Buchpräsentation “Die Grundlagen” mit Ramona Krönke, Thaktil und Andrés Atala Quezada

Am 4. Februar wurde im Bühnenrausch in Berlin das Buch “Improvisationstheater. Die Grundlagen” vorgestellt. Ramona Krönke von “Die Gorillas” interviewte Dan Richter von “Foxy Freestyle“. Thorsten Less und Ilka Puschke von “Thaktil” improvisierten. Und Andrés Atala Quezada von “Foxy Freestyle” begleitete musikalisch.


6:35 Wie kam es zu diesem Buch? 10:35 Szene Thaktil: Wie beginnt man, Impro zu spielen? 12:40 Anfängergeist und Anfänger-Shows 14:20 Die erste Show von Dan Richter und Aufregung 16:10 Lampenfieber und Aufregung 19:30 Es gibt nicht “den Zuschauer” 21:00 Biografisches über Dan Richter 23:30 Prokrastination und Fleiß 24:45 Szene Thaktil: Schlaf, Meditaion, Sport im Improtheater 27:40 Improtheater und Spiritualität 31:30 Düstere Momente und Schreiben 33:30 Ist es vermessen, ein Buch über Impro zu schreiben? 35:00 Impro-Terror (Szene Thaktil) 38:54 Ramona Krönke will ein Spiel spielen, das sie nicht kennt 40:45 Lesebühnen, Punk, erster Text 42:50 Ist Impro eine Mode 44:00 Ist Improtheater Kunst? 45:10 Improvisiertes Barock-Stück (Andrés Atala Quezada) 48:55 Persönliche Vervollkommnung 51:50 Die Entwicklung von Foxy Freestyle 53:30 Akzeptiere dich selbst 54:30 Szene Thaktil: Sich auf den anderen verlassen 58:40 Impro für Blender, Impro zur Selbstoptimierung 1:00:04 Nutze deine Intelligenz 1:08:40 Thaktil versuchen, eine langweilige Szene zu spielen 1:10:00 Dan erklärt die Faszination für Thaktil 1:11:00 Fortsetzung der Szene 1:14:30 Relevanz und Politik im Improtheater 1:18:40 Namedropping 1:26:00 Dan weigert sich, sich selbst einzuordnen 1:26:30 Dan wird von Thaktil etikettiert 1:29:00 Die kommenden Bände 1:31:35 Ramonas Schlussgag

Über-Engagement

Es gibt Spieler, die wunderbare Figuren spielen, ihren Mitspielern zuhören, einen Sinn für gute Storys haben und auch hinter der Bühne angenehme Zeitgenossen sind. Aber trotzdem zögert man, mit ihnen zu spielen, da ihr überbordendes Engagement den Mitspielern kaum Luft lässt. Kaum wird das Licht aufgeblendet, sind sie schon mit ihrer Idee auf der Bühne. Sie geben die Richtung der Story vor, spielen die merkwürdigsten Figuren und dominieren überhaupt das gesamte Geschehen. Wenn eine Szene zwischen zwei anderen Spielern gut läuft, finden sie einen Grund, sich noch irgendwie einzumischen.
Ob du zur Sorte der über-engagierten Spieler gehört erkennst du an folgenden Merkmalen:

  • Bei einer Szene, in der du nicht mitspielst, fragst du dich: „Wie kann ich mich daran beteiligen?“
  • Du bist überwiegend derjenige, der die Szenen beginnt.
  • Die Mitspieler scheinen dir zu langsam.
  • Deine Ideen scheinen dir origineller als die deiner Mitspieler.

Was ist die Lösung? Zunächst einmal: Entspann dich. Der Erfolg einer Show ruht nicht allein auf deinen Schultern. Selbst wenn du deine Stärken kennst, solltest du den anderen die Gelegenheit geben, ihren Platz zu finden. Wenn das für „Lücken“ in der Show sorgt, ist das vielleicht nur deine Wahrnehmung und dein zu hektisches Timing.
Mit vollem Einsatz zu spielen bedeutet auch, zu wissen, wann man sich zurückzunehmen hat. Ein Kunstwerk wird nicht unbedingt besser, indem man immer mehr hinzufügt. Es ist dann perfekt, wenn man mit möglichst wenig Mitteln das beste Ergebnis erzielt hat. Wenn du also meinst (oder von deinen Mitspielern hörst), du seist über-engagiert, dann frage dich: Wie wenig kann ich tun? In Sinfonie-Orchestern sieht man bei einigen Konzerten den Percussionisten mit den Becken, der eine halbe Stunde im Hintergrund wartet, um schließlich beim Finale für den großen Krach zu sorgen. Vielleicht bist du bei eurer nächsten Show dieser Percussionist.

