Impro-Terror (1) Impro-Terror und Leichtigkeit

Wir wissen, dass man in einer Szene die Angebote der Mitspieler akzeptieren und Eigenes hinzufügen sollte, dass es der Szene gut tut, wenn man den Mitspielern aufmerksam zuhört, dass man sich verändern möge usw. Allerdings wird uns die Umsetzung dieser Grundsätze nicht immer so gelingen, wie es uns unsere hehren Impro-Ideale gebieten. Es wird vielleicht szenische Momente geben, in denen wir von den eigenen Ideen so begeistert sind, dass wir das subtile Angebot des Mitspielers verpassen. Vielleicht sind wir mal vom Verlauf einer Szene dermaßen verwirrt, dass wir innerlich aufgeben und uninspiriert weiterspielen. Vielleicht haben wir auch einfach einen schlechten Tag und sind daher unaufmerksam. Oder wir sind irgendwann so sehr an eine bestimmte Art des Improvisierens gewöhnt, dass wir innerlich erstarren, wenn uns Ungewohntes angeboten wird. Wir werden lernen müssen, damit zu leben, dass wir nicht jederzeit auf gleich hohem Niveau improvisieren können, dass wir Rückschläge erleiden und glauben, nicht voranzukommen.
Die große Herausforderung besteht darin, diese Unvollkommenheit auch unseren Mitspielern zuzugestehen. Stellen wir uns folgende Impro-Situation vor.

Ihr improvisiert gerade eine wunderschöne, zarte Liebes-Szene zu zweit und plötzlich kommt der dritte Mitspieler hereingeplauzt und ruft mit „witziger“ Stimme: „Wackelpudding gratis! Lasst uns alle Spaß mit Wackelpudding haben!“


Nun hilft es nicht, zu versuchen, unsere zarte Szene gegen den scheinbar trampligen Spieler durchsetzen zu wollen oder in Frust, Gram oder Ärger zu verfallen. Wir können nur eines: Improvisieren!
Selbst wenn wir uns über Jahre bemühen, uns als Team aufeinander einzuspielen, müssen wir immer noch improvisieren, das heißt, die seltsamen Angebote unserer Mitspieler wie Gold wertschätzen und unsere Mitspieler wie Genies behandeln.
Um beim szenischen Beispiel zu bleiben: Wir müssen herausfinden, was das Spiel-An¬ge-bot unseres Mitspielers ist: Was steckt hinter dem Wackelpudding? Gewiss – unsere Szene war eine ergreifende Liebes-Szene. Aber heißt das, dass unsere Story ein Liebes-Melodram sein muss? Oder ist die Szene vielleicht nur ein Anfang für eine Liebeskomödie? Bietet unser Mitspieler uns hier einfach einen Clash der Erwartungen an? Oder ist er schon in einer neuen Szene? Das lässt sich natürlich nur in der Situation entscheiden. Und auch mit unserer Einschätzung können wir falschliegen. Aber unsere Aufgabe als Impro-Spieler ist es, alles als Spiel-Angebot aufzufassen und uns freudig ins Spiel zu stürzen.
Als fortgeschrittene Spieler haben wir die Grundlagen natürlich seit Jahren internalisiert, aber es gilt, diese immer wieder auf das nächste Niveau zu heben. Und das Akzeptieren im allerweitesten Sinne steht hier auf Platz Eins der Impro-Tugenden.
Bei Foxy Freestyle spielen wir von Zeit zu Zeit Open-Stage-Shows – mit erfahrenen Spielern, mit Profis, aber auch mit blutigen Anfängern und Leuten, die noch nie auf einer Theaterbühne standen. Auf diese Shows bereiten wir uns mit einem Spiel namens „Impro-Terror“ vor: Ein Spieler fokussiert auf eine Impro-Sünde (Z.B. Blockieren, Nörgeln oder Unterbrechen), während der andere Spieler die Aufgabe hat, eine gute Szene daraus zu zaubern. Wenn man ein paar Mal Impro-Terror gespielt hat, wird man bald herausfinden, dass es nichts bringt, zu versuchen, den anderen Spieler bzw. seine Figur zu ändern (etwa sie für ihre Nörgelei zu kritisieren). Vielmehr muss man alles, was der Andere tut, wie ein geniales Geschenk annehmen. Diese Großzügigkeit, die man einem Anfänger gewährt, sollte man aber auch den Mitspielern des eigenen Teams entgegenbringen. Wenn uns das gelingt, erreichen wir gemeinsam eine neue Leichtigkeit. Wir können nicht wissen, ob und wie unser Spiel unseren Mitspieler während der Szene verändern beeinflusst. Aber wir können uns von ihm beeinflussen lassen und mit ihm spielen.

