Improvisationstheater. Band 8. Gruppen, Geld und Management

Am 4. Februar ist nun der Band 8 meiner Reihe „Improvisationstheater“ erschienen. Der Untertitel Gruppen, Geld und Management bezieht sich auf die internen Fragen, die Impro-Gruppen zu lösen haben und die häufig eher organisatorischer als künstlerischer Natur sind: Welche Struktur soll die Impro-Gruppe haben? Wie organisiert man sich demokratisch und wie mit künstlerischer Leitung?
Kann man mit Impro Geld verdienen? Wie sollen Proben organisiert werden?
Vorab wurde mir immer wieder die Frage gestellt: Warum Band 8 und nicht Band 2? Die Frage ist berechtigt. Hintergrund ist, dass die Bände einer inneren Logik folgen. Band 8 war aber der erste, der überhaupt fertig war. Hätte ich jetzt noch mit seiner Veröffentlichung warten sollen? Oder alles umnummerieren? Nö.

Für Neugierige hier das Inhaltsverzeichnis: 
1 GRÜNDUNG EINER IMPROTHEATER-GRUPPE
1.1 Mitglieder finden
1.2 Künstlerische Ziele: Was wollen wir spielen?
1.3 Vision und Mission – Das Warum
1.4 Zeitliches Engagement klären
1.5 Zeitplan
1.6 Zuständigkeiten festlegen
1.7 Finanzielle Grundfragen klären
1.8 Der Gruppen-Name
2 GRUPPENSTRUKTUREN
2.1 Große und kleine Gruppen
2.2 Schön aber anstrengend: Basisdemokratie
2.3 Hierarchisch aber effizient: Gruppen mit künstlerischer Leitung
3 TRAINING UND PROBEN
3.1 Künstlerische Weiterentwicklung
3.2 Bedeutung von Training und Proben
3.3 Probenanleitung
3.4 Häufigkeit der Proben
3.5 Ablauf der Proben
3.6 Szenen besprechen: Das Feedback
3.7 Abschluss
4 AUFFÜHRUNGEN
4.1 Der Spielort
4.2 Auftrittshäufigkeit
4.3 Welche Art von Show?
5 INTERNE KOMMUNIKATION
5.1 Umgang mit neuen Ideen
5.2 Gruppen-Rituale
5.3 Kommunikationskanäle
5.4 Grüppchenbildung
5.5 Männer und Frauen
5.6 Gruppen-Konflikte
6 GELD
6.1 Amateure, Profis und Professionalität
6.2 Profi-Gruppen und Profi-Spieler
6.2.1 Rechtliches
6.2.2 Versicherungen
6.2.3 Künstler haben’s gut – Die Künstlersozialkasse (KSK)
6.2.4 Amateur oder Profi – Abwägungen
6.2.5 „Kann man davon leben?“ – Lukrative Jobs im Improtheater
6.3 Eine Handvoll Tipps für Profis und solche, die es werden wollen
6.4 Geld innerhalb der Gruppe
6.5 Bezahlung der Techniker, Musiker und externen Spieler
7 WERBUNG UND SELBSTDARSTELLUNG
7.1 Outfit
7.2 Internet-Werbung
7.3 Flyer und Plakate
7.4 Radio, Presse, Fernsehen
7.5 Merchandising
7.6 Kurz-Auftritte

Backstage vor der Show – Persönliche Vorbereitungen

(Ergänzung: Diese Gedanken habe ich bearbeitet und weiter ausgeführt im Buch „Improvisationstheater. Band 8: Gruppen, Geld und Management


Seid euch vorher darüber im Klaren, was ihr körperlich und seelisch braucht, um auf die Bühne zu gehen. Nehmt euch entsprechend die Zeit.
Einige Improvisierer nutzen bereits den Weg zum Theater, als Übergang von der Alltags- in die Performance-Welt. Nützlich ist alles, was den Impro-Spirit fördert: Fokussierung, Leichtigkeit, künstlerischer Input, körperliche Wachheit, Verspieltheit, positives Denken. Abträglich sind: schwere Gedanken, sprunghafte Internet-Ablenkung (Facebook, E-Mails, Ballerspiele usw.).
Viele betreiben ein körperliches Warm Up schon zuhause: Ausdauer- und Auspowertraining hilft dem Geist, ruhiger zu fließen. Einen ähnlichen Effekt haben Yoga- und Dehn-Übungen.
Wenn man die Zeit dafür hat, kann man sich auf die Suche nach künstlerischer Inspiration begeben – eine Galerie besuchen, Gedichte lesen usw. Auch hier ist nachhaltige Auseinandersetzung eher gefragt als schnelle Berieselung wie Videoclips.