Die Adlerperspektive

Wie wichtig der Blick von außen auf die Szene ist, habe ich hier schon oft angesprochen. Diese Adlerperspektive (bisweilen auch „drittes Auge“ genannt) ist entscheidend für unsere Orientierung innerhalb einer Szene.
Für manche Spieler ist die Forderung nach einer Außensicht irritierend: „Dann ist man ja nicht mehr im Moment! Man verliert doch die Figur!“
Aber das ist nicht notwendigerweise so. Um ein Beispiel aus dem Alltag zu geben: Angenommen, ich treffe mich mit einem Kollegen zum Brunch und dabei plaudern wir über unsere neusten Ideen und Projekte. Wenn ich dabei achtsam bin, bin ich mir meines Essens bewusst, ich bin mir über die Beziehung zu meinem Kollegen ebenso klar wie über den Inhalt unseres Gesprächs. Aber außerdem ist mir natürlich der Rahmen dieses Settings klar, nämlich wo wir uns befinden und dass die Zeit verstreicht.
Multitasking ist für uns im Alltag meistens normal, wir haben es über Jahre unbewusst trainiert. In einer Impro-Szene bewegen wir uns in anderen Kategorien: Die Rolle, die Tätigkeit, die Beziehung zum Anderen, das Genre, der Inhalt – all das wird kollaborativ und spontan erschaffen. Für Impro-Anfänger kann das ungewohnt sein und sich wie Jonglieren mit fünf Bällen anfühlen. Durch fortwährendes Üben verliert sich dieses Gefühl der Überforderung nach und nach. Unsere Aufmerksamkeit kann mehrere Elemente gleichzeitig wahrnehmen, da sie uns einzeln und für sich genommen keine große Schwierigkeiten bereiten.
Die Adlerperspektive beizubehalten bedeutet nicht, zu wissen oder zu steuern, wo die Szene hingeht. Vielmehr geht es um das Bewusstwerden des gesamten Bühnengeschehens: Was passiert hier gerade? Und in welchem Kontext steht das?
Wenn ich die Adlerperspektive einnehme, wird mir bewusst, was die Szene braucht: Ausbreiten der Handlung oder Vorantreiben? Szenenwechsel oder Fortführen der Szene? Verschärfen des Inhalts oder Auflösung? Beschleunigung oder Entschleunigung?

Wie man ein kreatives Leben führt – Tips von Tracy Letts

Der Pulitzer-Preis-Gewinner Tracy Letts gibt in diesem Vortrag ein paar Hinweise, wie man ein kreatives Leben führt. (Und er spricht noch nicht einmal vom eigentlichen Schreibprozess.

Tracy Letts v2 from Chicago Ideas Week on Vimeo.

1. Tue nichts.
Gemeint sind Tagträume. “Geh nach Hause. Setz dich auf die Couch. Starre für eine lange Zeit die Wand an. Tue das am nächsten Tag noch mal.” Die Phantasie geht automatisch auf die Reise.
2. Höre kein Radio.
Im Grunde eine Erweiterung von Punkt 1. Die Phantasie wird viel zu oft unterbrochen durch Geblabber, bis man irgendwann die Gedanken anderer denkt.
3. Geh dir aus dem Weg.
Zensiere deine Gedanken nicht.
4. Höre auf zu trinken.
Alkohol ist ein Feind der Kreativität. Höre einem Betrunkenen zu, und du weißt, was gemeint ist.
5. Masturbiere
Masturbation ist Spielen mit sich selbst – dem eigenen Körper und der eigenen Phantasie.
6. Lüge.
Lügen ist primäre Kreativität. Sei ehrlich zu dir selbst, aber übe dich im Lügen. [Ich bin mir nicht sicher, ob dich das so unterschreiben möchte. DR]
7. Stiehl.
Stiehl fremde Ideen und fühle dich gut dabei.
8. Hol dir Hilfe
Psychothereapie kann dir helfen, Verhaltensmuster zu brechen.
9. Lies Belletristik.
Die beste Möglichkeit, Einsicht in die Denkweise deiner Mitmenschen zu bekommen.
10. Kreiere nicht, es existiert bereits.
Diesen Gedanken übernimmt Tracy Letts von TJ & Dave, die davon ausgehen, eine Szene zu betreten, die bereits existiert und die sie nur freizulegen brauchen.

Geh dir selbst aus dem Weg. Lass die Kreativität ungebremst fließen.

Im Moment mit Jacob Banigan

In der Solo-Improvisation zeigt sich, wie sehr du wirklich im Moment der Szene bist. Da man alle Figuren selber spielt, kann man sich nur dann selber überraschen, wenn man nicht nur nicht vorausdenkt, sondern das Vorausdenken auch abzuschalten vermag. Wer schon mal selber gegen sich Schach gespielt hat, weiß, wovon ich rede.
Ich kann zwar nicht in Jacob Banigans Kopf schauen, aber ich denke, dass ihm dieses absolute Im-Moment-Sein in seinem Solo-Impro-Format “Game of Death” auf beeindruckende Weise gelingt. Jeder Spielzug steht für sich und ist auf seine Weise gut. Nichts wird überstürzt, nichts ist lahm. Alles hat seinen Ort und seine Zeit. Die Übergänge von einer zur anderen Figur wirken geschmeidig, jede Figur ist von den anderen abgegrenzt.
Es gelingt ihm, die Figuren untereinander Gespräche führen zu lassen und sich von dem, was sie sagen, selbst überraschen zu lassen.

Diese geniale Impro-Szene entstand 2013 beim Berliner Impro-Festival. 

