Was sagen wir hier eigentlich

Keith Johnstone ermutigt die Impro-Anfänger, das Neheliegende zu wählen, auch wenn es Obszönitäten sind oder völliger Quatsch entsteht.
Aber von Zeit zu Zeit sollten wir doch auch ein Auge auf den Inhalt werfen, den wir da produzieren. Wozu sonst stehen wir auf der Bühne.
Randy Dixon gibt folgenden Vergleich: Wir produzieren eine Schale. Und im Improtheater schauen wir in der Regel auf die Schale (d.h. das Format oder Game) und wie gut wir diese Schale hinbekommen haben. Meistens diskutieren wir jedoch über den Prozess des Erschaffens der Schale. So gut wie nie jedoch über den Inhalt, den diese Schale hält (oder auch nicht). So wacklig diese Metapher auch sein mag, so wichtig ist es jedoch auch, dass wir von Zeit zu Zeit auch mal die Konvention brechen, und mal nicht nur über das Wie, sondern auch über das Was zu reden.
Habe ich überhaupt etwas zu sagen? Will ich etwas sagen? Wem will ich etwas sagen? Usw.
Es ist eine Diskussion, die man wahrscheinlich am ehesten mit sich selbst allein führen muss. Oder?

Verstehen und Nachdenken

Nicht nur war Masako Kimura Impro-Anfängerin. Sie sprach auf einem Workshop in Seattle so gut wie kein Englisch. Ihre einzige Chance war, sich körperlich zu öffnen und entsprechend auf die Angebote der Mitspieler einzugehen. Sie beschreibt dieses Gefühl als „völlig im Moment“.
Randy Dixon zu ihr nach dem Workshop: „Richtig schwierig wird es für dich erst jetzt, wenn du nach Japan zurückkehrst. Dann wirst du deine Mitspieler verstehen, und dann geht das Nachdenken los. Dann wirst du dir „

Spaß als einziges Kriterium?

Grundregel: Es muss Spaß machen.
1. Dir.
2. Dem Publikum.
3. Deinen Mitspielern.

Es ist kein großes Problem, wenn es mal dir, deinen Mitspielern, oder auch dem Publikum nicht gefällt. Wenn das aber zu einem Dauerzustand wird, muss man vielleicht ein paar Schrauben nachstellen.