Benefiz-Shows

Es mag hart klingen, aber Benefiz-Shows sind in den allermeisten Fällen eine Katastrophe. Das hat folgenden Grund: Bei Benefiz-Veranstaltungen versuchen die Veranstalter meistens eine riesige Menge an Künstlern zu gewinnen. Am besten viel, am besten alles, am besten zugleich. Oder sie sind so sehr mit ihrem politischen oder sozialen Anliegen beschäftigt, dass ihr nur noch eine kleine Rolle spielt. Die Folge ist häufig ein organisatorisches und technisches Chaos. Da das Geld als Druckmittel fehlt, sehen sich manche Veranstalter nicht mehr an Vereinbarungen gebunden.

„Ihr müsst jetzt doch parallel zur Band spielen. Aber das stört euch doch nicht, oder? Improvisiert doch einfach, höhöhö.
Es gibt zum Essen doch nur noch kaltes Chili con carne.
Ich weiß, wir hatten Headsets vereinbart, aber ich kann jetzt den Olli nicht erreichen.“

Macht Ausnahmen nur dann, wenn es sich um professionelle Veranstalter handelt, die solche Shows mehrfach organisiert haben und wenn es nicht parallele (musikalische) Veranstaltungen gibt.
Und wer eine Benefiz-Show obendrein Open Air spielt, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit ein hohes Lehrgeld zahlen.

Gebuchte Shows – Wenn der beste Vertrag nichts nützt

Man sollte, wenn man als Improgruppe gebucht wird, alle Eventualitäten vertraglich berücksichtigen: Bühnensituation, Zeitpunkt des Auftritts usw. Es gibt einen Level des Irrsinns, den kann man auch im besten Vertrag nicht ausschließen.
Einer meiner schlimmsten Auftritte sah ungefähr so aus:  In einem achtzig Meter langen Saal saßen die Gäste an langen Bierbänken mit schlechter Sicht zur Bühne, die auch noch in zwanzig Meter Distanz zu den ersten Zuschauern aufgebaut war. Es begann mit öden Ansprachen, langen Umbaupausen, es folgte ein schrecklicher Weihnachts-Chor mit einstündigem Programm. An den Seiten liefen parallel weitere Vergnügungen, wie Hau-den-Lukas-Geräte und Ähnliches. Das Publikum wurde immer betrunkener. Um die Umbaupause nach dem Chor zu überbrücken, legte der DJ schon mal laute Tanzmusik auf. Die Gäste glaubten, nun könnten Sie sich endlich amüsieren und tanzen. Aber nach zehn Minuten wurden die Party von der Organisatorin unterbrochen: „Es tut mir sehr leid, aber ich muss Ihnen sagen, dass jetzt erst mal noch ein Improtheater kommt.“ (Murren der Gäste) „Doch! Setzen Sie sich jetzt bitte alle stille hin und warten Sie das Theater ab.“
Während der Show unterhielten sich 480 von 500 Gästen, die Anlage begann ab einem bestimmten Level rückzukoppeln.
Hier hilft nur noch, die Gage von vornherein so hoch anzusetzen, dass man sie als Schmerzensgeld akzeptieren kann.