Helmut Schmidt über die freie Rede

Ab Min. 24:34 Gaus: „Gehören Sie zu den Debattenrednern, die eher vorformulieren oder es drauf ankommen lassen, dass ihnen die richtige Formulierung einfällt?“
Schmidt: „Das letztere. Ich bin gehandicapt und kann in große Verlegenheit geraten, wenn ich (Ich hab’s einmal gemacht. Ist schon viele Jahre her.) eine Rede vorformulieren würde. Dann verlier ich den Faden zum Papier, weil ich mich inzwischen davon löse und mir alle möglichen Dinge dazu einfallen, die ich dann auszudrücken suche. Und wenn ich mit diesem Gedanken, der mir eingefallen ist, zu Ende bin, dann muss ich ja eigentlich wieder auf das Papier zurück und finde den Faden nicht mehr. Ich hasse das mit vorformulierten Reden.“

Impulse

Wenn es um Impulse geht, hören wir von Impro-Lehrern scheinbar widersprüchliche Aufforderungen:
„Folge deinem Impuls!“
„Widerstehe dem Impuls, negativ zu reagieren!“
„Ignoriere den Impuls, auf der Bühne rumzuzappeln!“
usw.
Die Impulse sind also, will es scheinen, eine etwas schwierige Angelegenheit. Gibt es so etwas wie „gute“ und „schlechte“ Impulse? Gibt es Momente, in denen wir auf unsere Impulse hören sollen und Momente, in denen wir sie lieber ignorieren?

Der Impulsgeber vieler Impro-Anfänger ist leider eine böse Fee namens Angst! Da haben wir die alte Vettel wieder.
Angst verhindert zunächst mal die Wahrnehmung von eigenen Impulsen. Wenn wir befürchten, dass das, was wir sagen oder tun, nichts tauge, dass es peinlich sei, dass es nicht intelligent genug oder nicht feinsinnig genug sei. Die Angst-Bremse verhindert auch, dass wir Impulse wahrnehmen, die Bühne zu betreten, wenn die Szene uns braucht.
Aus diesem Grund ist es durchaus OK, in Anfänger-Übungen oder Aufwärm-Spielen mal die Sau rauszulassen, Obszönitäten zuzulassen, Gewaltphantasien oder irrem Gefasel freien Lauf zu lassen. Hauptsache, es wird impulsiv reagiert.
Ich empfehle hier zum Beispiel:
freie Assoziationen
Ein-Wort-Geschichten in einem derart hohen Tempo, dass die Selbstkontrolle ausgeschaltet wird
fortlaufende Geschichten oder Ein-Wort-Geschichten, in denen Obszönitäten zulässig und vielleicht sogar erwünscht sind.
Zwei alberne Gänge
Tausch/Wechsel
Angstgesteuerte Impulse führen dazu, dass wir die Angebote unserer Mitspieler blockieren oder ignorieren, dass wir negativ werden, dass wir emotionale Wendungen nicht zulassen, dass wir lieber einen schalen Gag produzieren als uns auf eine authentische Reaktion zu verlassen.
Aus diesem Grund spielen wir Games, die unseren Fokus woanders hinlenken:
Wer blockiert, fliegt raus
ABC-Spiel (als Anti-Laber-Spiel)
Buchstaben-Vermeidungs-Spiel
Actio/Reactio
Nun könnte man argumentieren, dass diese Spiele ja unsere Impulse blockieren. Nehmen wir das ABC-Spiel. Mein Partner eröffnet vielleicht mit dem Satz: „Am Dienstag müssen wir Tante Erika besuchen.“ Mein Impuls ist nun: „Es ist schließlich ihr siebzigster Geburtstag.“ Das Format ABC-Spiel verhindert aber, dass ich diesem Impuls nachgebe (Ich bin gezwungen, einen Satz zu sagen, der mit „B“ beginnt). Gerade Improtheater-Anfänger, die bereits Solo-Erfahrungen haben (z.B. als Musiker oder Komiker), stören sich manchmal an dieser Art von Einschränkung. Paradoxerweise aber helfen uns die Games durch ihre Einschränkung die Vielfalt unserer Impulse zu erweitern. Die Games und Übungen helfen uns, den angstbesetzten Impulsen weniger Raum zu geben und stattdessen neue Impulsgeber zu erkennen:
Die positive Reaktion auf Angebote des Mitspielers (statt des Abschmetterns)
Das Weiterentwickeln eines Gedankens (statt der Blockade)
Die emotional authentische Reaktion (statt des Ignorierens des emotionalen Gehalts

TJ & Dave über Entdecken vs. Erfinden

“Entdeckung ist der Weg des geringsten Widerstands, vielmehr ein Zustand des Nichtstuns und der Leichtigkeit als Kraft und Anstrengung.” (95)

“Energie ist schön. Anstrengung ist hässlich.” (95)

In Szenenanfängen sind die Charaktere selten überrascht. Ihr Verhalten ist normal.

“Am Anfang der TJ-and-Dave-Show fragen wir nicht nach Vorschlägen, weil wir nicht wollen, dass irgendetwas der bereits vorhandenen Szene im Weg steht.” (98)
(Man muss wohl zugeben, dass das zunächst ziemlich esoterisch klingt. Andererseits ist es genau diese Geisteshaltung, die TJ & Dave ihren ungeheuren Flow ermöglicht. Würden sie geistig noch damit beschäftigt sein, in ihre Show “Vorgaben” einzubauen, würde das wohl die Eleganz mindern. DR)

“Wir finden es hilfreich zu vermeiden, in Plots und Narrativen festzuhängen. Sich auf die Story zu konzentrieren, ist der Feind unserer Art des Improvisierens. Story ist ein Nebeneffekt, der an den Rissen austritt, wenn man einfach Leute aufeinandertreffen lässt und ihre Beziehungen untersucht.” (99)
(Ich glaube allerdings, dass TJ und Dave instinktiv gute Erzähler sind. Deshalb müssen sie sich nicht darum kümmern. So wie ein guter Pianist beim Improvisieren nicht über den Fingersatz nachdenkt. Sie wissen, dass man z.B. eine Szene nicht mit Instant Trouble beginnt, sie wissen, dass die Protagonisten (mehr als andere Charaktere) sich verändern müssen usw.
Aber vielleicht wagen die beiden auch viel mehr noch das Locker-Episodenhafte und überlassen überhaupt viel mehr dem Zuschauer, den Szenen einen Sinn zu geben. DR)