1. Das Improvisieren soll dir Spaß machen. Wozu sonst solltest du es tun? In den allermeisten Fällen, ist die Frage „Hat es mir Spaß gemacht?“ ein guter Kompass dafür, ob die Szene gut war.
Aber tatsächlich gibt es Tage, an denen das Publikum vor Vergnügen brüllt, die Mitspieler sich backstage freudig auf die Schulter klopfen, und man selbst wird das Gefühl nicht los, dass es heut nicht gut war. Man nehme es nicht so schwer. Man nimmt Szenen und Shows von Zeit zu Zeit unterschiedlich wahr, und der Grund dafür kann manchmal einfach das falsche Bein sein, mit dem man aufgestanden ist, PMS oder das schlechte Wetter. Wenn das Gefühl sich jedoch auf Dauer einstellt, sollte man sich fragen, was man hier tut. Gib die Schuld nicht allzu schnell an deine Mitspieler, die Zuschauer oder an dich selbst. Frag dich zunächst: „Was kann ich selber tun, damit die Show mir wieder Spaß macht?“ Ein guter Weg dahin ist Überakzeptieren. Sich wieder auf die Grundlagen besinnen. Nicht zu schnell bewerten. Den Quatsch der Mitspieler akzeptieren und damit spielen. Vielleicht hast du auch nur eine Schlechte-Laune-Phase, die man aussitzen muss. Aber wenn das alles nicht hilft, wenn Publikum und Mitspieler andauernd wie von einem anderen Stern wirken, solltest du dir vielleicht eine andere Gruppe suchen. Das ist aber wirklich der allerletzte Schritt. Denn vielleicht warten ja deine Mitspieler auch auf neue Vorschläge von dir.
2. Wenn deine Mitspieler keine Freude mehr haben, und nicht mit dir spielen wollen, während du dich prächtig amüsierst, könntest du dich fragen, ob du gerade dazu tendierst, sie zu überfahren, ihre Angebote nicht wahrzunehmen, auf ihre Kosten zu spielen. Wenn du in einer größeren Gruppe derjenige bist, mit dem alle vermeiden zu spielen, kannst du das Problem auch mal ansprechen. Bist du vielleicht der passive Spieler am Rande, der belustigt zuschaut, während die Kollegen die Show reißen müssen? Solltest du an bestimmten Techniken – Stimme, Schauspiel, Präsenz – feilen?
3. Wenn ihr völlig im Spiel aufgeht, ihr das Publikum aber nicht begeistern könnt, muss das erst mal noch kein großes Problem sein. Ein paar Meckerer gibt es immer. („Zu viele Noten, Herr Mozart, zu viele Noten.“) Manche Zuschauer kommen in die Show, weil sie etwas ganz bestimmtes erwarten und dann enttäuscht sind, z.B. Theatersport und dann kommt auf einmal Langform-Impro. Diese Meckerer kommen und gehen. Man kann es nicht jedem recht machen. Vor allem solltet ihr nicht etwas spielen, worauf ihr keine Lust habt, nur um dem Publikum gefallen zu wollen. Wenn ihr aber dauerhaft negatives Feedback bekommt, wenn ihr kein Stammpublikum aufbaut, wenn die Stimmung im Publikum eisig bleibt, dann habt ihr ein Problem. Man kann sich künstlerarrogant herausreden: „Die sind zu doof für uns.“
Aber oft sind es nur kleine Dinge, die ausschlaggebend sind, z.B. die Atmosphäre im Raum. Ein kleines Publikum muss man stauchen, damit eine gelöste Spannung entsteht und sich alle wohlfühlen; man setze sich ruhig mal testhalber ins Publikum.
Und vielleicht ist eure Show wirklich langweilig, albern oder uninspiriert. Geilt ihr euch vielleicht einfach daran auf, dass ihr auf der Bühne steht? Bühnenadrenalin kann viel verklären. Setzt einen von euch ins Publikum, der euch hinterher Feedback gibt.

Interview with Steve Sim

Auszüge aus einem Interview mit Steve Sim von den Crumbs

(Über die Philosophie in den Anfangstagen) "If it’s short, it ends. If it’s long, keep going. There’s no rules. Games – those are for the class room. (…) Sink or swim, do or die.)"

"There was fear before, because I didn’t know what the hell I was doing. Now I know that I’m having fun and how to make it fun for me."

"Once you’re in a different city and you have to do it, and it’s not your friends and family showing up, you’ve got to raise the bar you’ve got to I’m-really-working-now."

"I didn’t call [the rules] ‚rules‘. (…) What I understand most is that it’s a common vocabulary of the impro scene, whereas we didn’t have necessarily words for it, like "Yes And‘, ‚Agreement‘, ‚Forwarding‘."

"When anyone asked if they could learn improv, I’d say, you can’t learn it in a class, you have to do it. And then after being at these festivals and meeting these people and working with these people – cause all of these are great improvisors as well – I realized, maybe there is a way to teach this."

"I can teach people to trust, I can teach people to follow their impulse. I can teach people to relax. Rather than This-is-how-you-do-it,it’s How do you do it."

"I would do a scene with somebody who’s never been on stage before. And I was still young in improv as well, and it still made me afraid. But here I was on stage about to do an improv scene with somebody who was more afraid than me. So, I had to be relaxed. I had to make them feel safe. I had to make them the star.

"The improv games (with Keith Johnstone) were fun on the surface. It was much deeper and more meaningful and more fun for us to create these open scenes."

