515.-516. Nacht

515. Nacht

König Tighmûs ist noch so von den Socken, dass er aus Dankbarkeit seiner Schwiegertochter Schamsa ein Schloss inmitten eines Blumengartens erbauen lässt. Die Wiederkunft des Prinzen Dschanschâh wird ausführlich und in aller Pracht gefeiert. Dieser aber lässt aus einem weißen Marmorblock eine Truhe bauen, in der er das Federkleid seiner Braut verbirgt

und ließ sie im Fundament versenken.

Dies ist ein seltsames Motiv, das sich auch in Grimms Märchen finden lässt: Das Halbwesen ist an seine Hülle gebunden und fühlt sich zu ihr hingezogen. Erst wenn sie völlig vernichtet ist, wird es zum Menschen.

 516. Nacht

Tatsächlich verspürt Schamsa beim Eintreten ins Schloss den Duft des Federkleids, wartet bis der Prinz eingeschlafen ist, begibt sich zur Truhe,

und nahm das Blei ab, mit dem sie verschlossen war.

Sie zieht das Federkleid an, steigt auf das Dach des Palastes, lässt den Prinzen holen und ruft ihm zu:

Du mein Lieb, mein Augentrost, meines Herzensfrucht, bei Allah, ich liebe dich über die Maßen, und ich bin so unendlich froh, dass ich dich in dein Heimatland zurückgebracht und deine Mutter und deinen Vater gesehen habe. Doch wenn du mich liebst, so wie ich dich liebe, so komm zu mir nach Takni dem Edelsteinschloss!“ Und zur selbigen Stunde schwebte sie davon und flog zu den Ihren.

Dass junge Frauen, vor allem verwandelte, ihren Jungs einige Herausforderungen auferlegen, kennen wir. Aber das hier ist ja wohl unerhört. Vielleicht war es eine schlechte Idee, das duftende Federkleid nur zu vergraben?

Der König tröstet Dschanschâh und lässt Kaufleute befragen, ob sie Takni kennen. Da aber keiner Auskunft geben kann,

so befahl er, man solle seinem Sohne schöne Mädchen bringen, Sklavinnen, in deren Händen die Musikinstrumente erklangen, und Odalisken, die da sangen, derentgleichen nur bei Königen zu finden waren.

Wir ahnen schon, dass sich der Prinz davon nicht ablenken lässt. Denn Herzeleid ist großes Leid, und in den 1001 Nächten unstillbar.

Geduld schwand mir dahin, die Sehnsucht ist geblieben:
Mein Leib ist siech, von schwerer Liebespein gebannt.
Wann wird mich das Geschick mit Schamsa einst vereinen,
Wo mein Gebein zerfällt, von Trennungsschmerz verbrannt.

König Tighmus, so erfahren wir, ist verfeindet mit Kâfid, dem König von Indien. Dieser

hatte tausend Ritter, von denen jeder über tausend Stämme gebot, und jeder von diesen Stämmen vermochte viertausend Berittene zu stellen.

Das wären Vier Milliarden indische Reiter!
Der Höhepunkt der Anzahl von Armeeangehörigen weltweit war offensichtlich 1995 mit ca. 30 Millionen.

Na gut, wir bewegen uns ja immer noch im Reich der Fiktion und wollen es angesichts an- und abgelegter Federkleider und sprechender Schlangen mit historischer Präzision nicht übergenau nehmen.

Da der Kabuler König Tighmus einst viele Inder tötete, ist nun wohl ein guter Zeitpunkt, um Rache zu nehmen.

504.-506. Nacht – Ameisen gegen Affen, Edelsteinberg

504.-506. Nacht – Ameisen gegen Affen, Edelsteinberg

(Fortsetzung von Die Geschichte von Dschanschâh
in Die Abenteuer Bulûkijas
in Die Geschichte der Schlangenkönigin)

504. Nacht

Die Tafel verheißt Dschanschâh außerdem, dass ein Strom, der sich zum Sabbat teilt, ihn in das Land der Juden,

die Mohammed nicht anerkennen,

führen würde.

Mohammed, der aber zum Zeitpunkt der Geschichte noch nicht gelebt hat. Die ganze Geschichte von Schlangenkönigin, Bulûrkija und Dschanschâh muss aus mehreren Storys zusammengebaut sein. Teilweise, wie in den Engels-Geschichten scheinen es muslimische Volksymythen zu sein. In Storys wie dieser scheint die Referenz zu Mohammed eher hinzugefügt, um sich von den Juden abzugrenzen.

„Doch hier werden die Affen, solange du bei ihnen weilst, über die Ghule siegreich bleiben.“

Nach einer Phase der Depression befiehlt Dschanschâh eineinhalb Jahre später den Affen, mit ihnen zur Jagd auszureiten.

Ein Schelm, wer nicht spätestens hier an den Planeten der Affen denkt.

Wäre natürlich interessant zu erfahren, ob Michael Wilson sich von den 1001 Nächten hat inspirieren lassen.

Während des Jagdausflugs fliehen Dschanschâh und die Mamluken eines Nachts vom Affentrupp, werden von diesem aber eingeholt.

Plötzlich aber kamen Ameisen aus der Erde hervor, gleichwie ein Heuschreckenschwarm, und eine jede von ihnen war so groß wie ein Hund.

Es kommt zum Kampf zwischen Affen und Ameisen, wobei die Ameisen Oberhand gewinnen.

505. Nacht

Am nächsten Tag nehmen die verbliebenen Affen wieder die Verfolgung auf.

Mit einem Male stürzte ein Affe wider sie los, der so große Zähne hatte wie ein Elefant, und er sprang auf einen der Mamluken, traf ihn und zerriss ihn in zwei Teile.

Der Rest flieht Richtung Fluss, wo sie schon wieder von den Ameisen erwartet werden, die auch einen der Mamluken töten. Dschanschâh und der letzte Mamluk springen ins Wasser, doch wird dieser an einem Fesen zerschlagen, während sich Dschanschâh an Land retten kann.
Tatsächlich gelangt er auf einer langen Fußreise zu einer Stadt der Juden, die aber wie ausgestorben scheint. Tatsächlich aber befinden sich die Juden wegen des Sabbats in ihren Häusern. Dort trifft er eine schweigende Familie beim Essen, die ihn mit Gesten bittet, sich zu ihnen zu setzen.
Als Dschanschâh ihnen am nächsten Tag seine Geschichte erzählt, lässt ihn der Hausherr wissen, dass jedes Jahr eine Karawane vorbeikomme, die in das zwei Jahre und drei Monate entfernte Jemen reise.

506. Nacht

Dschanschâh darf bei dem Juden in der Zeit wohnen. Nach einer Weile spaziert er auf der Straße und hört einen Mann ausrufen:

„Wer will tausend Dinare als Lohn empfangen und dazu eine schöne Sklavin, deren Reize in lieblichster Anmut prangen, indem er nur vom Morgen bis zur Mittagszeit für mich arbeitet?“

Dschanschâh lässt sich darauf ein und erhält eintausend Dinare, ein Seidengewand und die Sklavin bereits als Vorschuss. Er „ruht“ mit dieser Sklavin über Nacht.
Am nächsten Tag aber begleitet er den Kaufmann zu einem hohen Berg. Dort lässt ihn der Kaufmann eines der Maultiere schlachten, ausnehmen und sich in die Haut hineinlegen.

Spätestens wenn das Maultier geschlachtet werden soll, müssten doch Dschanschâh Bedenken kommen. "Looks like we're shy one horse."

Der Kaufmann aber nähte ihn ein, ließ ihn dort liegen und entfernte sich von ihm.

Die Schallplatte "Drei Scheffel Glück" mit dem großartigen Märchen "Der Edelsteinberg" gehörte zu meinen prägenden Kindheits-Storys. Offensichtlich läuft auf diese Geschichte hinaus. Und es wäre interessant zu erfahren, ob die turkmenische Geschichte in die 1001 Nächte oder (was zu vermuten wäre) diese nach Turkmenistan übergeschwappt ist.

475., 476., 474. Nacht

475. Nacht

Da die belagerten Christen nun den tapferen Muslim gefangen halten, beraten sie, wie sie mit ihm umgehen sollen, da er zu schön sei, um getötet zu werden. Am liebsten würden sie ihn zum Christentum bekehren, aber wie? Einer der Ritter schlägt vor, ihn mithilfe seiner Tochter zu verleiten, denn

„Die Araber haben eine heftige Leidenschaft für die Frauen, und da ich eine Tochter von vollkommener Lieblichkeit besitze, so wird er, wenn er sie sieht, durch sie verführt werden.“

Tatsächlich ist der gefangene Muslim hingerissen, aber als er sah,

was ihm drohte, nahm er seine Zuflucht zu Allah dem Erhabenen, wandte seinen Blick ab, widmete sich der Andacht zu seinem Herrn und begann den Koran herzusagen.

Und so wendet sich der Trick des christlichen Ritters gegen ihn. Sie bittet:

„Erkläre mir den Islam!“

Er lehrt sie alles Grundlegende, woraufhin sie ihn ehelichen will, was wegen fehlender Morgengabe und zweier Zeugen nicht möglich ist. Daraufhin ersinnt sie einen Fluchtplan. Sie lässt ihrem Vater ausrichten, der Muslim sei zur Konvertierung und zur Ehe bereit, will aber aus Gründen des Anstands dies nicht dort tun, wo sein Bruder starb, also müsse das in einem anderen Ort geschehen.

Dies ist mal ein selten gelungenes Mittel des Storytelling - die Wiedereinführung. Wozu sonst war der gefallene Bruder zu Beginn der Geschichte erforderlich?

Der Vater willigt ein, und in dem Dorf nutzen die beiden die Gelegenheit zur Flucht.

*

476. Nacht

Als die beiden Flüchtigen am Morgen ihre religiöse Waschung vornehmen, hören sie Pferdegetrappel und Waffenrasseln.

Da rief er: „Das sind die Nazarener, die uns verfolgen!“

Sie redet ihm Mut zu, und so finden sie Zuflucht im Gebet und die Heerschar erweist sich als von Allah gesandte Engel, die den beiden Trost spenden.
Der Kalif und Feldherr Omar ibn el Chattâb betet an diesem Morgen nur kurz und verlautbart dann:

„Lasst uns hinausgehen, dem jungen Ehepaare entgegen!“ Da verwunderten die Gefährten sich und konnten seine Worte nicht verstehen.

Kurz darauf trifft das Paar in Medina ein.

Omar ibn el-Chattâb werden also hiermit prophetische Fähigkeiten zugeschrieben, die seine Heiligkeit unterstreichen.
(Übrigens war es dieser Kalif, der den "Steinigungsvers" in den Koran einfügte, um die weiterhin bestehende Praxis der Steinigung religiös zu rechtfertigen.)

Die beiden feiern Hochzeit und:

Dann ging der junge Held zu seiner Gemahlin ein, und Allah der Erhabene schenkte ihm Kinder von ihr.

*

477. Nacht

Und nun lebten sie immerdar herrlich und in Freuden, bis Der zu ihnen kam, der die Freuden schweigen heißt, und der die Freundesband zerreißt. Ferner wird erzählt

*

Die Geschichte von der Christlichen Prinzessin und dem Muslim

Sîdi Ibrahim el-Chauwâs

[unklar, wer das sein soll]

berichtet, einmal dem Bedürfnis, ins Land der Ungläubigen zu reisen, nicht widerstanden haben zu können. Am Tor einer ihrer Hauptstädte empfangen ihn schwarze Sklaven mit ehernen Keulen, die ihn fragen, ob er Arzt sei, was er bejaht.
Sie erwidern, des Königs Tochter sei krank. Aber wenn einer sich als Arzt ausgebe und sie nicht heilen könne, müsse er sterben.

Was er gewinnt, falls er sie heilt, wird nicht verraten.

Er geht zum König und lässt ihn zu ihr ein. Dabei spricht sie die Verse.

 

„Öffnet die Tür; denn der Arzt ist gekommen!
Schaut auf das seltne Geheimnis in mir!
Oft ist der Nahe doch weit in der Ferne;
Oft ist der Ferne doch nahe bei dir.
Wahrlich, ich lebte bei euch nur als Fremdling;
Jetzo will Gott seinen Trost mir verleihn.
Uns hat die Glaubensgemeinschaft verbunden;
Freund mit dem Freunde; sind wir im Verein.
Als er mich in seine Nähe gerufen.
Hielten die Tadler und Späher uns fern.
Lasst euer Schelten, hört auf, mich zu tadeln!
Weh euch, ich antworte doch nicht, ihr Herrn.
Mich kümmert nicht das Flüchtige, das Unzulängliche;
Mein Ziel ist nur das Bleibende, das Unvergängliche.“

Es wäre interessant, dieses Gedicht mit dem Original zu vergleichen. Zu Beginn werden die Daktylen noch einigermaßen durchgehalten. Am Ende holpert er sich so durch. Absicht oder Zufall?

Es stellt sich heraus, dass der Christin vor vier Jahren die klare Wahrheit [Allah] offenbar wurde.

Wie das geschehen ist, bleibt unklar.

Als ein greiser Diener nach der Unterredung von Arzt und Christin hinzutritt, sagt diese:

„Er hat die Krankheit erkannt und das Heilmittel gefunden.“

462., 463., 464., 465. Nacht

462. Nacht

Schehrezâd wiederholt die letzte Sequenz der Geschichte:

Nun staune, o König, über die Beredsamkeit dieser Sklavin, über ihr reiches Wissen, ihren Verstand und ihre vollendete Bildung in allen Wissenschaften und den Künsten! Und bedenke auch die Großmut des Beherrschers der Gläubigen Harûn er-Raschîd. (…) Wo fände man wohl nach dem Abassidenkalifen noch solche Freigebigkeit? Die Barmherzigkeit Allahs walte über sie alle jederzeit.

Aber wir wissen schon jetzt, dass König Schehrijâr noch weitere 539 Nächte brauchen wird, um den Wink zu verstehen oder verstehen zu wollen: Beredsame Sklavin! Großmütiger Herrscher! Mein Gott, so schwer ist das doch nicht!

*

Ferner wird erzählt

Die Geschichte von dem Engel des Todes vor dem reichen König und vor dem frommen Manne

Einer von den Herrschern der Vorzeit

gemeint ist wohl die vorislamische Zeit

reitet in großem Prunk aus, stolz und übermütig. Ein alter Mann in zerrissener Kleidung nähert sich ihm und legt die Hand an seine Zügel:

„Ich bin der Engel des Todes; ich will deine Seele holen!“

Eine Frist sich zu verabschieden, gewährt ihm der Tod nicht.
Einem Frommen hingegen, der mit der Welt in Einklang lebt, gewährt er die Bitte, noch einmal beten zu dürfen.

Auch das kann eigentlich - so kurz nach der letzten Geschichte - als Warnung an König Schehrijâr verstanden werden.

*

Die Geschichte vom Engel des Todes vor dem reichen König

Nachdem ein König riesige Güter angehäuft hat, versammelt er seine Angehörigen und Diener zu einem Mahl, denn jetzt könne er sich endlich seines Wohls erfreuen.

*

463. Nacht

Auch hier tritt der Engel des Todes hinzu, und auch hier wird eine letzte Frist oder eine Ersatzperson verweigert:

„Ich bin nur deinetwegen gekommen, um dich zu trennen von den Gütern, die du gesammelt und aufgespeichert hast“

Daraufhin verflucht der König seinen Reichtum.

Nun antwortet der Reichtum (sic!)

„Warum verfluchest du mich? Verfluche dich selber! Allah (…) gab mich in deine Hand, auf dass du dir durch mich eine Wegzehrung schüfest für dein Leben im Jenseits und von mir den Armen und Bedürftigen und Elenden Almosen gäbest…“

Und so stirbt der König, ohne von den Speisen gekostet zu haben.

*

Die Geschichte vom Engel des Todes und dem König der Kinder Israel

Ein jüdischer König sitzt auf dem Thron und auch hier erscheint ein hässlicher Mann, der sich als der Engel des Todes entpuppt:

„Ich bin es, der die Freuden schweigen heißt und der die Freundesbande zerreißt.“

Die Formel, mit der hier so viele Erzählungen enden; ähnlich unserem "und wenn sie nicht gestorben sind..."

Der jüdische König bittet um eine Frist,

„damit ich das Geld, das in meinen Schatzkammern ist, seinen rechtmäßigen Besitzern zurückgeben kann!“ (…)
„Weit gefehlt! Das ist dir nicht mehr möglich.“

*

464. Nacht

„Du gehst zu dem Zorne des Allgewaltigen ein.“ (…) Da erhob sich ein Getöse unter dem Volk seines Reiches, die Stimmen erklangen, und Weinen und Schreien erschollen.

An dieser Stelle gibt es seltsamerweise zwei Bleistift-Markierungen in meiner Ausgabe, die (so vermute ich zumindest) nicht von mir stammen, die aber auch kurios sind: „Weinen und Schreien“ mit gewelltem Unterstrich und Fragezeichen an der Seite. Was ist so unverständlich oder fraglich an dieser Passage?

*

Die Geschichte von Iskandar Dhû erl-Karnain und dem genügsamen König

Mit „Iskandar Dhû el-Karnain“ wird hier Alexander der Große bezeichnet.


„Alexander, der Zweigehörnte“

Auf seinen Reisen kommt Iskandar Dhû erl-Karnain an einem sehr armen Volk vorbei, das sich von „Gräsern und Kräutern“ ernährt und seine Toten direkt vor den Toren der Stadt beerdigt und die Gräber vom Staub befreit.
Iskandar befragt den König, warum sie das so täten. Dieser antwortet, so

„schwindet auch die Liebe zur irdischen Welt aus unseren Herzen, und wir werden nicht durch sie von dem Dienste unseres Herrn, des Erhabenen abgelenkt.“

Auf die Frage nach dem Veganismus, bekommt er die bemerkenswerte Antwort:

„Weil wir es verabscheuen, unsere Leiber zu Gräbern von Tieren zu machen.“

Das Angebot Iskandars, sein Wesir zu werden, lehnt der König des armen Volkes ab:

„Weil alle Menschen deine Feinde sind um deines Reichtums und des Besitzes willen, der dir verliehen war; alle aber sind in Wahrheit meine Freunde wegen der Genügsamkeit und meiner Armut, dieweil ich keinen Besitz habe und auch nichts Irdisches begehre; danach trage ich kein Verlangen.“

*

Die Geschichte von dem gerechten König Anuscharwân

Anuscharwân lässt in seinem Königreich verbreiten, er sei krank und könne nur durch einen alten Lehmziegel aus einem zerfallenen Dorfe gerettet werden. Man findet keinen, und Anuscharwân ist zufrieden.