“Natürlich fügen wir auch Namen hinzu, benennen die Umgebung, die Einzelheiten und Details, aber diese Sachen sind nicht die Crux der Szene, wo man die Schönheit der Improvisation finden kann. Obwohl Details nützlich sind, kann ein übermäßiges Vertrauen in Plot, Narrativ und Fakten dazu führen, dass das wesentliche Element der Szene verschleiert wird: Das Verhältnis zwischen den zwei Personen in diesem Moment.” (99)

“Der Unterschied liegt zwischen ‘Wir spielen jetzt eine Szene.’ und ‘Lass uns mal sehen, was das hier ist.'” (David, 103)

Konfusion auf der Bühne

Nach der Show gerieten wir während des Feedbacks leider in ein Zerreden einer Szene, die jeden von uns ziemlich verwirrte und hinterher mit Müh und Not in die Story eingebunden werden konnte.
Das Publikum hingegen genoss gerade diesen Moment der Konfusion innerhalb einer ansonsten vielleicht zu makellosen Show.
“Alle waren planlos – herrlich!” (Zuschauerin Anne Kathrin Kaelcke)

Storytelling vs. Moment

Zu den Fragen, die mir immer wieder begegnen, seit der Zeit als ich anfing, Improtheater zu spielen, gehört auch diese: Wie können wir überhaupt im Moment sein und gleichzeitig eine gute Story improvisieren? Gibt es da nicht einen Widerspruch? Muss ich nicht doch ein bisschen planen, wenn ich einen guten “Bogen” spannen will? Oder bleibt das Im-Moment-Sein doch die Regel Nummer Eins, und das Ergebnis mehr oder weniger Glückssache?
1. Storytelling-Mechanismen müssen zu Gewohnheiten verinnerlicht werden.
Da Storytelling, so wie andere Impro-Kompetenzen dem einen mehr, dem anderen weniger liegen, muss Storytelling auch trainiert werden. Das fängt von den einfachsten Impro-Tugenden an, z.B. nicht mit Nörgelei beginnen. Fast jeder, der ein Jahr lang improvisiert, hat diese Tugend mehr oder weniger verinnerlicht. Später wird man lernen, wie man mit dem Helden umzugehen hat, wie man Enden baut, wie man eine Story in einem bestimmten Stil oder Genre baut. Im Prozess des Erlernens dieser Fähigkeiten kann es durchaus mal passieren, dass man am Bühnenrand steht und ins Nachdenken kommt: “Wie lasse ich den Helden noch mehr erstrahlen?” Das ist OK, aber es sollte uns klar sein, dass das Nachdenken nicht überhand nehmen darf, nicht mehr als ein, zwei Gedanken, vor allem aber dürfen wir nicht verpassen, was gerade stattfindet und nicht vergessen, was schon geschah.
2. Natürlich passiert es, dass uns Ideen zum Fortgang der Story in den Kopf schießen. Das ist nicht nur “OK”, sondern das ist auch gut. Entscheidend aber ist, wie wir mit diesen Ideen umgehen. Sie dürfen 1. nicht unsere Aufmerksamkeit für den Moment blockieren, 2. sollten wir uns nicht an sie klammern; denn dann verlieren wir den Zugang für die Optionen der Mitspieler, und 3. sollten wir sie nicht forcieren.
Ich betrachte Ideen in der Improvisation (das habe ich hier, glaube ich, schon mal beschrieben) wie Elemente, die durch den Bewusstseinsstrom fließen – spontane Assoziationen. Es ist gut, diesen Strom lebendig zu halten und ab und zu zuzugreifen. Aber lasse ihn nicht ins Stocken kommen.

Marina Abramovic – To be an artist, to be present

[Transcript]

“How do you know, you’re an artist? That’s the main question. (…) It’s like breathing. (…) So if you wake up in the morning and you have some ideas and you have to make them and it has become some kind of obsession that you have to create, and you have this urge to create, you’re definitely an artist. You’re not a great artist, you’re an artist. To be a great artist, there are all different kind of rules…”

“The great astists have to be ready to fail which is something not many people do. Because if you have success, then the public accepts you in a certain way, you start somehow involuntarily reproduce the same images, the same type of work. And you’re not risking. Real artists always change the territories. They go to the land where they’ve never been. (…) And there you can fail. That failure actually is what makes this “extra”. The readiness to fail is what makes great artists.”

“As a young one, if you want to be famous and rich, you just can forget about it. It’s not a good idea being an artist. The money and the success is not the aim. It’s just a side effect.”

“I had an old pfrofessor whom I loved very much. He gave me two advices. He said: If you’re drawing with your right hand and you’re getting better and better, and you become vituous, you can do it with closed eyes, you can draw anything you want, the immediately change to the left hand. That was an important advice, because if you become ‘routine’, that’s the end of everything. And the second great advice, he said to me: ‘In your life time you’ll probably have one good idea, if you’re a really good artist. And if you’re a genius, two good ideas, and that’s it. But be careful with them.”