"We started getting invited to festivals to play and we started getting invited to teach. And I think that part of that is due to the fact that we weren’t in the Johnstone school or in the Second City school, the Improv Olympic school. We learned those things later."

"I think that I’m a more physical player than Lee. And Lee, I think, is a better actor than me. He’s got more emotional range, perhaps. And I think I’m good at seeing the bigger picture. I think, Lee can do better monologues than me. And I think I can do better abstracts work."

"There’s not much difference from country to country doing the shows. There’s more difference in the same city than city to city."

(Die Fragen stellte Stephan Holzapfel für www.impro-news.de)

293. Nacht

Nachbarschaftshilfe

Ich habe ein ungebrochenes Selbstbild als Nachbar meiner Nachbarn. Ich bin freundlich und grüße selbst die Unfreundlichen, halte Müttern und Alten die Tür auf, musiziere nur in Zimmerlautstärke und nur zu den angemessen Zeiten. Und es gab sogar eine Zeit, in der ich für meine Nachbarn gern Päckchen annahm, wenn diese gerade nicht zuhause waren. Doch irgendwann nahm es überhand – Päckchen, Pakete, sperrige Gegenstände und Frachtgut, für dessen Transport man auch einen Container zumindest in Erwägung hätte ziehen können, stapelten sich in meinem Korridor. Wenn man eine Wohnung bezieht und die Einrichtung plant, ist es von alters her Sitte, Schnipsel der Möbel auf Millimeterpapier hin und herzurücken, um effizienter Raumaufteilung, frischer Atmosphäre und gutem Geschmack zu huldigen. Aber nie bedenkt man bei so etwas, dass Nachbarschaftspakete dieses sensible Arrangement zerstören könnten. Ich nehme an, es lag an der Urlaubssaison. Die Nachbarn waren zu fein, ihr Frachtgut abzuholen. Ich klingelte tags und nachts. Stapeln genügte nicht mehr, ich musste Kartons ins Schlafzimmer verfrachten. Nach zwei Wochen begann es zu stinken. Aber welche Kiste mochte es sein? Da ich mich auf dem Boden des Grundgesetzes bewege, welche das Postgeheimnis heiligt, so wie die Christen den Namen ihres Vaters, der da ist im Himmel, durfte ich nicht prüfen. Nachdem schließlich alle Nachbarn aus dem Urlaub zurückgekehrt waren und ihr Ladungen in Empfang genommen hatten, und ich festgestellt hatte, dass der Geruch von einer toten Maus rührte, die wir mit einem der schwereren Pakete unabsichtlich erschlagen hatten, beschloss ich, dass ab sofort jemand anders als Paketannahmestelle unseres Hauses fungieren sollte. Ich würde einfach nicht mehr die Tür öffnen, wenn es zwischen 10 und 12 klingelte.
Ab sofort musste ich meine Körperreflexe neu justieren. Nicht mehr aufspringen, sobald es klingelt, sondern einfach entspannen und das das Klingeln yogimäßig wegatmen. Doch auch diese Methode hatte ihre Nachteile, schließlich erreichten mich nicht nur die Nachbarpakete nicht mehr, sondern auch die eigenen. "Wir haben Sie am Freitag um 12 Uhr nicht angetroffen. Holen Sie sich Ihre Sendung ab morgen in der Filiale ab." 5 Minuten zur Filiale latschen, 10 Minuten warten und 10 Minuten die unhandliche Lieferung von 500 Postern zurückschleppen. In der Postschlange traf ich drei Nachbarn, die mich böse anstarrten – es schien sich herumgesprochen zu haben, dass ich den Job als Subfilialleiter der Treptower Post hingeworfen hatte. Und ich verstand – ich hatte die Pakete für die Nachbarn angenommen, obwohl sie zuhause waren. Niemand wollte den Annahme-Deppen spielen. Andererseits war das Anstehen bei der Post noch belastender. Dann lieber einen Tag lang Pakete bei sich herumstehen haben, aber nur wenn es sich nicht vermeiden ließe.
10.50 Uhr. Es klingelt an der Tür. Der Postbote. Aber ist er es auch wirklich. Um die Haustür zu sehen, muss ich auf den Balkon. Auf dem Nachbarbalkon steht mein Nachbar und beobachtet die Haustür. Unter mir beobachtet ein Pärchen die Haustür. Ich wage es nicht, nach oben zu schauen, aber ich weiß, dass alle die Haustür beobachten. Und ja – es ist der Postbote. Und ja, er hat einen Haufen Pakete dabei. Wer wird als Erster schwach?
Der alte Herr Fleischhauer aus dem Parterre erbarmt sich und öffnet. 10 Minuten später trifft sich die Mietergemeinschaft zur Paketabholung an seiner Tür. Es geht uns gut.

