Petry 1990 im Probenraum Kastanienallee 87, Ausriss aus "Morning Star" von 1989 (Gedächtniszitat): "Actress Una Stubbs and friend visited London’s Hyde Park yesterday to help launch SCOOP, the first national campaign against dog excrements that foul the public streets and places. The campaign is pointing out that up to 100 children go blind each year. Bild von Egon Schiele aus "Das Magazin", Bild von Hanns Eisler, Bild und Zitat von W.C.Fields: "I don’t drink water because fishes fuck in it.", Sonnenuntergang Heidelberg (ausgewählt von Eva Hernández), Bild "The Rolling Stones", Spaßpostkarte ausgewählt von Steffi Winny, Foto Prince aus Kumasi, Postkarte König Baudouin I. mit Fabiola von mir an Jutta Borostowski, Foto Christine Mohnhaupt und Anke Jahn 1987, Postkarte Charles und Diana von Jutta Borostowski an mich, Postkarte Königin Elisabeth II. von Jutta Borostowski an mich, Postkarte Papst Johannes Paul II. von Jutta Borostowski an mich

 

Schloss und Riegel.

***

Die Christen willigen in den Plan von Dhât ed-Dawâhi ein. Unterdessen erbittet sich Dau el-Makân von seinem Bruder Scharkân bedingungslose Treue bei seinem Rachefeldzug:

"Ich will will fünfzigtausend Griechen hinrichten und dann einziehen in Konstantinopel."

Scharkân gibt zu bedenken, dass Frau und Kind auf ihn warten. Darauf Dau el Makân:

Versprich mir, Bruder, dass du mir, wen Gott mir einen Sohn schenkt, deine Tochter für ihn zur Frau gibst." "Herzlich gern", erwiderte Scharkân.

Das Cousinenehe-Motiv, ist uns hier schon früher begegnet.

Man rückt im Eilmarsch auf Konstantinopel vor und macht Rast auf einer großen Ebene.

Blick auf die lachende Wiese; ist es nicht,
Als sei ein grüner Mantel auf sie gebreitet?
Siehst du mit dem leiblichen Auge, dann schaust du nur
Einen See, in dem das Wasser sich wiegend gleitet.
Siehst du mit deiner Seele in seine Baumkronen hinein,
So schwebt über deinem Haupte ein Glorienschein.

Auf dieser Wiese nun begegnen sie den Syrern – den angeblichen Kaufleuten.

93. Nacht

Seit nunmehr zehn Monaten lerne ich Klavier. Jeden Tag übe ich zehn Minuten, Immer wieder dasselbe Stück. Damit hätte man mich früher in den Wahnsinn treiben können. Heute ist es die schönste Meditationsübung für ich. Ehrgeizlos erarbeite ich mir linke und rechte Hand eines der schönsten Klavierwerke Mozarts – der C-Dur Sonate KV 545 (Sonata facile), der langsame Satz. Wenn man bedenkt, dass ich vorher gerade mal wusste, wo die Tasten liegen, finde ich das einigermaßen ordentlich. Hier meine Fortschritte vom 24. Oktober 2007.

***

Gute Boxer loben ihren Gegner, nachdem sie gewonnen haben, um ihr eigenes Ansehen zu erhöhen. In Trivialliteratur wie dieser wird darauf keine Rücksicht genommen. In „Schneewittchen“ ist die böse Stiefmutter immerhin auch schön. In „Frau Holle“ ist die böse, faule Stiefschwester auch hässlich. Wir bekommen eine kleine Beschreibung von Dhât ed-Dawâhi serviert:

Nun war aber jene Verfluchte eine schlimme Zauberin, im Hexen und Täuschen eine Meisterin, sie war eine liederliche Lügnerin, eine ausschweifende Betrügerin; sie roch aus dem Munde wie Kot; ihre Augenlider waren rot; ihre Wange bleich wie der Tod; ihres Gesichtes Farbe war dumpf; ihr Blick war trübe und stumpf; ihr Leib war räudig, ihr Haar war gräulich, ihr Rücken buckelig; welk sah ihre Haut sich an, und ihr Nasenschleim rann. (…) Bei ihrem Sohn aber, dem König Hardûb von Kleinasien, blieb sie hauptsächlich um der jungfräulichen Sklavinnen willen, denn sie war der sapphischen Liebe 93 ergeben. (…) Die Prinzessin Abrîza mochte nicht mit ihr schlafen, weil ihre Armhöhlen abscheulich rochen und weil ihre Winde noch ärger stanken als Leichengeruch, und obendrein war ihre Haut rauher als Palmenfaser.

Man beachte das „weil“ des letzten Satzes. Das heißt ja wohl, wenn die Alte nicht so abstoßend gewesen wäre, hätte Abrîza mit dem Beischlaf der Alten kein Problem gehabt.