„Da (…) ein jeder Ort bewohnt ist, so steht es gut um das Reich, die beste Ordnung herrscht in allen Dingen, und so konnte die Kultur es zur höchsten Vollkommenheit bringen.“

*

465. Nacht

Schehrezâd fährt, nachdem die Anekdote eigentlich schon beendet ist fort, Schehrijâr zu belehren.

Wisse drum, o König – so fuhr Schehrezâd fort – dass (…) es unzweifelhaft wahr ist, was die Gelehrten verkünden und wir in den Aussprüchen der Weisen finden, nämlich: die Religion hängt vom König ab, der König von den Truppen, die Truppen vom Staatsschatze, der Staatsschatz von der Wohlfahrt des Landes, und die Wohlfahrt des Landes von der gerechten Behandlung des Untertanenstandes…

*

Die Geschichte von dem jüdischen Richter und seinem frommen Weibe

Ein Richter reist auf Pilgerfahrt nach Jerusalem und vertraut seinem Bruder auch seine Frau an, der sie, sobald der Richter fort ist, zum Ehebruch nötigen will. Sie wehrt sich, und er bezichtigt sie mit bestochenen Zeugen, Ehebruch getrieben zu haben.

Dieses Muster ist doch teilweise heute noch bekannt.

Man steinigt sie, aber ein barmherziger Wandersmann hört nachts das Stöhnen der Frau, die die Steinigung überlebt hat, nimmt sie zu sich und seiner Familie und pflegt sie gesund. Er gibt ihr sein Kind, damit sie sich nächtens seiner annehme. Doch eines Nachts schleicht sich ein „Schelm“ ein, um sie zu verführen. Als sie sich weigert, will er sie erstechen, trifft aber aus Versehen das Kind.
Die Mutter des Kindes verdächtigt die Frau des Richters des Kindsmordes und versucht, sie zu erschlagen, diese kann aber flüchten.
Auf ihrem Weg kommt sie in ein Dorf, wo man einen Mann an einem Baum gekreuzigt hat. Sie bietet die wenigen Dirhems, die sie bei sich trägt als Lösegeld an. Er wird abgenommen und sie heilt ihn.

Da bemerkte Schehrezâd, dass der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an.

436. und 437. Nacht – Fragen zum Dealerproblem, die ich mir selber nicht beantworten kann

Fragen zum Dealerproblem, die ich mir selber nicht beantworten kann

Erst waren sie weit weg, die Dealer. Hasenheide, Neukölln. Ihre Existenz berührte mich nicht wesentlich mehr als die der Dealer von der 125. Straße in New York City. Hab sie schon mal gesehen. Berührt mich nicht. Und jetzt, seit ein paar Jahren nun also auch im Görlitzer Park. Ich gehe dort joggen, ich fahre dort oft mit dem Fahrrad entlang, und ab und zu fahre ich meinen sprechen- und laufenlernenden Sohn Django dort spazieren. Um die Herren zu ignorieren, sind sie zu präsent. Also bin ich gezwungen, meine widerstreitenden Bedenken und Gefühle unter einen Hut zu kriegen.

  1. Ich kiffe nicht. Insofern kann mir die Anwesenheit der Dealer eigentlich so egal sein wie die eines Nagelstudios. Immerhin – ich habe zwar schon gekifft, mich aber noch nie professionell maniküren lassen. Die akustische Werbung der Dealer „Ss-sss! Some Dope?“ ist zwar aufdringlich, aber auch nicht schlimmer als die ästhetische Beleidigung, die Schaufenster und Ladenschild eines Nagelstudios darstellen. Andererseits:

  2. Nicht nur kiffe ich nicht. Ich halte das Kraut auch größtenteils für schädlich. Man merkt Kiffern an, dass sie kiffen. Gewohnheitsmäßige Kiffer klagen, dass sie nichts gebacken kriegen und bringen ihr Nichts-Gebacken-Kriegen nie in Zusammenhang mit ihrer regelmäßigen Kifferei. Andererseits:
  3. Kiffen sollte legalisiert werden. Gesundheit ist zwar ein schönes soziales Ziel, aber wer sich physisch zerstören will, muss es tun dürfen. Man muss nicht den an dieser Stelle obligatorischen Vergleich mit Alkohol ins Spiel bringen, aber es schadet auch nicht; schließlich zeigt es die Irrsinnigkeit des Hanf-Verbots. Wer den Konsum von Schnaps toleriert und dadurch Sucht, Krankheiten und vorzeitigen Tod von Millionen billigend in Kauf nimmt, kann nicht das zwar ebenfalls krankmachende aber vergleichsweise harmlose Kiffen kriminalisieren. Und man kriminalisiert es auch dann, wenn man den Besitz von Mini-Päckchen toleriert, den kommerziellen Verkauf aber verbietet.
    In Relation zur Gesundheitsfrage erscheint es fast nebensächlich, aber natürlich scheint auch die psycho-soziale Wirkung des Stoffs verträglicher. Zumindest wäre es mir lieber, wenn die acht Hertha-Fans, mit denen ich mir nach einem verlorenen Spiel ihres Vereins den U-Bahn-Wagen teilen muss, gemeinsam eine Riesen-Bong inhaliert hätten als sich pegelsaufend ins Level zwischen Aggressiv Brüllen, Zuschlagen und Kotzen zu manövrieren. Aber:
  4. Die rechtliche Situation ist aber so wie sie ist. Und so stehen die Dealer zu großer Zahl im Görlitzer Park. Jedes Mal, wenn ich denke: ,Ach, das sind jetzt vielleicht doch nur ein paar Leute, die sich sonnen wollen‘, genügt es, den Blickkontakt zu halten. Und prompt werde ich angesprochen, ob ich Dope bräuchte. Wenn ich sage, „zu großer Zahl“, so ist das nicht übertrieben. Es gibt im Görlitzer Park kaum mehr eine Bank, die nicht von dealenden oder sich vom Dealen ausruhenden Afrikanern besetzt wäre.
    Benutzen eigentlich die Grammatik-Feministinnen hier auch ein großes I? Also Dea-lerInnen? Oder ist der in diesen Kreisen übliche Sprech jetzt „Dealende“? Völlig un-nötig. Es sind einfach keine Frauen dabei. Warum, weiß ich nicht. Ebenso wenig wie die geschlechtliche verstehe ich die ethnische Aufteilung prekärer Jobs. Steht irgend-wo geschrieben, dass nur diejenigen Punks, die in katholischen Ländern wie Spanien, Polen und Italien aufgewachsen sind, an Kreuzungen Autoscheiben putzen dürfen? Welcher soziale Mechanismus führt dazu, dass ausgerechnet Pakistani das Rosenverkaufs-Monopol innehaben? Warum sollte Marihuana eine afrikanische Spezialität sein? Anscheinend gibt es einen gewissen Sozial-Magnetismus: Du landest als Afrikaner in Berlin und irgendwann hörst du, dass sich Afrikaner im Görlitzer Park rumtreiben. Also gehst du zu ihnen, und fühlst dich bei ihnen wohler als bei den Verkäufern von Straßen-Magazinen. Und Akkordeon, Trompete und Saxofon hast du auch nicht dabei, um wie die Rumänen als Trash-Folk-Band durch die Öffentlichkeit zu ziehen. Aber:
  5. Fast alle Dealer, so war zu lesen, sind Asylbewerber, stehen also bei ihrer Tätigkeit schon mit einem Bein im Abschiebeknast, sicherlich nicht gerade das, was man sich gewünscht hat, als man sich von Togo aus auf den Weg gemacht hat. Die Gruppen von 10-15 Männern – wieviel mögen sie am Tag verkaufen? Was bleibt an Gewinn übrig? Sind es die größeren Ladungen, die das Geld bringen? Ist es der härtere Stoff, der das Geld bringt? Inzwischen wird ja auch Koks, Heroin und Chrystal Meth ge-dealt, die Depots sind überall – zwischen Schwimmbad, Kuhle, Kinderbauernhof und dem Damm, der bis nach Treptow führt. Dieses Problem wird ein Coffee-Shop jedenfalls nicht lösen. Und über die Legalisierung dieser Substanzen wechsle ich meine Meinung je nachdem, mit wem ich spreche. Außerdem:
  6. Neulich war ein Graffito im Görlitzer Park zu lesen: „Bullen raus! Keine Spießer-überwachung im Görli!“ Irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, dass der Schriftzug von einem der afrikanischen Dealer kam. Im Vergleich zu anderen Orten ist die Polizei im Görlitzer Park ja recht milde zugange. Mal ganz abgesehen davon, dass sie die Depots sowieso fast nie findet. Aber man kommt unweigerlich zur Frage: Wer definiert, was an einem Ort OK ist? Ist es OK, wenn im Görlitzer Park der Grilldreck jede Freifläche bedeckt? Ist es in Ordnung, wenn Hunde in der Größenordnung von Miniponys kleine Kinder anspringen? Ist es in Ordnung, wenn sämtliche Sitzbänke von Dealern besetzt sind? Es ist wie in WG-Debatten – Wen es stört, dass die Socken in der Küche rumliegen, hat schlechte Karten, wenn das allesschlagende Sozial-Gebot Toleranz heißt und durch keine Kompromisse relativiert wird. Und dann das hier:
  7. Gehe mit Django in der Nähe des Spielplatzes spazieren, in dessen Nähe sich eine Dealertruppe sonnt. Warum zum Teufel in der Nähe des Spielplatzes! Hätte ich we-niger Probleme damit, wenn in der Nähe ein Spätverkauf mit Spirituosen stünde? Ich weiß es nicht. Und von allen Richtungen, in die der zweijährige Django laufen kann, wählt er die Richtung Dealertruppe. Die sind anscheinend selber über die unerwartete bewertungslose Neugierde verwirrt. Man schüttelt sich die Hände, stellt einander vor, geht auseinander. Und irgendwie bin ich froh über diese Begegnung. Und dann kurze Zeit später:
  8. Nach langer Zeit gehe ich mal wieder joggen. Nicht durch Kreuzberg. Bleibe bei meiner alten Route durch den Treptower Park und den Plänterwald. Beim Sowjeti-schen Ehrenmal lehnt einer der Afrikaner mit legeren Adidasklamotten an einem Geländer. Geht das jetzt nicht doch zu weit? Meine Empörung über das Dealen in meinem Heimatpark lässt sich moralisch gut befeuern durch die Tatsache, dass wir uns hier in unmittelbarer Nähe eines Friedhofs mit über 2.000 Gefallenen der Roten Armee befinden. Ist das nicht doch recht pietätlos? Soll man was sagen oder nicht? Als ich auf seiner Höhe bin, hat sich die Frage erübrigt: Der Afrikaner legt ein Bein übers Geländer und dehnt sich ausgiebig. Dann joggt er mir hinterher. Kein Dealer, ein Jogger! Joggen in der Nähe des Friedhofs. Auch pietätlos irgendwie?

436. Nacht

Die Alte fährt fort mit einer Anekdote über el-Haddschâdsch ibn Jûsuf, an den eine Petition erging:

"Fürchte Allah und übe keinerlei Bedrückung gegen die Diener Allahs!"

El-Haddschâdsch ibn Jûsuf rechtfertigt sich nun damit, dass ihn Allah über das Volk gesetzt habe wegen dessen (böser) Taten.

"Wenn ich es nicht bin, so ist es einer, der noch schlimmer ist als ich, der noch härter bedrückt und noch grausamer herrscht."

Der arme Tyrann als Schlimmeres-Verhinderer. Ähnliches kennt man heute von Militärdiktaturen. In Wirklichkeit hat er mit seinem Herrschaftsstil so viele gegen sich aufgebracht, dass es immer wieder zu Aufständen kam. Nach seinem Tod wurden 80.000 Menschen aus den Gefängnissen entlassen.

 

***

 

Die Geschichte von der Sklavin Tawaddud

Ein reicher Kaufmann wird alt und gebrechlich, ohne einen Nachkommen zu haben. Nachdem er bei Allah um einen solchen fleht, empfängt eine seiner Frauen von ihm.

Und in der Nacht zum siebenten Tage nach der Geburt des Knaben gab er ihm den Namen Abu el-Husn; die Ammen nährten ihn, die Pflegerinnen hegten ihn, und die Mamluken und Eunuchen trugen ihn, so dass er wuchs und spross und in die Höhe schoss.

Auch für seine Bildung wird gesorgt.

So ward er zur Perle seiner Zeit und zum schönsten Jüngling weit und breit, mit einem Antlitz der Lieblichkeit, einer Zunge der Beredsamkeit, der sich wiegte und neigte im Ebenmaß seiner Gestalt und selbstgefällig dahinschritt in seines Stolzes Gewalt.

Doch dann liegt sein Vater im Sterben, nicht ohne vorher allerlei Mahnungen seinem Sohn auf den Weg zu geben,

bei denen man schon ahnt, dass er sich nicht an sie halten wird.

Nachdem Abu el-Husn eine lange Zeit getrauert hat, reden ihm seine Freunde zu:

"Was dahin ist, ist dahin. Trauer kann nur Mädchen und Frauen gebühren, die im Harem ein abgeschlossenes Leben führen." In dieser Weise redeten sie immer weiter zu ihm, bis er ins Badehaus ging; und auch sie gingen dorthin und machten seiner Trauer ein Ende.

***

437. Nacht

Die bösen Freunde sind es also, die ihn dazu überreden, sein Geld auszugeben. Er fängt an, Wein zu trinken und sein Geld zu verprassen, bis ihm nichts mehr geblieben ist außer einer schönen Sklavin.

Ihr Wuchs betrug fünf Spannen der Hand, und sie war des Glückes Unterpfand.

Ob sich der Übersetzer Littmann hier von dem "Lied der Deutschen" hat beeinflussen lassen?

Ihre Stirn war wie der Neumond im verehrten Monate Scha’bân anzuschauen; sie hatte Gazellenaugen und schön gewölbte Brauen. Ihre Nase war wie des Schwertes Schneide; und ihre Wangen prangten im Anemonenkleide. Ihr Mund schien das Siegel Salomons zu sein; ihre Zähne waren wie Perlenreihn. Ihr Nabel konnte eine Unze Behennussöl fassen; ihr Rumpf war schlanker als der Leib dessen, den die Liebe verzehrt und heimliche Sehnsucht hatte dahinsiechen lassen; und ihre Hüften waren wie der Sandhügel Massen.

Die Tiefe des Nabels als Schönheitskriterium!

Dem Vollmond ist sie gleich, da sich
Zu Fünf und Vier die Vier gesellt.
Ich bin nicht schuld, bin ich durch dich
Ihm gleich, wenn er die Nacht erhellt.

Littmann merkt dazu an: "Das Mädchen ist vierzehn Jahre, der Vollmond vierzehn Tage alt. Der Dichter wird um der Liebe zu dem Mädchen blass wie der Mond."

Nachdem sich Abu el-Husn drei Tage lang seinem Leid hingegeben hat, verlangt sie von ihm, zu Harûn er-Raschîd geführt zu werden.

427., 428., 429., 430. Nacht

427. Nacht

Mit dem bisschen Geld, dass die Gattin von einer Freundin leiht, begibt Ali sich auf Reisen, um einen Weg aus der Not zu finden. Von Bulak aus fährt er auf einem Schiff nach Damiette, wo ihn ein Kaufmann aus Mitleid aufnimmt. Dort bleibt er eine Weile;

aber schließlich sagte er sich: "Wie lange soll ich noch in fremder Leute Häuser wohnen?" Darum verließ er das Haus und suchte sich ein Schiff, das nach Syrien fuhr.

Für eine fiktive Geschichte macht diese Episode so gar keinen Sinn, da sie praktisch nur überbrückt. Es sei denn, der Erzähler will zeigen, dass er die Stationen einer Reise bis nach Bagdad kennt; oder dass Ali sich nun aktiv auf die Suche begibt.

Mit etwas Wegzehrung reist er nach Damaskus, wo er wieder von einem "gütigen Mann" aufgenommen wird. Eines Tages erblickt er eine Karawane auf dem Weg nach Bagdad, der er sich anschließt.
Kurz vor Bagdad wird diese von Wegelagerern überfallen. Ali flieht Richtung Bagdad und kommt gerade vor Sonnenuntergang am Haupttor an, wo er dem Torwächter vom Überfall erzählt, allerdings gespickt mit der Flunkerstory, er habe

Waren, Maultiere, mit Lasten, Sklaven und Diener.

Der Torwächter bietet ihm seine Hilfe an und macht ihn mit einem Kaufherren aus Bagdad bekannt, der ihn einkleidet und ihn ins Badehaus führt.

Die Erzählperspektive wechselt nun seltsamerweise bis zum Ende der 427. Nacht:

"Ich ging nun", so erzählte Ali aus Kairo, der Sohn des Kaufmannes Hasan, des Juweliers, "mit ihm ins Badehaus…"

Als sie wieder herauskommen, gibt er ihm einen Sklaven namens Mas’ud mit, er möge am anderen Ende der Stadt sich eines von zwei Häusern für die Unterkunft aussuchen. Allerdings steht ein großes drittes daneben, das der Sklave aber nicht aufschließen möchte:

"Weil es dort spukt. Jeder, der dort nächtigt, ist am andern Morgen tot. Wir öffnen auch nicht einmal die Tür, um den Toten hinauszuschaffen, sondern wir steigen auf das Dach eines der beiden anderen Häuser und holen ihn von dort aus herauf."

Kann ich mir nicht bildlich vorstellen.
Die Richtung der Geschichte scheint sich an dieser Stelle abrupt zu ändern. Von einer Moral-Geschichte in eine Spukgeschichte. Oder sollte beides noch verknüpft werden?
Als Grimm-Sozialisierter denkt man natürlich gleich an "Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen".

Ali besteht darauf, in dem großen Haus zu nächtigen.

Denn ich sagte mir in meinem Herzen: "Das ist es, was ich suche! Ich will dort nächtigen, und dann bin ich morgen früh tot und kann von all dieser Not, die ich leide, ausruhen."

***

428. Nacht

Der Kaufmann willigt nur unter der Bedingung ein:

"Stelle mir eine Urkunde aus, dass ich nicht für dich verantwortlich bin, wenn dir etwas zustößt." – "So sei es!", erwiderte Ali. Darauf ward ein Zeuge vom Gericht geholt, und Ali stellte dem Kaufmann die Urkunde aus; der nahm sie in Empfang und gab dem Ägypter den Schlüssel.

Ali befreit ihn sozusagen per Vertrag von der Haftpflicht. Was mit dem "Zeugen" gemeint ist, ist unklar. Vielleicht eine Art Notar?