*

Die Sklavinnen können die Herrin Dunja davon überzeugen, dass Auspeitschen eine dem Vergehen des Unerlaubtwegbleibens angemessenere Strafe ist als Köpfen.
Mohammed lässt sich anschließend von einem Wundarzt behandeln, geht ins Bad und verkauft seinen Besitz, für den er vierhundert Mamluken erwirbt, sich ein Boot bauen lässt und den Kalifen spielt.

"So habe ich nun schon ein ganzes Jahr getan, aber von ihr habe ich noch nie wieder eine Kunde vernommen, noch bin ich ihr auf die Spur gekommen."

Das wirkt nun, mit Verlaub, ein wenig abstrus. Mohammed weiß doch, wo seine Gattin wohnt. Er könnte sie leicht mit einen vierhundert Mamluken aufsuchen und zur Rede stellen. Und welchen Sinn hat das Verkleiden als Kalif?

Harûn er-Raschîd aber ist von der Story gerührt:

"Preis sei Allah, der für jedes Ding eine Ursache geschaffen hat."

Deutet eine solche Aussage auf die Angst, für irgendetwas keine Ursache zu kennen? Erfüllen die deistischen Religionen auch dieses Bedürfnis: Ursachen benennen zu können, für das, was sonst nicht deutbar bleibt? Liegen dann nicht der Astrologie und ähnlichem Aberglaube ähnliche Motive zugrunde, wie Islam und Christentum? Haben sie die gleiche (Knick-knack) "Ursache"?

Harûn und seine beiden Begleiter Dscha’far und Masrûr, immer noch in Kaufmannsverkleidung, bitten um Erlaubnis, gehen zu dürfen. Wieder im Palast, kleiden sie sich um, und der Kalif befiehlt dem Wesir:

"Lass den jungen Mann zu mir kommen."

Status gegenüber Räumen und Gegenständen

(Ich weiß nicht, ob ich das hier schon mal erwähnt habe und bin auch unsicher, ob ich diese Beobachtungen woanders schon mal gelesen habe.)
Ich denke, Status hat man erst dann verinnerlicht, wenn man ihn auch gegenüber Räumen und Gegenständen spielen kann. Respekt oder Selbstverständlichkeit des Umgangs drückt sich nämlich nicht nur gegenüber Personen, sondern auch gegenüber Räumen und Objekten aus.
Johnstone erwähnt das Beispiel von König Lear, der mit großer Gelassenheit den Palast betritt und sich am Feuer wärmt. Der Hochstatus, den wir in dieser Szene sehen, bezieht sich ja nicht allein auf die außerdem anwesenden Personen, sondern auch auf den Raum. Man stelle sich vor, der Gärtner des Königs würde in den Krönungssaal geschickt werden, und er betritt ihn nun zum ersten Mal: Jeder Schritt unsicher, Angst, etwas kaputtzumachen, und über allem das Gefühl: „Das ist nicht mein Raum, ich gehöre eigentlich nicht hierher.“
Hochstatus gegenüber Gegenständen: Ich benutze sie mit großer Selbstverständlichkeit und Gelassenheit.
Tiefstatus gegenüber Gegenständen: Es steht mir eigentlich nicht zu, sie zu berühren.
Die typischen physischen Features finden sich auch hier. Der Hochstatus vergrößert den eigenen Radius. Der Tiefstatus verkleinert ihn.
Dies ist meines Erachtens der Kern von Status, und Johnstones Leistung ist es, dies so ausführlich beschrieben zu haben. Worin ich mit hm nicht übereinstimme: Hochstatus heißt nicht Kommandieren.