Eine spezielle Form der gemeinsamen Vorbereitung hat das Duo TJ & Dave gefunden, das auch auf seiner DVD „Trust us“ zu sehen ist: Die beiden spazieren vor der Show zwei Stunden lang durch die Stadt. In der ersten Stunden beobachten sie gemeinsam Situationen und Typen, die möglicherweise in die abendliche Vorstellung einfließen. Anschließend betreibt jeder von ihnen diese Sozialstudien noch einmal für sich allein.

Manche mögen es, im Verkehr Musik zu hören. Ich empfehle Klassik im Öffentlichen Personennahverkehr und Rockmusik zum Mitsingen, wenn man Auto fährt.

Im Theater selbst rate ich dazu, während der Phase der persönlichen Vorbereitung auf folgendes zu achten.

  1. Sorgt für euer physisches Wohl.
    Nutzt die Zeit der persönlichen Vorbereitung, falls ihr noch einen kleinen Snack zur Stärkung benötigt . Zwischendurch-Essen bei der Showbesprechung oder gar beim Warm Up tut weder euch noch der Gruppe gut.
    Für den Gang auf die Toilette gilt das Gleiche.
  2. Nutzt die Zeit, um euch umzuziehen.
    Selbst wenn eure Gruppe leger in Alltagskleidung spielt, solltet ihr durchs Umziehen einen Übergang schaffen. Winterstiefel oder Sandalen sollten auf der Bühne allenfalls als Kostümelemente vorkommen.
  3. Make Up ist zumindest dann angebracht, wenn ihr mit starken Scheinwerfern arbeitet und wenn seit dem frühen ein blühender Pickel euer Begleiter ist. Wer zu hellen Augenbrauen oder zu Augenringen neigt, wird wohl ebenfalls Abhilfe schaffen wollen.
  4. Findet eure innere Ruhe.
    Innere Ruhe zu finden, heißt für viele, das Lampenfieber in den Griff zu kriegen. Ein kleines Maß an Aufregung ist OK, da es einen wach hält, aber echtes Lampenfieber bedeutet letztlich Bühnenangst. Bei vielen führt diese Angst zu Übersprungshandlungen: Die Show bis ins letzte Detail besprechen, sich andauernd nachschminken, die Technik immer wieder überprüfen und nachbessern, usw.
    Eine gute Möglichkeit, das Lampenfieber zu senken und die rasenden Gedanken zu beruhigen, ist eine kleine Meditation: Suche dir dafür ein Plätzchen, wo du einigermaßen ungestört bist. Verschließe dir eventuell deine Ohren mit Ohrstöpseln. Setze dich. Nimm deinen Körper wahr. Nimm deinen Atem wahr. Schließe die Augen und achte nur auf deinen Atem. Wenn du von anderen Gedanken gestört bist, lächle, wenn sie vorbeiziehen. Öffne nach einer Minute die Augen. Lächle und freue dich auf das, was gleich bevorsteht.
  5. Finde einen Moment der Konzentration auf die Show.
    Gehe kurz noch mal für dich die wichtigsten Punkte des Ablaufs durch. Nimm dir einen, maximal zwei Fokuspunkte für die heutige Show vor. 

