Sag, was ist unser Sinn im Leben?
Leben, Leben, Leben, Leben.
Frage ruhig
Frage ruhig, mein Sohn.
Das geht voraus dem Wissen.
Wer klug sein will, wird fragen müssen,
und Wissen ist der Lohn.
Hör nie zu fragen auf.
Wissen lässt sich nicht vollenden.
Lässt du’s mit dem, was ist, bewenden,
so zahlst du später drauf.
Bezweifle, was ich sag.
Bezweifle das, was du schon weißt,
denn schließlich irrt der Mensch doch meist.
Und frage jeden Tag.
th.akt.il – Ilka Puschke & Thorsten Less
Zwei Impro-Spieler betreten die Bühne, freundlich, fast unterspannt. Kurz stellen sie sich vor und kündigen an, nichts vorbereitet oder verabredet zu haben, sondern nur sich gegenseitig überraschen zu wollen. Was folgt, ist eine der besten Impro-Shows, die ich in den letzten Jahren gesehen habe. Ich spreche nicht von TJ & Dave. Ich spreche von Ilka & Thorsten, die sich als Duo „th.akt.il“ aus der Berliner Senkrechtstarter-Gruppe „Raketos“ für ein paar Show zusammengetan haben.
Was bei diesen beiden so ungeheuer beeindruckt, ist die Liebe zu jeder Szene und das absolute Vertrauen ineinander. Am 26. März 2018 spielten sie ungefähr neun Szenen unterschiedlicher Länge und bedienten dabei (absichtlich? unabsichtlich? intuitiv?) alle Emotionen und die volle Bandbreite theatraler Ausdruckskraft. Wir sahen berührende Momente zwischen einem alten Paar, schreiend ulkige Körperkomik, geniale Pantomime, eine ins Trashige lappende Parodie. Und niemals wurde auch nur ein Moment geopfert für die Anbiederung ans Publikum oder für den schnellen Gag.
Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal so viel in einer Impro-Show gelacht habe. Die beiden haben neben allem schauspielerischen, erzählerischen und improvisatorischen Talent auch ein untrügliches Gespür fürs Komische: Charakterkomik, Slapstick, Impro-Komik, witzige Situationen, physische Narrheit.
Neue Impro-Gruppen suchen oft nach neuen Formaten, neuen Genres usw. Sie sollten nach neuen Möglichkeiten der Freiheit suchen, so wie Ilka Puschke und Thorsten Less.
Erkenntnis
Aus wildem Traume hat’s mich hochgerissen.
Ich war hellwach (zerwurschtelt war mein Kissen)
und wusste: Ich hab neues Wissen.
Das Wissen war von ungeheurer Klarheit.
Und voll vom Glück der so gewonn’nen Wahrheit
legt ich mich wieder. Morgen hieß es: Arbeit!
Die Sonne weckte mich. Ich: voller Frust.
Mein nächtlich Wissen schien nicht sehr robust.
Und doch weiß ich: Ich hab’s gewusst.
Grazie
Ein zarter Nabel, eine gelbe Socke,
ein freies Lächeln ohne jedes Ziel,
ein Kaffeefleck am T-Shirt und die braune Locke,
die keck auf deine Schulter fiel.
Ein leises Summen, so wie in Gedanken,
ein irritierter Käfer auf dem Knie,
ein weiter Blick, ein Lächeln ohne alle Schranken,
als wärst du eine Phantasie.
Ein schlankes Schlüsselbein, geschwungne Brauen,
ein Lächeln, das noch niemand eingezäunt,
es könnte niemand dies perfekte Bild versauen,
nur der da neben dir, dein Freund.
Gottesdienst
Kalt feucht die Halle
Noch einmal rasch blättern
Und vorn des Gefolterten Bild.
Fast zögernd
Doch unausweichlich
erhebt sich der Menge Gesang.
Pfarrer liest vor
Erwartbaren Plimplam,
Der Trost gibt wie einst Mamas Lied.
Gebet und ein Amen
Gemeinschaftsgefühle
Zumindest am Sonntag.
Den Stein weit wegwerfen
Die Figuren Vera und Anke in einem Eiscafé.