Schöne Show

Wie im letzten Posting erwähnt, fand ich die gestrige Show ziemlich gelungen.
Unsere Wiki-Langform im 2. Teil:

1.

Colt Defense
Der einsame Rächer Merge Black sucht seinen Sohn Joe, der vom Comanchen-Häuptling „Schwarze Narbe“ entführt wurde. In seinem Colt Defense Gewehr sind Kerben für jeden getöteten Indianer. In einem Saloon in Nebraska gibt ihm ein kleiner Junge den entscheidenden Tip, aber als Vater und Sohn sich treffen, erkennt Merge Black, dass Joe inzwischen zu einem Comanchen geworden ist. Entscheidender Satz: „Ein Vater erkennt seinen Sohn am Geruch.“

2. Das junge Paar – Oliver und Simone – hat ein Rendezvous auf dem Seeparkturm, aber ihr Vater, Herr Keinzle, mit seinem Schmetterlingsfimmel legt ihnen Steine in den Weg. Ende gut, alles gut, wenn die beiden nicht die Fackeln am Turm stehengelassen hätten.

„Den Korallenfalter hast du im Seepark gefunden?“
„Nein, bei Ihnen im Elektrozaun.“

3. Wir schreiben das Jahr 1935. Billy aus Detroit lebt in den Elendsvierteln der Stadt und kann mit seinem Job auf dem Bau kaum seine Frau und sein Kind ernähren. Da kommt ihm ein Job als Spitzel des Chefs ganz recht: Er soll alle verpfeifen, die eine Gewerkschaft gründen. Ein Brechtsches Musical, das den sozialen Zusammenhalt in den Slums beleuchtet, in der soziologischen Tradition von Herbert J. Gans .

„Du hast McEnroe und Turnstyle auf dem Gewissen, die auf dem Grunde des Eriesees liegen. Und jetzt auch Jack.“
„Der Pegel des Eriesees ist schon gestiegen.“

Urteil und Kritik #2

Schönes Nachspiel zum gestrigen Eintrag. Eine der gelungsten Shows dieses Jahres, und im Gästebuch von Foxy Freestyle wird genörgelt, wir würden das Publikum nicht genügend einbeziehen, was wiederum als Beleg genommen wird, dass wir „nicht richtig“ improvisieren.
Interessanterweise kommt diese Kritik natürlich nicht vom Stammpublikum, dessen Kritik wir durchaus auch mal ernstnehmen, sondern von Zuschauern aus Göttingen, die eben eine spezifische Form des Improtheaters kennen.
Was soll man da sagen? Pech gehabt. Ich akzeptiere Detailkritik, was schauspielerische oder improvisatorische Leistung betrifft, aber wenn ich z.B. Lust habe, zum Beispiel eine Langform ohne Publikumsbeteiligung zu improvisieren, dann erwarte ich auch Offenheit vom Publikum.
Und hier ist auch die Improszene gefragt: Nicht das Publikum mit den immergleichen Formaten und Games abfüttern und die Zuschauer auf diese Weise konditionieren, sondern auch mal über den eigenen Schatten springen.