König Afridûn gibt den „syrischen Kaufleuten“ einen Schutzbrief mit. Dhat ed-Dawâhi weiht die Kaufleute in ihren Plan ein. Sie selbst verkleidet sich als muslimischer Mönch und legt sich in eine Kiste. Die Syrer sollen behaupten, diesen aus der Hand der Christen befreit zu haben.

93 Sapphische Liebe = lesbische Liebe. Benannt nach Sapphos, einer der großen griechischen Lyrikerinnen, die auf Lesbos(!) lebte.

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92. Nacht

Umfrage bei der Chaussee der Enthusiasten : Wer hält den Streik der Lokführer für gerechtfertigt?
5% meinen, es sei gut, dass sie streiken.
5% meinen, es sei nicht gut.
Die anderen haben keine Meinung. Udo Tiffert erklärt später, die Lokführer bekämen im derzeitigen System nicht einmal ihre langen Reisezeiten angerechnet, so dass ein Lokführer durchaus mal 12 Stunden unterwegs ist, aber nur 6 Stunden bezahlt bekommt.

Seltsame Streikformen:

  • Studentenstreik: Wer bestreikt wen? Die Studenten sich selbst? Lehrveranstaltungen fallen aus, umso schöner für die Professoren, die sich ihren prestigeträchtigeren Forschungs- und Publikationsaufgaben widmen können. Mit jedem Wintersemester probiert sich eine neue Generation an dieser Protestform aus. Dass das auch kulturell angenehme Folgen hat, zeigte sich im FU-Streik 1988/89, als das Mittwochsfazit gegründet wurde. Mein erstes Wintersemester 1990/91 an der Humboldt-Universität begann mit einem Streik, der eine doppelte Stoßrichtung hatte: Gegen Abwicklung der Professoren und Dozenten sowie gegen die finanzielle Beteiligung Deutschlands gegen am Krieg der USA gegen den Irak. Hat ein Studentenstreik eigentlich je etwas bewirkt?

  • Konsumstreik: Hat je jemand wirklich aufgrund dieses Streiks auf etwas verzichtet?

  • Sexstreik: Angeblich schon im alten Griechenland zur Anwendung gekommen (Lysistrata). Auch hier fragt sich, ob die Damen sich nicht selbst um eine Freude bringen.

  • Hungerstreik: Die Waffe des Schwächsten richtet sich ebenfalls gegen sich selbst. Ich erinnere mich an eine Szene aus "Ernst Thälmann, Sohn seiner Klasse", als die politischen Gefangenen eines Zuchthauses (Brandenburg?) in den Hungerstreik treten und der sadistische Wärter einen jungen Häftling zu verführen sucht, indem er in der riesigen Topf rührt. Dem jungen Kommunisten gehen die Augen über, aber das Klassenbewusstsein ist stärker. Er tritt den Topf um. Ärzten ist völkerrechtlich die Beteiligung an Zwangsernährung untersagt. Wer also ein brutales Regime führt, lässt am besten den Hungerstreik andauern und ignoriert die Konsequenzen.

  • Lesebühnenstreik: Könnten wir, wenn wir wegen der kümmerlichen Gagen mal einen Streik begönnen, die Zuschauer dazu bringen, mehr zu zahlen?

***

Mit dem Schlachtruf "Blutrache für Lukas" stürmen die Christen auf Scharkân ein, und ein unbekannter Ritter aus den Reihen der Muslime steht ihm zur Seite. Erst später gibt er sich als sein Bruder Dau el-Makân zu erkennen.

Auch dies könnte eine Übernahme des Motivs aus der Ilias sein.

In einer entsetzlichen Schlacht werden die Heere der Christen aufgerieben und ihre Schiffe gekapert. Konstantinopel, das zum Freudenfest geschmückt war, bricht in Trauer um die Gefallenen aus.

Doch Dhât ed-Dawâhi wäre nicht die Gerissene, als die wir sie kennen.

Hundert syrische Christen sollen mit ihr verkleidet als Muslime zum bagdadischen Heer ziehen.

Partnerunterstützung

Seit Mick Napier haben wir zwei Grundgedanken:
1) Unterstütze deinen Partner.
2) Du unterstützt deinen Partner, indem du dich selber unterstützt.
Napier meint, den Gedanken 1) weiterentwickelt zu haben, aber in Wirklichkeit beziehen sich die beiden Aufforderungen auf verschiedene Situationen:
1) zielt vor allem auf Unterstützung des Protagonisten, aber auch auf die Unterstützung des Spielers. Wenn ich Fähigkeiten meines Mitspielers kenne, kann ich ihm entsprechend zuarbeiten. Die Aufforderung zielt vor allem auf das Miteinander.
2) zielt darauf, nicht die eigene Figur zu vergessen. Wenn ich eine starke Figur habe, kann ich auch starke Angebote machen, die wiederum meinen Partner eher inspirieren, als schwache Figuren und inhaltsloses Gelaber. Allerdings sollte das auch nicht zur Rampensäuischkeit führen.