Anke: Vera, ich möchte, dass du mir hilfst.
Vera: Ja, Anke, für dich tue ich alles.
Anke: Ich glaube, mein Mann betrügt mich. Und ich möchte, dass du ihn beschattest und mir sagst, ob da etwas dran ist.
Die Szene spitzt sich noch ein bisschen zu, und Vera willigt ein.
Die Frage ist: Was sehen wir als Nächstes? Man könnte völlig naheliegend bleiben, und eine kleine Ausspionier-Szene spielen, naheliegenderweise in einer Wohnung oder einem Hotel. Was aber, wenn wir in der nächsten Szene Vera dabei sehen, wie sie auf einem Pferd reitet?
„Auf einem Pferd?“, mag man sich da fragen. „Was hat das mit der Szene davor zu tun?“
Das Problem ist, dass manche Szenenabfolgen, vor allem wenn man sie häufiger spielt, so naheliegend sind, dass sie sich klischeehaft anfühlen bis hin zu dem Gefühl, dieselbe Szene schon mal so oder ähnlich gespielt zu haben – der Tod des Improvisierens. Eine Lösung, die kreative Leistung aller beteiligten Hirne wieder anzuspornen, besteht darin, den Stein weit wegzuwerfen – eine unerwartete Handlung, ein unerwarteter Ort, ein unerwartetes Gespräch.
Wir lassen das Boot absichtlich wanken. Wir geben bewusst Kontrolle ab, indem wir etwas injizieren, woran wir uns abarbeiten können.
Man kann sich selbst den Fortgang der Ausspionier-Szene ausmalen, indem man weitere „nicht naheliegende“ Handlungen und Orte einsetzt: Eine Eislaufbahn, ein Flugzeug in Position lotsen, Tapete streichen, ein Klavier stimmen…
Nun könnte man einwenden, dass das doch recht „ausgedacht“ wirkt, also das gerade nicht „naheliegend“ ist. Aber ausgedacht wirkt es nur, wenn wir uns krampfhaft um Originalität bemühen, nicht wenn wir unsere Assoziationskanäle etwas weiter öffnen als normalerweise. (Letztlich ist ein Reit-Parcours auch nur ein Schauplatz wie jeder andere auch.)
Problematisch wird das Stein-weit-wegwerfen, wenn die Szenen und die Story sowieso schon überladen sind. Dann hilft es eher, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und den Kern der Szene herauszuarbeiten, statt neue irritierende Elemente einzufügen.
Aber wenn wir uns zu sicher wähnen, dann ist das Stein-Weit-Wegwerfen genau die richtige Technik, um etwas Schwung in die Improvisation zu bringen.
Erde. Vormittag. Frühlingsbeginn
Des Bärlauchs Frische würzt den kleinen Wald:
Du üppig-früher Bote zeugst vom Werden.
Die Sonne heuer kämpft, der März noch kalt.
Auch dies – ein kleiner Fleck auf unsrer Erden.
Ein Jogger eifrig durch die Pfade schnauft.
Am Rand des Waldes wird Benzin verkauft.
An der Einfallsstraße: Durstge Wagen.
Auch diese muss der Erdenball ertragen.
Und während ich von meinem Wäldchen schwärm,
umfängt mich knatternder Motorenlärm.
Und mir wird flau im Kopf und in den Beinen.
Der Lauch, der März, der Jogger, das Zerstören.
Es muss wohl alles doch dazugehören.
Ich weiß nicht, soll ich lächeln oder weinen.
August 1990
Die Sonne schien golden ins Fenster des Zugs auf die Krim.
Beim alten Natschalnik gibt’s Tee. Nun nimm.
Bis in die tiefste Nacht hatten wir gesungen.
Der Portwein, und Vitja, Gitarre und Bier.
Mir hat’s nach erblühender Freiheit geklungen.
War das schon der Dnjepr? Max Maslow im Schlaf.
Spiel noch mal das Lied vom Tank in Afghanistan.
Nimm Max’ Gitarre. Ob ich das darf?
Ich döse.
Noch fünfeinhalb Stunden nach Simfi per Bahn.