Ungeschicktes Erfragen von Vorschlägen

„Ich hätte gerne eine Beziehung!“
„Ich auch.“

Was sonst soll der arme Single-Zuschauer denken? Wir Improvisierer denken in Impro-Kategorien und benutzen Impro-Jargon. Zuschauer erleben dieselbe Show, sehen sie aber durch eine andere Brille. Für uns geht es darum, inspiriert zu werden. Zuschauer aber wissen nicht, was uns hilft und was nicht. Wie wir schon gesehen haben, suchen sie entweder nach der unterhaltsamsten bzw. lustigsten Idee oder nehmen das, was ihnen als erstes durch den Kopf schießt, was dann auf Prototypen hinausläuft.

„Wer ist diese Person?“
„Angela Merkel.“

Wenn man die Frage so stellt, kann man sich dieser Antwort sehr sicher sein (bzw. des prominentesten Politikers, über den das aktuelle politische Kabarett gerade seine Scherze treibt). Für uns als Improvisierer ist dieser Vorschlag spätestens nachdem wir ihn zum dritten Mal gehört haben, völlig wertlos, aber das wissen die Zuschauer nicht, denen täglich in Kabarett-Shows suggeriert wird, Politiker zu verspotten sei die Königsdisziplin der Comedy. Mit anderen Worten: Wer „Merkel“ einruft, will helfen. Wenn wir also Vorschläge hören wollen, die auf soziale Rollen wie Hausbesetzer, Geliebte, Ärztin, Kunde im Matratzenladen, hinauslaufen, müssen wir anders fragen:

Wie sind die Wohnverhältnisse dieser Person?
In welcher Beziehung lebt diese Person?
Was arbeitet sie?
Wo befindet sich diese Person und was macht sie dort?

Manche Fragen laufen immer wieder auf dieselben Klischees hinaus, da sie der Semantik-Psychologie einen Streich spielen. Hier ein typisches Beispiel: Für eine improvisierte Figur, besonders wenn sie die Protagonistin der Szene ist, ist es gut, ein Ziel oder einen Traum zu haben, um die Story voranzutreiben. Warum also nicht den Traum des Helden erfragen!
„Welchen Traum könnte ein Mensch haben?“
„Fliegen.“
Die Antwort ist so bescheuert wie unvermeidlich. In der Frage steckt die zum Klischee geronnene Formulierung „Traum der Menschheit“, auf die man unweigerlich „Fliegen“ assoziiert. Aber in Zeiten, in denen ein Flugticket billiger als eine Monatskarte im Öffentlichen Personennahverkehr ist und praktisch jeder Erwachsene schon die Erfahrung zu fliegen gemacht hat, ist so ein Vorschlag eigentlich ziemlich absurd. Hier würde ich auch zur Biografisierung oder Personalisierung raten:

„Ich bitte Sie, an eine Freundin oder einen Verwandten zu denken. Gibt es im Leben dieser Person eine große Sehnsucht?“

Hört euch zu, wenn ihr mit dem Publikum kommuniziert. Wie verstehen die Zuschauer unsere Fragen. Bleibt klar, einfach und offensichtlich. Wenn man sich neue Fragen für Inspirationen überlegt und darauf mehrmals hintereinander unbefriedigende oder immergleiche Antworten bekommt, klopfe man die Fragen darauf ab, wie sie ein unbefangener Zuschauer versteht und welche Assoziationen sie wecken.
Noch ein Beispiel für personalisiertes, aber dennoch ungeschicktes Fragen:

Wo waren Sie heute Mittag um 13 Uhr?

Man bekommt auf eine solche Frage fast immer dieselben Antworten:
Im Büro.
In der Uni.
Am Mittagstisch.
Zuhause.
Man erinnert sich an bestimmte Dinge eben eher grob. Man weiß noch, dass man im Büro war. Aber ob man gerade auf dem Raucherbalkon, am Schreibtisch, im Meeting oder in der Kaffeeküche war, weiß man eigentlich nicht genau. Man weiß, dass man auf dem Weg zur Arbeit war, aber ob man gerade sich einen Kaffee zum Mitnehmen holte, die Straße überquerte oder im Bus saß, hat man schon vergessen, bzw. die Zeit zum Überlegen genügt in der Show Situation nicht.