Regelfetischismus

Viel zu oft vertiefen sich Impro-Spieler in die Regeln einzelner Games, in die Regeln der Improvisation usw. Auch dies kann man in gewissem Maße als Angst auffassen – Angst vor der Freiheit.
Beispiel: Die Regel „Stell keine Fragen!“ hat natürlich ihren Sinn: Nämlich den, nicht die Verantwortung an den Mitspieler abzugeben. Dennoch wäre es purer Regelfetischismus, keine Fragen auf der Bühne zuzulassen. Johnstone selbst führt die Regeln ein, um sie sogleich in einem Spiel konstruktiv ad absurdum zu führen: „Stelle nur Fragen!“ (Ähnlich sein Spiel „Beide blockieren!“)
Mit anderen Worten, wir können die Regeln beiseite legen, wenn wir bereit sind, zu spielen, uns kreativ einzubringen, miteinander zu spielen.
Und doch wollen wir die Regeln nicht völlig verdammen, wie es etwa Mick Napier tut. Sie können uns daran erinnern, wor an es liegen könnte wenn wir am Ende sind.

Blickpunkte (Viewpoints)

Beginne mit Anne Bogart/Tina Landau „Viewpoints“. Die ersten zwei Kapitel erinnern doch sehr stark an Zaporahs „Action Theater“: Abstraktionen von Inhalten und Handlungen. Wie können wir Bewegungen, Körper, Stimme auf neue Art einsetzen?
Exzerpt:
Blickpunkte („Viewpoints“) sind Bezeichnungen für bestimmte Prinzipien von Bühnenbewegungen in Raum und Zeit, um das Geschehen auf der Bühne zu verdeutlichen.
zeitliche Dimensionen
– Tempo
– Dauer
– Wiederholung
– kinästhetische Reaktion

räumliche Dimensionen
– Form (innere und äußere)
– Architektur
– räumliche Beziehungen
– Architektur
– Gesten
– Topographie

Geschenke des Blickpunkt-Ansatzes:
– Ergebenheit („etwas geschehen lassen“ im Gegensatz zu „etwas geschehen machen“
– Möglichkeiten statt Autoritäten: Es gibt eine ganze Reihe an Möglichkeiten, statt ein Richtig/Falsch. Diese Möglichkeiten lassen sich im Laufe des Prozesses in Entscheidungen umsetzen.
– Ganzheit

Ideen

Ideen sollte man wohl so behandeln wie ein meditierender Zen-Buddhist seine Gedanken: Achtsam beobachtend, ohne sich an sie zu klammern. Völlig „leer“, quasi geistlos auf die Bühne oder gar in eine laufende Szene zu gehen, hilft ja auch nichts. Sei bereit, einen Gedanken umzusetzen, ihn aber jederzeit fallenzulassen.

Ruhe und Lampenfieber

Seltsam, wie viele Bühnenmenschen vor dem Auftritt ihre Angst mit Übersprungshandlungen zu kaschieren zu versuchen. Ich kenne mindestens drei Kleinkünstler, die sich vor und zwischen den Auftritten immer und immer wieder nachschminken. Andere rauchen, fressen, gehen mehrere Male auf die Toilette. Ich selbst bin in den ersten Jahren der Chaussee immer wieder zwischen Technik, Einlass und Bühne herumgesprungen: Pseudo-Organisation als Übersprungshandlung.
In der Ruhe liegt die Kraft.

Nachdenken und Reagieren

„Sian Leah Beilock von der University of Chicago fand heraus: Golfprofis treffen den Ball am besten, wenn sie keine Zeit haben, über den Schlag nachzudenken. Bei Anfängern verhält es sich jedoch umgekehrt. Wer auf einem Gebiet erfahren und gut trainiert ist, kann sich also eher auf sein Bauchgefühl verlassen.“ (Gehirn und Geist 11/2007) s.a. http://hpl.uchicago.edu/Popular%20Press/Pop%20PDFs/Golf%20Illinois%202006.pdf
Wie ist das bei Impro-Anfängern? Soll man denen auch mehr Zeit zum Entscheiden lassen? Soll man überhaupt dem Entscheiden mehr Gewicht beimessen als dem „Reagieren“?

