Impro-Terror (4) – Partner liefert keine Angebote

Ben: „Schatz, weißt du, wer eben am Telefon war? Der Makler!“
Paula: „Und? Was hat er gesagt?“
Ben: „Wir kriegen die Wohnung.“
Paula: „Super! Endlich eine Wohnung!“
Ben: „Lass uns gleich hinfahren.“
Paula: „Großartige Idee.“
Ben: „Ich muss dir noch was sagen: Der Vormieter hat sich in der Wohnung erhängt.“
Paula: „Oh nein! Wie schrecklich.“
Ben: „Ziehen wir trotzdem ein?“
Paula: „Wie du willst, Schatz.“

In diesem Beispiel akzeptiert Paula und reagiert angemessen emotional, aber auf Dauer könnte es für Ben schwierig werden, mit ihr zu improvisieren, da sie keinerlei inhaltliche Angebote liefert. Diese Form des Impro-Terrors kommt meist von sehr positiven und privat sehr umgänglichen Spielern. Sie sind im Grunde „zu höflich“ und wollen nicht riskieren, mit den eigenen Angeboten die Ideen ihrer Partner zu torpedieren. Die „Höflichkeit“ verdreht sich aber in ihr Gegenteil, da die Spielerin ihrem Partner die alleinige Definitions-Arbeit der Szene zuschiebt.
In solchen Situationen hilft es nur, sich in sein Schicksal zu fügen und eben zu akzeptieren, dass man nun selbst für den Inhalt zuständig ist. Allerdings wäre es zu weit gegriffen, zu glauben, man würde nun allein improvisieren. Der Partner ist ja immer noch da. Das heißt aber, dass ich auf kleinste emotionale Veränderungen groß reagieren muss, denn diese sind der Impuls für den weiteren inhaltlichen Verlauf.

Ben: „Ziehen wir trotzdem ein?“
Paula: „Wie du willst, Schatz.“
Ben: „Ich will! Und ich danke dir für deine Großzügigkeit. Na ja, es wird ja nicht gleich spuken wegen eines Selbstmörders.“
Paula: „Haha, nein bestimmt nicht.“

Impro-Terror (3) – Umgang mit Negativität

Negativität ist nicht dasselbe wie Blockieren, aber damit verwandt. Wer negativ ist, löscht zwar nicht die Ideen des Mitspielers aus, aber reagiert ablehnend auf diese Ideen oder auf den Mitspieler selbst. Sehen wir uns den Klassiker dazu an:

Natalie gräbt.
Arne kommt hinzu: „Was machen Sie hier? Sie dürfen hier nicht graben.“

Hier wird das erste physische Angebot (Graben) schon infrage gestellt, vermutlich, um die Szene „interessanter“ zu machen, in Wirklichkeit aber aus Angst, sich auf das Unbekannte, nämlich das Graben einzulassen.
Die Kunst besteht nun darin, sich nicht davon frustrieren zu lassen. Auch sollte man der Versuchung widerstehen, sich nun in eine Verhandlung oder einen Streit verwickeln zu lassen. Vielmehr sollte man mit dieser Ablehnung spielen. Und das funktioniert am besten, indem wir unseren Status senken.

Arne: „Was machen Sie hier? Sie dürfen hier nicht graben.“
Natalie: „Oh nein! Jetzt sehe ich es auch, da steht ja ein Graben-verboten-Schild. Muss ich jetzt eine Strafe zahlen?“
Arne (immer noch negativ): „Das könnte Ihnen so passen.“
Natalie: „Ins Gefängnis? Oh Gott, bitte nicht ins Gefängnis! Ich wollte doch hier nur ganz ausnahmsweise ein Grab für meinen Mann ausheben, den ich gestern vergiften musste.“

Impro-Terror (2) – Umgang mit Blockaden

Blockieren erscheint in zwei Formen. In der radikalen Variante wird die einmal auf der Bühne etablierte Realität verneint:

Nicole und Carl. Carl klingelt an der Tür. Nicole öffnet.
Nicole: „Hallo Papa! Hast du die Schlüssel vergessen?“
Carl: „Ich bin nicht Ihr Papa. Ich bin der Pizzabote und soll diese Pizza Calzone bei Ihnen abgeben.“

