Nachbarschaftshilfe

Ich habe ein ungebrochenes Selbstbild als Nachbar meiner Nachbarn. Ich bin freundlich und grüße selbst die Unfreundlichen, halte Müttern und Alten die Tür auf, musiziere nur in Zimmerlautstärke und nur zu den angemessen Zeiten. Und es gab sogar eine Zeit, in der ich für meine Nachbarn gern Päckchen annahm, wenn diese gerade nicht zuhause waren. Doch irgendwann nahm es überhand – Päckchen, Pakete, sperrige Gegenstände und Frachtgut, für dessen Transport man auch einen Container zumindest in Erwägung hätte ziehen können, stapelten sich in meinem Korridor. Wenn man eine Wohnung bezieht und die Einrichtung plant, ist es von alters her Sitte, Schnipsel der Möbel auf Millimeterpapier hin und herzurücken, um effizienter Raumaufteilung, frischer Atmosphäre und gutem Geschmack zu huldigen. Aber nie bedenkt man bei so etwas, dass Nachbarschaftspakete dieses sensible Arrangement zerstören könnten. Ich nehme an, es lag an der Urlaubssaison. Die Nachbarn waren zu fein, ihr Frachtgut abzuholen. Ich klingelte tags und nachts. Stapeln genügte nicht mehr, ich musste Kartons ins Schlafzimmer verfrachten. Nach zwei Wochen begann es zu stinken. Aber welche Kiste mochte es sein? Da ich mich auf dem Boden des Grundgesetzes bewege, welche das Postgeheimnis heiligt, so wie die Christen den Namen ihres Vaters, der da ist im Himmel, durfte ich nicht prüfen. Nachdem schließlich alle Nachbarn aus dem Urlaub zurückgekehrt waren und ihr Ladungen in Empfang genommen hatten, und ich festgestellt hatte, dass der Geruch von einer toten Maus rührte, die wir mit einem der schwereren Pakete unabsichtlich erschlagen hatten, beschloss ich, dass ab sofort jemand anders als Paketannahmestelle unseres Hauses fungieren sollte. Ich würde einfach nicht mehr die Tür öffnen, wenn es zwischen 10 und 12 klingelte.
Ab sofort musste ich meine Körperreflexe neu justieren. Nicht mehr aufspringen, sobald es klingelt, sondern einfach entspannen und das das Klingeln yogimäßig wegatmen. Doch auch diese Methode hatte ihre Nachteile, schließlich erreichten mich nicht nur die Nachbarpakete nicht mehr, sondern auch die eigenen. "Wir haben Sie am Freitag um 12 Uhr nicht angetroffen. Holen Sie sich Ihre Sendung ab morgen in der Filiale ab." 5 Minuten zur Filiale latschen, 10 Minuten warten und 10 Minuten die unhandliche Lieferung von 500 Postern zurückschleppen. In der Postschlange traf ich drei Nachbarn, die mich böse anstarrten – es schien sich herumgesprochen zu haben, dass ich den Job als Subfilialleiter der Treptower Post hingeworfen hatte. Und ich verstand – ich hatte die Pakete für die Nachbarn angenommen, obwohl sie zuhause waren. Niemand wollte den Annahme-Deppen spielen. Andererseits war das Anstehen bei der Post noch belastender. Dann lieber einen Tag lang Pakete bei sich herumstehen haben, aber nur wenn es sich nicht vermeiden ließe.
10.50 Uhr. Es klingelt an der Tür. Der Postbote. Aber ist er es auch wirklich. Um die Haustür zu sehen, muss ich auf den Balkon. Auf dem Nachbarbalkon steht mein Nachbar und beobachtet die Haustür. Unter mir beobachtet ein Pärchen die Haustür. Ich wage es nicht, nach oben zu schauen, aber ich weiß, dass alle die Haustür beobachten. Und ja – es ist der Postbote. Und ja, er hat einen Haufen Pakete dabei. Wer wird als Erster schwach?
Der alte Herr Fleischhauer aus dem Parterre erbarmt sich und öffnet. 10 Minuten später trifft sich die Mietergemeinschaft zur Paketabholung an seiner Tür. Es geht uns gut.

*

Die Sklavinnen können die Herrin Dunja davon überzeugen, dass Auspeitschen eine dem Vergehen des Unerlaubtwegbleibens angemessenere Strafe ist als Köpfen.
Mohammed lässt sich anschließend von einem Wundarzt behandeln, geht ins Bad und verkauft seinen Besitz, für den er vierhundert Mamluken erwirbt, sich ein Boot bauen lässt und den Kalifen spielt.

"So habe ich nun schon ein ganzes Jahr getan, aber von ihr habe ich noch nie wieder eine Kunde vernommen, noch bin ich ihr auf die Spur gekommen."

Das wirkt nun, mit Verlaub, ein wenig abstrus. Mohammed weiß doch, wo seine Gattin wohnt. Er könnte sie leicht mit einen vierhundert Mamluken aufsuchen und zur Rede stellen. Und welchen Sinn hat das Verkleiden als Kalif?

Harûn er-Raschîd aber ist von der Story gerührt:

"Preis sei Allah, der für jedes Ding eine Ursache geschaffen hat."

Deutet eine solche Aussage auf die Angst, für irgendetwas keine Ursache zu kennen? Erfüllen die deistischen Religionen auch dieses Bedürfnis: Ursachen benennen zu können, für das, was sonst nicht deutbar bleibt? Liegen dann nicht der Astrologie und ähnlichem Aberglaube ähnliche Motive zugrunde, wie Islam und Christentum? Haben sie die gleiche (Knick-knack) "Ursache"?

Harûn und seine beiden Begleiter Dscha’far und Masrûr, immer noch in Kaufmannsverkleidung, bitten um Erlaubnis, gehen zu dürfen. Wieder im Palast, kleiden sie sich um, und der Kalif befiehlt dem Wesir:

"Lass den jungen Mann zu mir kommen."

293. Nacht
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