Gutes Scheitern, ungutes Scheitern

Man kann schön und unschön scheitern .
Schön, wenn man voller Hingabe Risiken eingeht, das Engagement sichtbar wird.
Unschön, wenn sich ein Gefühl der Trägheit, der Leere, der Vorsicht auf der Bühne ausbreitet.
Letzte Woche ein künstlerisch anspruchsvolles Genre über einen ganzen Abend gemeistert. Diese Woche mit zwei Langform-Standards, die wir seit Jahren spielen gescheitert. Die Jonglier-Bälle der Improvisation sind uns nicht bei einer atemberaubenden Nummer zu Boden gefallen, wir haben sie nicht einmal hochgeworfen, da kullerten sie uns schon aus der Hand. Vielleicht stellt sich nach enormem Erfolg auch ein Gefühl der Nachlässigkeit ein: Wir können’s ja. Auf einmal ist man weniger engagiert, und missachtet sogar die Grundlagen der Kunst.
Da ist das heitere Scheitern nicht leicht. Nicht die Schuld beim Publikum suchen, nicht bei den Mitspielern. Was hätte ich tun können, um die Show zu retten!
Durchatmen, lächeln, toitoitoi fürs nächste Mal.

Scheiter heiter, aber nicht mit meinem Format

Wenn wir bei Foxy Freestyle mit Gästen spielen, laden wir sie dazu ein, eines unserer aktuellen Lieblingsformate zu spielen und im Gegenzug uns in ihr Lieblingsformat einzuweihen, ohne große Probe, nur mit kurzer Besprechung der formalen Details vor der Show. Es zeigt sich, dass alle mit diesem Konzept recht zufrieden sind, mit folgender Einschränkung: Wenn es ein neues Format ist, dass die Gäste gerade in irgendwelchen Workshops unterrichten, sind sie oft geradezu überbehütend mit ihrem Format. Vielleicht weil sie es als ihr kleines Baby betrachten, das noch wachsen muss und das man nicht einfach dem derben Scheitern aussetzen möchte.

Richtigmacher

Christine Lemke Matwey in der ZEIT über das Ende von Wetten, dass…
Gottschalk habe das richtige Maß an Anarchie in einer eigentlich biederen Sendung verkörpert und macht das an einem Vergleich fest: Bei einer verlorenen Saalwette wurde Gottschalk komplett in Senf getunkt. Das Mikrofon hielt er fest in der Hand. Knapp fünf Jahre später verliert Lanz eine Saalwette und wird in Schokolade getunkt (ob sie da einen Strafen-Ausdenker im ZDF angestellt hatten, dem die Ideen ausgingen?). Und im Gegensatz zu Gottschalk gibt Lanz das Mikrofon der Wettpatin. Bloß nichts kaputtmachen. Bloß alles richtig machen.
Lanz ist ein Richtigmacher, und hatte deshalb keine Chance.
“Ein Volk von Richtigmachern will keinen Richtigmacher vorgesetzt bekommen, das hätte das ZDF bei den alten Griechen ebenso lernen können wie aus der TV-Geschichte.

“Er machte alles falsch und war doch der Größte”

Angelo Dundee, der Boxtrainer über seinen Schützling Cassius Clay (später Muhammad Ali): “Er machte alles falsch und war doch der Größte.”
Das Genie von Dundee besteht darin, genau dies zugelassen und gefördert zu haben. Muhammad Ali hatte seltsam wirkende Techniken, z.B. sich nach hinten zu lehnen statt in den Kampf hineinzugehen. Er vertraute auf seine für einen Schwergewichtler ungeheure Reaktionsfähigkeit. Dundee versuchte erst gar nicht, Ali umzudrehen oder zu verbiegen. Seine Seltsamkeiten förderte er sogar.