Diese radikale Form des Blockierens trifft man bei fortgeschrittenen Spielern nur selten an, aber auch Improspieler sind nur Menschen. So wie einem Profi-Fußballer ein ungewolltes Handspiel unterlaufen kann, so kann auch deinem Partner dieses Blockieren unterlaufen. Oder es ist vielleicht ein Angebot, das du nicht erkennst, weil es sich auf einen Teil der Geschichte bezieht, den ihr vor zehn Minuten improvisiert habt. Da es für die Szene völlig unproduktiv wäre, die Figuren sich streiten zu lassen, lautet die einfache Lösung: Dein Partner hat Recht.

Carl: „Ich bin nicht Ihr Papa. Ich bin der Pizzabote und soll diese Pizza Calzone bei Ihnen abgeben.“
Nicole: „Was? Können Sie mal bitte das Licht im Hausflur anmachen? Danke. Ist ja unglaublich, jetzt hätte ich Sie wirklich beinahe verwechselt. Wieviel bekommen Sie für die Pizza?“

In einer abgeschwächten Variante blockiert der Mitspieler die Handlungs-Vorschläge.

Olga: „Mein König, wenn die Hunnen unser Schloss angreifen wollen, müssen wir einen Verteidigungsgraben bauen.“
Jan: „Verteidigungsgraben? Papperlapapp! Wir dürfen keine Zeit verlieren. Positioniert alle Bogenschützen auf den Burgmauern!“

Die Impro-Szene würde stagnieren, wenn nun beide das Pro und Contra der einen oder anderen Variante abwägen. Wenn dein Vorschlag abgelehnt wurde, umarme den Vorschlag des anderen. Das Angebot des Gegenübers ist genial.

Olga: „Bogenschützen! Natürlich! Warum bin ich nicht selber darauf gekommen. Mein König, ich werde sämtliche Bogenschützen sofort auf ihre Position stellen.“

Es könnte allerdings auch sein, dass dieser Widerspruch ein inhaltliches Angebot ist, das später noch einmal in die Story einfließen wird, zum Beispiel indem die Bogenschützen das Schloss nicht verteidigen können und der Verteidigungsgraben eben doch die bessere Option gewesen wäre. (Eine solche Option sollte aber nicht dem Mitspieler aufgezwungen werden, sondern sollte möglichst von ihm selber kommen bzw. sich aus der Szene heraus ergeben.)
Das habherzige Blockieren taucht manchmal auch in Form der Kein-Bock-Haltung auf.

Carsten: „Guck mal, Schatz, ich habe Karten fürs Musical mitgebracht!“
Tina: „Oh nein, ich hab heut ganz schlimme Kopfschmerzen.“

Kopfschmerzen oder ähnliche Beeinträchtigungen werden oft dann ins Spiel eingeführt, wenn Spieler Angst davor haben, sich inhaltlich zu engagieren. Umso großzügiger musst du mit deinem Gegenüber umgehen. Reagiere groß! Und mache die Ablehnung möglichst liebevoll zum Thema.

Carsten: „Was?? Die Kopfschmerzen sind wieder da? (wählt eine Nummer auf dem Telefon) Bitte ein Krankenwagen in die Plesserstraße 12. Ja, es ist dringend! (wieder zu Tina) Bitte, atme ganz ruhig. Stirb jetzt bitte nicht!“