Nach der zeremoniellen Waschung, den obliegenden Gebeten und dem Abendessen beschließt er "oben" zu schlafen.

Dort entdeckte er eine prächtige Halle, deren Decke vergoldet und deren Boden und Wände mit buntem Marmor bedeckt waren. Er breitete sein Lager aus und setzte sich nieder, indem er Sprüche aus dem hochherrlichen Koran sprach. Doch ehe er sich dessen versah, rief plötzlich ein Wesen die Worte: "O Ali, o Sohn des Hasan, soll ich dir das Gold hinabsenden?"

Das Gold fließt auf Ali herab, und der Geist erklärt,

"dies Gold ist ein Schatz, der von alters her auf deinen Namen verzaubert war."

Dies ist natürlich nur denkbar, wenn man prädestinativ denkt; denn der Schatz muss ja dort liegen, bevor an Alis Geburt überhaupt nur zu denken war.
Unklar: Ist der Geist, der hier den Schatz bewacht, ebenfalls "von alters her" hier? Ist der Schatz älter als das Haus?

Und deshalb wurden alle anderen Besucher getötet. Der Geist eröffnet ihm, es läge für ihn noch ein Schatz im Jemen, und bittet darum, freigelassen zu werden. Aber Ali verlangt von ihm, den jemenitischen Schatz herbeizuholen und ebenso Weib und Kind. Der Geist bejaht.

Dann nahm er Urlaub von ihm auf drei Tage, innerhalb deren all dies bei ihm sein sollte, und eilte fort.

"Urlaub"? Siehe dazu Grimms Wörterbuch

Am frühen Morgen sucht und findet Ali hinter einer Marmorplatte ein Versteck für den Schatz.
Dann setzt er sich auf die Bank und wartet auf den Sklaven des Hausherrn.

Allein wie der ihn dort ruhig sitzen sah, lief er eilends zu seinem Herrn zurück.

***

429. Nacht

Dem Kaufmann verrät Ali nichts vom Erlebten. Aber nun dreht sich seine Lüge gegenüber Kaufmann und Torwächter zur Wahrheit: Seine Güter treffen innerhalb von drei Tagen ein. Man erblickt eine Staubwolke am Horizont.

die tat sich aber auf, und es erschienen unter ihr Maultiere, Männer, Packleute, Zeltaufschläger und Fackelträger, die singend und tanzend daherkamen.

Ausgestorbene und gleichzeitig unklare Berufe: Zeltaufschläger.
Die Diener kommen singend und tanzend daher, da sie angesichts der Stadt das Ende der Reise (und ihrer Plackerei) feiern.

***

430. Nacht

Die Kaufleute der Stadt schicken ihm Geschenke.

Unklar: Warum tun sie das? Vielleicht, um ihn in ihrer Mitte willkommen zu heißen? Oder eigennützig gedacht: Um sich bei ihm einzuschmeicheln?

Der gastgebende Kaufmann bleibt noch bei Ali, und dieser beauftragt ihn, den Eunuchen und Sklaven mit den Mauleseln Gelegenheit zu geben, sich auszuruhen.

Sie konnten kaum warten, bis er ihnen die Erlaubnis dazu gab, und so nahmen sie alsbald Abschied von ihm, zogen zur Stadt hinaus und flogen durch die Luft zu ihren Stätten davon.

Also sind auch diese Geister?

Als sie allein sind, berichtet Alis Weib ihm, wie sie und ihr Sohn sanft durch die Luft geflogen wurden. Ali zu ihr:

"Das alles ward uns durch die Güte Allahs des Erhabenen zuteil."

Wer den Schatz verzaubert hat und ihn an den Geist gebunden hat, bleibt im Dunklen. Allah selber?

415., 416., 417. und 418. Nacht

415. Nacht

El-Mamûn lässt sich, begleitet vom listigen Abu Isa und einigen Hofleuten auf einer Barke namens "Flieger" zum Haus des Hamid et-Tawîl et-Tûsi, das sie unvermittelt betreten, während er gerade auf einer Rohrmatte sitzt und sich von Sängerinnen bespaßen lässt. Er improvisiert ein Gastmahl

Speisen wurden vorgesetzt, aber die bestanden nur aus Vierfüßlern, kein Fleisch von Geflügel war darunter. Von diesen rührte el-Mamûn nichts an.

Unklar: Gilt Geflügel als besonders edel? Oder hat el-Mamûn eine schwache Konstitution, die ihm die Verdauung von Lamm und Rind verbietet.

Abu Isa erkennt den Unmut des Kalifen und schlägt vor:

"Lass uns jetzt in ein Haus gehen, das für dich gerüstet ist, so wie es sich gebührt."

So gelangen sie zum Eigentümer der von Abu Isa begehrten Sklavin. Er

öffnete ihnen einen Saal, der so schön war, wie ihn noch nie jemand gesehen hatte. Dort waren der Boden, die Pfeiler und die Wände mit vielfarbigem Marmor bekleidet…

Befriedigend sind außerdem die Speisen und die Getränke, darunter auch Dattelmost und das Geschirr.

Die Schenken aber, die jenen Most in den Saal trugen, waren mondengleiche Jünglinge, bekleidet mit alexandrinischen Gewändern, die mit Gold durchwirkt waren; und auf der Brust trugen sie kristallene Falschen, voll mit Rosenwasser, die mit Moschus gemischt waren.

Nach dem Mahl kommen diverse Sängerinnen, eine schöner als die andere. Ein bemerkenswertes Lied geht so:

Die Huris und die edlen Frauen fürchten kein übel Gerede
Gleichwie Gazellen von Mekka, das unverletzliche Wild.
Nach ihren schmeichelnden Worten hielte man sie für Dirnen;
Doch schützet sie der Islam, dass ihnen kein hässlich Wort gilt.

Bemerkenswert, wegen des Versuchs, die Spannung aufzulösen, die sich aus dem Gebot der Frömmigkeit und der durch die islamische Praxis geduldeten "Huris und edlen Frauen": Das Tun ist zwar unislamisch, aber da sie es dem Islam zuliebe tun, ist es islamisch. Wobei ich mir eigentlich nicht mal sicher bin, wozu die Huris im Paradies eigentlich gut sind. Vielfach werden sie als Jungfrauen beschrieben. Bleiben sie das?

***

416. Nacht

Es folgen weitere singende Mädchen.

Was geschieht eigentlich mit ihnen, wenn sie älter werden? Werden sie dann an ärmere Herren verkauft?

Schließlich

trat eine Maid heraus, die gleich einem Weidenzweige war; sie hatte ein verführerisches Augenpaar, und ihre Brauen waren wie zwei Bogen anzuschauen.; auf ihrem Haupte trug sie eine Krone aus Gold von rötlichem Schein, besetzt mit Perlen und Edelgestein. Und darunter eine Binde, auf der in Lettern aus Chrysolith dieser Vers geschrieben war:

Eine Fee, von den Dämonen unterwiesen,
Herzen mit dem Bogen ohne Sehn‘ zu treffen.

Jene Sklavin schritt daher wie ein scheues Reh, selbst die Frommen hätten sie angeschaut mit heißem Liebesweh. Und sie ging weiter, bis sie sich auf einen Schemel setzte.

Schon klar, dass dies Kurrat el-Ain sein muss.

***

417. Nacht

Dem Kalifen fällt auf, dass sich Abu Isa mehr noch als die anderen verändert, so sehr schlägt sein Herz. Er bittet sie um ein Lied, dass sie auch vorträgt.
Inzwischen ist Abu Isa fast zu Tränen erstickt und Kurat el-Ain beginnt nun zu improvisieren.

***

418. Nacht

Mit der Erlaubnis des Kalifen antwortet Abu Isa ihr singend.

Die Verse sind banal und lang. Ich spare mir hier ihre Wiedergabe.

Alî ibn Hischâm sprang auf, küsste ihm die Füße und sprach: "Mein Gebieter, Allah lässt die Erfüllung deiner Bitte kommen; denn Er hat dein Geheimnis vernommen. Er willigt ein, dass du sie mit all ihrem Besitze an Seltenheiten und Kostbarkeiten erhältst, wenn der Beherrscher der Gläubigen kein Verlangen nach ihr trägt." Doch el-Mamûn sagte: "Wenn wir auch Verlangen nach ihr hätten, so würden wir Abu Isa den Vorrang vor uns lassen und ihm zum Ziele verhelfen."

Als Abu Isa

sie dann erhalten hatte, führte er sie freudigen Herzens in sein Haus. Schau, wie großmütig Ali ibn Hischâm war.

Wenn man mit den Erzählungen aus 1001 Nächten so verführe wie mit einigen Werken des 20. Jahrhunderts, so stünde nach der Eliminierung der rassistischen Geschichten eigentlich auch die der Sklaven-Geschichten an. Wieviele blieben dann noch übrig? Zwölf Nächte? Oder geht es den Eliminierern wirklich nur um Worte, Worte, Poporte? Die Bedeutung ist einerlei?

***

Die Geschichte von el-Amîn und deinem Oheim Ibrahîm ibn el-Mahdi

El-Amîn, der Bruder von el-Mamûn, trat einst in das Haus seines Oheims Ibrahîm ibn el-Mahdi.

Hier zur Aufklärung der Verwandtschaftsverhältnisse: Das Besondere – alle drei waren Kalifen in Bagdad und mit Harûn er-Raschîd verwandt. El-Amîn und el-Mamûn waren beide seine Söhne. Ibrahîm ibn el-Mahdi war Harûns Bruder und folgte erst el-Mamûn auf den Thron.
Die Geschichte spielt also zur zur Herrschaftszeit von el-Amîn.

Dort sieht er eine schöne Sklavin, in die er sich verliebt.

Doch als sein Oheim Ibrahîm erkannte, wie es um ihn stand, schickte er ihm die Sklavin zu. (…) Als el-Amîn sie sah, glaubte er, sein Oheim Ibrahîm habe sie bereits erkannt, und darum mochte er ihr nicht mehr beiwohnen. So nahm er sie denn hin, was sie an Geschenken mitgebracht hatte; sie selbst aber sandte er zurück.

Das ist doch wohl bemerkenswert: Egal wie groß die Liebe sein mag – dass ein anderer sie gehabt haben könnte, zerstört diese Liebe.

Der auch als großer Dichter bekannte Ibrahîm ibn el-Mahdi legt ihr ein Hemd an, auf das er schreiben lässt:

Fürwahr, bei ihm, vor dem sich alle Stirnen neigen,
Was unter diesem Saume ist, dass kenn ich nicht.
Auch ihren Mund berührt ich nie; mein einzig Trachten
War, was das Auge sieht und was die Zunge spricht.

Als sie nun wieder bei el-Amîn eintrifft, singt sie zur Laute:

Du nahmst die Gabe nicht und zeigtest, was du denkest;
Dass du dich von mir trennest, ward mir kund und klar.
Doch wenn du Anstoß nimmst an etwas, das vergangen,
Verzeih du als Kalif, was längst schon nicht mehr war.

 

392. Nacht

Ich kann die Faszination der Katholiken für ihre Religion schon verstehen: So viel undurchschaubarer Hokuspokus, unerklärlicher Sinn und Rituale, die ihren Sinn erst dadurch erhalten, dass man auch auf Nachfrage keine nachvollziehbare Antwort bekommt. Man fühlt sich wieder ein wenig wie ein Fünfjähriger, der ein seltsames Märchen in altertümlicher Sprache erzählt bekommt: „Vor langer Zeit, als das Wünschen noch geholfen hat, …“
Und nun ist der Papst abgetreten. Fast ein säkularer Akt. Wir erinnern uns noch an den röchelnden Johannes Paul II., der sich in seinem Todesjahr zu Ostern noch mal ans Fenster gewagt hat, um den Segen zu sprechen zu probieren. Man hörte nur ein Grunzen, und die Welt der Katholiken fand ihn so würdevoll und charismatisch.
Diese Würde konnten sie ihm freilich nur im Nachhinein verleihen. Es gab den sportlichen Karol, den Karol, der im Laufschritt eilen musste, sonst hätte er seine eigene Wahl verpasst, den ersten Papst, der um die Welt düste.
Aber einen röchelnden Benedikt, das wollte Ratzinger weder den Mit-Katholiken noch sich selber antun. Bei ihm hätte man bestenfalls Mitleid empfunden.
Und was wird nun, da der Alte zurückgetreten ist, aus dem Fischerring? Zerbrechen darf man ihn erst nach dem Tod des Papstes, aber darf Ratze ihn behalten? Muss man noch „Papst“ zu ihm sagen, so wie man zu Ex-US-Präsidenten auch immer noch „Mr. President“ sagen sollte, wenn man einen knietiefes Fettnapf zu vermeiden sucht.
Achso, der Fischerring:

So sah das Teil von Leo XIII. aus.
 
Und so Leo XIII. selber, der erste Papst, von dem es Film- und Audio-Aufnahmen gab.
***
392. Nacht
Jahja nimmt die Kunde vom mit dem Gelde fortgelaufenen Bettler leicht:
„Bei Allah, hätte er auch sein ganzes Leben bei mir verweilt, bis ihn der Tod ereilt, ich hätte ihm nie meine Spende entzogen, noch ihn um die Wohltat meiner Gastfreundschaft betrogen.“ Keine Zahl kann die Vorzüge des Barmekiden umfassen, und ihre Eigenschaften waren so herrlich, dass sie sich nicht beschreiben lassen. (…)
Die Güte fragt ich: Bist du frei? Sie sagte Nein,
Ich muss dem Sohne Châlids, Jahja, Sklavin sin.
Drauf ich: Bist du gekauft? Sie sagte: Das sei fern!
Als seiner Väter Erbe diene ich ihm gern.
Die Geschichte von Mohammed el-Amîn und Dscha’far ibn Mûsa
Dscha’far ibn Mûsa el-Hâdi besitzt eine schöne Lautenspielerin, auf die Mohammed el-Amîn, der Sohn Zubaidas, ein Auge geworfen hatte. Er bittet Dscha’afr, sie ihm zu verkaufen. Dieser erwidert:
„Du weißt, es geziemt sich nicht für Männer meines Ranges Sklavinnen zu verkaufen und um Nebenfrauen zu feilschen. Wäre sie nicht in meinem Hause aufgewachsen, so würde ich sie dir als Geschenk übersenden.“
Eines Tages speisen und zechen die beiden zusammen, und die el-Badr el-Kabîr spielt für die beiden. Da macht Mohammed den Dscha’far betrunken und nimmt die Schöne mit sich.
Aber er streckte nicht die Hand nach ihr aus.
Als ob das jetzt noch glaubwürdig wäre.
Als Dscha’far den Besuch erwidert, lässt Mohammed die Sklavin für die beiden spielen. Dscha’far unterdrückt seinen Zorn. Daraufhin belohnt Mohammed el-Amîn seinen Freund, indem er dessen Boot voller Silber, Gold, Rubinen und Juwelen füllen lässt.
Solcherart sind die edlen Taten der Vornehmen – Allah habe sie selig.
Die Geschichte von den Söhnen Jahjas ibn Châlid und Sa’id ibn el-Bâhili
Diese Geschichte wird von Sa’id ibn ek Bâhili selber erzählt.
Als Sa’id einmal in Not gerät, wendet er sich an den Weisen Abdallâh ibn Mâlik el-Chuzâ’i, der ihm rät, sich an die Barmekiden zu wenden.
Von diesem Weisen war bereits in der 306. Nacht die Rede.
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346. – 356. Nacht

Nestbau nennt man das jetzt wohl. Seit meinem zwanzigsten Lebensjahr immer aus Kompromissen zwischen Geldbeutel, Ererbtem und Ansätzen eigenen Geschmacks lebend. Die Wohnung ist ja groß genug, aber das Verrücken der tatsächlichen Möbel ist doch etwas anderes als das Hin und Herschieben von Schnipseln auf Millimeterpapier. Umso schlimmer, wenn man sich andauernd sorgen muss, dass etwas kaputtgeht, wovon man bei den schwedischen Möbeln ja ohnehin schon ausgeht, aber dass der in der Annahme, Altes sei stabiler, gekaufte Antikschrank das labilste aller Gegenstände ist, kann einen schon zum Weinen bringen. Im Moment besteht der einzige Grund, dass ich ihn nicht weiterverkaufe, darin, dass Uli für mich bis tief ins Brandenburgische mit mir und einer Robbe gefahren ist. Nachts.
Wie machen das eigentlich die Vögel bei ihren Nestern? Das hat denen doch auch keiner gezeigt.

**

Ähnlich wie der Hauptmann von Bulak stellt sich nun auch bei Hauptmann von Kûs heraus, dass er mit Zinn, Kupfer und Glaswaren betrogen wurde.

Mit dieser Pointe erscheint die Erzählung eigentlich nur als Variation der anderen.

***

Die Geschichte von Ibrahim ibn el-Mahdi und dem Kaufmanne

Der Kalif el-Mamûn bittet seinen OnkelIbrahim ibn el-Mahdi:

"Erzähle uns das Wunderbarste, das du je erlebt hast."

Es folgt die Geschichte. Ibrahim geht eines Tages spazieren und gelangt an einen Ort, wo es nach Speisen riecht,.

Wie ich nun zufällig den Blick hob, entdeckte ich ein Gitterfenster und hinter ihm eine Hand und ein Handgelenk, wie ich es noch nie gesehen hatte.

Einen zufällig vorbeikommenden Schneider fragt er nach dem Eigentümer des Hauses.

Er heißt Soundso, Sohn des Soundso, und er verkehrt nur mit Kaufherren.

Und als auch noch zwei hohe Gäste im Begriffe, sind heranzureiten, fragt er den Schneider auch nach deren Namen. Mit diesen Informationen behauptet er gegenüber den beiden Kaufleuten, den Hauseigentümer zu kennen. Zu dritt gehen sie ins Haus, und der Hausherr glaubt wiederum, Ibrahim sei ein Freund der beiden Kaufleute. Die vier beginnen ein Wetttrinken. Schließlich tritt eine schöne Sklavin ein.

Und sie griff zur Laute, begann zu singen und ließ dies Lied erklingen:

Ist’s denn nicht wunderbar, dass ein Haus uns umschließet,
Und dass du mir nicht nahst, dein Mund kein Wörtlein sagt?
Die Augen melden nur der Seelen heimlich Sehnen;
Sie künden, wie die heiße Glut an Herzen nagt.
Und blicke geben Zeichen, Augenbrauen nicken,
Und Lider brechen, während Hände Grüße schicken.

Dies kann unser Gast natürlich nur als Zeichen verstehen. Er provoziert sie:

"Dir fehlt noch etwas, Mädchen!"