“When I was young I had a lot of ideas, but they weren’t linear. So I never developed a certain style that would be recognized. So I had this obsession about one thing, and I had to do it. And mostly I would do the work I’m afraid of. If I’m afraid of an idea, this is exactly the point I have to go to. If you do the things you like, you never change, there is nowhere. You will always do the same shit again and again. But if you do things that you don’t know, that you’re afraid of, something really different, then it’s really important to go to that different pattern. (…)
One of my exercises for my students: For three months they had to buy hundreds of sheets of paper and one rubbish can. And every day the will sit on the chair and write good ideas. And the ones they like, they put on the left side of the table, and the ones they don’t like they put in the rubbish. And after three months, they all want to present the good ideas. I’m totally not interested in good ideas. I just took the rubbish cans. And every single idea was incredible, the ones you reject, the ones you don’t want to deal with.”

“It’s also interesting which media you should use. You may be a painter, and if you want to be a performer it doesn’t work. (…) You have to know which tool is best for your expression. So for me, to recognize a good performance artist is really simple: The idea can be totally shit, the execution can be wrong, but it’s just the way how he stands, and that’s it. In the space, you know, how you occupy physically the space, and what that standing does to everybody else looking at that person. That kind of difference really makes the difference. It’s a certain energy. You recognize it right away. And you can learn how to execute things, ideas and all the rest. But it’s about energy you cannot learn. You have to have it. It’s just there, when you’re born.” [Here I would disagree. I’ve seen students freeing themselves from their own limitations, gaining an extraordinary stage presence. – DR]

“One of the lectures [lessons??] of Robert Wilson when I was doing the theater piece with him. He was saying to the actors and to me: “When you’re standing in one place and you take it to the next movement, you’re not present.” So this is an incredibly important lesson. When you’re standing in one place, you can’t think of the next step. The next step has to come with your body and mind together. Otherwise you’re missing that moment of presence. So, it’s a hard thing to do, but it’s quite important. There are lots of exercises how to learn that presence.”… Weiterlesen

Zu sehr im Kopf

Jill Bernard zu einem Improspieler, der beklagte, zu sehr im Kopf zu sein: “Ich zahle dir 10.000 Impro-Dollars (Umtauschkurs = 0 echte Dollar), wenn du in den nächsten sechs Szenen mit Absicht alles falsch machst. Schau, was sich da verändert.”
I will pay you 10,000 improv dollars (exchange rate=0 real life dollars) to do everything wrong in your next six scenes on purpose. See what difference it makes.”
http://www.yesand.com/forum//showthread.php?675-Being-too-much-in-your-head&p=4048&viewfull=1#post4048

TJ & Dave

Zurzeit beschäftigt mich wieder die Magie des Chicagoer Duos TJ & Dave, die ich nur zwei Mal gesehen habe – einmal live und einmal auf ihrer für Improvisierer unbedingt sehenswerten DVD “Trust Us” – und die dennoch einen ungeheuren Eindruck auf mich gemacht haben. Das Besondere an den beiden ist, dass sie ohne jeglichen Publikumsvorschlag einfach auf die Bühne gehen und loslegen. Alles entsteht sanft, ohne Brüche, aus dem Moment heraus. Die beiden legen dabei eine große Palette an Charakteren an, die sie abwechselnd annehmen. Das Schauspiel ist dabei zurückhaltend, und doch erkennt man ohne Schwierigkeiten die Figuren wieder. Nichts geht verloren, nichts wird vergessen.

Im Interview-Blog von Pamela Victor gibt es im Gespräch mit Susan Messing folgende Passage:

Pam: Es war frustrierend, ihnen zuzuschauen, da ich ihr Getriebe nicht sehen konnte, verstehst du?
Susan: Für sie ist es wie Atmen.
Pam: Genau!
Susan: Sie hören extrem genau zu, rechtfertigen jeden Scheiß, der vor ihnen ist und sind extrem spezifisch und im Moment.

Ich war gerade dabei, einen Brief an TJ zu verfassen, als ich zufällig auf Pamelas Interview mit ihm stieß. Die Hälfte meiner Fragen stellte auch sie. Ich empfehle den zweiten Teil des Interviews, vor allem den Absatz zu “Heat” und “Weight” einer Szene.

Lessons from Viola Spolin

“The lesson is to focus. And it’s found within the rule of the game. So the idea is that the lesson is learned organically without a teacher having to explain what it is. (Aretha Sills)
“She never ever mentioned >how to< anything. You were never wrong. And you were never right. You just either did it or you didn’t do it.” (Richard Schaal)
“Every game of her is designed to put you into that unknown area. Go where you don’t know what’s going to happen next. And that’s where the surprise for you as an actor is going to come. And that’s where the growth of an artist is going to come from. And that’s why the audience comes. (Gary Schwartz)
“She said: ‘Don’t thank me. It’s not me. It’s the work. Don’t make me your guru.'” (Gary Schwartz)
“She said: ‘Creativity is not the clever re-arranging of the known.’ And a lot of improv has become the re-arranging of known common material.” (Gary Schwartz)

Weisheiten aus einem Interview mit Dave Pasquesi

We don’t rehearse regularly but we do rehearse frequently. And it’s always, just as a reminder “what is our mission statement again? What is it we’re trying to do?” Because part of it is, it has to change for a person.
The idea of constantly changing and evaluating where one is. I think that’s really helpful. To become comfortable is kind of a symptom of needing change. You do this thing and you become comfortable at doing this thing that used to be uncomfortable and now that I’ve reached that I have to realize that and do something else. I think that’s what they’re talking about when they mention the notion of ‘follow the fear.’ You know, push it a little further. And you know just as a reminder this is about failing. This is about the distinct possibility of failure and to not be afraid of failing.
(Q: What do you consider a mistake?) Dave: Something that was missed. A piece of information that went past. I think that’s all it is, really paying attention to all the information that we have.
Kind of our game is to communicate things with as little information as possible. Because that’s I think where it becomes magical.
The main skill in improvisation is paying attention and I think that’s really useful everywhere.
When you see people acting that’s a terrible thing. (…) Instead of acting why don’t you just say these fucking words.