Morgenmediation
Wieder dampft die Morgenwiese.
Langsam steigt die Sonn empor.
Eine laue Frühlingsbrise
säuselt neckend in mein Ohr.
Noch sind meine Pläne vage,
froher Mut bestäubt die Seel’.
Keine Mühe, keine Plage.
Kein Geschrei entweicht der Kehl’.
Atme tief – dies ist das Leben.
Meinem Glück ich Danke sag.
Fröhlich kann ich mich erheben.
Komm, du schöner frischer Tag.
Dieb und Bestohlener
Fahr hin, o Dieb!
Fahr in auf meinem Fahrrad.
Hab keine Angst.
Hab keine Angst, o Dieb!
Wenn man nichts bar hat,
dann stiehlt man und zieht ein den Schwanz.
Ich geh zu Fuß
und weiß, dass wir uns gleichen,
in Sphären des Nicht-Mehr und Noch-Nicht-Ganz.
Ja, jetzt bist du’s,
der’s Fahrrad ganz und gar hat.
Und mir verschwand’s.
Stärke
Zu Mittag schwamm er immer hinaus.
Nach dreißig Minuten war er verschwunden.
Sie sagten, der Sascha kennt sich aus.
Stets hat er zurück noch gefunden.
Wir scherzten: „Jetzt ist er in der Türkei.“
(Das wären fünfhundert Kilometer.)
Nach neunzig Minuten kam er wieder herbei.
Doch einmal wurde es deutlich später.
Wir starrten hinaus auf das Schwarze Meer,
wartend auf Sascha, der lieb uns und teuer.
Die Scherze verstummten, das Sprechen fiel schwer.
Doch er wartete oben am Lagerfeuer.
Wie kamst du hierher? Wie hast du’s geschafft?
Sascha, der Schwimmer! Welch eine Kraft!
Er schwieg, dann weinte und lachte er.
Dann ging er schlafen und ließ uns stehen.
Wir erfuhren nie, was Sascha gesehen
dort draußen beim Schwimmen im Schwarzen Meer.
Offenheit
„Wir wollen immer offen bleiben.
Man sagt, was man im Herzen trägt.“
Fast wollte sie’s vertraglich schreiben,
von ihrer Offenheit geprägt.
Doch zu viel Offenheit kann stören,
wie wir bald erfahren mussten.
Denn manches will man gar nicht hören,
was tief dort ruht im Halb-Bewussten.
Die Offenheit muss sich wohl paaren
mit unsrer Wohlgesonnenheit,
sonst liegt man sich nur in den Haaren.
Und Nörgelei, die macht sich breit.
Empathie
Er spürt die Träne,
die ihre Träne ist.
Hätte er geweint, so wär’s dasselbe.
Stich im Hals, ganz tief.
Ein leichtes Ohrensausen.
Leidet sie, so leidet er,
kann sich des nicht erwehren.
Drückt sein Mitleid ihn zuweilen,
lass ihn allein.
Es heilt ihn.
Strategien
Wir pflegten, uns zu bezirzen
mit heimlichen Strategien.
Es könnte die Liebe würzen.
Doch wir haben’s uns nie verziehen.
Die Liebe verträgt kein Planen,
sie braucht die Ehrlichkeit nur.
In vorgeschriebene Bahnen
presst sie kein Plan und kein Schwur.
*
Nichts gab’s mehr zusammenzuraufen.
So geht’s, wenn die Liebe verliert.
Wir standen vorm Scherbenhaufen.
Wir hatten uns ausmanövriert.
Don’t reveal everything /Nicht alles offenbaren.