Kultur des Scheiterns

Die britischen Luftschiffe Anfang des 20. Jahrhunderts sollten gigantisch werden. Man ließ den Konstrukteuren kaum Raum zum Probieren und Scheitern. Der Flug des größten Luftschiffes, das bis Indien fliegen sollte, endete in Frankfurt/Main. “Die Luftschiffe scheiterten, weil sie nicht scheitern durften.”
Dass Google zu den Überlebenden der Dotcom-Blase gehört, kann erklärt werden mit dem großen Spielraum fürs Scheitern, der in diesem Unternehmen selbstverständlich ist. “80 Prozent aller Google-Erfindungen enden als Flop.
“Amy Edmondson fordert eine Kultur der psychologischen Geborgenheit: Mitarbeiter müssen wissen, dass Fehler sie nicht in Gefahr bringen. Nur dann sei es möglich, von den Fehlern zu lernen und gescheiterte Projekte abzubrechen (anstatt sie monatelang weiterzuführen, weil es niemand wagt, das Scheitern einzugestehen).”
[Nach den Katastrophen in südkoreanischen Maschinen in den 80ern und 90ern begann man zunächst die Hierarchien zwischen Pilot und Kopilot abzubauen, indem man auf das neutralere Englisch umschaltete und eine sach-orientierte Sprache einforderte. siehe Malcolm Gladwells “Blink!”] “Solche Fehlerfreundlichkeit ist in den meisten Organisationen die Ausnahme.”
“Wenn Scheitern routinemäßig bestraft wird, reagieren Mitarbeiter mit ‘Verantwortungsdiffusion’. Da werden Papiere dann zehnmal abgezeichnet, oder es sitzen 20 Menschen in einem Meeting, für das es eigentlich nur zwei Mitarbeiter brauchte.”
Dirk Baecker: “Wir denken in Resultaten, nicht in Prozessen. Im Prozess spielen Fehler und mögliche Fehler eine entscheidende Rolle, aber im Endergebnis werden sie vergessen.”
“Unsere Fehler lehren uns Demut und, im Umkehrschluss, Toleranz. Wie könnten wir andere aufgrund ihrer Fehler verdammen, wenn wir selbst ständig Fehler machen?”

Aus Jürgen Schaefer: “Fehler? Falsch! Warum auch Irrtümer uns im Leben voranbringen” in GEO 03/2012

Komik der Fehler

Fehler sind im Improtheater auf eine gute Art komisch, wenn sie aus dem Wagnis und dem Engagement heraus entstehen. Vorsätzlich schlecht zu spielen, schlecht zu singen usw. erzeugt ebenfalls Lacher – allerdings der billigen Sorte. Wenn wir damit erst anfangen, werden wir die Geister, die wir riefen, nicht mehr los und trainieren uns schlechtes Spiel an.

Kleine und große Szenen-Fehler

Rechtfertigen nervt und ist im Grunde oft Gagging. Mach nicht so ein Bohei um die szenischen Fehler. Wenn Steffi die gemimte Tür nach innen öffnet und Matze nach außen – was soll’s. Das sind Kleinigkeiten, die in jedem Film auftauchen und keinen interessieren. Da müssen wir nicht extra noch betonen, dass das die Tür ist, die sich sowohl nach innen als auch nach außen öffnet.
Einer der häufigsten Fehler ist wohl das Vergessen oder doppelte Vergeben von Namen. Anstatt nun das immergleiche Spiel zu spielen: “Martin? Ich dachte sie heißen Georg?” “Ja Martin-Georg”, kann man doch auch mal kurz aus der Szene heraustreten und kurz fragen. Dasselbe natürlich auch bei richtig großen Schnitzern oder Missverständnissen: Natürlich können wir Johnstones “Zwei Welten” bis zum Umfallen spielen, aber davon wird die Szene auch nicht schöner. Bevor man sich völlig verrennt, kann man doch anhalten und sich verständigen: “Sind wir jetzt in der Rückblende oder wieder in der Gegenwart?”

Das soll natürlich nicht zu Fehlersuche beim Spiel verleiten. Nimm Stolpler als Inspiration.

