Fragen zum Dealerproblem, die ich mir selber nicht beantworten kann

Erst waren sie weit weg, die Dealer. Hasenheide, Neukölln. Ihre Existenz berührte mich nicht wesentlich mehr als die der Dealer von der 125. Straße in New York City. Hab sie schon mal gesehen. Berührt mich nicht. Und jetzt, seit ein paar Jahren nun also auch im Görlitzer Park. Ich gehe dort joggen, ich fahre dort oft mit dem Fahrrad entlang, und ab und zu fahre ich meinen sprechen- und laufenlernenden Sohn Django dort spazieren. Um die Herren zu ignorieren, sind sie zu präsent. Also bin ich gezwungen, meine widerstreitenden Bedenken und Gefühle unter einen Hut zu kriegen.

  1. Ich kiffe nicht. Insofern kann mir die Anwesenheit der Dealer eigentlich so egal sein wie die eines Nagelstudios. Immerhin – ich habe zwar schon gekifft, mich aber noch nie professionell maniküren lassen. Die akustische Werbung der Dealer „Ss-sss! Some Dope?“ ist zwar aufdringlich, aber auch nicht schlimmer als die ästhetische Beleidigung, die Schaufenster und Ladenschild eines Nagelstudios darstellen. Andererseits:

  2. Nicht nur kiffe ich nicht. Ich halte das Kraut auch größtenteils für schädlich. Man merkt Kiffern an, dass sie kiffen. Gewohnheitsmäßige Kiffer klagen, dass sie nichts gebacken kriegen und bringen ihr Nichts-Gebacken-Kriegen nie in Zusammenhang mit ihrer regelmäßigen Kifferei. Andererseits:
  3. Kiffen sollte legalisiert werden. Gesundheit ist zwar ein schönes soziales Ziel, aber wer sich physisch zerstören will, muss es tun dürfen. Man muss nicht den an dieser Stelle obligatorischen Vergleich mit Alkohol ins Spiel bringen, aber es schadet auch nicht; schließlich zeigt es die Irrsinnigkeit des Hanf-Verbots. Wer den Konsum von Schnaps toleriert und dadurch Sucht, Krankheiten und vorzeitigen Tod von Millionen billigend in Kauf nimmt, kann nicht das zwar ebenfalls krankmachende aber vergleichsweise harmlose Kiffen kriminalisieren. Und man kriminalisiert es auch dann, wenn man den Besitz von Mini-Päckchen toleriert, den kommerziellen Verkauf aber verbietet.
    In Relation zur Gesundheitsfrage erscheint es fast nebensächlich, aber natürlich scheint auch die psycho-soziale Wirkung des Stoffs verträglicher. Zumindest wäre es mir lieber, wenn die acht Hertha-Fans, mit denen ich mir nach einem verlorenen Spiel ihres Vereins den U-Bahn-Wagen teilen muss, gemeinsam eine Riesen-Bong inhaliert hätten als sich pegelsaufend ins Level zwischen Aggressiv Brüllen, Zuschlagen und Kotzen zu manövrieren. Aber:
  4. Die rechtliche Situation ist aber so wie sie ist. Und so stehen die Dealer zu großer Zahl im Görlitzer Park. Jedes Mal, wenn ich denke: ,Ach, das sind jetzt vielleicht doch nur ein paar Leute, die sich sonnen wollen‘, genügt es, den Blickkontakt zu halten. Und prompt werde ich angesprochen, ob ich Dope bräuchte. Wenn ich sage, „zu großer Zahl“, so ist das nicht übertrieben. Es gibt im Görlitzer Park kaum mehr eine Bank, die nicht von dealenden oder sich vom Dealen ausruhenden Afrikanern besetzt wäre.
    Benutzen eigentlich die Grammatik-Feministinnen hier auch ein großes I? Also Dea-lerInnen? Oder ist der in diesen Kreisen übliche Sprech jetzt „Dealende“? Völlig un-nötig. Es sind einfach keine Frauen dabei. Warum, weiß ich nicht. Ebenso wenig wie die geschlechtliche verstehe ich die ethnische Aufteilung prekärer Jobs. Steht irgend-wo geschrieben, dass nur diejenigen Punks, die in katholischen Ländern wie Spanien, Polen und Italien aufgewachsen sind, an Kreuzungen Autoscheiben putzen dürfen? Welcher soziale Mechanismus führt dazu, dass ausgerechnet Pakistani das Rosenverkaufs-Monopol innehaben? Warum sollte Marihuana eine afrikanische Spezialität sein? Anscheinend gibt es einen gewissen Sozial-Magnetismus: Du landest als Afrikaner in Berlin und irgendwann hörst du, dass sich Afrikaner im Görlitzer Park rumtreiben. Also gehst du zu ihnen, und fühlst dich bei ihnen wohler als bei den Verkäufern von Straßen-Magazinen. Und Akkordeon, Trompete und Saxofon hast du auch nicht dabei, um wie die Rumänen als Trash-Folk-Band durch die Öffentlichkeit zu ziehen. Aber:
  5. Fast alle Dealer, so war zu lesen, sind Asylbewerber, stehen also bei ihrer Tätigkeit schon mit einem Bein im Abschiebeknast, sicherlich nicht gerade das, was man sich gewünscht hat, als man sich von Togo aus auf den Weg gemacht hat. Die Gruppen von 10-15 Männern – wieviel mögen sie am Tag verkaufen? Was bleibt an Gewinn übrig? Sind es die größeren Ladungen, die das Geld bringen? Ist es der härtere Stoff, der das Geld bringt? Inzwischen wird ja auch Koks, Heroin und Chrystal Meth ge-dealt, die Depots sind überall – zwischen Schwimmbad, Kuhle, Kinderbauernhof und dem Damm, der bis nach Treptow führt. Dieses Problem wird ein Coffee-Shop jedenfalls nicht lösen. Und über die Legalisierung dieser Substanzen wechsle ich meine Meinung je nachdem, mit wem ich spreche. Außerdem:
  6. Neulich war ein Graffito im Görlitzer Park zu lesen: „Bullen raus! Keine Spießer-überwachung im Görli!“ Irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, dass der Schriftzug von einem der afrikanischen Dealer kam. Im Vergleich zu anderen Orten ist die Polizei im Görlitzer Park ja recht milde zugange. Mal ganz abgesehen davon, dass sie die Depots sowieso fast nie findet. Aber man kommt unweigerlich zur Frage: Wer definiert, was an einem Ort OK ist? Ist es OK, wenn im Görlitzer Park der Grilldreck jede Freifläche bedeckt? Ist es in Ordnung, wenn Hunde in der Größenordnung von Miniponys kleine Kinder anspringen? Ist es in Ordnung, wenn sämtliche Sitzbänke von Dealern besetzt sind? Es ist wie in WG-Debatten – Wen es stört, dass die Socken in der Küche rumliegen, hat schlechte Karten, wenn das allesschlagende Sozial-Gebot Toleranz heißt und durch keine Kompromisse relativiert wird. Und dann das hier:
  7. Gehe mit Django in der Nähe des Spielplatzes spazieren, in dessen Nähe sich eine Dealertruppe sonnt. Warum zum Teufel in der Nähe des Spielplatzes! Hätte ich we-niger Probleme damit, wenn in der Nähe ein Spätverkauf mit Spirituosen stünde? Ich weiß es nicht. Und von allen Richtungen, in die der zweijährige Django laufen kann, wählt er die Richtung Dealertruppe. Die sind anscheinend selber über die unerwartete bewertungslose Neugierde verwirrt. Man schüttelt sich die Hände, stellt einander vor, geht auseinander. Und irgendwie bin ich froh über diese Begegnung. Und dann kurze Zeit später:
  8. Nach langer Zeit gehe ich mal wieder joggen. Nicht durch Kreuzberg. Bleibe bei meiner alten Route durch den Treptower Park und den Plänterwald. Beim Sowjeti-schen Ehrenmal lehnt einer der Afrikaner mit legeren Adidasklamotten an einem Geländer. Geht das jetzt nicht doch zu weit? Meine Empörung über das Dealen in meinem Heimatpark lässt sich moralisch gut befeuern durch die Tatsache, dass wir uns hier in unmittelbarer Nähe eines Friedhofs mit über 2.000 Gefallenen der Roten Armee befinden. Ist das nicht doch recht pietätlos? Soll man was sagen oder nicht? Als ich auf seiner Höhe bin, hat sich die Frage erübrigt: Der Afrikaner legt ein Bein übers Geländer und dehnt sich ausgiebig. Dann joggt er mir hinterher. Kein Dealer, ein Jogger! Joggen in der Nähe des Friedhofs. Auch pietätlos irgendwie?

