Stephen Nachmanovitch erwähnt in Tao der Kreativität den Temenos, den heiligen Platz des Spielens. Um die Phantasie sich entfalten zu lassen – sowohl beim Künstler als auch beim Publikum brauchen wir einen besonderen Raum. Die Bühne ist insofern nicht nur wegen der besseren Sichtbarkeit erhöht. Auf guten Bühnen wird auch immer meine räumliche Phantasie entfacht, während ich zeitlich eins mit mir bin. Vor einigen Jahren spielten monatelang wir auf einer nett eingerichteten Bühne, und doch hatte ich jedesmal das Gefühl, das ist hier alles nur Pillepalle-Wohnzimmer-Darbietung, der Raum hatte für mich keine Atmosphäre. Keine Pantomime konnte sich vor meinem Auge entfalten. Innerlich wurde ich hektisch – der Einklang mit der Zeit kam abhanden. Man kann hier natürlich kein allgemeines Gesetz formulieren. Als wir mit der Chaussee der Enthusiasten im Cube Club auftraten, war es immer so eng, dass die Zuschauer direkt vor dem Mikro saßen. Eine Bühne im eigentlichen Sinne gab es nicht. Ein schwacher Scheinwerfer beleuchtete den Vorleser. Und dennoch waren die Abende magisch. Der Temenos war reduziert und fokussiert auf den Platz am Mikrofon und den kleinen Tisch an dem die Kollegen saßen. Außenstehende mochten das als Aufhebung der Trennung zwischen Künstlern und Publikum wahrgenommen haben. Aber diese Trennung blieb bestehen, indem das Mikrofon (das wir, wenn wir alle geschulte Stimmen gehabt hätten, an sich gar nicht gebraucht hätten) mehr oder weniger unbewusst ein heiliger Ort inszeniert wurde. Unausgesprochen haben das sowohl wir als auch die Zuschauer so empfunden.

Temenos
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