Urteil und Kritik

Fast jeder Impro-Anfänger muss sich freimachen von der Angst, beurteilt zu werden. Wir empfinden das Urteil an unserem Werk als Urteil über unsere Person. Und das macht vorsichtig. Das geht im Grunde jedem Künstler so, mehr aber noch in der Improvisation, wo es kein Zurück gibt, kein Korrigieren. Von 100 Impro-Anfängern unterliegen 90 dieser Angst, die es erst einmal zu lockern gilt.
Aber auch später taucht diese Furcht immer wieder auf. Und dan spielen wir auf Sicherheit, wenn man von “Spiel” in solchen Situationen überhaupt noch sprechen kann.
Heißt das aber, wir sollen Urteil und Kritik völlig ausblenden? Wie wollen wir uns denn weiterentwickeln ohne Kritik? Wie wollen wir ohne Urteil urteilen?
Es hilft nichts – wir müssen uns öffnen. Aber in einer Weise, die uns nicht lähmt.
1. Kritik und Urteil dürfen nicht unmittelbar in unser Spiel einfließen, sonst drohen sie uns zu lähmen. Wir müssen sie positiv kanalisieren, zum Beispiel indem wir uns ein kleines Privat-Game daraus bauen. Also angenommen, ich höre als fiese, unkonstruktive Kritik: “Du bist andauernd so negativ auf der Bühne!” (“Häbäbäbä!”), dann kann ich für mich bei der nächsten Show ein Spiel daraus machen, das da heißt, ich versuche, stets positiver als mein Mitspieler zu erscheinen.
2. Ich muss lernen, Kritik einzuordnen. Ich darf mich nicht persönlich angegriffen fühlen, egal wer die Kritik äußert. Ich muss mich fragen, wie ernst nehme ich die Kritik. Ein laienhafter Zuschauer weiß vielleicht nur, dass ihm eine Szene nicht gefallen hat, kann aber nicht genau formulieren warum (Meist heißt es dann “Die Geschichte war langweilig”). Mach dich nicht abhängig von Lob und Kritik des Publikums – man wird davon nur größenwahnsinnig oder bekommt Minderwertigkeitskomplexe. Aber höre genau zu, was deine Mitspieler dir zu sagen haben. Und was sagt dein Mentor? Was sagen Improkollegen im Publikum?
Und das alles gilt natürlich auch für die nicht-improvisierten Künste. Lies Rezensionen nur, wenn du weißt, dass du auch mit Verrissen gut leben kannst.

Malcolm McLaren – Scheitern als Kunst

Malcolm McLaren gestorben.
Aus einem Taz Interview 2008:
“Widersprüche machen uns auf wunderbare Weise unperfekt. Ich werde nie vergessen, wie einer meiner Professoren die Arbeiten des Spätimpressionisten Pierre Bonnard erklärte: “Es sind die Fehler, die Fehler sind es, die ihn von einem Amateur in einen großen Künstler verwandelt haben. Er zeigte seine Fehler!” Das sind die Dinge, die mich geformt haben, das war Cash from Chaos: Es sind die Fehler in der Musik, die zählen! Zeigt, dass ihr nicht gut spielen könnt, das ist viel besser, als es so aufzunehmen, als ob ihr spielen könntet! Es ist groß, seine Fehler zu zeigen!
Natürlich hielten mich diese Kids für vollkommen verrückt. Kannst du uns nicht einen guten Produzenten besorgen, der kann das frisieren, fragten sie. Nein, nein, ihr müsst die Fehler zeigen! Ich predigte dieselben Worte, die mich gelehrt worden waren. Die Idee war seitdem immer, dass etwas Falsches richtig aussehen konnte.”

Gewalt

Manchmal vergesse ich, in Workshops Dinge zu unterrichten, die für mich selbstverständlich waren, z.B. Einsatzfreude, Ausprobieren. Aber auch sensibler Umgang mit Mitspielern. Tatsächlich spielen sich manche Anfänger in einen regelrechten Wahn und leben die schauspielerische Gewalt regelrecht aus. Der Kampf der Figuren wird zum Kampf der Spieler. In eine ähnliche Richtung geht natürlich auch der intime Übergriff – extreme körperliche Nähe zu Leuten, die man kaum kennt. Highlights:
– Beim Workshop in einem Konservatorium kämpfen zwei Spieler mit aller Kraft um die Herrschaft auf der Bühne, zerren an ihren Klamotten. Am Ende zerdreschen sie den Notenständer.
– Beim Casting-Impro für eine Improgruppe verpasst ein Bewerber in einer Szene einem Mitglied der Gruppe eine Maulschelle. (Ob er genommen wurde, ist mir nicht bekannt.)
– Bei einer Anfängershow wird eine Armrede gespielt. Herr X die Arme, Frau Y hält die Rede. Vom Publikum wird ein etwas anzügliches Thema vorgegeben. Herr X begrabbelt nun die Spielerin Y. Zunächst an den Hüften, dann ein kurzer Griff an die Brüste – es verschlägt ihr den Atem, aber the show must go on. Dem kurzen Griff folgt ein längerer, und dann als Höhepunkt tatsächlich ein Griff in den Schritt. Niemand schreitet ein, und das Publikum windet sich vor Fremdscham.