„Teachers shouldn’t reveal everything to their students, especially when they don’t know something.“ „Lehrer sollten ihren Schülern nicht alles offenbaren, besonders, wenn diese etwas nicht wissen.“
(www.youtube.com/watch?v=bz9mo4qW9bc – 1:30 min) (Keith Johnstone)
Dieser Sünde des Unterrichtens, in der Begeisterung des Lehrens alles gleich auf den Tisch zu legen, habe ich mich leider auch immer wieder mal schuldig gemacht. Das Problem ist: Man beraubt die Schüler auf diese Weise der unmittelbaren Erfahrung, etwas selbst entdeckt zu haben. Die Kunst des Impro-Unterrichtens besteht nicht so sehr darin, den Schülern Hunderte Spiele vorzusetzen (Überzuckerung) oder ihnen Lehrsätze zu verklickern (Übersäuerung), sondern in jeder spezifischen Unterrichtssituation eine angemessene Übung parat zu haben oder eben diese Übung in diesem Moment zu erfinden. Auch als Lehrer sollte man sich den suchenden Anfänger-Geist bewahren.
An meinen alten Pullover
Mein warmer Pullover
grün und
braun und
selbstgestrickt von Mutter.
Ich liebe die Wärme,
die Farbe
und jede Masche
des Gestricks.
Du machtest mich erwachsen.
Man stahl dich mir
vor sechsundzwanzig Jahren.
Stalin – Waiting For Hitler
„Stalin. Waiting For Hitler“ ist für sich genommen schon ein ungeheures Werk. 900 eng bedruckte Seiten plus einem 200 Seiten umfassenden Anhang in einer Schriftgröße, die eigentlich niemand mehr lesen kann. (Im Normaldruck würde der Umfang des Buchs sich wohl noch mal verdoppeln.) Vier Minuten habe ich pro Seite gebraucht. Dabei war das Historiker-Englisch nicht einmal das Problem. Aber konnte ich es nicht lassen, den einen oder anderen Character doch noch intensiver in der Wikipedia zu studieren. Vier Monate habe ich mir Zeit gelassen (mit einer Handvoll belletristischer Verschnaufpausen, wenn es gar zu düster wurde).
Und dabei ist dies nur der zweite Teil der umfangreichsten Stalin-Biographie, die je geschrieben wurde. (Und es ist nicht anzunehmen, dass sich noch einmal jemand diese Fleißarbeit aufbürdet.)
Im ersten Teil sahen wir, wie sich ein junger, ideologisch beseelter Mann in den Tumulten seiner Zeit im Zentrum einer Großmacht wiederfindet. Stalin weiß seine Macht zu nutzen, aber sie ist ihm nicht, wie es der populäre Mythos will, Selbstzweck. Er nutzt sie aus, weil er durch und durch Kommunist ist.
Der zweite Band beginnt mit der schonungslosen Durchsetzung der landwirtschaftlichen Kollektivierung in der Sowjetunion. Kotkin zeigt, dass wenn Stalin wirklich nur der zynische Machtmensch wäre, er dieses Unternehmen gar nicht eingegangen wäre. Denn nie wurde ein politischer Schritt mehr opponiert als diese radikale Verstaatlichung, die zu einer der größten Hungerkatastrophen des 20. Jahrhunderts führte.
Die Folgen dieser Maßnahme sind noch nicht überwunden, da fällt sein Freund Kirow einem Attentat zum Opfer. (Kotkin beweist anhand der neu zugänglichen Dokumente, dass Stalin nicht der Drahtzieher dieses Anschlags war.) Aber ähnlich wie der Reichstagsbrand für Hitler nutzt Stalin die Gelegenheit aus, um alte Rechnungen zu begleichen. Es beginnen die Jahre des Terrors. Stalin schlägt erst links zu, dann rechts, dann im „Zentrum“. Es ist in den 30er Jahren in der Sowjetunion lebensgefährlich, ein Kommunist zu sein. Und je höher man in der Machtpyramide steht, umso unwahrscheinlicher ist es, dass man das Jahrzehnt überlebt. Vom alten Politbüro überlebt Stalin allein. Von den knapp 2.000 Delegierten des „Parteitags der Sieger“ überlebte nicht einmal die Hälfte. Es gab keine gesellschaftliche Sphäre, die der Terror unberührt ließ. Fabrikdirektoren wurden bei kleineren und größeren Problemen der Sabotage bezichtigt, vom Land fliehende Bauern erschoss man kurzerhand, das Militär erlitt kurz vor Beginn des zweiten Weltkriegs einen enormen Aderlass, ethnische Minderheiten wurden der Spionage beschuldigt, und schließlich wendete der Terror sich gegen die eigenen Bluthunde – der NKWD brachte seine eigenen Leute um, bis auch Jagoda und Jeschow hingerichtet wurden. Über allem schwebte der Geist Trotzkis. Dieser wäre ein völlig bedeutungsloser Intellektueller geblieben, hätte ihm Stalin selbst nicht diese Wichtigkeit verliehen. Ein Trotzkist zu sein war in den 30er Jahren in der Sowjetunion ein schlimmeres Verbrechen als der Faschismus.