Urteil und Kritik

Fast jeder Impro-Anfänger muss sich freimachen von der Angst, beurteilt zu werden. Wir empfinden das Urteil an unserem Werk als Urteil über unsere Person. Und das macht vorsichtig. Das geht im Grunde jedem Künstler so, mehr aber noch in der Improvisation, wo es kein Zurück gibt, kein Korrigieren. Von 100 Impro-Anfängern unterliegen 90 dieser Angst, die es erst einmal zu lockern gilt.
Aber auch später taucht diese Furcht immer wieder auf. Und dan spielen wir auf Sicherheit, wenn man von „Spiel“ in solchen Situationen überhaupt noch sprechen kann.
Heißt das aber, wir sollen Urteil und Kritik völlig ausblenden? Wie wollen wir uns denn weiterentwickeln ohne Kritik? Wie wollen wir ohne Urteil urteilen?
Es hilft nichts – wir müssen uns öffnen. Aber in einer Weise, die uns nicht lähmt.
1. Kritik und Urteil dürfen nicht unmittelbar in unser Spiel einfließen, sonst drohen sie uns zu lähmen. Wir müssen sie positiv kanalisieren, zum Beispiel indem wir uns ein kleines Privat-Game daraus bauen. Also angenommen, ich höre als fiese, unkonstruktive Kritik: „Du bist andauernd so negativ auf der Bühne!“ („Häbäbäbä!“), dann kann ich für mich bei der nächsten Show ein Spiel daraus machen, das da heißt, ich versuche, stets positiver als mein Mitspieler zu erscheinen.
2. Ich muss lernen, Kritik einzuordnen. Ich darf mich nicht persönlich angegriffen fühlen, egal wer die Kritik äußert. Ich muss mich fragen, wie ernst nehme ich die Kritik. Ein laienhafter Zuschauer weiß vielleicht nur, dass ihm eine Szene nicht gefallen hat, kann aber nicht genau formulieren warum (Meist heißt es dann „Die Geschichte war langweilig“). Mach dich nicht abhängig von Lob und Kritik des Publikums – man wird davon nur größenwahnsinnig oder bekommt Minderwertigkeitskomplexe. Aber höre genau zu, was deine Mitspieler dir zu sagen haben. Und was sagt dein Mentor? Was sagen Improkollegen im Publikum?
Und das alles gilt natürlich auch für die nicht-improvisierten Künste. Lies Rezensionen nur, wenn du weißt, dass du auch mit Verrissen gut leben kannst.

292. Nacht

Peinliche Bundespräsidentschaftskandidaten

1954: Karl Dönitz
1964: Heinrich Lübke
1979: Karl Carstens
1994: Johannes Rau (heult nach der verlorenen Wahl)

 

Und noch während er sie entjungfert, improvisiert Mohammed ibn Alî die Verse:

Mein Arm umschloss ihren Hals wie der Ring die Ringeltaube;
Und meine Hand erhob den Schleier vor ihrem Gesicht.
Dies war das höchste Glück; und wir umarmten einander
Ohn Unterlass und sehnten uns nach dem Ende nicht.

Ist das etwas, das man mal ausprobieren sollte – Beim Sex Gedichte erfinden?

Dann blieb ich einen ganzen Monat bei ihr, während dessen ich Laden und Sippe und Heim ganz im Stiche ließ.

Eines Tages zieht sich Dunja ins Badehaus zurück und befiehlt ihrem neuen Gatten, auf sie zu warten. Doch kaum ist sie auf der Straße, da kommt eine Alte herein:

"Mein Herr Mohammed, die Herrin Zubaida lässt dich rufen; denn sie hat von deiner Bildung, deinem feinen Wesen und deiner Sangeskunst gehört."

Zur Erinnerung: Zubaida ist die Erstfrau des Kalifen Harûn er-Raschîd, den diese Wendung – er hört sich ja diese Geschichte gerade an – zumindest erstaunen dürfte. Woher, so fragen wir uns allerdings, hat Zubaida von Alî ibn Mohammed erfahren? Etwa über Teilnehmerinnen am Hochzeitsgelage?