Kritik von Kollegen

Mehr als die Kommentare in Gästebüchern und oft mehr als das von Dünkel oder eben auch Selbstzweifeln ja nicht freie Selbsturteil sollte man die Kritik von Kollegen schätzen. Am besten natürlich, von Kollegen, die man selber schätzt. Selber muss man sich auch nicht scheuen, auf Anfrage zu loben, zu kommentieren und eben auch zu kritisieren. Auf Anfrage! Unangenehm ist Kritik von unerwünschter Seite, bei der man, selbst wenn man dem Kritiker sachlich recht geben mag, insgeheim denkt: Wie willst du denn das beurteilen? Unangenehm jene beiden Künstler, die sich immerzu autorisiert sahen, an Storytelling, Performance oder Reimschemen zu nörgeln, ohne je auch nur einen unpeinlichen Auftritt absolviert zu haben.

Wem verzeiht man was?

Ich glaube, ich lege unterschiedliche Maßstäbe an, wenn ich Improvisierer sehe.
Jungen Spielern verzeihe ich am ehesten Gagging und beschränkte schauspielerische Fähigkeit, am wenigsten Lahmarschigkeit und Mangel an Engagement.
Älteren Spielern verzeihe ich mangelnde physische Beweglichkeit, aber keine vorsätzliche Doofheit.
Ähnliches könnte man ausführen für Anfänger vs. Routiniers, Frauen vs. Männer, Langform-Spielern vs. Game-Spielern usw.

“Fehler” in einer sehr guten Show

Sehr gute, geradezu exquisite Impro-Show am Freitag im RAW.
Die Spieler von Foxy Freestyle überbieten sich geradezu mit ihrer Spielfreude, ihren Figuren, ihrer Einsatzfreude. Alles wird positiv verwendet. Selbst als der Computer, mit dessen Hilfe wir Bühnenbilder projizieren, abstürzt, verwenden wir das konstruktiv.
Beim genaueren Hinsehen könnte man tatsächlich ein paar kleine, aber ziemlich haarsträubende Storytelling-Lücken entdecken. Verrückt aber, dass das im Grunde nicht mehr zählt, ob es aufgeht. Man nimmt als Zuschauer eigentlich viele Ungereimtheiten inkauf, wenn sie überzeugend vorgebracht werden. Das Konstrukt des Storytelling wird in der Analyse und in der Vorbereitung immer wieder überschätzt.

Nach einer “schlechten” Show

Ärgern hilft nichts. Schlechte Shows passieren, wenn man improvisiert.

  • Arbeitet man als Gruppe an einem Ziel? Dann möglichst neu fokussieren.
  • “One way I try to avoid the whole thing is to just set an individual goal for each performance (working a certain way with someone in the group, having a grounded energy, doing more character work..whatever). I find when I do this and the show sucks, well, it’s not all a total loss.”