Impro-Terror (1) Impro-Terror und Leichtigkeit

Wir wissen, dass man in einer Szene die Angebote der Mitspieler akzeptieren und Eigenes hinzufügen sollte, dass es der Szene gut tut, wenn man den Mitspielern aufmerksam zuhört, dass man sich verändern möge usw. Allerdings wird uns die Umsetzung dieser Grundsätze nicht immer so gelingen, wie es uns unsere hehren Impro-Ideale gebieten. Es wird vielleicht szenische Momente geben, in denen wir von den eigenen Ideen so begeistert sind, dass wir das subtile Angebot des Mitspielers verpassen. Vielleicht sind wir mal vom Verlauf einer Szene dermaßen verwirrt, dass wir innerlich aufgeben und uninspiriert weiterspielen. Vielleicht haben wir auch einfach einen schlechten Tag und sind daher unaufmerksam. Oder wir sind irgendwann so sehr an eine bestimmte Art des Improvisierens gewöhnt, dass wir innerlich erstarren, wenn uns Ungewohntes angeboten wird. Wir werden lernen müssen, damit zu leben, dass wir nicht jederzeit auf gleich hohem Niveau improvisieren können, dass wir Rückschläge erleiden und glauben, nicht voranzukommen.
Die große Herausforderung besteht darin, diese Unvollkommenheit auch unseren Mitspielern zuzugestehen. Stellen wir uns folgende Impro-Situation vor.

Ihr improvisiert gerade eine wunderschöne, zarte Liebes-Szene zu zweit und plötzlich kommt der dritte Mitspieler hereingeplauzt und ruft mit „witziger“ Stimme: „Wackelpudding gratis! Lasst uns alle Spaß mit Wackelpudding haben!“


Nun hilft es nicht, zu versuchen, unsere zarte Szene gegen den scheinbar trampligen Spieler durchsetzen zu wollen oder in Frust, Gram oder Ärger zu verfallen. Wir können nur eines: Improvisieren!
Selbst wenn wir uns über Jahre bemühen, uns als Team aufeinander einzuspielen, müssen wir immer noch improvisieren, das heißt, die seltsamen Angebote unserer Mitspieler wie Gold wertschätzen und unsere Mitspieler wie Genies behandeln.
Um beim szenischen Beispiel zu bleiben: Wir müssen herausfinden, was das Spiel-An¬ge-bot unseres Mitspielers ist: Was steckt hinter dem Wackelpudding? Gewiss – unsere Szene war eine ergreifende Liebes-Szene. Aber heißt das, dass unsere Story ein Liebes-Melodram sein muss? Oder ist die Szene vielleicht nur ein Anfang für eine Liebeskomödie? Bietet unser Mitspieler uns hier einfach einen Clash der Erwartungen an? Oder ist er schon in einer neuen Szene? Das lässt sich natürlich nur in der Situation entscheiden. Und auch mit unserer Einschätzung können wir falschliegen. Aber unsere Aufgabe als Impro-Spieler ist es, alles als Spiel-Angebot aufzufassen und uns freudig ins Spiel zu stürzen.
Als fortgeschrittene Spieler haben wir die Grundlagen natürlich seit Jahren internalisiert, aber es gilt, diese immer wieder auf das nächste Niveau zu heben. Und das Akzeptieren im allerweitesten Sinne steht hier auf Platz Eins der Impro-Tugenden.
Bei Foxy Freestyle spielen wir von Zeit zu Zeit Open-Stage-Shows – mit erfahrenen Spielern, mit Profis, aber auch mit blutigen Anfängern und Leuten, die noch nie auf einer Theaterbühne standen. Auf diese Shows bereiten wir uns mit einem Spiel namens „Impro-Terror“ vor: Ein Spieler fokussiert auf eine Impro-Sünde (Z.B. Blockieren, Nörgeln oder Unterbrechen), während der andere Spieler die Aufgabe hat, eine gute Szene daraus zu zaubern. Wenn man ein paar Mal Impro-Terror gespielt hat, wird man bald herausfinden, dass es nichts bringt, zu versuchen, den anderen Spieler bzw. seine Figur zu ändern (etwa sie für ihre Nörgelei zu kritisieren). Vielmehr muss man alles, was der Andere tut, wie ein geniales Geschenk annehmen. Diese Großzügigkeit, die man einem Anfänger gewährt, sollte man aber auch den Mitspielern des eigenen Teams entgegenbringen. Wenn uns das gelingt, erreichen wir gemeinsam eine neue Leichtigkeit. Wir können nicht wissen, ob und wie unser Spiel unseren Mitspieler während der Szene verändern beeinflusst. Aber wir können uns von ihm beeinflussen lassen und mit ihm spielen.