436. Nacht

Die Alte fährt fort mit einer Anekdote über el-Haddschâdsch ibn Jûsuf, an den eine Petition erging:

"Fürchte Allah und übe keinerlei Bedrückung gegen die Diener Allahs!"

El-Haddschâdsch ibn Jûsuf rechtfertigt sich nun damit, dass ihn Allah über das Volk gesetzt habe wegen dessen (böser) Taten.

"Wenn ich es nicht bin, so ist es einer, der noch schlimmer ist als ich, der noch härter bedrückt und noch grausamer herrscht."

Der arme Tyrann als Schlimmeres-Verhinderer. Ähnliches kennt man heute von Militärdiktaturen. In Wirklichkeit hat er mit seinem Herrschaftsstil so viele gegen sich aufgebracht, dass es immer wieder zu Aufständen kam. Nach seinem Tod wurden 80.000 Menschen aus den Gefängnissen entlassen.

 

***

 

Die Geschichte von der Sklavin Tawaddud

Ein reicher Kaufmann wird alt und gebrechlich, ohne einen Nachkommen zu haben. Nachdem er bei Allah um einen solchen fleht, empfängt eine seiner Frauen von ihm.

Und in der Nacht zum siebenten Tage nach der Geburt des Knaben gab er ihm den Namen Abu el-Husn; die Ammen nährten ihn, die Pflegerinnen hegten ihn, und die Mamluken und Eunuchen trugen ihn, so dass er wuchs und spross und in die Höhe schoss.

Auch für seine Bildung wird gesorgt.

So ward er zur Perle seiner Zeit und zum schönsten Jüngling weit und breit, mit einem Antlitz der Lieblichkeit, einer Zunge der Beredsamkeit, der sich wiegte und neigte im Ebenmaß seiner Gestalt und selbstgefällig dahinschritt in seines Stolzes Gewalt.

Doch dann liegt sein Vater im Sterben, nicht ohne vorher allerlei Mahnungen seinem Sohn auf den Weg zu geben,

bei denen man schon ahnt, dass er sich nicht an sie halten wird.

Nachdem Abu el-Husn eine lange Zeit getrauert hat, reden ihm seine Freunde zu:

"Was dahin ist, ist dahin. Trauer kann nur Mädchen und Frauen gebühren, die im Harem ein abgeschlossenes Leben führen." In dieser Weise redeten sie immer weiter zu ihm, bis er ins Badehaus ging; und auch sie gingen dorthin und machten seiner Trauer ein Ende.

***

437. Nacht

Die bösen Freunde sind es also, die ihn dazu überreden, sein Geld auszugeben. Er fängt an, Wein zu trinken und sein Geld zu verprassen, bis ihm nichts mehr geblieben ist außer einer schönen Sklavin.

Ihr Wuchs betrug fünf Spannen der Hand, und sie war des Glückes Unterpfand.

Ob sich der Übersetzer Littmann hier von dem "Lied der Deutschen" hat beeinflussen lassen?

Ihre Stirn war wie der Neumond im verehrten Monate Scha’bân anzuschauen; sie hatte Gazellenaugen und schön gewölbte Brauen. Ihre Nase war wie des Schwertes Schneide; und ihre Wangen prangten im Anemonenkleide. Ihr Mund schien das Siegel Salomons zu sein; ihre Zähne waren wie Perlenreihn. Ihr Nabel konnte eine Unze Behennussöl fassen; ihr Rumpf war schlanker als der Leib dessen, den die Liebe verzehrt und heimliche Sehnsucht hatte dahinsiechen lassen; und ihre Hüften waren wie der Sandhügel Massen.

Die Tiefe des Nabels als Schönheitskriterium!

Dem Vollmond ist sie gleich, da sich
Zu Fünf und Vier die Vier gesellt.
Ich bin nicht schuld, bin ich durch dich
Ihm gleich, wenn er die Nacht erhellt.

Littmann merkt dazu an: "Das Mädchen ist vierzehn Jahre, der Vollmond vierzehn Tage alt. Der Dichter wird um der Liebe zu dem Mädchen blass wie der Mond."

Nachdem sich Abu el-Husn drei Tage lang seinem Leid hingegeben hat, verlangt sie von ihm, zu Harûn er-Raschîd geführt zu werden.

436. und 437. Nacht – Fragen zum Dealerproblem, die ich mir selber nicht beantworten kann
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