Sie wirft die Laute fort, und er singt, als eine neue Laute gebracht wird, ein Lied, das ihr sein Erkennen signalisiert. Dem Hausherrn wird nun klar, dass er es mit einem höheren Herrn zu tun hat und fragt nach seinem Namen.

Wegen der Fähigkeit zum Saitenspiel?

Sowie er meinen Namen erfuhr, sprang er auf.

*

347. Nacht

Die Sängerin ist aber noch nicht die Sklavin "mit dem Handgelenk". Man lässt alle Sklavinnen kommen, aber die, welche Ibrahim sucht, ist nicht darunter. Jetzt wird’s heikel; denn die einzigen verbliebenen Frauen sind Schwester und Weib des Kaufmanns. Die Schwester ist’s.

Zum Glück, muss man wohl sagen…

Die Hochzeit wird mit zwanzigtausend Goldstücken Morgengabe und den Kaufleuten als Trauzeugen geschlossen.

Und bei deinem Leben, o Beherrscher der Gläubigen, er sandte sie mir mit einer so großen Ausstattung, dass unser Haus trotz seiner Größe sie kaum fassen konnte.

***

Die Geschichte von der Frau, die dem Armen den Almosen gab

Ein König verbietet in seinem Reich das Almosengeben bei der Strafandrohung des Handabschlagens.

Er kann wohl kaum muslimisch sein, da hier das Almosengeben eine derfünf Säulen des gottgefälligen Lebens ist.

An das Haus einer Frau kommt ein Bettler und bittet um Almosen.

*

348. Nacht

Wie es so kommt: Sie gibt ihm zwei Brote, der König erfährt davon und lässt ihr die Hände abschlagen.
Als sich der König nach einer Weile vermählen will, berichtet ihm seine Mutter:

"Unter meinen Sklavinnen ist ein Weib wie kein schöneres gefunden werden kann; doch sie hat einen großen Fehler." – "Als er fragte: "Was ist denn das?", erwiderte sie: "Ihr sind die Hände abgeschlagen."

Tatsächlich heiratet er sie, doch die anderen Frauen des Königs werden neidisch auf sie und verleumden sie als Ehebrecherin, woraufhin er das arme Weib von seiner Mutter in die Wüste schicken lässt. Sie wandert

mit dem Knäblein auf der Schulter.

Von dem zuvor keine Rede ist.

Als sie sich beim Trinken am Bach überbeugt, fällt das Kind hinein.

Da kamen plötzlich zwei Männer vorbei, die angesichts ihres Kummers für sie beten. Und ruckizucki hat sie sowohl Hände als auch Knäblein wieder.

"Wir sind deine beiden Brote, die du dem Bettler geschenkt hast. Das Almosen war ja der Grund, dass deine Hände abgeschlagen wurden. Doch nun lobe Allah den Erhabenen, der dir deine Hände und dein Kind zurückgegeben hat!"

In ihrer Botschaft: Vertraue auf Gott! erinnert die Geschichte an eine Mischung aus Allerleirauh und Hiob.

***

Die Geschichte von dem frommen Israeliten

Unter den Kindern Israels lebte einmal ein frommer Mann.

Ein bemerkenswerter Anfang. Bislang war in den 1001 Nächten nur wenig Gutes über Juden zu lesen.

Dieser Mann ist Baumwollspinner und seine Erlöse aus dem Verkauf des Garn genügen irgendwann nicht mehr.

Nun besaßen sie noch einen geborstenen Holznapf und einen Krug.

Diese hofft er, verkaufen zu können.

Während er so im Basar dastand, kam zufällig ein Mann an ihm vorbei, der einen Fisch trug.

*

349. Nacht

Der Fisch stinkt und ist aufgedunsen, aber sie gehen trotzdem den Handel ein. Angewidert macht sich die Familie daran, den Fisch aufzuschneiden. Darin aber finden sie eine Perle.

Das meldeten sie dem Ältesten, und der sprach: "Schaut nach! Wenn sie durchbohrt ist, so gehört sie einem anderen Menschen; ist sie aber noch undurchbohrt, so ist sie eine Gnadengabe, die euch Gott der Erhabene schenkt."

Tatsächlich ist sie undurchbohrt. Der Baumwollspinner erhält dafür siebzigtausend Dirhems und gibt einem Bettler die Hälfte davon. Dieser erwidert:

"Behalte dein Geld, nimm es wieder. Gott gesegne es dir. Wisse, ich bin ein Bote Gottes, er hat mich zu dir gesandt, um dich zu prüfen!" Nun rief der Israelit: "Gott sei Lob und Preis!" Und er lebte immerdar mit den Seinen in aller Lebensfreude, bis er starb.

Anscheinend kommen wir nun von der Hauptmann-Schelmen-Reihe zu den Almosen-Anekdoten.

***

Die Geschichte von Abu Hassan ez-Zijâdi und dem Manne aus Chorasân

Abu Hassan ez-Zijâdi berichtet.

Ob dieser Abu Hassan ez-Zijâdi eine historisch reale Person ist, erfahren wir nicht.

Als er in Not gerät und Bäcker und Krämer bereits bei ihm seine Schulden eintreiben wollen, kehrt ein Pilger aus Chorasân bei ihm ein, der zehntausend Dirhems bei ihm lagern will. Kehre er nicht mit der Karawane zurück, so möge er das Geld behalten.

Ich aber ließ die Geschäftsleute kommen und bezahlte alle meine Schulden.

Die Geschichte wird ihr von Schehrezâd unterbrochen, und nach meinen bisherigen Erfahrungen ist alles möglich: Die Veruntreuung wird bestraft oder verziehen oder gar noch durch das Schicksal belohnt.

*

350. Nacht

Tatsächlich gibt Abu Hassan ez-Zijâdi das Geld aus:

"Bis er zurückkehrt, wird Allah uns schon etwas von seiner Gnade zuteil werden lassen." Aber kaum war ein Tag verronnen, da kam der Diener wieder zu mir herein und meldete: "Dein Freund aus Chorasân steht an der Tür."

Eine kurze Pilgerfahrt war das wohl.

Grund: Der Vater ist gestorben. Er vertröstet den Pilger, er müsse das Geld erst holen, verschwindet aber nachts auf seinem Maultier und reitet ziellos durch Bagdad. Eine Menge fragt ihn, ob er Abu Hassan ez-Zijâdi kenne.

"Der bin ich", antwortete ich ihnen.

Man bringt ihn zum Kalifen el-Mamûn, und jetzt erfahren wir, dass er

einer von den Rechtsgelehrten und von den Kennern der Überlieferungen

ist. El-Mamûn gesteht, in der Nacht von einer Traumstimme geplagt worden zu sein, die ihm sagte:

"Hilf Abu Hassan ez-Zijâdi!"

Der Kalif schenkt ihm dreißigtausend Dirhems. Abu Hassan ez-Zijâdi will nun die zehntausend an den Chorasânier zurückgeben, doch dieser erlässt ihm die Summe, als er die Geschichte vernommen hat.

*

351. Nacht

Am nächsten Tag erhält er

Die Urkunde der Bestallung als Kadi für den Westbezirk der heiligen Stadt Medina vom Tor des Friedens.

***

Die Geschichte vom Armen und seinen Freunden in der Not

Ein Mann gerät in Bedrängnis, leiht sich von seinen Freunden fünfhundert Dinare und beginnt Handel als Juwelier.

Wie er dort in dem Laden saß, kamen drei Männer zu ihm und fragten ihn nach seinem Vater. (…) "Hat er denn keine Nachkommen hinterlassen?"

Klingt fast wie die drei Weisen aus dem Morgenlande.

Sie sagen, sie hätten den Vater gekannt und von ihm Geld geliehen, dass sie ihm nun zurückgeben wollten. Er will seine Schuld, doch der Freund erlässt ihm die Schuld und gibt ihm einen Brief mit auf den Weg, den er aber erst zuhause öffnen soll.

Die Männer, die dir nahten, die waren von den Meinen:
Mein Vater, Vetter, Oheim, er Salih Alis Sohn.
Und was du bar verkauftest, das kaufte meine Mutter;
Das Geld und die Juwelen sandt ich dir all zum Lohn.
Nicht um dich zu verletzen, bin ich so verfahren:
Ich wollte die Gefahr der Schande dir ersparen.

***

Die Geschichte von dem reichen Manne, der verarmte und dann wieder reich wurde

Ein reicher Mann aus Bagdad verliert sein Geld,

und er konnte sein Dasein nur durch schwere Arbeit fristen.

In der aktuellen Ausgabe des Philosophie Magazin wird ausgiebig diskutiert "Macht Arbeit glücklich"? Darin finde ich eine Stelle von Aristoteles, in der es heißt: "Als eine banausische Arbeit… hat man jene aufzufassen, die den Körper oder die Seele oder den Intellekt der Freigeborenen zum Umgang mit der Tugend und deren Ausübung untauglich macht. Darum nennen wir alle Handwerke banausisch, die den Körper in eine schlechte Verfassung bringen, und ebenso die Lohnarbeit. Denn sie machen das Denken unruhig und niedrig." Dies ist ein Gedanke, den der 2007 verstorbeneMichael Stein in seinem Gebet gegen die Arbeit so formuliert hat:

Arbeit, Geissel der Menschheit.
Verflucht seist du bis ans Ende aller Tage.
Du, die du uns Elend bringst und Not.
Uns zu Krüppeln machst und zu Idioten.
Und schlechte Laune schaffst und unnütz Zwietracht säst.
Uns den Tag raubst und die Nacht.
Verflucht seist du!
Verflucht!
In Ewigkeit.
Amen.

**

Im Traum weist ihm eine Stimme, sein Glück läge in Kairo. Er reist tatsächlich dorthin und legt sich in der Nähe einer Moschee schlafen. Im Haus nebenan wird eingebrochen, man verhaftet ihn als vermeintlichen Dieb, prügelt ihn und wirft ihn ins Gefängnis. Dem Wachhauptmann, der ihn befragt, erzählt er die Geschichte seines Traums. Der Hauptmann lacht ihn daraufhin aus,

so dass man seine Backenzähne sehen konnte,

das wäre ja ein schönes Glück gewesen. Er selber habe dreimal im Traum ein Haus in Bagdad gesehen, in der und der Straße, wo ein Schatz vergraben sei, aber sei klug und würde nie auf solche Träume etwas geben. Er entlässt ihn.

Und dies ist vielleicht eine der fiesesten Unterbrechungen Schehrezâds.

*

352. Nacht

Natürlich findet er den Schatz und ist ein gemachter Mann.

Ein starker Mythos mit einer guten Klammer, was ja sonst nicht so sehr die Stärke dieser Erzählungen ausmacht.

 

***

Die Geschichte von dem Kalifen El-Mutawakkil und der Sklavin Mahbuba

Unter den Hunderten Sklavinnen des KalifenEl-Mutawakkil ala-llâh befindet sich eine Mulattin aus Basra;

die übertraf alle an Schönheit und Lieblichkeit, Anmut und Zierlichkeit.

Eines Tages überwirft er sich mit ihr und verbietet allen, mit ihr zu sprechen. Doch schon bald träumt er, sich mit ihr versöhnt zu haben, und eine Dienerin flüstert ihm zu, Gesang aus ihrem Zimmer vernommen zu haben. Durch ihr Lied wird ihm klar, dass sie denselben Traum wie er gehabt haben muss.

Von den Armuts- und Almosenanekdoten also zu den Traumgeschichten.

Die beiden versöhnen sich.

Versöhnung in Leibeigenschaft!

*

353. Nacht

Als El-Mutawakkil stirbt, ist die Sklavin Mahbûba die einzige, die ihn nicht vergisst. Als sie schließlich auch stirbt, wird sie neben ihm begraben.

Und seine Frau?

***

Die Geschichte von Wardân dem Fleischer mit der Frau und dem Bären

Bei Wardân, einem Kairoer Fleischer kauft eine Frau jeden Tag ein Schaf für zweieinhalb Dinare und lässt es von seinem Diener forttragen, der ihm berichtet, sie würde außerdem auch bei anderen Händlern

Zukost zum Fleisch, ferner Früchte und Kerzen, und (…) bei einem Christenkerl zwei Flaschen Wein.

Dies alles müsse er zum Garten des Wesirs tragen, woraufhin ihm die Augen verbunden würden, man ihn weiter führe und er alles abstelle, bis man ihn zurück führe. Am nächsten Tag folgt der der Fleischer Wardân dem Träger und der Dame.

354. Nacht

Wardân sieht, dass Träger und Dame keinesfalls, wie man annehmen könnte, in den Garten des Wesirs gehen, sondern in eine Steinwüste, dort in eine Höhle, die unter einer Falltür aus Messing versteckt ist. Die Dame entlässt den Träger, während sich Wardân hinter einem Fenster versteckt. Er sieht, dass sie all das Essen für einen Bären zubereitet, dem sie sich schließlich hingibt:

Sie gewährte ihm das Beste, was den Menschenkindern gehört.

So kann man es natürlich auch ausdrücken.

Als die beiden

es zehnmal getan hatten,

legen sie sich zum Schlafen nieder und Wardân schlachtet den Bären.

Interessantes Detail: In Ägyptengibt es überhaupt keine Bären.

Als sie erwacht, ist sie erbost und macht ihm ein Angebot.

*

355. Nacht

"Willst du auf das hören, was ich dir sage und dadurch gerettet werden und bis zum Ende deiner Tage in Reichtum leben? Oder willst du mir zuwiderhandeln und dadurch dich ins Verderben stürzen?"

Die Bedingung lautet:

"Töte mich!"

Nach einigem Hin und Her willigt er ein

und sie fuhr hinab zum Fluche Allahs und der Engel und aller Menschen.

Noch in der Wüste wird er von zehn Männern überrascht, die sich als Gesandte des Kalifenel-Hâkim bi-amri-llâh erweisen.

Eine seltsame Begegnung, den gerade dieser Kalif (den die Drusen später als Gott verehrten) führte ein striktes Alkoholverbot auch gegen die Christen ein. Und wie wir oben erfahren haben, kaufte der Träger Wein bei einem "Christenkerl". Was weiß ich sonst ohne Wikipedia von den Drusen? Dass sie im Libanon leben und ihre Milizen von einem Mann mit dem schönen Namen Dschumblat geführt wurden. Nachschlagen zeigt, dass in ihrer Religion das Konzept von Parallelwelten eine große Rolle spielt.

Man kehrt samt Kalif zurück zur Höhle und Wardân darf so viel vom Schatz behalten, wie er mitnehmen kann. Er eröffnet einen neuen Laden im Basar.

Dieser Basar aber ist noch bis auf diesen Tag vorhanden, und er ist bekannt als Wardâns Basar.

***

Die Geschichte von der Prinzessin und dem Affen

Die Tochter eines Sultans ist in einen Schwarzen verliebt, der ihr das Mädchentum nimmt.

Und sie entbrannte in solcher Lust, dass sie die Trennung von ihm nicht eine Stunde ertragen konnte.

Wieder eine schöne Rassismusspielart. Der Schwarze ist bedrohlich, weil er die Lust im Mädchen weckt. Aber es kommt noch besser:

Ein Affenführer kommt am Palast vorbei. Sie zwinkert diesem zu, er befreit sich und klettert zu ihr empor. Fortan lebt er in ihrem Zimmer, trinkt, isst und schläft mit ihr.

*

356. Nacht

Die Tochter erfährt von den Mordplänen ihres Vaters, verkleidet sich als Mamluk und flieht nach Kairo, wo sie täglich bei einem Fleischer Fleisch kauft, was diesem seltsam vorkommt.

Dem Leser auch. Es wirkt wie eine Variation der vorigen Geschichte.

Auch dieser Fleischer tötet das Tier. Aber diesmal nicht die Frau, sondern nimmt sie mit zu einem alten Weib. Diese bereitet ein Gebräu aus Essig undSpeichelwurz, dessen Dampf der Frau in den Unterleib steigt, woraufhin ein schwarzer und ein gelber Wurm herausfallen.

Die Alte sprach aber: "Der eine ist durch die Lust mit dem Neger entstanden, der andere durch die Lust mit dem Affen."

Schlimmer geht’s wohl kaum.

 

336. – 345. Nacht

Ich habe 666 "friends" bei Facebook. Davon blende ich ca. die Hälfte aus. Vom Rest postet ein Drittel so gut wie nie. Vier Personen, die mich nicht kennen, habe ich "abonniert". So entsteht eigentlich eine hübsche personalisierte Tageszeitung. Nur – die Lektüre müsste man beschränken auf einmal pro Tag. Das Suchtpotential ist ja unbestreitbar.
Ab und zu schaue ich mir E-Mails von vor 10 Jahren an. Erstaunlich, wie oft darin "Microsoft" oder "Bill Gates" als das Synonym für das absolut Böse genannt werden. Wer redet heute noch von Microsoft? Facebook, Google und DER STAAT bedrohen unsere Daten, unsere Identität. Was wird uns in 10 Jahren ängstigen?

*

336. Nacht

Die Dicke beginnt ihren Beitrag zum Battle:

"Der Erhabene sprach: Und er brachte ein fettes Kalb. 336 (…)

Sag deinem Lieb Lebwohl! Die Karawane wandert;
Kannst du das Lebewohl ertragen, o du Mann?
Es ist, als sei ihr Gang im Hause ihrer Nachbarn
Der Fetten Gang; ihr haftet kein Fehl, kein Ekel an.

Und die Weisen sagen: Die Lust liegt in drei Dingen, Fleisch essen, auf Fleisch reiten und Fleisch in Fleisch stecken. Doch was dich angeht, du Dünne, so können deine Beine den Spatzenbeinen und den Ofenstochern gleich erscheinen; du bist ein kreuzförmiges Brett, ein Stück schlechten Fleisches ohne Fett."

Die Dünne rezitiert:

"Ich habe deinen Wuchs mit einem Rohr verglichen;
Ich habe mir dein Bild zum Stern des Glücks gemacht.
In heißer Leidenschaft bin ich dir nachgegangen
Voll Furcht, dass über dir ein böser Späher wacht.

Aber du da, du Fettwanst, wenn du issest, so frisst du nach Elefantenweise. (…) Lässest du Wasser, so spritzest du; lässest du Kot, so birst du, als wärst du ein Schlauch. (…)

So schwer wie die geschwollene Blase ist sie gar;
Zwei aufgetürmten Bergen gleicht ihrer Lenden Paar.
Schleppt sie im Land des Westens sich hin mit ihrem Schritt,
So bebt durch ihre Schwere sogleich der Osten mit."