Komplettes Interview hier

Die wirklich äußerst sehenswerte DVD von TJ & Dave: Trust Us This Is All Made Up beim amerikanischen Amazon leider nur noch für viel Geld zu haben.
Oder beim Verfasser dieses Blogs bei gutem Zureden als Leihgabe.

Zuhören

Spreche mit Per Gottfredson aus Stockholm über Impro-Auftritte bei Unternehmen (Corporate Gigs). Ich sage, dass ich kein großer Freund dieser Shows bin, da oft etwas ganz bestimmtes erwartet wird und Spieler oft auch die Tendenz haben auf Nummer sicher zu spielen.
Per erzählt die Geschichte, wie seine Gruppe zu einer Veranstaltung bei einem Fair Trade Unternehmen eingeladen war. Dem Publikum wurde vor dem Auftritt ein Film über ein Mädchen in den Slums gezeigt. Und danach sollte das Improtheater spielen. Zwei Spieler gingen auf die Bühne und hielten abwechselnd Monologe, einer in der Rolle eines englischen und einer in der Rolle eines brasilianischen Jungen, die beide ohne es zu wissen, die Liebe zum Fußball eint. Das Publikum war zu Tränen gerührt. Auch das kann Improtheater.
Höre auf das, was bereits da ist.

Keith Richards’ LIFE (9)

“Auf einmal kam so viel Technologie ins Spiel, dass nicht mal der gewiefteste Tontechniker der Welt wusste, was eigentlich Sache war. Früher hatten die Drums mit einem einzigen Mikro genial geklungen, und jetzt mit fünfzehn Mikros klangen sie, als würde jemand auf ein Blechdach scheißen. Alle haben sich in den technischen Möglichkeiten verrannt, und sie finden erst langsam wieder zurück. In der klassischen Musik wird heute alles neu eingespielt, was in den achtzigern und neunzigern digital aufgenommen wurde. […] Den Bassisten schirmte man hermetisch ab, bis irgendwann alle in ihren Kabäuschen und Kämmerchen saßen, mitten in einem riesigen Studio, das man überhaupt nicht nutzte. Rock’n’Roll, das ist ein Haufen Jungs, die einen eigenständigen Sound erzeugen – zusammen und nicht getrennt. Stereo, Hightech, Dolby, das ist alles Schwachsinn, Mythen, die der eigentlichen Musik völlig zuwiderlaufen. […]
Wenn man aber alles auseinanderreißt, geht etwas Undefinierbares verloren – Spirit, Stimmung, Seele. Für so was gibt es kein Mikrofon.” (S. 680)

Tom Waits über die Zusammenarbeit mit Keith Richards:
“Jeder liebt Musik. Die Frage ist, ob die Musik dich liebt – das ist das Entscheidende. Man muss Respekt haben vor dem Prozess des Musizierens. Nicht du schreibst die Musik, sie schreibt dich. Du bist ihre Flöte, ihre Trompete, ihre Saite. […]
Ich glaube, heute wird allgemein zu wenig gestaunt. Doch Keith scheint immer noch zu staunen. Manchmal hält er plötzlich inne, hebt seine Gitarre in die Höhe und starrt sie einfach an. Als könne er sich das alles überhaupt nicht erklären.” (S. 682-4)

Keith Richards’ LIFE (7)

“Mick jagte der musikalischen Mode hinterher. Ich hatte jede Menge Ärger mit ihm, weil er dem Geschmack des Publikums auf die Spur kommen wollte. […] Das war nie unsere Arbeitsweise. Lass uns unser Ding einfach so machen, wie wir es immer gemacht haben. Gefällt es uns? Hält es unseren musikalischen Maßstäben stand? Mick und ich hatten unseren ersten Song in einer Küche geschrieben. Größer war die Welt nicht, Wenn wir darüber nachgedacht hätten, wie die Öffentlichkeit das aufnimmt, hätten wir nie eine Schallplatte rausgebracht.” (S. 602)

“Meine Theorie über den Umgang mit Leuten von Plattenfirmen lautet: außer bei gesellschaftlichen Ereignissen, nie warm werden mit ihnen, sich nie in das tägliche Gelaber reinziehen lassen. Dafür lässt man seine Leute für sich arbeiten. Wenn man Fragen über Budgets oder Werbung stellt, wird man persönlich erreichbar für diese Burschen. Damit schmälerst du deine Macht. Das macht die Band kleiner. Weil dann nämlich folgendes passiert: ‘Jagger ist wieder dran.’ – ‘Ach, der soll später noch mal anrufen.'” (S. 606-7)
Den besten Deal hatten sie Mitte der Sechziger für sich bei Decca rausgeholt, als sie sonnenbebrillt, ins Chefzimmer stiefelten und ihren Manager Oldham das Reden überließen. Die Stones im Hintergrund wie eine Schlägertruppe als Drohkulisse.