Kotkin theoretisiert redlicherweise kaum über das, was er nicht belegen kann. Und so bleiben auch Stalins Motive für dieses sinnlose Morden etwas im Unklaren, aber es zeichnen sich doch Konturen ab. Stalin wurde in einer Atmosphäre der Konspiration politisch sozialisiert. Die Partei selbst war konspirativ organisiert, und Russland war nach der Revolution von potentiellen Feinden umzingelt. Dazu gesellte sich bei Stalin eine Düsternis des Denkens, das noch verschärft wurde, seit sich seine Frau das Leben nahm.
Stalin hatte praktisch kaum noch ein Privatleben. Im Gegensatz zu Hitler (und erst Recht zu Mussolini) regierte er wirklich und delegierte nicht nur. Er las Bücher und Massen an Dokumenten. Selbst in sein georgisches Urlaubsdomizil ließ er sich regelmäßig Unterlagen schicken und arbeitete praktisch pausenlos. Sein Gedächtnis war phänomenal. Auf jeden Gesprächspartner, ob Künstler, Diplomat oder Flugzeugkonstrukteur stellte er sich ein. Allerdings, und dies ist die Achillesferse des Systems, ließ Stalin kaum andere Sichtweisen zu. (Die einzige Ausnahme war anscheinend Molotow.) Die Parteidiktatur entwickelte sich zum Despotismus. So konnte und wollte Stalin im Gefolge des Pakts mit Hitler nicht sehen, dass die Sowjetunion als nächstes angegriffen würde. Das weltweite Netzwerk an sowjetischen Spionen arbeitete unentwegt unter Einsatz des Lebens aller Beteiligten. Aber der, der die angemessenen Entscheidungen treffen konnte, hielt alles für Desinformation.
Kotkin schlägt, wie schon im ersten Band einen riesigen Bogen – die Ereignisse, von denen die Rede ist, haben teilweise kaum mehr mit Stalin direkt zu tun, sondern dienen eher dazu, sein Handeln und Denken einzuordnen. Darauf muss man sich einlassen. Belohnt wird man mit einer spannenden und analytisch präzisen Biographie.
1.000 Impro-Blog-Posts. Danke fürs Lesen!
Habe gerade festgestellt, dass ich inzwischen meinen 1002. Blogpost zum Thema Improtheater fertiggestellt habe. (Dazu kommen noch ca. 500 Kurzeinträge von der Website aus den Jahren 2005-2007). Einen herzlichen Dank an alle, die meine Beiträge lesen, sie teilen, kommentieren und kritisieren!
Ich habe im Jahr 2001 angefangen, Improvisationstheater zu spielen (und bald auch zu unterrichten) und mir immer wieder Fragen und Beobachtungen zu diesem faszinierenden Thema notiert. Aus diesen Notizbuch-Einträgen ist später dieser Blog geworden.
Auch wenn Improtheater inzwischen zu meinem Beruf geworden ist, sehe ich mich immer noch als Schüler. (Manchmal tippe ich auf einen zufälligen Artikel von mir, lese und lerne erstaunt von dem 10 Jahre jüngeren Dan Richter.)
Ich weiß die Vielfalt unseres schönen, stetig wachsenden Sub-Genres zu schätzen. Und natürlich habe ich meine Meinungen und meinen Geschmack. Wenn ich aus dieser Perspektive hier Ratschläge gebe, bin ich mir natürlich der Begrenztheit meines Blickfeldes bewusst.