Story / Collage

Diskussion mit Volker Strübing und Jochen Schmidt über die Nervosität von Verlegern, wenn sie auf den Einband ein Prosawerk nicht das Wort „Roman“ draufschreiben können. Ich kenne mindestens sechs Bände mit Erzählungen und Kurzgeschichten von Berliner Lesebühnen-Autoren, die unter ein Motto gezwängt wurden oder denen eine Chronologie aufgestülpt wurde. Angeblich verkaufen sich Bücher sonst nicht. Kaminer und Goldt zeigen erfolgreich, wie falsch diese Annahme ist.
Jochen Schmidt hält Plots ohnehin für überflüssig behauptet er (um Volker Strübing und mich zu provozieren?), während Volker Strübing glasklare Plots geradezu anbetet.
Dabei kann der Roman seit dem 20. Jahrhundert alles – die ausgefeilte „geplottete“ Story (die einem am Ende noch mal ein Aha-Erlebnis verschafft) episodenhafte Aneinanderreihung, intertextuelles Zitieren, Collagen. Und selbst die Story kann fragmentiert erzählt werden.
Im Langform-Improtheater erarbeiten wir uns das alles neu.

langweilige Assoziationen

Einen berechtigten Einwand zu Johnstones Forderung, das Offensichtliche zu wählen, erhebt Gunter Lösel (Theater ohne Absicht): Immer das absolut naheliegende zu wählen, wird auf Dauer langweilig. Man möchte allerdings Johnstone zugute halten, dass es sich hier zunächst nur um eine Technik handelt, die zum Ziel hat, die Angst abzuschalten. Du brauchst weder perfekt noch originell zu sein: Sag das Einfache, das Naheliegende. Aber so wie die Angst vor der Unperfektion gibt es auch die Angst davor, für verrückt gehalten zu werden. (Wird ebenfalls von Johnstone beschrieben, Nachmanovitch nennt die Angst vor Geisteskrankheit eine der „five fears“, der fünf Ängste.)
Also muss auch das mutige Assoziieren, der weite Wurf trainiert werden. Es muss durchaus nicht alles sofort verständlich und nachvolliehbar sein. Aus der Perspektive des Storytelling macht ja erst die Besonderheit, das Merkwürdige die Geschichte erzählenswert (s. Goethe über die Novelle).
Allerdings, auch darauf weist Lösel hin, nerven „originelle Assoziationen“, d.h. wenn Originalität forciert wird. Es kommt also darauf an, das Verrückte zuzulassen, ohne es zu forcieren.

John Cage

Diskussion mit Jochen Schmidt über Sinn und Unsinn bestimmter Werke von Cage. Dem Stück 4#33, in dem viereinhalb Minuten geschwiegen wird, kann man zumindest noch die Erfahrung von gemeinsam empfundener Stille zugute halten. Im „John-Cage-Orgelprojekt“, das sich über 600 Jahre hinziehen soll, ist die Wahrnehmung im Grunde ausgeschalten. Es geht eigentlich (wenn man guten Willen hat und Cage nicht reine Prätentiosität zuschreiben will) nur noch um ein Gedankenexperiment. Dafür braucht man auch keine Orgel mehr, sondern es genügt das Notenpapier.
Eine ähnliche Haltung konnte man auch bei Schönberg beobachten, der das Publikum verachtete, es aber hinnahm, denn „ein leerer Saal klingt nicht gut.“ Bei allem, was einem am Publikum stört – Snobismus, Ignoranz usw. usf, fragt sich doch, wozu ich mit meinen Werken als Künstler überhaupt an die Öffentlichkeit trete, wenn ich diese verachte.
Kunst, die nicht wahrnehmbar ist, ist de facto nicht existent. Wenn ich ein Konzert schreibe, das nur von Hunden wahrgenommen werden kann, existiert, es eben nur auf dem Papier. Beuys‘ Radikalismus hat uns zwar die Augen für Ästhetisierbare Material geöffnet. Aber Kunst braucht die kommunikative Anschlussfähigkeit. Eine Skulptur, und sei sie noch so schön, und kunstfertig geschaffen, bleibt Fingerübung, wenn sie niemand als der Künstler sieht.

Tarantino über Robert De Niro in „Raging Bull“

„Es ist bemerkenswert, dass zu der Zeit, als er sich Gewicht zulegte, seinem Fett nicht die Gelegenheit dazu gab, seine Darstellung zu formen. De Niro hat das nicht als Trick benutzt, nach dem Motto: ‚Oh, jetzt sind wir aber beeindruckt!‘ oder ‚Oh, guck mal wie dick der aussieht!‘ Und man muss sagen, es gibt eine Menge Schauspieler, die die Äußerlichkeiten die Arbeit machen lassen, das schmutzige Haar, die Lederjacke oder der Zahnstocher im Mund müssen die Arbeit erledigen. De Niro drückt sich nicht um die Arbeit.“
ca. ab 5:30 Min.

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