“Chuck [Berry] hatte jahrelang mit Luschen gespielt, immer mit der billigsten Band der Stadt. Er fuhr mit der Aktentasche vor, nach dem Gig fuhr er gleich wieder weg. Unter dem eigenen Niveau zu spielen, zerstört die Seele des Musikers.
[…] Ich stellte eine Band zusammen, die so gut war wie seine Originalband. Die es schaffte, dass Chuck Berry sich selbst wiederentdeckte.” (S. 617)

Waddy Wachtel über Keith’ Soloalbum:
“Keith’ Vorgehensweise beim Komponieren sah so aus: ‘Stellt ein paar Mikros auf!’ – ‘Häh? Also gut.’ – ‘Okay, wir singen das jetzt mal.’ – ‘Wovon redest du? Was sollen wir denn singen? Wir haben nichts.’ – ‘Na und? Los, dann denken wir uns eben was aus.’
So lief das. […] Schmeiß einfach alles an die Wand, mal sehen, was hängen bleibt. Das war im Wesentlichen seine Arbeitsweise. Verblüffend! Und es hat tatsächlich geklappt.” (S. 627)

“Mick dachte, er müsse immer noch mehr Requisiten und Effekte einbauen, einen Gimmick nach dem anderen. […] Unsewre Megatourneen musste ich ständig zurechtstutzen. Einmal wollte Mick unbedingt Stelzenläufer dabeihaben, aber ich hatte Glück. Bei der Kostümprobe fing es an zu regnen, und sämtliche Stelzenläufer kippten um. Eine fünfunddreißigköpfige Tanzgruppe, die für dreißig Sekunden Honky Tonk Women mit auf Tour kommen sollte, schickte ich unbesehen nach Hause. Tut mir leid Mädels, aber ihr müsst woanders weiterhampeln. Ich meine, wir hätten damit hunderttausend Dollar das Klo runtergespült.” (S. 641)

Notizen aus Keith Richards’ LIFE (5)

“Beim Komponieren benutzten wir eine Methode, die wir “Vowel Movement” nannten – sehr wichtig für Songwriter. Die Suche nach dem Wort mit dem passenden Klang. Oft ahnt man noch nicht, welches Wort an welche Stelle kommt, aber man weiß, dass es einen bestimmten Vokal mit dem passenden Klang enthalten muss. Du schreibst etwas, das auf dem Papier gut aussieht, aber es hat noch nicht den richtigen Klang. Dann fängst du an, um die Vokale herum die richtigen Konsonanten zusammenzubasteln. Es gibt die richtige Stelle für ein ooh und die passende Stelle für ein daah. Wenn du das verhunzt, dann klingt es beschissen.” (S. 355)

“Wie alle meine Songs betrachtete ich auch diesen nicht als meine Schöpfung. Ich habe nur eine verdammt gute Antenne dafür, durch den Raum schwirrende Songs aufzuschnappen.” (S. 355-6) (Über “You Got The Silver”, das er auch alleine sang.)

Über “Wild Horses”:
“Du stellst dir also ein paar wilde Pferde vor. Was kommt danach? Keine Frage: “couldn’t drag me away”. Das ist das Tolle am Songwriting – es geht nicht um Intellekt. Vielleicht musst du hier und da das Hirn einschalten, aber im Wesentlichen musst du den Moment einfangen.” (S. 368)

“Warum setzt man sich hin und schreibt einen Song? Vielleicht weil man wachsen will, in das Herz eines anderen Menschen hinein. Weil man sich dort einnisten will oder zumindest eine Reaktion hervorrufen, eine Resonanz.” (S. 369)

“Ich sah zu wie Mick die Lyrics schrieb [zu “Brown Sugar”]. So was hatte ich noch nicht gesehen. Er hatte einen gelben Schreibblock dabei und kritzelte immer nur eine Strophe pro Seite hin. […] Als drei Seiten voll waren, gingen die Aufnahmen los.” (S. 370)

“Ums Geld ist es mir sowieso nie gegangen. Am Anfang habe ich mich immer gefragt: Okay, reicht es für neue Saiten? Später dann: Okay, reicht es für die Show, die wir uns vorstellen? Ich denke, für Charlie und auch Mick war und ist es dasselbe. Insbesondere am Anfang. Nicht dass wir was gegen Geld gehabt hätten, aber das meiste floss gleich wieder in die Musik.” (S. 383)

Die Aufnahmen zu “Exile On Main Street” liefen im Keller der französischen Villa von Keith.
“Wir testeten ein Kämmerchen nach dem andern. Zur Not konnten wir elektronisches Echo hinzufügen, aber ein natürliches war uns lieber, und das gab es da unten in den aberwitzigsten Variationen. Ich verzog mich mit meiner Gitarre in einen gefliesten Raum, richtete den Verstärker auf irgendeine Ecke und wartete ab, was davon beim Mikro ankam.” (S. 398)

“Songs sind merkwürdige Kreaturen. Winzige Randbemerkungen bleiben hängen und wollen nicht verschwinden. Ganz ehrlich, bei den meisten Songs kam ich mir vor, als würde ich schlicht eine klaffende Lücke füllen – als hätte dieser Song schon vor Jahrhunderten geschrieben werden müssen. Warum ist das noch niemandem eingefallen. Da fehlt doch was! Ständig suchte ich nach Löchern, die noch niemand gestopft hatte. Das ist meine Aufgabe: Löcher stopfen.” (S. 405)