Mohammed eilt nun zu Zubaida, um ihr vorzusingen. Und anschließend hurtig zurück zu seiner Gattin Dunja. Leider ist sie schon zurückgekommen und schläft auf ihrem Lager. Er weckt sie mittels Fußreflexzonenmassage. Sie aber versetzt ihm im Aufwachen einen Tritt:

"Du hast dein Versprechen nicht gehalten und bist zu der Herrin Zubaida gegangen. Bei Allah, fürchtete ich nicht das Gerede, so risse ich ihr Schloss über ihrem Haupte nieder! (…) Sawâb, auf, schlag diesem treulosen Verräter den Kopf ab."

Sollen wir diese Reaktion auf unverschuldete Unpünktlichkeit als überzogen werten?

291. Nacht

Auch Alî ist der körperlichen Liebe nicht abgeneigt.

Doch sie sprach zu mir: "Mein Gebieter, willst du mir in unerlaubter Weise nahen? Bei Allah, der soll nicht leben, der eine solche Sünde begeht!"

Aber ihn an die Brust ziehen ist erlaubt?

Doch sie hat noch eine Überraschung parat:

"Ich bin die Herrin Dunja, die Tochter des Barmekiden Dscha’far, der Wesir des Kalifen."

Ob Dscha’far auf diese Nachricht gefasst reagiert, erfahren wir leider nicht. Doch wir können davon ausgehen, dass das Zusammenleben mit einem impulsiven Kalifen wie Harûn er-Raschîd ihn doch trainiert hat, die Gefühle zu kontrollieren.

Ruckzuck werden Kadi und Zeugen gerufen. Und der Ehevertrag ist geschlossen.

Es folgt das bekannte Ritual: Wein, Weib, Gesang.

Stellvertretend das Lied der Sklavin, das mir doch recht originell und gelungen erscheint.

Es kam: ein Reh, ein Zweig, der Mond erschien dem Auge.
Verwünscht, ein Herz, das nicht bei Nacht an ihn nur denkt,
Den Schönen! Durch sein Antlitz wollt‘ Gott die Qualen heilen;
Da ward das arme Herz von neuer Qual getränkt.
Ich täusche meine Tadler, wenn sie von ihm erzählen.
Ich stelle mich, als ob ich von ihm nicht hören will.
Ich lausche auf, wenn sie von einem andren sprechen;
Und dennoch – ich vergehe, gedenk ich seiner still!
Er ist ein Prophet der Anmut; an ihm ist alles Wunder
Der Schönheit; doch das größte Kleinod ist sein Gesicht.
Das Mal auf seiner Wange ruft wie Bilâl zum Beten;
Vom Glanze seiner Stirn schaut es das Frührotlicht.
Die Tadler wollen töricht, dass ich vergessen soll.
Ich will kein Ketzer werden, seit ich des Glaubens voll.

Es folgen ein Lied der Dunja und eines von Alî. Schließlich werden die Sklavinnen entlassen und man bettet sich zur Ruhe.

"Sie begann, ihre Gewänder abzulegen, und ich durfte mit ihr der Heimlichkeit der Liebenden pflegen. Da fand ich die Maid an Ehren reich, einer undurchbohrten Perle und einem ungebrochenen Füllen gleich. Und ich hatte meine Freude an ihr, ja, nie in meinem Leben habe ich eine schönere Nacht verbracht."

290. Nacht

Zur Abwechslung mal ein bisschen Kabarett:

Top Ten der Betätigungsfelder für Roland Koch nach seinem Abtritt als Ministerpräsident von Hessen und Vizevorsitzender der CDU
10. Vize-Zensor des Zweiten Chinesischen Fernsehens
9. Beauftragter für brutalstmögliche Aufklärung im Team von Lance Armstrong
8. Vize-Chef der Antikorruptionsbehörde in Turkmenistan
7. Mediator zwischen Hells’ Angels und Bandidos
6. Beim Oderhochwasser werden gerade Bulldozer benötigt
5. Vize-Trainer der Klitschkobrüder, um ihnen zu brutalstmöglicher Schlagkraft zu verhelfen
4. Vize-Chef der Einwanderungsbehörde von Birma
3. Vize-Chef von Google Street View
2. Datenschutzbeauftragter bei Facebook
1. Schleimabsonderer für BP (Oder war das Schlamm, was die brauchten?)