Improvisationstheater als Kunst kann nur wachsen, wenn wir in der Vielfalt eine Kraft erkennen, wenn wir uns nicht mit dem Bestehenden zufriedengeben, wenn wir nicht in die Falle der Professionalitäts-Arroganz tappen.
Nur der Anfänger-Geist ist wirklich kreativ.
Regeln brechen
(Ergänzung: Diese Gedanken habe ich bearbeitet und weiter ausgeführt im Buch „Improvisationstheater. Band 8: Gruppen, Geld und Management„
Keith Johnstone, dem wir einige großartige Techniken und Faustregeln im Improtheater verdanken, bemerkte bei einigen Trainings, dass seine Schüler dazu neigten, zu viele Fragen zu stellen, um selbst nicht definieren zu müssen. Statt nun seinen Schülern das Fragen zu verbieten, ging er der Sache auf den Grund: Was geschieht, wenn wir eine Szene spielen, in der nur Fragen erlaubt sind? Damit erfand er nicht nur einen Klassiker unter den Impro-Spielen, sondern zeigte, wie man mit kreativ mit solchen Problemen umgehen kann – man schafft sich einfach eine kontra-intuitive Regel, die einen schließlich befreit. Wer das Spiel „Nur Fragen“ je gespielt hat, wird lernen, was für Fragen konstruktiv sind und wie man mit unkonstruktiven Fragen konstruktiv umgehen kann.
Es lohnt sich ungeheuer, die Regeln und Lehrsätze, mit denen man im Laufe seiner Impro-Ausbildung konfrontiert wurde, gegen den Strich zu bürsten.
- Was geschieht, wenn wir nicht Zug um Zug spielen, sondern ein Spieler extrem lange Passagen hat, während der andere fast gar nichts sagt? Oder wenn beide Spieler sich andauernd ins Wort fallen?
- Was geschieht, wenn wir nicht Ja sagen, sondern ein Spieler so oft wie möglich verneint?
- Was geschieht, wenn wir Szenen nicht positiv starten?
- Was geschieht, wenn sich einer der Spieler nicht verändert.
Es liegt nahe, diese Experimente vornehmlich im geschützten Proben-Setting auszuprobieren und mal diesen, mal jenen Parameter zu verändern: Was geschieht, wenn beide Spieler negativ sind? Was geschieht, wenn nur einer negativ ist usw.?
In den meisten Impro-Gruppen gibt es auch unterschwellige Regeln oder Glaubenssätze, die sich im Laufe der Jahre herausgebildet haben und nur selten hinterfragt werden. Hier ein paar Beispiele solcher Regeln.
- Obszöne Vorschläge aus dem Publikum wie „Bahnhofsklo“ oder „Pornodarstellerin“ sind freundlich abzulehnen.
- In der ersten Hälfte der Show müssen Games gespielt werden, damit man in der zweiten Hälfte den Zuschauern eine Langform zumuten kann.
- Verkaufs-Szenen oder Unterrichts-Szenen sind unbedingt zu vermeiden.
- Eine Impro-Show braucht ein Warm-Up.
- In der ersten Minute müssen das Wer, das Wo und das Was etabliert werden.
Vielleicht kommen der Leserin diese Regeln bekannt vor. Es gibt von ihnen Hunderte, und sie entstehen oft aus gutem Grunde: Man scheitert mit einer Szene oder einer Show und bemerkt ein Muster, eben zum Beispiel dass Unterrichtsszenen dazu neigen zu stagnieren. In der Folge versucht man, eine Regel abzuleiten – Keine Unterrichtsszenen! – um solche Hänger zu vermeiden. Aber man muss sich nur die vielen Filme und Dramen vergegenwärtigen, die sich um das Thema Unterricht spinnen, um zu sehen, wie absurd diese Regel ist. Es geht also eher darum, wie man solche Szenen spielt.
Manche Regeln, wie auch jene letztgenannte, erweisen sich übergangsweise als hilfreich: Warum mit Unterrichtsszenen immer wieder scheitern, bevor man ihnen nicht mal ein paar Minuten in einer Probe gewidmet hat. Andere beruhen auf Annahmen übers Publikum oder darüber, wie eine Impro-Show abzulaufen hat. („Die Zuschauer brauchen ein Warm-Up.“) Hier braucht man einen gewissen Mut, das Experiment am lebenden Organismus – der Impro-Show – vorzunehmen.