*

337. Nacht

Die Gelbe:

"Ihr leuchtend Gelb ist wie der Sonne Strahlenschein;
und sie entzückt das Auge wie Golddinare fein.
Der gelbe Safran auch kann ihrem Glanz nicht gleichen.
Ja, selbst der Mond muss ihrer Schönheit weichen."

Die Schwarze rezitiert einen Dichter:

"Wer bringt mir eine Braune von vielbesungnem Wuchse,
Der braunen, schlanken Speere vom Samhar-Rohre gleicht,
it sehnsuchtsvollen Lidern und seidenweichem Flaume,
Die aus dem wunden Herzen des Liebsten nie entweicht?"

*

338. Nacht

Der Herr der Sklavinnen versöhnt sie wieder miteinander und beschenkt sie mit Gewändern und Juwelen.

Gibt es derartige Versöhnungsrituale auch bei Rap-Battles?

Als El-Mamûn diese Geschichte hört, begehrt er sofort diese Frauen und will sie ihrem Herrn abkaufen. Dieser willigt, als man ihm die Nachricht überbringt, tatsächlich ein. Doch nach einigen Wochen, in denen sich der Kalif mit den sechs Grazien vergnügt, reut es ihn und er schickt dem Kalifen ein Lied, der ihm die Sklavinnen zurückschickt und sechzigtausend Dinare obendrauf legt.

Fragen wir nicht, wie es den Sklavinnen bei solchem Hin und Her erging.

***

Die Geschichte von Harûn er-Raschîd, der Sklavin und Abû Nuwâs

Den Kalifen Harûn er-Raschîd plagt wieder einmal die Schlaflosigkeit und er wandelt durch seinen Palast, bis er an ein Gemach kommt, in dessen hinterem Ende er eine schwarze menschliche Gestalt entdeckt. Neben ihr einen Becher Wein.

Als der Beherrscher der Gläubigen das bemerkte, erstaunte er noch mehr in seiner Seele, und er sprach: "Gehört sich dergleichen für einen Schwarzen wie den da?"

Natürlich ist der Verstoß gegen das islamische Saufverbot Weißen wie dem Kalifen vorbehalten.

Drauf trat er näher an das Lager heran und sah, dass die Gestalt auf ihm eine schlafende Sklavin war, die ganz von der Fülle ihrer Haare bedeckt wurde.

Er küsst sie wach, und sie spielt auf einer Laute

einundzwanzig Weisen. Zuletzt kehrte sie zu der ersten Weise zurück.

*

339. Nacht

Die Sklavin berichtet, darunter zu leiden, dass sie, nachdem sie vom Sohn des Kalifen für zehntausend Dirhem gekauft worden war, dessen Ehefrau dafür sorgte, dass sie von seinen Gemächern ferngehalten würde. Der Kalif gewährt ihr eine Bitte:

"Ich erbitte mir von dir die Gnade, dass du morgen nacht bei mir verweilst."
"So Gott will."

Wie sah und sieht man eigentlich diese extreme Polygamie bei muslimischen Herrschern, wo doch der Koran von maximal vier Frauen spricht?

Am nächsten Morgen ruft Harûn seinen Dichter und Begleiter Abu Nuwâs zu sich, der aber in einer Schenke festgehalten wird, wo er tausend Dirhems für

einen schönen Knaben

ausgegeben hat. Der Kammerdiener, nachdem er die Schönheit des (Lust?)Knaben bei einer Art Striptease, der der Brautentschleierung nachempfunden wird 339, selber zuschauen konnte, zahlt die tausend Dirhem aus des Kalifen Kasse. Beide kehren zu diesem zurück, und dieser fordert vom Dichter:

"Sing mir ein Lied, in dem die Worte vorkommen: O Getreuer Gottes, was mag das sein?"

"Das klingt nach einem Lied" nennen wir das Impro-Spiel.

*

340. Nacht

Abu Nuwâs trägt dem Wunsch des Kalifen gemäß ein Lied vor, beschreibt darin jedoch genau dessen Erlebnis mit der schwarzhaarigen Sklavin in der letzten Nacht.

Da rief der Kalif: "Allah strafe dich! Es ist ja, als ob du bei uns gewesen wärest!"

Er führt ihn zur Sklavin und macht ihn dort betrunken,

bis er seiner Sinne nicht mehr Herr war (…) Nun befahl der Kalif der Sklavin, den Becher aus seiner Hand zu verstecken; sie nahm ihm den Becher ab und verbarg ihn zwischen ihren Lenden. Darauf aber zückte der Kalif das Schwert, stellte sich zu Häupten des Dichters auf und stach ihn mit der Schwertspitze (…): "Trage mir ein Lied vor und sage mir darin, wo dein Becher ist, sonst lasse ich dir den Kopf abschlagen."

Eigentlich hat Abu Nuwâs keine Chance; denn da er diese Körperstelle nicht benennen darf ist er so oder so des Todes.

Was ich sage, das ist seltsam;
Die Gazelle war der Dieb!
Sie stahl meines Weines Becher,
Als aus ihm ein Zug mir blieb.
Sie verbarg ihn an dem Orte,
Der das Herze mir betört.
Ihn nenn ich aus Furcht nicht, weil er
Dem Kalifen angehört.

Verärgert und verwundert beschenkt Harûn seinen Dichter mit tausend Dinaren, und damit endet diese "Geschichte".

***

Die Geschichte von dem Manne, der die Goldene Schüssel stahl, aus der er mit dem Hunde gegessen hatte

Ein Mann gerät in tiefe Armut und verlässt Frau und Kind. In einer fremden Stadt folgt er einer Schar vornehmer Leute zu einem Palast, dessen Herr umringt wird von Dienern und Eunuchen,

als ob er einer von den Söhnen der Wesire wäre.

Eine interessante Form der Prachtbeschreibung: Es ist weder der Herrscher noch der Wesir, aber immerhin ein Wesirsohn. Oder sollten Wesirsöhne bekannt für ihre Prunksucht gewesen sein?

*

341. Nacht

Schließlich taucht ein vornehmer Mann mit vier Hunden an diesem Hof auf, die er aus goldenen Schüsseln fressen lässt. Der Arme kann sich vor Hunger kaum zurückhalten, aber es überwiegt die Furcht vor den Hunden.

Doch plötzlich sah einer der Hunde ihn an, und da Allah dem Tiere Kenntnis von dem Zustande des Armen verliehen hatte,

Der Arme isst von der Schüssel, und als er fertig ist, schiebt ihm der Hund die Schüssel zu. Der Alte nimmt sie mit, verkauft sie in der Stadt und aus dem Erlös treibt er Handel, so dass sich sein Wohlstand vermehrt. Eines Tages sagt er sich:

"Ich muss nun zu jener Stadt reisen, dorthin, wo der Besitzer der Schüssel wohnt; ich will ihm ein schönes und geziemendes Geschenk bringen und ihm den Preis der Schüssel bezahlen, die mir einer seiner Hunde geschenkt hat."

Doch er muss sehen, dass die Stätte inzwischen in Trümmern liegt.

Wie er sich umwandte, sah er einen armen Mann in einem Zustande, der die Haut erschauern machte und dem selbst der härteste Felsen Mitleid entgegenbrachte.

Es stellt sich heraus, dass dies der ehemalige Besitzer des Palastes ist. Der Händler bietet ihm nun Geld im Werte der Schüssel an.

Aber der Alte schüttelte den Kopf, weinte und klagte, seufzte und sagte: "Du da, ich glaube, du bist von Sinnen! So etwas tut ein verständiger Mann nicht. Wie wäre es möglich, dass ich eine goldene Schale, die einer unserer Hunde dir geschenkt hätte, wieder an mich nähme! (…) Wäre ich auch von grimmiger Not und Sorge beschwert, bei Allah, ich nähme nichts an von dir, und hätte es auch nur eines Nagelspans Wert!"

Der Händler kehrt um und rezitiert:

Nun sind sie alle fort, die Menschen und die Hunde;
Drum ruhe auf den Menschen und den Hunden Friede!

Die Moral der Geschichte etwas undurchsichtig, da sie beide Verhaltensweisen als sittlich gelten lässt.

 

***

Die Geschichte von dem Schelm in Alexandrien und dem Wachthauptmann

In Alexandrien lebt ein Wachthauptmann namens Husâm ed-Dîn.

Der Name taucht in der Geschichte nie wieder auf und ist auch wegen des Anekdotencharakters beinahe irrelevant. Dagegen hätte man es in der vorigen Geschichte schon gern ein wenig konkreter gehabt.

Zu diesem Hauptmann kommt eines Nachts ein Krieger der behauptet, ihm seien tausend Goldstücke im Chân Soundso geraubt worden.

Jetzt geht es wieder mit den Soundsos los. Das Schema, wann etwas konkret benannt und wann im Vagen gelassen, bleibt unklar.

Der Hauptmann befiehlt, alle Bewohner des Châns festzunehmen und Folterwerkzeuge zu bringen, um den Täter zu identifizieren.

So grausam es sein mag – die Folter könnte bei Diebstählen tatsächlich als  Mittel zur Wahrheitsfindung gedient haben: Nur der Täter hat die Möglichkeit, den Ausweg aus der Tortur zu finden, indem er gesteht. (Freilich in der Regel um den Preis einer Hand)

*

342. Nacht

Doch es drängelt sich jemand durch die Menschenmenge, der gesteht, den Beutel gestohlen zu haben und ihn vor dem Krieger und dem Hauptmann ablegt. Die Menge preist ihn daraufhin, und der Schelm sagt, das sei noch gar nichts, er werde den Geldbeutel ein zweites Mal stehlen. Er berichtet lang und breit, wie er den Krieger seit Tagen verfolgt habe und nun nachts zugeschlagen habe. Plastisch erzählt er schließlich:

"Alsbald schlich ich ganz leise zu ihm, schnitt die Satteltasche mit dem Messer auf und nahm den Beutel an mich." Mit diesen Worten streckte er seine Hand aus und nahm den Beutel vor den Augen des Hauptmanns und des Kriegers. Da traten die beiden und all das andere Volk zurück, um ihm zuzuschauen; denn sie glaubten, er wolle ihnen zeigen, wie er den Beutel aus den Satteltaschen genommen hätte. Er aber lief auf und davon und warf sich in einen Teich.

Es folgt eine erfolglose Jagd auf den Dieb.

All das geschah mit Wissen Allahs des Erhabenen.

Wir sind anscheinend mitten in einer Serie von Geld-Anekdoten

***

Die Geschichte von El-Malik en-Nâsir und den drei Wachthauptleuten

Eines Tages ließ Sultan El-Malik en-Nâsir die drei Wachthauptleute von Kairo, Bulak und Alt-Kairo zu sich kommen.

Es könnte Saladin sein, aber auch El-Malik en-Nâsir Muhammad. Den Zusatz haben sich wohl einige gegeben.

"Ich wünsche, dass ein jeder von euch mir das Merkwürdigste berichtet, das er während der Zeit seiner Amtsführung erlebt hat."

*

343. Nacht

Die Geschichte des Wachthauptmannes von Kairo

Der Wachthauptmann von Kairo berichtet, er habe lange Zeit versucht, zwei Männer wegen Dirnenliebe, Weingenuss und Zuchtlosigkeit vor Gericht zu stellen, die aber

in allen Fällen von Blutschuld und Leibesverletzungen als rechtsgültige Zeugen auftraten.

Eines Nachts erfährt er von einem Mann:

"Herr, wisse, die beiden ehrenwerten Zeugen sind jetzt an dem und dem Orte in der und der Straße im Haus des Soundso, und sie treiben große Greuel."

Der Wachthauptmann macht sich auf den Weg und wird von den beiden offenherzig empfangen. Sie bieten ihm an, sie sofort zu strafen oder dreihundert Dinar anzunehmen.

Ich sagte mir nun: "Nimm dies Gold von ihnen und beschütze sie noch dies eine Mal; wenn du sie aber das nächste Mal in die Gewalt bekommst, dann zieh sie zur Rechenschaft."

Das Unheil lässt nicht lange auf sich warten. Der Besitzer des Bordells verklagt den Wachthauptmann vor dem Kadi, zeigt einen Schuldschein über dreihundert Dinar vor und bringt die beiden Hurenböcke als Zeugen vor.

Das Zeugnis der beiden wurde vom Kadi als gültig angesehen. (…) Und ich ging tief beschämt von dannen.

*

Die Geschichte des Wachthauptmannes von Bulak

Dieser Wachthauptmann berichtet, einmal dreihunderttausend Dinare Schulden gehabt zu haben.

So verkaufte ich alles, was hinter mir, vor mir und in meiner Hand war.

Das wird wohl heißen: Sein Erspartes, seine Forderungen und sein Bar-Vermögen.

*

344. Nacht

Eines Nachts klopft es an seiner Tür, und es ist eine Diebesbande,

halbnackt und mit Fell bekleidet

die sich als edel erweist, ihm ihre Beute aus Gold und Silber zu überlassen. Er dankt es ihnen und lässt sie mit seinen letzten hunderttausend Dinaren ziehen.

Beachtlich: Die cartooneske Darstellung der Diebe mit Fell. Vielleicht als Klischee damals verbreitet wie die maskierten Räuber bei Micky Maus.

Am nächsten Morgen stellt er freilich fest, dass er mit vergoldetem Kupfer hereingelegt worden war.

*

Die Geschichte des Wachthauptmannes von Alt-Kairo

Einst ließ ich zehn Diebe hängen, jeden an einen besonderen Galgen, und ich schärfte den Wächtern ein, gut auf sie achtzugeben.

Am nächsten Morgen sieht der Hauptmann, dass nun an einem Galgen zwei Männer hängen. Die Wächter gestehen, geschlafen zu haben, und einer der Gehängten soll gestohlen worden sein. Und so ergriffen sie einen zufällig des Wegs kommenden Bauern, den sie, aus Furcht, bestraft zu werden, aufhängten, bloß damit die Zahl der Gehängten stimme. Der Wachthauptmann befiehlt, den Reisesack des Bauern zu öffnen.

Und siehe da, in ihm befand sich die zerstückelte Leiche eines Mannes! Wie ich das nun sah, sprach ich verwundert zu mir selber: "Preis sei Allah! Dieser Bauer ist doch nur deshalb gehängt, weil er den Mord da begangen hat! Und dein Herr ist nicht ungerecht gegen seine Diener."

Die Schuld wird externalisiert. Das formalisierte Rechtsverständnis, wonach die Wächter sich schuldig gemacht haben, wird aufgehoben zugunsten eines magisch-religiösen: Allah wird’s schon richten.

 

***

Die Geschichte vom Geldwechsler und dem Dieb

Eine Bande von Dieben beobachtet einen Geldwechsler mit dickem Geldbeutel, und einer von ihnen wettet, den Beutel stehlen zu können. Sie folgen ihm bis zu seinem Haus, wo er den Beutel auf dem Sims ablegt.

Rasch drang der Dieb hinein, ergriff den Beutel, eilte zu seinen Kumpanen zurück und erzählte ihnen, was geschehen war.

*

345. Nacht

Er kann sich seiner Tat noch nicht recht rühmen, denn seine Kumpane wenden ein, dass nun die Sklavin, die dem Geldwechsler Wasser holen sollte, statt des Diebes bestraft würde.

"Ja wenn du ein echter Schelm bist, so musst du die Sklavin vor Prügel und Strafe bewahren."

Ein interessantes Feld: Die Ehre der Verbrecher. Ein Dieb ist ja per se jemand, dem man nicht vertrauen kann. Und dennoch bildet sich anscheinend in jeder dauerhaften Verbrechergemeinschaft auch eine Art Kodex, so wie wir es auch hier beobachten: Bestiehl ruhig den Reichen, aber lass nicht jemand anderen dafür büßen.

Der Dieb kehrt zurück zum Haus des Geldwechslers, der gerade sich anschickt, die Sklavin zu verprügeln, und gibt ihm den Geldbeutel zurück mit den Worten, der Herr habe den Beutel auf dem Basar liegengelassen.

"Ich bin der Diener deines Nachbarn in der Basarhalle."

Als sich der Geldwechsler wieder abwendet, um dem scheinbaren Diener eine Quittung für dessen Herrn auszustellen, stiehlt der Schelm das Geld zum zweiten Mal.

Und die Sklavin war vor der Strafe bewahrt.

***

Die Geschichte vom Wachthauptmanne von Kûs und dem Gauner

Zum Wachthauptmann von Kûs in Ägypten kommt ein Mann, der sich als Straßenräuber zu erkennen gibt.

"Ich will jetzt von meinem Tun ablassen und unter deiner Führung zu Allah dem Erhabenen zurückkehren."

In der Truhe befinden sich Gegenstände im Wert von vierzigtausend Dinaren. Er erbittet tausend in bar,

"damit ich durch sie ein Kapital gewinne, das mir dazu verhilft, mich zu bessern, und es mir möglich macht, von dem bösen Tun abzulassen."

Der Hauptmann willigt ein angesichts der

Juwelen, Edelmetalle, Siegelsteine und Perlen.

335. Nacht – Konservierte Musik

Je mehr Konservenmusik verfügbar ist, umso schwieriger scheint es, sie genießen zu können. Den besonderen Kick kann man sich dann wieder nur bei gigantischen Großkonzerten holen. Wahrscheinlich kommt es auf die Reduktion an. Musik genauer hören. Für den Urlaub habe ich mir meine komplette Musiksammlung auf Festplatte mitgenommen. Gehört habe ich lediglich ein paar Stücke aus dem ersten Buch des "Wohltemperierten Klavier" von Bach. Es ist ja auch erstaunlich, wieviel gute Live-Musik man gratis erleben kann. Bis in den August gab es z.B. donnerstags 19 Uhr die leider nur mangelhaft beworbenen Orgelkonzerte in der Bekenntnis-Kirche in der Plesser-Straße in Treptow. Man kann nur hoffen, dass die neue Kantorin diese Tradition fortzusetzen bereits ist.

*

Im Schmähung-Eigenlob-Dicht-Wettkampf, das schon sehr an die modernen Rap-Battles erinnert,beginnt die weiße Sklavin ausführlich, die Schwarze zu dissen. Unter anderem mit diesen Versen:

Sieh doch, die Perle wird geehrt ob ihrer Farbe;
Doch eine Last von Kohlen bringt uns einen Dirhem ein.
Die Weißgesichter kommen dereinst zum Paradiese;
Die Schwarzgesichter werden der Hölle Futter sein.

"Im Sprichworte heißt es: Wie fände man einen Schwarzen, der Verstand hat?" Darauf sprach der Herr zu ihr: "Setze dich, damit ist es genug, ja, du hast fast des Guten zu viel getan!"