“[Wenn du nicht mehr weiter weißt], staunst du, was du alles aus dir rausholen kannst. Vor allem wenn du gleichzeitig den Rest der Band verarschen musst – die denken, du hast einen glasklaren Plan vor Augen, während du völlig im Dunkeln tappst. […] Irgendwas wird dir schon einfallen. Eine Textzeile, ein paar Töne auf der Gitarre, und schon muss die nächste Zeile her. Das ist doch dein Talent, angeblich.” (S. 405)

“[Ron Wood] war perfekt geeignet für die alte Kunst des weaving, bei der man Rhythmus- nicht mehr von Leadgitarre unterscheiden kann, den Stil, den ich mit Brian entwickelt hatte, das alte Sound-Fundament der Rolling Stones.” (S. 494)

Verstehen und Nachdenken

Nicht nur war Masako Kimura Impro-Anfängerin. Sie sprach auf einem Workshop in Seattle so gut wie kein Englisch. Ihre einzige Chance war, sich körperlich zu öffnen und entsprechend auf die Angebote der Mitspieler einzugehen. Sie beschreibt dieses Gefühl als “völlig im Moment”.
Randy Dixon zu ihr nach dem Workshop: “Richtig schwierig wird es für dich erst jetzt, wenn du nach Japan zurückkehrst. Dann wirst du deine Mitspieler verstehen, und dann geht das Nachdenken los. Dann wirst du dir “

Magic Moments: Er ist ein Maulwurf

Einer jener seltenen magischen Momente entstand bei der zweiten Show von Foxy Freestyle in der Alten Kantine. Die Schluss-Szene einer zwar witzigen, aber doch recht verwickelten Geschichte mündet in ein Abschluss-Lied zwischen Matze Fluhrer und mir.
Die letzte Zeile singen wir gemeinsam, ohne uns anzuschauen: Gleicher Text, gleiche Melodie. Das Video ist wie immer lediglich ein müder Abklatsch, aber die Zuschauer sind von diesem besonderen Moment auch begeistert.
Ich denke, die Chance, solche Momente zu erleben, erhöht sich, wenn wir nicht nur aufmerksam sind, sondern vor allem auch mutige Entscheidungen treffen.

Der Song startet ca. bei Minute 3:30… Weiterlesen

“Nur im Moment”

Der von mir sonst so geschätzte Jazz-Musiker N. meinte, er interessiere sich überhaupt nicht für das, was gerade vor ein paar Sekunden oder gar Minuten gespielt worden sei, es gehe ihm nur um den Moment.
Ich konnte ihm nicht zustimmen. Gute Improvisation, ob in der Musik, im Theater oder im Storytelling, bezieht sich immer auch darauf, was vorher geschah. Nur so können z.B. Muster, Linien, Bögen entstehen.
Ich kann also im Moment agieren, aber ebenso das Gesamtbild im Auge behalten.
Genaugenommen ist “der Moment” ohnehin eine Fiktion, eine Unzeit.
Das Bild des Rückwärtsgehens, das Randy Dixon benutzt hat, fand ich sehr treffend. Wir sind achtsam im Moment des Gehens, aber wir sehen gleichzeitig alles, was wir bereits hinter uns gelassen haben.

Die Bourne Faszination

Greengrass zu den Gewaltszenen: “Unstructured, unconsidered ballet.”
Matt Damon/Greengrass: Die Faszination für Bourne liegt auch in seiner Fähigkeit zu Improvisation. Im Gegensatz zu Bond verlässt er sich nicht auf die tollen Hilfsmittel, sondern auf seine Fähigkeit, mit dem umzugehen, was im Moment da ist. In der Brückenszene auf dem Bahnhof Friedrichstraße (!) schließen die Türen der S-Bahn nicht, als er in die Bahn springt. (Durchaus realistisch für S-Bahnhof Friedrichstraße.) Bourne entscheidet in Sekunden: Er springt auf das gegenüberliegende Gleis, wird fast vom Zug erfasst und springt dann auf ein Boot, was ihm die Knochen brechen könnte.

Impulse in Improvisation und Leben

Wie gehen wir mit unseren Impulsen um? Strategien:

  1. Ignorieren und unterdrücken: Die krassen Fälle dieser Strategie landen auf Lass-Deine-Wut-Raus-Seminaren oder leiden an Magenproblemen.
    Auf der Bühne haben solche Spieler Ladehemmung oder wirken unspontan.
  2. Sich hingeben: Im Extremfall gibt sich dieser Typus jedem Impuls hin, nichts Langfristiges wird beendet, jedem Vergnügen, jeder Sucht, jedem Tic wird nachgegeben.
    Auf der Bühne fallen diese Spieler dadurch auf, dass sie zwar schnell sind, aber auf die externen Impulse auf die immergleiche Art und Weise reagieren
  3. Handlungsoptionen verbreitern: Die ideale Form des mannigfaltigen Lebens. Fokus auf und Traing von positiven Reaktionen auf Impulse, komplexe Impulsverarbeitung.
    Auf der Bühne kennzeichnet diese Spieler eine große Palette an Reaktionen auf verschiedene Impulse aus.

Statt für die Bühne könnte man das auch für den Samurai-Kämpfer durchdeklinieren.