Die traurige Geschichte vom schlechten Komiker

Shaun Landry erzählt die folgende Geschichte über einen Komiker, der in jedem Workshop der Stadt anzutreffen war:
The worse case I have ever seen in my life is a cat who seems to be the king of classes. I don’t think anyone (and granted myself included) has said to him “You will never be a good improviser or stand up comedian”. I see him every once in a while here attempting stand up. God. It’s brutal. No one will tell him the truth. *no one*He ended up opening for a famous comedian. Not because he was any good. Because this very famous comedian is a notorious asshole drunk to deal with. And the bookers decided to screw him by finding the worst standup in town.And it was the guy I’m talking about. It is like picking on the ugly kid with the pretty girl…or some scene from Carrie. Just waiting for the bucket of blood to fall from the Improvisation in San Jose.He was so happy. This is where you sit there and go “is this the moment I burst this happy man’s bubble? NO I CAN’T DO IT. I CAN’T TELL HIM HE GOT THE GIG BECAUSE HE IS HORRIBLE. NO. I’M NOT GOING TO BE THE ASSHOLE HERE”That is what it comes to.Noone wishes to be “The Asshole” When in actual fact you might be the nicest one in the room for finally telling this guy the truth.I have heard me mumble “I don’t know what will help” Maybe I should take an inflection class to try to make that sound more upbeat. So I don’t get pounced with the ultimate question “Well, what do you mean?” For a bunch of people who scream Truth in Comedy, we sure suck at Truth in Real Life.

Stottern: Linkshändigkeit, Singen, Tiere, “Selbstvertrauen”

Linkshänder stottern anscheinend häufiger (s. Obama), was wohl oft damit zu tun hat, dass sie ihre Impulse unterdrücken sollen, da sie “falsch” sind.
Stotterer stottern seltener (ein schöner Satzbeginn für Stotterer), wenn sie singen: Der Fokus liegt dann nicht auf dem “richtigen” Formulieren.
Stotterer stottern seltener wenn sie mit Tieren reden.
Im Hypnoseforum wendet der User Chippie ein: “ich vermute, dass das eher daran liegt, dass man sich nicht mehr aufs sprechen konzentriert, sondern auf die vorstellung. das lenkt ab, macht aber nicht sicher. ich glaube eher, dass es was mit selbstvertrauen zu tun hat.” Und das ist aber der springende Punkt, den wir auch vom Impro und kreativen Prozessen kennen: Wir konzentrieren uns auf das Wie, auf ein schönes Detail, und nicht auf das “Richtig” oder “Falsch”, und dann kommt schon was Schönes zustande.

“Ich kann das nicht”

Es ist erstaunlich, wie oft Schüler schon vor einer Übung sagen: “Das kann ich nicht.” Es ist, als reduzierten sie damit die Fallhöhe. Wenn die Szene dann nicht gelingt, wie sie es sich erhofften, haben sie die Entschuldigung schon im Ärmel: “Ich hab ja gesagt, ich kann das nicht.” Das wäre ja halb so schlimm, das Problem ist nur, dass dies eine selbsterfüllende Prophezeiung ist. Eine der größten Überwindungen für viele Schüler ist beispielsweise das Singen, eine Hemmung, die oft von Eltern, Lehrern und Freunden genährt wird. Wenn ich aber an das Singen mit der Ich-kann-das-nicht-Haltung herangehe, ist das die sicherste Garantie dafür, dass es tatsächlich traurig, gequält, schief und unrhythmisch klingt. Singgehemmten Schülern spiele ich oft einen Dreiklang am Klavier vor und bitte sie, dazu einen schiefen, unpassenden Ton zu singen, eine ziemlich schwere Übung, an der sie meistens “scheitern”, denn unser an Dreiklangsharmonien geschultes Ohr sucht sich instinktiv einen passenden Ton. Aber durch dieses “Scheitern” erfahren sie, dass sie automatisch und instinktiv “richtig” singen.

Kopier-Reflex

Seltsam, der bei vielen Impro-Spielern so ausgeprägte Kopier-Reflex: Die Figur des Gegenüber wird in Tonfall, Körpersprache, sozialem und theatralem Status kopiert. Vielleicht wird hier eine wertvolle soziales Verhaltensweise auf die Bühne übertragen. Bloß hier ist sie ziemlich unbrauchbar. Es ergibt sich kaum dramatisches Potential, denn auch die Wahrscheinlichkeit, dass jetzt inhaltlich Unterschiedliches produziert wird, bleibt gering.
Rosenkranz & Güldenstern treten zwar immer als Doppelpack auf, aber immer in Konfrontation mit einer anderen Figur. Eine Szene nur mit diesen beiden hätte bestenfalls die Qualität eines Monologs.