Die Schwarze lässt sich aber nicht lumpen:

"Weißt du nicht, dass Schwarz die Zierde der Jugend ist?"

Die Schwarze ist doch rein im Handeln, und es scheinet,
Als wäre wie beim Auge das Leuchten ihre Art.
Bin ich durch ihre Liebe betört, seid nicht verwundert;
Denn mit der schwarzen Galle ist ja der Wahn gepaart.
Und meine Farbe gleichet dem Dunkel finstrer Nacht;
Wenn die nicht wäre, käme kein Mond in heller Pracht.

Und ferner, ist die Nacht für das Beisammensein der Liebenden nicht die schönste Zeit? (…) Auch ist überliefert worden, dass Kälte und eisiges Frieren den Verworfenen in der Hölle als Strafe gebühren, während man der Schwärze den Vorzug zumisst, dass von ihrer Farbe die Tinte ist, mit der das Wort Allahs geschrieben wird."

Ist das Bild der kalten Hölle also auch im Koran wiederzufinden? Oder zumindest in der islamischen Tradition? Bei Dante frieren die Sünder auch. Aber warum dominiert dann das Bild des höllischen Feuers?

285. Nacht

Von seiner Kammer aus beobachtet der Abortreiniger, dass sich der Gatte der jungen Herrin mit dieser versöhnt und so

ruhte er die Nacht bei ihr über.

Es ist, wie zu erwarten war, der Gatte, der am nächsten Tag verschwindet. Die Schöne gesteht dem Abortreiniger, dass sie sich mit ihrem Mann gestritten hatte: Die beiden saßen im Garten, der Gatte steht auf, um sich kurz zu entfernen, bleibt aber verschwunden.

"Schließlich wurde ich es müde, auf ihn zu warten, und da ich mir sagte, dass er wohl im Aborte sei, so begab ich mich zu dem stillen Örtchen, fand ihn aber nicht dort. Darauf ging ich in die Küche, und als ich dort eine Sklavin sah, fragte ich sie nach ihm. Die zeigte ihn mir, wie er bei den Küchenmägden lag. Nun schwor ich einen feierlichen Eid, ich wolle mit dem schmutzigsten, ekelhaftesten Manne Ehebruch treiben. Und an dem Tage, an dem der Eunuch dich festnahm, war ich schon vier Tage lang in der Stadt umhergezogen auf der Suche nach einem solchen Kerl; doch ich fand niemanden, der schmutziger und ekelhafter gewesen wäre als du. (…) Wenn mein Gatte sich noch einmal der Magd naht und bei ihr liegt, so will ich dir wiederum gewähren, was du bei mir genossen hast."

Diese Spannung zwischen höchstem Genuss und Aufstieg einerseits und extremster Demütigung andererseits haben wir wohl so bisher in diesen Erzählungen noch nicht gefunden.

Dem Abortreiniger fließen die Tränen, und anzüglich antwortet er in Versen:

Gewähre mir zehn Küsse auf deine Linke Hand,
Der noch mehr Ehre als der rechten Hand gebührt!
Denn deine Linke hat ja noch vor kurzer Zeit,
Als du dich säubertest, an dein Gesäß gerührt.

Einen spontan dichtenden Klomann würde ich auch gern mal erleben.

Als der Emir des Pilgerzuges die Geschichte jenes Mannes vernommen hatte, ließ er ihn frei und sprach zu den Umherstehenden: "Um Allahs willen, betet für ihn; denn er ist entschuldbar!"

Ferner wird erzählt

*

Die Geschichte von Harûn er-Raschîd und dem falschen Kalifen

Wieder einmal geht der Kalif Harûn er-Raschîd des Nachts in Begleitung seines Wesirs Dscha’far und seines Schwertträgers Masrûr – alle drei verkleidet als Kaufleute – durch die Stadt Bagdad.
Als sie an das Ufer des Tigris kommen, bieten sie einem Alten einen Dinar für eine Lustfahrt.

261. Nacht – Hate Comments

Bemerkenswert: Mit dem am Dienstag hier geposteten kleinen, ziemlich albernen Video kann man die Emotionen der Amis auf die Spitze treiben. Wie kann ich es wagen zu behaupten, Waffen seien zum Töten gedacht! Die empörten Kommentare haben dazu geführt, dass eines meiner Videos erstmals auf Platz 1 einer Youtube-Statistik schoss: Das am heißesten diskutierte Video des Tages in Deutschland.

Auszüge aus den Kommentaren:

"There is no right to life if you can’t defend that life. Killers love defenseless victims!"

"I’m sorry your daddy raised you to be such the sissy that you have a fear of firearms and I suppose seeing Palin handle the cold steel makes you feel like even less of a man. Just vote for Obama like the other 50,000 gun fearing queers on the internet who eat up bandwith with these tired old Olbermann style commentaries."

"I may not like to hunt but I do realize that the second amendment is NECESSARY ino order for the citizens of the United States to defend themselves, and the Supreme Court decided the exact same thing."

***

Zum Trost für die verlorene Frau schenkt der Kalif Alâ ed-Dîn eine Sklavin namens Kût el-Kulûb, in dem er ihr samt Dienern und Eunuchen befiehlt, bei ihm einzuziehen. Alâ ed-Dîn, einigermaßen verwirrt, nickt den neuen Dienern zu, verspricht aber, niemals ihre Gemächer zu betreten, denn

"was des Herren war, darf nicht des Dieners sein."

Unklar: Damit könnte er praktisch jedes Geschenk des Kalifen zurückweisen.

Täglich "überweist" Alâ ed-Dîn ihr hundert Dinare.
Als der Wesir Dscha’far ihn fragt, ob er schon zu ihr eingegangen sei, antwortet er:

"Ich weiß weder, wie hoch noch wie breit sie ist."

Auch dem Kalifen gibt er diese Antwort, als dieser verkleidet, aber erkannt, sich nachts zu Alâ ed-Dîn begibt.

260. Nacht – Sarah Palin: Pro Gun + Pro Death

Mit zwanzig Ideen morgens aufgewacht, nachdem ich am Abend zuvor im Wikipedia-Artikel über Bipolarität gelesen hatte, dass sich in der Phase der Manie die Gedanken überschlagen…
Die scheinbar unaufwändigste versuche ich dann umzusetzen, aber dieser kleine billige hat mich doch mehrere Stunde gekostet. Ach was, ich will mich gar nicht beklagen.

 
Pro Death

***

Alâ ed-Dîns Aufstieg schreitet fort. Der Hauptmann der Sechzig stirbt kinderlos, und der Kalif macht ihn zu seinem Nachfolger und Erben:

"Begrab ihn in der Erde, und nimm alles was er an Sklaven, Sklavinnen und Dienern hinterlassen hat."
Darauf schwenkte er das Taschentuch.

Womit die Versammlung beendet ist.

Kurze Zeit darauf verlässt Zubaida, die Lautnerin, ihn nachts,

um ein Bedürfnis zu verrichten,

sie schreit kurz auf und stirbt.

Praktischerweise kurz nachdem er vom Schwiegervater offiziell anerkannt wurde.

Der Handlungsverlauf wird wieder einmal unübersichtlich. Eben dachte man noch, eigentlich sei mit der Hochzeit alles aus, aber anscheinend hatte Schehrezâd noch nicht genug vom Rumspinnen…

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258. Nacht – Kindergarten-Memories

Kinder aus meiner Kindergartengruppe, deren Familiennamen ich vergessen habe:

  • Dimi

  • Kerstin

  • Katrin

  • Dirk

  • René

  • Dörte

  • Björn

Da es nicht ein einziges Foto von ihnen gibt und ich auch sonst mit niemandem über diese Erinnerungen spreche, halte ich die Erinnerungsleistung trotzdem für beachtlich.

***

Der Kalif übergibt einem abessinischen Sklaven
ein Becken und eine Kanne aus Gold, ferner auch (…) fünfzig Lasten

im Wert von je 1.000 Dinaren, die er Alâ ed-Dîn überbringen möge, mit der Nachricht, er – der Sklave – sei von Alâ ed-Dîns Vater geschickt worden.
Auch der Vater Zubaidas und ihr Vetter gehen zu Alâ ed-Dîn, um nun die Scheidung endgültig vollstrecken zu lassen.
Alâ ed-Dîn wartet indessen sorgenvoll, und staunt nicht schlecht, als nicht nur sein Schwäher vor der Tür steht, sondern

ferner bemerkte er auch einen abessinischen Sklaven von dunkler Hautfarbe, doch von gefälligem Aussehen, der auf einer Mauleselin ritt.

Man beachte die Relativierung des allgegenwärtigen Rassismus.

Der von Harun er-Raschîd gefälschte Brief lässt Alâ ed-Dîn in dem Glauben, die Waren kämen von seinem Vater, der ihm aus der Not helfen wolle.
Der ursprüngliche Gatte der Lautnerin Zubaida ist verständlicherweise betrübt,

legte sich krank in seinem Hause nieder und starb, da er zu Tode verwundet war.

Das ist nicht nötig, wenn es einem gelingt, sein Herz zu öffnen. Es muss ja nicht gerade ein Bienenhaus anhörensein.

Man sollte meinen, nun sei für Zubaida und Alâ ed-Dîn alles gut, aber nun beginnen die Streitereien.

(Alâ ed-Din:) „Schau, jene lügnerischen Derwische haben uns ein Versprechen gegeben und es gebrochen.“

Zubaida hält dagegen:

„Das Glück ist doch erst zu uns gekommen, als sie uns besuchten und sie legten uns doch jede Nacht hundert Dinare unter den Teppich.“

Das Unter-den-Teppich-Legen ist natürlich nur denkbar, wenn der Gebetsteppich regelmäßig gereinigt wird. Der Kalif könnte somit die Frömmigkeit des Paares überprüfen, das die Spende eben nur entdeckt, wenn der Teppich gereinigt wird.

Am selben Abend erscheinen die „Derwische“ und werden von Alâ ed-Dîn großmäulig begrüßt:

„Ah, willkommen, ihr Lügner! Tretet nur ein!“

255. Nacht – Geburtstagskinder

Mit mir Geburtstag haben

***

Der Beduinenhäuptling Adschlân lässt seine Soldaten umkehren, um nach dem Führer der Karawane zu suchen. Tatsächlich finden sie ihn trotz seiner Blut-Tarnung. Man erhebt gegen ihn den Speer, doch ruft Abd el-Kadîr, den Heiligen, an, so dass der Speer umgelenkt wird

und Alâ ed-Dîn war gerettet. Dann machten sich die Araber mit den beladenen Maultieren auf und davon.

Unklar: Ließen sie ihn, da ihre Speere umgelenkt wurden, in Ruhe? Das Ganze erinnert auch an die von Gott umgelenkten Kugeln in Pulp Fiction:

 

Als Alâ ed-Dîn nach einer gewissen Zeit flieht, wird er wieder erspäht, und einer der Beduinen setzt ihm auf einer Stute nach. Alâ ed-Dîn versteckt sich in einem Brunnengehäuse, und als der Araber nach ihm sucht, wird er, als Alâ ed-Dîn die Schutzheilige Herrin Nafîsa anruft, von einem Skorpion gestochen.
Er lässt von ihm ab, und nach einer Weile erreicht der andere Teil der Karawane inklusive dem Schein-Moslem und Klemm-Homo Balchi die Tränke. Er hilft dem Überlebenden des Massakers, reist mit ihm nach Bagdad, kleidet ihn, bewirtet ihn, nur um abermals zu versuchen,

ihm einen Kuss zu rauben.

Alâ ed-Dîn wehrt ihn ab, aber el-Balchi versucht ihn zu überreden:

Nach Überlieferung von einem seiner Meister
Sprach Abu Bilâl, der Scheich, der uns mehr als andere gilt:
Wer liebt, wird durch Umarmen und Küssen nie geheilet
Von seinem Leid, – nein, nur wenn er den Trieb gestillt.

Es ist Nacht, und Alâ ed-Dîn flieht in eine Moschee. nach einer Weile hört er Schritte, und einer der zwei Männer (wenn man von den Sklaven, wie hier üblich, absieht), bittet seinen Oheim:

"Gib mir meine Base zurück."

Der Alte darauf wirft ihm vor:

"Hab ich dich nicht schon viele Mal zurückgehalten, während du die Scheidung gleich der Heiligen Schrift immer nur im Munde führst?"

Man entdeckt Alâ ed-Din, und dieser stellt sich den beiden vor.… Weiterlesen

240. Nacht

Die Gattin des Kalifen antwortet ihm auf die Nachricht der Ankunft einer neuen Sklavin: „Allah mehre seine Huld gegen dich!“

Unklar: Warum erzählt er ihr es überhaupt? Braucht er ihr Einverständnis? Ahnt er, dass sie verletzt sein könnte? Ist sie überhaupt verletzt?

Inzwischen geht die Schwester des Kalifen zu Nu’m, um sie auf ihren Bruder vorzubereiten. Nu’m erfährt zum ersten Mal, wo sie überhaupt ist:

„Fürwahr, die List, die man wider mich ersann, ist gelungen.“ (…) Dann trat auch der Beherrscher der Gläubigen zu ihr ein. (…) „Lüpfe den Schleier von deinem Antlitz.

Sie weigert sich, aber er verliebt sich schon in sie, nur beim Anblick der Handgelenke. Er verlässt sie, in der Hoffnung, sie werde sich ihm noch hingeben. Aber in der Folgezeit erkrankt Nu’m,

und ihre Schönheit schwand dahin.

Inzwischen kommt Ni’ma nach Hause und entdeckt, dass seine Frau und Sklavin entführt wurde. Von seiner Mutter erfährt er, was geschehen ist und beschwert sich beim Wachhauptmann, dem er droht, beim Kalifen Klage gegen ihn zu führen. Der Statthalter, bei dem sich Ni’ma ebenfalls beschwert, lässt den Wachhauptmann scheinbar nach der Sklavin und der Alten suchen.

237. Nacht

Der Sultan lässt den Magier kommen und befiehlt ihm den Kopf abzuschlagen. Dieser bittet um einen kleinen Moment,

Dann senkte er das Haupt zu Boden, und als er es wieder erhob, sprach er das Glaubensbekenntnis und wurde Muslim als Schutzbefohlener des Sultans.

Sehr schwer verständlich. Der Rechtsbruch wird dadurch ungültig? Oder sind all die Verbrechen nur dem falschen Glauben zuzuschreiben? Was wird el-As’ad nun denken, der ja die ganze Zeit gefoltert wurde? War es tatsächlich Rechtspraxis, dass ein Verbrecher einfach sich durch das Glaubensbekenntnis der Vollstreckung entgehen konnte? Was bedeutete dann "Glauben" überhaupt?

Bahrâm bietet den Brüdern sogar an, sie auf ihrer Rückreise zu begleiten.

Man würde sicherlich Arges vermuten, aber Bahrâm ist ohne List. Das Glaubensbekenntnis wirkt offenbar Wunder.

"Ihr werdet doch schließlich mit den Euren vereinigt werden, wie auch Ni’ma und Nu’m vereinigt wurden."

Und so hören wir endlich mal wieder eine Geschichte in der Geschichte.

Die Geschichte von Ni’ma ibn er-Rabî und seiner Sklavin Nu’m

Ein Vornehmer in Kufa hat einen Sohn namens Ni’mat Allâh. Eines Tages kauft er eine Sklavin, die eine wunderschöne Tochter auf dem Arm trägt. Und diese Tochter nennen sie Nu’m. 237
Die beiden wachsen auf wie Bruder und Schwester und nennen einander auch so. Erst als die beiden zehn Jahre alt sind, klärt der Vater Ni’ma auf, Nu’m sei Ni’mas Sklavin. Da begehrt er, sie zu heiraten, was ihm gewährt wird.

Mit zehn Jahren!

Nu’ms Schönheit wird bekannt, und sie lernt Wissenschaften, Musikinstrumente und den Koran.
Der Statthalter in Kufa El-Haddschâdsch befiehlt einer alten Aufwärterin, Nu’m zu entführen, damit er sie dem Kalifen Abd el-Malik ibn Marwân als Geschenk schicken könne. 237a
Die Alte verkleidet sich als fromme Pilgerin und zieht los.

 

237 Ni’ma = Huld (Allahs), Nu’m – gleicher Wortstamm – Bedeutung = ??

237a Die beiden lebten um 700. In diese Zeit können wir also die Geschichte verorten.

234. Nacht – Marx‘ Kapital

Vitrine Gesamtausgaben

Dritte Reihe, elftes Buch von rechts

Karl Marx: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Dritter Band. Buch III: Der Gesamtprozess der kapitalistischen Produktion.

Erworben: ca. 1990
Status: Gelesen.
Erster Satz „Im ersten Buch wurden die Erscheinungen untersucht, die der kapitalistische Produktionsprozess, für sich genommen, darbietet, als unmittelbarer Produktionsprozess, bei dem noch von allen sekundären Einwirkungen ihm fremder Umstände abgesehn wurde.“
Kommentar: In Vorbereitung zu meiner Zwischenprüfung gelesen, was mir dann aber auch nicht viel geholfen hätte. Das Kommunistische Manifest könnte, mit wenigen Umformulierungen auch als das Manifest von atac übernommen werden. Die phänomenale Sprengkraft der globalisierten kapitalorientierten Wirtschaft hat Marx seherisch schon 1848 beschrieben. Was den dritten Band des Kapital betrifft, muss ihm zumindest Unschärfe vorgeworfen werden: Jedenfalls ist bis heute unklar, ob mit „tendenzieller Fall der Profitrate“ eine wirtschaftliche Gesetzmäßigkeit beschrieben wird oder nicht.

**

Das Magierfest naht, und der Magier Bahrâm belädt sein Schiff mit Kisten, in einer versteckt er el-As’ad. In einer Regung lässt dessen Bruder el-Amdschad das Schiff durchsuchen, findet aber nichts. Das Schiff fährt los und landet an einer Insel, der Königin Mardschâna heißt. Man behauptet, el-As’ad sei ein Mamluke, ein weißer Sklave. Die Königin befiehlt ihm zu schreiben, wenn er das könne. Dieser schreibt:

„Du Einsichtsvoler, sage, was vermag ein Mensch,
Wenn ihm das Unglück stets auf allen Wegen hetzt?
Gott warf gefesselt ihn ins Meer und sprach zu ihm:
Sei auf der Hut, dass dich das Wasser nicht benetzt.“

Als sie diese Verse liest, verlangt sie, ihn zu kaufen, doch Bahrâm lehnt ab. Sie lässt el-As’ad fortführen und zwingt Bahrâm sofort abzureisen, sonst

„nehme ich dir alle deine Habe und lasse dein Schiff zertrümmern.“

Darauf Bahrâm:

„Dies ist wahrhaftig keine Reise, über die man sich freuen kann

Alles eine Frage der Perspektive.