Liebesgrund
„Sag, Mädchen, warum liebst du?
Gibt es da einen Grund?“
„Ich glaube, ich bin einfach
nur wahnsinnig gesund.“
„Hast du nicht Angst, dein Lieben
dich nur unglücklich macht?“
„Es liebt nicht, wer vorm Lieben
noch lange nachgedacht.“
„Bist du für wahre Liebe
nicht eigentlich zu jung?“
„Fürs Lieben braucht ja niemand
eine Entschuldigung.“
„Ich wag es kaum zu fragen:
Bin ich es, den du liebst?“
„Ach, lieber alter Knabe,
ich glaube, bei dir piepst’s.“
Mittelstand (ménage à trois)
Sie fand sich plötzlich wieder in der Mitte
– da der, dort jener. „Dass mir das geschieht!
Ich hielt mich nie für derart angebrüht.“
zwar nicht die Lachende, gleichwohl die Dritte.
Aus dem Dilemma führen keine Schritte.
Mit Dreien ist es stets das alte Lied:
Du kannst es managen, solang es glüht.
Am Ende halfen nur noch klare Schnitte.
Sie löste sich von einem, denn sie fand,
es sei nur fair, schenk ich ihm reinen Wein.
Und mit dem anderen ein sichres Band.
Auch den verließ sie, denn er ward zum Schwein.
Einst war’s die Mitte, jetzt der Rand der Wand.
Zu dritt ist’s besser noch als ganz allein.
Namensgebung
Ach, wie sollen wir dich nennen,
der du grad geworden bist?
Tun wir so, als ob wir kennen
den, der uns geboren ist.
Dürfen dir den Namen geben,
denn wir schenkten dir das Leben.
Großes Zweifeln, Diskutieren,
ob der Name wirklich passt.
Namensbücher brav studieren.
Nicht, dass du den Namen hasst.
Wählen aus den wirklich schönen.
Du musst dich dann dran gewöhnen.
Lesen
Wie kann ich, was ich heut mit Freuden les, behalten?
Mich packt die Freude, die Erkenntnis, wenn’s gelesen,
doch hinterher ist’s oft, als wär es nie gewesen.
Ach, könnte ich nur mein Gedächtnis klar entfalten.
Ich würd mein Denken und mein Singen ausgestalten.
Die Augen reib ich, leg das Büchlein auf den Tresen,
denn mein Versprechen, stets zu lesen, gilt es einzulösen.
Könnt ich mein Wissen, wie ein Archivar verwalten!
Soll ich denn die Lektüre ständig wiederholen,
so wie ein Kind – ’s liest hundertmal dasselbe Buch.
Doch will ich mehr. Und das ist wohl mein Fluch.
Als hätt das neue Wissen altem Platz gestohlen.
Ich fresse, statt zu lesen, es bleibt Zeitvertreib.
Nur wenn man’s neu verknüpft, es wirklich bleibt.
dädalus
die stirn gefurcht
von sorge
mein rettungsplan
würde vereitelt
durch des jungen
übermut
doch wir haben nur diese
option
let’s go
Entfremdete Arbeit
Man sagte mir: Bedenk das Maß,
zuerst die Arbeit, dann der Spaß,
halt beide Welten treu getrennt,
sonst hast dein Leben du verpennt.
So quält’ ich mich den ganzen Tag
und tat am Abend, was ich mag,
als müsst von meinen Plackerei’n
ich jedes Mal mich neu befrei’n.
Heut weiß ich, ich erreich mein Ziel,
wenn meine Arbeit gleicht dem Spiel.
Nur dann ist unser Leben gut,
wenn man auch mag, was man so tut.
Orpheus‘ Bitte
Wenn du, Fortuna, mich beschenkst
mit einer Stimme, die zum Singen geschaffen,
so bitt ich, gib mir Klarheit auch
und Redlichkeit,
denn nichts Falsches soll
die Herzen der Hörer rühren.