*

Als sich beim vierten Kleiderzerreißen des falschen Kalifen der Vorhang wieder über ihn senken soll, um das intime Umkleiden zu verbergen, versagen die Schnüre

und da Harûn er-Raschîd gerade einen Blick dorthin warf, sah er auf dem Leibe des jungen Mannes Spuren von Geißelhieben.

Er wendet sich an Dscha’far und meint:

"Bei Allah, er ist ein Jüngling schön und zart, aber doch ein Räuber von gemeiner Art."

Wieder bemerkt der falsche Kalif das Tuscheln der beiden und hakt nach, und Dscha’far gelingt es, die Kurve zu kriegen, indem er meint, man bewundere ihn, da er in solchem Überfluss Gewänder zerreiße. Der falsche Kalif entgegnet, die kaputten Gewänder schenke er seinen Tischgenossen, und sie seien immer noch fünfhundert Dinare wert.
Harûn er-Raschîd drängt aber Dscha’far, sich nach den Narben zu erkundigen. Dieser meint, man solle einen geeigneten Zeitpunkt abwarten. Harûn darauf:

"Fragst du ihn nicht, so lösche ich dein Lebenslicht."

Der falsche Kalif seufzt und beginnt, ein Gedicht zu improvisieren, in dem es unter anderem heißt:

Doch mir sagt des Herzens Stimme, unter euch ist der Imâm,
Der Kalif, den wir verehren, der aus edlem Hause kam.
Und der zweite unter euch dort, Dscha’far ist der Man genannt;
Er ist sein Wesir und ist als Herr und Herrensohn bekannt.
Ein dritter ist Masrûr, er, der das Schwert der Rache führt, (…)

Als sie solche Worte aus seinem Mund hörten, schwor Dscha’far einen zweideutigen Eid, dass sie nicht die genannten seien.

Und nun beginnt der junge Mann seine Geschichte.

"Ich heiße Alî, der Sohn des Goldschmieds Âlî."

Sein Vater hinterließ ihm ein großes Vermögen. Und als er eines Tages vor seinem Laden sitzt, kommt, wir ahnen es bereits,

eine junge Dame auf einer Mauleselin dahergeritten, begleitet von drei mondengleichen Mädchen.

Dies ist nun eigentlich schon als eigenes Motiv der 1001 Erzählungen zu erkennen. Aber wie sollen wir es deuten? Als eine männliche Sehnsucht, sozusagen "unschuldig" in eine wilde Romanze zu stolpern. Die Konventionen des Frauen-Kennenlernens sind strikt. Als Alternative bleiben sonst die Prostituierten. Mit diesem Motiv kommt der Mann als der Verführte aus der Geschichte.
– Händler wartet vor dem Basar.
– Dame erscheint und kauft für viel Geld ein.
– Sie bittet ihn, ihr die Ware nach Hause zu tragen, ein Zuhause, das sich in der Regel als enormer Palast entpuppt.
– Dort wird gegessen, Wein getrunken, gesungen, sich umarmt.
– Es folgen entweder Turbulenzen, Prüfungen oder (selten) ein Happy End.

Diese Dame nun wünscht ein teures Halsband zum Preis von hunderttausend Dinaren:

"Lieber Herr, begleite mich, damit du den preis in Empfang nehmen kannst! Denn dieser Tag mit dir ist für uns weiß wie Milch."

Von der Vorhalle lädt sie ihn in den Saal, wo sie auf einem Thorn sitzt, das Geschmeide bereits angelegt:

"Oh Juwelier, wisse, ich liebe dich, und ich kann es noch gar nicht fassen, dass ich dich wirklich zu mir gebracht habe!" Darauf neigte sie sich zu mir und ich küsste sie; und sie küsste mich und zog mich an sich und riss mich an ihre Brust."