Mardschâna vergnügt sich indessen am offenen Fenster bei Speisen und Wein mit el-As’ad.

232. Nacht – Cuba sí, Cuba nó!

Ein seltsames Phänomen, dass der Hype um bestimmte öffentliche Personen bei vielen eine abschreckende Wirkung hat, eben weil es ein Hype ist. Diese Abschreckung überträgt sich dann auf die Person. So bin ich vorgestern gleich zweimal innerhalb von einer halben Stunde darauf hingewiesen worden, wie verschlagen und tückisch doch Barack Obama sei. Außerdem sei der Dalai Lama nur eine nützliche Figur des Westens. So aufgesetzt und stellenweise auch ekelhaft der Rummel um solche Leute sein mag, so vergisst man vielleicht auch manchmal, welchen Wandel gerade diese beiden schon durch ihr mutiges Auftreten bewirkt haben:

  • Obama, der in den USA den Mut hat, die internationale Gemeinschaft wieder wahrzunehmen, der sich für die Menschenrechte einsetzt, der seine eigene Fehlbarkeit unterstreicht usw. usf. Fast jede seiner Reden sind bemerkenswert (die Berliner Rede stellt, wie hier bereits erwähnt, eine Ausnahme dar).

  • Den Dalai Lama zu bashen ist gerade seit dem Aufstand in Tibet offenbar ein Modesport unter den Linken geworden. Gerade als wolle man sich des Funktionierens der alten Reflexe versichern.

So wie am Sonnabend  beim Joggen im Stadtpark in der Parkaue. Ein Fest der Arbeitsgemeinschaft "Cuba sí", die zur Linken gehört. Als ich ankomme, wird wie üblich die Freilassung des Amerikaners Abu Mumia-Jamal gefordert. Gleich danach sitzen kubanische Funktionäre auf dem Podium, sprechen von pueblo, patria und Fidel – zu deutsch: Führer, Volk und Vaterland. Dass es die Todesstrafe auch auf Kuba gibt, dass dort hunderte politische Gefangene einsitzen, nur weil sie "socialismo o muerte" nicht als zwingende Alternative empfinden, wird hübsch ausgeblendet. Verehrt werden der Mörder Che Guevara, der Stalinist Thälmann, der altersstarrsinnige Diktator Castro, schöne Familienstimmung.

**

Bahâdur, der Eigentümer des Hauses, blickt um die Ecke und sieht el-Amdschad bleich vor Schreck, während die Dame nichts mitbekommt. Er gibt ihm ein Zeichen, zu ihm zu kommen. El-Amdschad entschuldigt sich bei der Dame,

dass er Wasser lassen wolle

und berichtet Bahâdur die Geschichte. Dieser tröstet ihn und verspricht ihm, das Spiel mitzuspielen.

"Wenn ich zu dir komme, so schilt mich und sprich: ‚Warum bis du so lange ausgeblieben?’"

Außerdem möge el-Amdschad ihn ruhig schlagen und keine Ausreden akzeptieren. El-Amdschad geht nun zur Dame zurück, die beiden trinken und scherzen. Tatsächlich tritt Bahâdur mit einer schlechten Ausrede ein, und

el-Amdschad schlug ihn leicht. Aber nun sprang die Dame auf, riss ihm den Stock aus der Hand und fiel mit so heftigen Schlägen über Bahâdur her, dass ihm vor Schmerzen Tränen über die Augen rannen und dass er um Hilfe rief und mit den Zähnen knirschte.

Vor Schmerz mit den Zähnen knirschen?

Bahâdur fällt in Ohnmacht, und der Dame ist es noch nicht genug, sie will ihn tot sehen.

Da riss er ihr das Schwert aus der Hand und hieb auf den Nacken der Dame, so dass ihr der Kopf vom Rumpfe flog und auf den Hausherrn niederfiel.

Dieser staunt nicht schlecht, als er erwacht. Um el-Amdschad zu schützen, wickelt er die Leiche in einen Mantel und legt sie in einen Korb, um sie im Meer zu versenken, doch am Ufer wird er von der Wache des Königs gestellt. Der König revidiert daraufhin sein Urteil über den freigelassenen Sklaven:

"Wehe dir! Du tust immer dergleichen (…)! Wie viele Morde magst du schon vor diesem begangen haben!"

231. Nacht – Karl Valentin

Vitrine Gesamtausgaben

Zweite Reihe, elftes Buch von links

Alfons Schweiggert: Karl Valentins Stummzeit. Grünwalder und Planegger Jahre 1941 bis 1948

Erworben: ca. 2000
Status: Gelesen.
Erster Satz (wenn wir Vorwort und einleitende Biografie weglassen): "Am 16. April 1939, zu Beginn eines Gastspiels im Apollotheater in Augsburg, erkrankte Liesl Karlstadt unerwartet an Angina."
Kommentar: Ein großartiges, äußerst sorgfältiges Buch über Karl Valentins letzte Lebensjahre. Vor allem erfährt man endlich etwas über seine Zeit in Grünwald, die sonst in den Biografien oft ausgespart wird. Der Abstieg des größten deutschen Komikers der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in die Bedeutungslosigkeit. Er, der immer auch mit dem Schrecken Schabernack getrieben hat, muss nun erleben, wie das Grauen schlimmer zuschlägt, als in seinen eigenen groteskesten Fantasien. Noch in den späten 30er Jahren hatte er in der Ritterspelunke zum Spaß eine "Folterkammer" aufgebaut, und nur wenige Kilometer entfernt – in Dachau – wurden die Leute wirklich gefoltert. Als dann in München die Bomben fielen, rettete ihn nichts mehr. Er verlor seinen Humor. Als er nach dem Krieg versucht, im Radio Fuß zu fassen, lässt man ihn schnell fallen. Traurigerweise zu Recht. Denn seine alten Nummern wärmt er uninspiriert auf, die neuen sind zu düster und tatsächlich nicht gut genug. 1948 stirbt er durch eine Erkältung, die er bei besserer körperlicher Verfassung sicherlich überlebt hätte.

**

El-Amdschad weiß nicht so recht, was er tun soll und führt die Dame von einer Straße in die nächste, durch Gassen immer weiter, in der Hoffnung, ein Zufalle würde etwas lösen, bis sie in einer Sackgasse landen, an deren Ende sich ein hohes Tor befindet. Sie wundert sich natürlich, warum er nichts unternimmt. Er spinnt:

"Ich erwarte meinen Mamluken; der hat einen Schlüssel. Ich hatte ihm befohlen, er solle uns Speise und Trank und was zum Weine gehört herrichten, bis ich aus dem Bad zurückkäme."

"Uns"?

El-Amdschad hofft, dass sie sich irgendwann zu langweilen beginnt und verschwindet, doch sie zerschlägt das Schloss des Tors mit einem Stein. Sie tritt ein, und ihm bleibt nichts übrig, als ihr in das teuer eingerichtete Haus zu folgen.

"Jetzt bin ich verloren!"

Sie missdeutet seine Unruhe als erotische Nervosität.

"Was stehst du so da?" Dann seufzte sie tief und gab el-Amdschad einen Kuss, der so schallte, wie wenn eine Walnuss aufgeknackt wird.

Sie bietet ihm vom herumstehenden Essen an, dass er kaum zu genießen imstande ist.
Tatsächlich hört man den Hausherrn nach einer Weile eintreten.

ein früherer weißer Sklave (…) er war Stallmeister beim König. (…) Jener Mann hieß Bahâdur; er hatte eine offene Hand, übte Milde und Freigebigkeit und war stets zu Almosen und Spenden bereit. Als er nun näher kam —
Da bemerkte Schehrezâd, dass der Morgen begann und hielt n ihrer verstatteten Rede an.

 

227. Nacht – Schulen, Freddie Mercury

Billig scheint es, sich darüber zu echauffieren, was in Schulen unterrichtet wird. Müssen Schulen immer 100 Jahre hinterherhinken? Der Fokus auf die Naturwissenschaften (die mir selber immer viel Freude bereitet haben) scheint mir übertrieben im Vergleich zu den völlig unterbelichteten Wissenschaften des 20. Jahrhunderts. Wo lernen die Schüler Grundsätzliches über Recht, Wirtschaft, Psychologie, Soziologie. Dagegen bietet sich der Geschichtsunterricht immer schön für ideologische Streitereien an. Angeblich halten viele Schüler Willy Brandt für einen DDR-Politiker, also mehr Unterricht über jüngere deutsche Geschichte. Nationalsozialismus muss, so die Bildungspolitiker nach Nazi-Anschlägen, auch gelehrt werden. Aber wo lernen die Schüler, wie man einen Kredit aufnimmt oder ein kleines Unternehmen aufbaut? Wo lernen sie juristisches Denken, das über das Grundgesetz hinausgeht? Freilich sind die Wissenslücken, die in den Tests zutage treten erstaunlich, aber haben diese Lücken nicht mit der Unfähigkeit der Kinder, sich selbst Wissen zu erschließen zu tun?

**

Der Alte ist sehr freundlich und lädt el-As’ad zu einer Feier ein. Nach kurzem Zögern – sein Bruder wartet schließlich im Gebirge – willigt dieser ein. Der Alte führt ihn durch die Gassen der Stadt, in ein geräumiges Haus.

Darin befand sich eine Halle, in deren Mitte vierzig alte hochbetagte Männer saßen, im Kreise um ein brennendes Feuer aufgereiht; rings um das Feuer saßen sie auf den Knien, beteten es an und warfen sich vor ihm nieder. Wie el-As’ad das sah, erschrak er über sie.

Die armen Zoroastrier! Diese Religion, die von vielen durchaus als Vorläufer der großen monotheistischen Religionen angesehen wird, litt im frühislamischen Persien unter großen Vorbehalten. Natürlich wird nicht das Feuer "angebetet", es ist eher ein Symbol und wird als solches verehrt, so wie ja auch im Christentum nicht das Kreuz als solches angebetet wird. Heute ist die Religionsgruppe – vor allem durch ihre strikten endogamen Heiratsvorschriften vom Aussterben bedroht. Bekanntester Zoroastrier der letzten Jahre: Freddie Mercury.

Die schlimmsten Ängste gegenüber der fremden Religion werden war. El-As’ad wird von einem schwarzen Sklaven namens Ghadbân gefesselt.

Sein Ansehen war voll Graus, und seine Nase sah wie flachgedrückt aus.

Einen folternden schwarzen Sklaven dieses Namens haben wir bereits in der Geschichte von Omar ibn en’Nu’man erlebt.

In einem Keller wird er einer weiteren Sklavin übergeben, die ihn in der Nacht foltert.

Erinnert an Hinkebein aus Pulp Fiction.

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142. Nacht

Tatsächlich besucht Kudija-Fakân ihren Vetter Kân-mâ-kân noch in derselben Nacht und empört sich darüber, dass er schläft.

Wärest du treu in der Liebe, du hättest
Dich dem Schlummer nicht hingegeben!
Der du behauptest, auf Pfaden der Liebe
Leidenschaftlich voll Sehnsucht zu leben –
Ja, bei Gott, mein Vetter, der Schlaf kann
Augen der wahrhaftigen Lieb nie umweben.

Mit anderen Worten: Er hätte in den letzten Wochen überhaupt nicht schlafen dürfen. Unklar bleibt, ob die beiden miteinander geschlafen haben.

Da Kudija-Fakân ihren Schnabel nicht halten kann und sich einigen ihrer Sklavinnen anvertraut, gelangt die Kunde darüber bald zu König Sasân, der sie töten will. Seine Frau Nuzhat ez-Zamân kann ihn gerade noch davon abbringen.
Kân-mâ-kân indessen kündigt seiner Mutter an:

"Ich habe mich entschlossen, auf Raub auszureiten, die Wege zu belagern und Rosse, Kamele, Neger und weiße Sklaven zu erbeuten. Hab ich dann Geld und Gut und wieder Ansehen in der Welt, so werbe ich um meine Base Kudija-Fakân bei meinem Oheim König Sasân."

Die Mutter versucht, ihm das auszureden, nicht etwa wegen der Verwerflichkeit, sondern wegen der Gefährlichkeit solchen Tuns.

Er bestieg seinen Hengst el-Katûl.

Den hat er doch neulich dem König geschenkt.

Am Stadttor trifft er den Beduinen Sabbâh ibn-Rammâh wieder, den Wegelagerer, der ihn nun, da er gut gekleidet ist, als Herrn akzeptiert und sein Gepäck durch die Wüste schleppt.

Am fünften Tag aber erblickten sie einen hohen Hügel; an dessen Fuße befanden sich Frühlingslager der Nomaden und ein Teich mit fließendem Wasser zumal; Kamele, Rinder, Kleinvieh und Rosse erfüllten Berg und Tal, und ihre Jungen spielten um die Hürden überall. Kaum sah Kân-mâ-kân dieses Bild, da war er herzlich froh, und seine Brust war von Freude erfüllt; und er beschloss, den Angriff zu wagen.

Der Beginn dieses Absatzes hätte auch von Ludwig Uhland stammen können. Der Rest von Hindenburg.

Er prescht gegen die Nomaden vor und erkennt, dass ihr Anführer jener Kahardâsch ist, der der alten Dhât ed-Dawâhi das Ross genommen hatte. Dieser wiederum hält das Ganze für einen Trick seiner künftigen Braut, die ihm geschworen hatte, ihn nur zu heiraten, wenn er sie im Kampf besiegen würde.

Offenbar eine Referenz auf die Mann/Weib-Kämpfe zwischen Scharkân und Abrîza.

Doch Kân-mâ-kân verspottet ihn. Sie kämpfen gegeneinander, und Kân-mâ-kân offenbart sich. Daraufhin gibt Kahardâsch auf,

"denn durch deinen Vater ward uns manche Güte und Wohltat beschieden."

Kân-mâ-kân verspottet ihn abermals und tötet ihn mit der Lanze

Mit dieser Tumbheit, Gewalt- und Mordlust überbietet er sogar seinen Oheim Scharkân.

Sein Diener Sabbâh, der den Kampf aus sicherer Entfernung beobachtet hat, darf ihm den Kopf abschneiden, auf eine Lanze stecken, und mit der Beute ziehen sie bejubelt vom Volk in Bagdad ein.
König Sasân fürchtet sich nun, und befiehlt seinen Vertrauten, Kân-mâ-kân zu töten.

Aber die Hauptleute sagten sich von ihm los, und die Truppen weigerten sich, den Waffendienst zu tun, bis sie gesehen hätten, was sich begeben würde; denn sie sahen ja, dass der größere Teil des Heeres bei dem Wesir Dandân war.

Wenig später geht Kân-mâ-kân auf Jagd und erjagt zehn Gazellen, von denen er eine frei lässt, da sie Junge hat. Seinen Diener Sabbâh, der darum bittet, ebenfalls freigelassen zu werden, stößt er in den Schmutz.
Einer der Emire wird nun mit seinen Rittern vorausgeschickt, Kân-mâ-kân zu töten, doch er überwindet sie, und das Volk ergreift König Sasân, schlägt ihn und legt ihn Fesseln.
Des nachts begibt sich Kân-mâ-kân zum Kerker, lenkt die Hunde mit Fleischstückchen ab und befreit Sasân, der ihm schwört, ihm nicht mehr nach dem Leben zu trachten.

Das zog das Volk mit Trommeln und Flöten ihm entgegen.

Kann noch jemand folgen? Verhält sich hier irgendwer noch nachvollziehbar?

Sasân vertraut sich nun wieder seiner Frau Nuzhat ez-Zamân an, er wolle Kân-mâ-kân umbringen. Ihre Gegenargumente tut er mit der Drohung ab:

"Tät es nicht Schimpf und Schande eintragen, dich zu erschlagen, fürwahr, ich hiebe dir den Kopf ab und brächte dich alsbald ins Grab."

Auch keine angenehme Grundlage für eine dauerhafte Beziehung.

Aus Angst rät sie ihm nun sogar, wie man den Mord am besten bewerkstelligen könnte – nämlich mit Kân-mâ-kâns altem Kindermädchen Bakûn.

Die Zahl der sympathischen Charaktere in diesem Roman waren noch nie besonders hoch. Und nun – gibt es eigentlich noch einen guten Protagonisten?

Diese ist auch tatsächlich zur Schandtat bereit, lässt sich einen vergifteten Dolch bringen, geht eines nachts zu Kân-mâ-kân, und schleicht sich in sein Vertrauen, indem sie ihm eine Geschichte erzählt:

Die Geschichte vom Haschischesser

Ein einst reicher und nun verarmter Mann, tritt mit seinem Zeh in einen Nagel und versucht, seine Schmerzen im Badehaus zu lindern.

68. Nacht

Scharkân liest weiter im Brief seines Vaters, welcher den Verlust seiner Kinder beklagt:

Ihr Bild entschwindet nie, nicht eine einz’ge Stunde
Im Herzen wies ich ihm den Platz der Ehren zu.
Wär Hoffnung nicht auf Heimkehr, ich lebte keine Stunde.
Wär nicht das Bild des Traumes, ich fände keine Ruh.

Beachtlich das originelle Reimpaar Stunde/Stunde.

Als Scharkân das Schreiben gelesen hatte, da grämte er sich um seinen Vater, aber er freute sich um den Verlust seines Bruders und seiner Schwester.

Scharkân besucht nun seine Schwester/Gemahlin Nuzhat ez-Zamân, die gerade im Geburtstuhl  saß und entbunden hat, um ihr den Brief zu zeigen. Seine Freude über die neugeborene Tochter, der man erst am siebten Tage nach der Geburt einen Namen geben will (denn "Das ist der Brauch unter den Menschen") 68, währt nur so lange, bis er den Juwel
an deren Hals sieht,

eins von den dreien, die Prinzessin Abrîza aus Griechenland mitgebracht hatte.

"Woher hast du das Juwel, Sklavin?"

Erst jetzt platzt es aus Nuzhat ez-Zamân heraus:

"Schämst du dich nicht, mich Sklavin zu nennen? (…) Ich bin Nuzhat ez-Zaman!"

Als er diese Worte hörte, fasste ihn ein Zittern und er ließ den Kopf zu Boden hängen.

Depression ist für Scharkân eine eher untypische Reaktion. Bisher reagierte er auf unschöne Nachrichten eher explosiv.

 

68  Für die Katholiken hingegen scheint es ja eher wichtig zu sein, die Taufe möglichst schnell über die Bühne zu bringen, damit, falls das Kind stirbt, es nicht ungetauft im Fegefeuer landet. Sollte der Säugling ungewöhnlich schwach sein, kommt sogar eine Nottaufe in Betracht.

60. Nacht

Um ihre vom Händler so gelobte Klugheit zu prüfen, behält Scharkân die vier Kadis60 bei sich und dem Kaufmann. Seine Halbschwester (und Sklavin) tritt mit den Gattinnen der Kadis hinter einen Vorhang.
Als die Gattinnen der Kadis mit ihren Sklavinnen eintreffen, begrüßt sie diese anmutig

und setzte sie dem Range nach. Sie (…) sagten zueinander: "Dies ist keine Sklavin, sondern eine Königin, die Tochter eines Königs."

In stratifikatorisch differenzierten Gesellschaften nimmt bei zunehmender Herausforderung des stratifikatorischen Prinzips das Bedürfnis des Adels zu, sich durch immer ausgeklügeltere Manieren, Gesten, symbolische Verhaltensweisen vom Nicht-Adel, aber auch innerhalb des Adels zu unterscheiden. Zum Zeitpunkt der Handlung dieser Geschichte dürfte es noch nicht soweit gekommen sein, aber Anmut, Verhalten, Wissen und Tugend fallen quasi automatisch zusammen und offenbaren die noble Herkunft.

Scharkân ruft sie nun an und erbittet einen kurzen Vortrag über die vielen Themen, auf denen sie angeblich so bewandert sei,

selbst in der Astronomie.

Warum ausgerechnet ihre astronomischen Kenntnisse ein solches Erstaunen bei ihm hervorrufen, scheint mir unklar: Gilt diese Wissenschaft als modern in jenen Zeiten? Oder verwundert ihn, dass ausgerechnet eine Frau sich hier auskennt?

Nuzhat beginnt ihren Vortrag mit dem Thema Regierungskunst.
Die Welt werde eingeteilt in die religiöse und die weltliche.
Das weltliche Wirken zerfalle in

  • Regierung

  • Handel

  • Ackerbau

  • Handwerk

Diese Einteilung wirkt ein wenig befremdlich, sie ist einerseits feiner als die altgriechische, die nur zwischen Haushalt (Wirtschaft) und Politik (Öffentlichkeit) trennt, andererseits fragt man sich, wo sich hier z.B. die Bildung und das Familienleben einordnen.

Nuzhat ez-Zamân zitiert den König Ardaschîr I.60a

"Religion und Königstum sind Zwillingsgeschwister; die Religion ist ein verborgener Schatz, und der König ist sein Wächter."

Sie kategorisiert außerdem die Könige:

  • König des Glaubens

  • König, der das Heilige schützt

  • König der eigenen Lüste

Von Ardaschîr weiß sie obendrein zu berichten, dass dieser vier Siegelringe anfertigen ließ:

  • Siegel des Meeres: Staatsdienste

  • Siegel der Steuern: Kultur

  • Siegel der Ernährung: Fülle

  • Siegel der Bedrückung: Gerechtigkeit

Das ist für einen Systemtheoretiker schon erstaunlich: Fülle kann ja leicht umgekehrt gedacht werden: Knappheit – die Kontingenzformel des Wirtschaftssystems, Gerechtigkeit die des Rechtssystems.

 

 

60 Die vier Kadis sind (neben Scharkân) die höchsten Richter der Stadt und die Vertreter der vier orthodoxen Rechtsschulen. Um ein solches Amt zu bekleiden, muss derjenige nicht nur juristisch, sondern auch allgemein gelehrt sein. Insofern dürfte Scharkân eine gute Wahl getroffen haben.

60a Bemerkenswert, dass ein vorislamischer Staatsmann der Erste ist, den sie zitiert. Ardaschîr ist der persische Begründer der Sasanidendynastie (ab 224 n.Chr.). Aber er galt auch in islamischer Zeit als erfolgreicher Expansions- und Innenpolitiker.


Ardaschîr nimmt hier den Ring der Macht entgegen.

 

59. Nacht

Der Händler (dessen Namen wir immer noch nicht erfahren haben) kleidet die Nuzhat ez-Zamân, schmückt sie, lässt sie schlafen, um sie am nächsten Tag vor den Statthalter von Damaskus zu führen – Scharkân.

Doch sobald der sie erblickte, ward Blut zu Blut hingezogen; obgleich sie schon von ihrem ersten Lebensjahre getrennt gewesen war.

Scharkân stellt dem Händler die gewünschte Zollbefreiungsurkunde aus, gibt ihm 100.000 Goldstücke für die Prinzessin, noch einmal 100.000 für ihre Kleidung und ihren Schmuck, sowie 120.000 Goldstücke als Zugabe

und zuletzt verlieh er ihm ein Ehrengewand.

Seltsam – die Zollbefreiungsurkunde sollte doch von dessen Vater Omar in Bagdad ausgestellt werden. Oder wird diese weiterreichen? Außerdem sehnte sich die Prinzessin nach Bagdad, warum gibt er sie an den Damaszener Statthalter.

Vor allem aber will Scharkân die „Sklavin“ freilassen und sie zu seiner Gemahlin nehmen.

Dass Nuzhat et-Zamân auch hierzu schweigt, muss wohl so gedeutet werden, dass sie ihren Halbbruder nicht nur noch nie gesehen hat, sondern auch nicht weiß dass ein Sohn ihres Vaters Statthalter von Damaskus ist.

56. Nacht

Der Beduine droht Nuzhat ez-Zamân, sie an einen Juden zu verkaufen, wenn sie nicht zu weinen aufhört.

Unklare Drohung: Sklavin eines Juden zu sein wäre schlimmer als die eines Moslems?

In Damaskus angekommen, bietet er sie auf dem Basar an. Ein Händler interessiert sich für das Mädchen, das als jungfräulich, eben mannbar, gewitzt, gebildet, schön und anmutig gepriesen wird. Er deutet an, sie an Scharkân zu verkaufen, um sich eine Zollbefreiungsurkunde ausstellen zu lassen. Als er sie in Augenschein nimmt, ist er gerührt von ihrer Anmut und Bildung, und er erkundigt sich nach ihrem Preis, nicht ohne sie zu loben.

Wohlgemerkt: Zu diesem Zeitpunkt hat er sie nur vollverschleiert gesehen.

Der Beduine rastet aus:

"Warum sagst du, sie sei edel, da sie doch vom Abschaum der Sklavinnen ist und aus dem niedrigsten Gesindel? Ich verkaufe sie dir nicht."

Ein etwas seltsam verlaufendes Verkaufsgespräch: Der Käufer preist die Ware, der Verkäufer schmäht sie.

Der Händler bietet nun zweihundert Goldstücke (einen bewusst viel zu niedrig angesetzten Preis), dessen Höhe aber für den Beduinen eine Beleidigung ist:

"Komm her, du Stinkvieh, ich verkaufe dich nicht!" Dann wandte er sich wieder an den Händler und sagte: "Ich hielt dich für einen Mann von Verstand, aber bei meiner Kappe, wenn du dich nicht von mir fortscherst, so lasse ich dich hören, was dir nicht gefällt."

Immerhin erwirkt der Händler noch einmal, sie sehen zu können. Der Beduine bietet ihm sogar an, sie nackt zu betrachten:

"Untersuche sie von außen und innen."

Der Händler bewahrt jedoch seinen Anstand.

Soweit man von Anstand bei einem Sklavenhändler sprechen kann.

Es genügt ihm, ihr Gesicht zu betrachten.

52. Nacht

Abrîza wehrt sich durch Dichtung:

Ghadbân, lass ab von mir! Genug hab ich gelitten
Vom Unbill der Geschicke und der grausamen Zeit.
Unzüchtiges Gebaren hat Gott, der Herr, verboten;
Er sprach: ‚Wer mir nicht folgt, ist dem Höllenfeuer geweiht.‘
Fürwahr, ich werde nie zu schlechtem Tun mich neigen;
Nein, das verachte ich. Lass mich, sieh mich nicht an!
Lässest du mich mit deiner Gemeinheit nicht in Ruhe
Und wahrst nicht meine Ehre um Gottes willen, dann
Ruf ich mit aller Kraft die Mannen meines Volkes
Und hole sie, die Nahen, und auch die Fernen herbei,
Und würde ich auch zerschlagen mit einem jemenitischen Schwerte,
nie zeigte ich einem gemeinen Kerle mein Antlitz frei,
Keinem von allen Freien und Leuten aus edlem Geschlecht –
Und wieviel weniger noch einem elenden Bastard und Knecht!

Abrîza warnt den Sklaven Ghadbân  mehrfach, allerdings in einer Art und Weise, die auch weniger leicht erzürnende Menschen51 aufbringen könnte:

"Wie darf deinesgleichen ein solches Ansinnen an mich stellen? Du Bastardbrut und Tunichtgut! Glaubst du, die Menschen sind alle gleich schlecht?"

Die Rhetorik der Ehre misst hier mit zweierlei Maßstab: Einerseits gilt es, die spezielle adlige Ehre der Prinzessin zu wahren. Und diese funktioniert ihrem Kodex vor allem als Abgrenzung nach unten, zu anderen sozialen Schichten. Das betrifft sowohl das Ansinnen des Sklaven, mit ihr sexuellen Kontakt zu haben aber auch die adelsinternen Codes der Ehre überhaupt (z.B. sich mit Waffen zu verteidigen, obwohl Abrîza hier natürlich auch schon durch ihre Kämpfe die Gender-Grenzen gesprengt hat). Andererseits misst sie an einer "alle Menschen" umfassenden Moral, der zufolge man einer gebärenden Frau nicht mit solchem Anliegen gegenübertritt und schon gar nicht: sie bedroht.

Beim Anhören dieser Worte wurde der elende Knecht noch zorniger, und seine Augen noch röter; er trat zu ihr hin und schlug mit dem Schwert in ihre Halsader und verwundete sie zu Tode.

Ups! Das ist ja nun mal eine narrative Überraschung! Abrîza, die schon Heldin der Geschichte zu sein schien, stirbt hier etwas unvermittelt. Allerdings scheint auch, seit sie durch Omar ibn en-Nu’mân entehrt wurde, kein Platz mehr für die Fortsetzung der Liebesgeschichte zwischen ihr und Scharkân gewesen zu sein. Es ist ein wenig, wie auch in den modernen "Urbanen Legenden": Wer sich in Gefahr begibt, wird bestraft. Hier liegt der Sündenfall bei Abrîza, die ihre Eltern verlässt.

Im Sterben gebiert Abrîza einen Knaben, die Dienerin Mardschâna ist dabei Hebamme. Und während der Sklave Ghadbân flieht, nähert sich eine Staubwolke, und es ist tatsächlich König Hardûb, der seine Tochter suchte und nun sehen muss, dass er nach all der langen Zeit nur Minuten zu spät gekommen ist. Als er dann noch hört, dass der Mörder ein Sklave des Königs Omar ibn en-Nu’mân gewesen ist, und dass dieser König die Prinzessin vergewaltigt hat, steht für ihn fest, Rache zu nehmen. Aber als sie zurückkehren und er sich bei seiner Mutter, der alten Dhât ed-Dawâhi ausheult, sagt diese:

"Niemand hat deine Tochter getötet als Mardschâna."

Und sie rät ihm, die Rache gegen Omar ibn en-Nu’mân von langer Hand vorzubereiten:

"Bringe mir eine Anzahl von Mädchen, hochbrüstige Jungfrauen, und berufe die Weisen der Zeit. Die lass die Mädchen unterrichten in der Philosophie und im feinen Benehmen vor Königen, in der Kunst der Unterhaltung und des Dichtens."

Die Weisen sollen Muslime sein. Und die Rache soll durch diese Mädchen eingefädelt werden:

"denn die Liebe zu den Mädchen ist seine schwache Seite."

 

 

51 Ghadbân = Der Zornige

51. Nacht

Die Mädchen legen nun die fränkische Kleidung ab und ziehen

die Kleidung der Töchter Griechenlands

an. Scharkân sendet einen Voraustrupp, der ihr Kommen ankündigt, und so werden sie in Bagdad von tausend Reitern und dem Wesir Dandân empfangen. Scharkân geht in den Palast zu seinem Vater und berichtet ihm von den wahren Hintergründen der Geschichte mit den Edelsteinen und der Sophia und lobt Prinzessin Abrîza.
Der König lässt Abrîza zu sich führen, ist von ihr geblendet und lässt sich von ihr die drei Juwelen schenken.

Doch als sie davonging, nahm sie sein Herz mit sich.

Der König schenkt Scharkân ein Juwel:

"… eins will ich deinem Bruder Dau el-Makân geben und das andere deiner Schwester Nuzhat et-Zamân."

So erfährt Scharkân erstmals davon, dass er noch einen Bruder hat, der inzwischen sechs Jahre alt ist.

Das kam Scharkân hart an; doch er bewahrte seine innersten Gedanken.

In seiner Sorge geht er zu Abrîza, der vom König ein eigener Palast gewährt worden ist.

Die Lässigkeit, mit der die Bagdader Herrscher Paläste verschenken, lässt entweder auf eine unglaubliche Palastdichte in dieser Stadt oder auf eine hohe Fluktuation der Besitzer schließen.

Abrîza ist verärgert, dass der König die Juwelen nicht in seine Schatzkammer gelegt, sondern sie seinen Kindern geschenkt hat, sie erbittet von Scharkân die Rückgabe des Juwels, das in seinem Besitz ist. Sie beruhigt ihn, dass sie sich trotz der unübersehbaren Avancen des Königs diesem niemals hingeben wird, hat aber auch Sorge, dass ihr Vater, wenn er erfährt, dass sie in Bagdad ist, einen Krieg vom Zaun brechen könnte. Scharkân meint, sie dann zu beschützen. Sie essen gemeinsam.

Doch bald ging er voll Sorgen und Gram in sein eigenes Haus.

Der König Omar ibn en-Nu’mân indessen geht zu seiner Nebenfrau Sophia und schenkt deren Kinder die beiden Juwelen. Aber er fragt sie auch, warum sie ihm nie gesagt habe, die Tochter des Königs Afridûn zu sein.

"O König, was sollte ich mir denn Größeres oder Höheres wünschen, als diesen Rang, den ich bei dir einnehme?" (…) Ihre Antwort gefiel dem König, und als er sie verlassen hatte, da bestimmte er für sie und ihre Kinder einen wundeschönen Palast. Auch ernannte er Eunuchen und Diener für sie, und Rechtsgelehrte, Philosophen, Astrologen, Ärzte und Chirurgen, deren Obhut er sie anvertraute.

Ein eigener Chirurg – wer wünscht sich das nicht!

Doch den König zieht es zu Abrîza, die er in den nächsten Tagen immer wieder aufsucht, die aber höflich seine Avancen aufgibt. Der listige Wesir Dandân, bei dem sich König Omar ibn en-Nu’mân Rat holt, rät ihm, ihr vorm Schlafengehen ein Stück Bendsch in den Wein zu werfen.

"Dann gehe du ihr nach und bleibe bei ihr und stille dein Verlangen an ihr!"

Nachdem der Wesir schon den Rat zum Krieg gegeben hat, wird er jetzt von Nacht zu Nacht unsympathischer.

Omar ibn en-Nu’mân befolgt den Rat.

Wie der König sie so daliegen sah und zu ihren Häuptern eine brennende Kerze fand und zu ihren Füßen eine zweite, die da beleuchtete, was ihre Lenden umschlossen, da verließ ihn sein Verstand, Satan führte ihn in Versuchung, und er konnte sich nicht mehr beherrschen; sondern er zog das Kleid aus, fiel über sie her und nahm ihr die Mädchenschaft. Dann stand er auf, ging zu einer ihrer Frauen, Mardschâna mit Namen, und sagte: "Geh zu deiner Herrin, sie lässt dich rufen!" Die Sklavin lief hinein und fand ihre Herrin bewusstlos auf dem Rücken liegend, während ihr das Blut von den Beinen herabrann.

Als die Nacht verstrichen ist, niest Abrîza das Stück Bendsch wieder aus. (s. auch 40. Nacht )Sie sieht, was der König ihr angetan hat und zieht sich nun in ihre Gemächer zurück, wo sie in den nächsten Monaten einsam lebt, während des Königs Verlangen nach ihr erstirbt.
Sie ist aber schwanger geworden, und als sie fast so weit ist auszutragen, überkommt sie die Reue.

So sprach sie zu ihrer Dienerin Mardschâna: "Wisse nicht die Welt hat unrecht an mir gehandelt, sondern ich habe mich gegen die Welt versündigt, weil ich meinen Vater, meine Mutter und mein Land verlassen habe."

Was sagt da die moderne Psychologie dazu, wenn das Trauma in einen Schuldkomplex internalisiert wird?

"Gibt es Trost für den, der kein Land und keine Heimatstatt,
Keinen Freund und keinen Becher, ja auch kein Dach mehr hat?"

Dann machte Abrîza alles bereit, bewahrte ihr Geheimnis und wartete ei paar Tage, bis der König auf die Jagd auszog und sein Sohn Scharkân sich zu den Burgen begab.

Abgesehen davon, dass man sich fragt, warum Scharkân Abrîza in den letzten Monaten offenbar vernachlässigt hat: Von was für Burgen ist hier die Rede?

Mardschâna sucht einen Diener, der bestochen wird, um mitzukommen und die beiden Frauen auf der Reise zu beschützen –

einen schwarzen Sklaven namens el-Ghadbân.

Dieser willigt ein, aber spricht zu sich selbst:

"Ich werde schon meinen Willen an ihnen durchsetzen; und wenn sie mir nicht zu Willen sind, dann töte ich sie beide und nehme ihnen ihr Geld."

Es wäre ja auch zu schön, wenn einmal etwas Gutes von einem "Negersklaven" käme!

Die drei reiten los, aber schon nach drei Tagen wird Abrîza von den Schmerzen der Wehen überwältigt, dass sie absteigen und sich niederlegen muss.

Als aber el-Ghadbân sie auf dem Boden sah, da drang Satan in ihn ein, und er zog sein Schwert vor ihrem Antlitz und sagte: "O Herrin, gewähre mir deine Gunst." Doch als sie seine Worte hörte, da sah sie ihn an und sagte: "Es bliebe nur noch übrig, dass ich mich Negersklaven hingäbe, nachdem ich mich Königen und Helden verweigert habe!"

Wenn man mich fragt, wird die Story nun schon fast so komplex wie die Ilias – entführte Prinzessinnen (Sophia – die sogar Griechin ist!), ein eifersüchtiger Prinz (Scharkân), ein einfältiger, sich gehenlassender König (Omar), unheilstiftende Berater (Wesir Dandân und die alte Dhât ed-Dawâhi). Es riecht förmlich nach Schlacht.