Backstage vor der Show – Technische Vorbereitung

(Ergänzung: Diese Gedanken habe ich bearbeitet und weiter ausgeführt im Buch „Improvisationstheater. Band 8: Gruppen, Geld und Management


Im besten Fall habt ihr einen Techniker, der für euch alle ton-, licht- und bühnentechnischen Vorbereitungen trifft. Dazu gehört als Minimum:

  • Einrichtung der Scheinwerfer
  • Soundcheck
  • Vorbereitung von Show-Utensilien (Stift, Papier, Stoppuhr usw.) und Requisiten (Stühle und eventuell andere Objekte)

Eventuell erweitert sich die Aufgabe der Techniker um:

  • Bühnenaufbau
  • Bestuhlung des Publikums-Saals
  • Vorbereitung von Kasse und Einlass
  • Pausen- und Einlassmusik

Wenn man zum ersten Mal auf einer neuen Bühne steht, gehört es zur technischen Vorbereitung, sie auszuprobieren und abzuschreiten und die Akustik auszuprobieren. Seht zu, dass ihr bei Bühnen, die ihr regelmäßig bespielt, für die Mikrofone die richtige Einstellungen findet und euch notiert, damit ihr euch nicht jedes Mal aufs Neue die mühselige und zeitraubende Arbeit des Soundcheck machen müsst.

Improtheater Backstage

Wenn die Bühne die Heilige Sphäre ist, so ist das Backstage der Vorraum dazu. Behandelt den Backstage-Raum mit Respekt, egal ob auch andere ihn nutzen oder ihr den Luxus eines eigenen Theaters habt, egal ob euer Backstage nur eine kleine Kammer oder ein großer Raum mit eigener Bar und Badezimmer ist. Hier im Backstage beginnt die Verwandlung. Hier legt ihr euer Alltags-Ich ab und werdet zu Bühnen-Improvisierern. Hier verbindet ihr euch mit euren Spielpartnern zu etwas Größerem. Macht euch also das Backstage so angenehm wie möglich.
Das meine ich zunächst einmal in einem ganz einfachen physischen Sinne: Haltet es sauber und vermüllt es nicht. Wenn ihr im Backstage Kostüme und Requisiten aufbewahrt, sollten sie pfleglich behandelt werden. Ungenutzter Kram kann verschwinden. Und hinterlasst den Raum auch mit Respekt.
Wir können diesen Respekt auch aufs Spirituelle erweitern: Lasst eure negative Last und eure Alltags-Sorgen so weit wie möglich draußen. Natürlich wird das nicht immer zu hundert Prozent möglich sein. So wie ihr euch eurer Alltagskleidung entledigt und euch für die Bühne umzieht, so findet auch im Kopf eine Wandlung statt. (Insofern ist das Backstage auch ein Transformations-Raum.) Aber, um im Bild zu bleiben, man putzt sich ja auch die Schuhe ab, bevor man den Raum betritt. Und ebenso möge man auch kurz innehalten und nicht die schlechte Laune, die man wegen des nervigen Chefs oder des Verkehrsstaus bis eben noch mit sich herumgetragen hat, im Backstage abladen.
Die Grundstimmung, die im Backstage herrschen sollte, ist gute Laune. Das betrifft ganz besonders die Zeit vor der Show. Geht in heiterer Stimmung miteinander um. Vermeidet alles, was schlechte Stimmung oder Grübeleien verursachen könnte. Die Zeit vor der Show ist ziemlich ungeeignet, organisatorische Fragen zu besprechen. Das kann vor allem für jene Spieler, sie sich um Organisatorisches kümmern, etwas schwierig auszuhalten sein, vor allem wenn einem unbeantwortete E-Mails und ungelöste Fragen im Nacken sitzen. Aber jeder Moment ist für die Klärung dieser Fragen besser, als die Zeit vor der Show.
Für die Zeit vor der Show sollte man Folgendes einplanen:
1. Ankommen und Geplauder
2. Besprechung der Show
3. Technische Vorbereitungen
4. Persönliche Vorbereitung
5. Gruppen-Aufwärmen
Aufwand, Intensität und Reihenfolge dieser einzelnen Elemente können von Gruppe zu Gruppe stark variieren, da sie von persönlichen Bedürfnissen und äußerlichen Erfordernissen abhängen.

Details zu diesen Elementen in den kommenden Tagen.

Reale Requisiten und Spieler als Requisiten

In „Theaterspiele“ („Storytelling for improvisers“) beklagt sich Keith Johnstone darüber, dass Improvisierer zu wenige Requisiten nutzen würden. Bei Loose Moose gebe es eine Couch, einen Schreibtisch mit einem Haufen Gegenständen drauf usw. Außerdem würden ständig mehrere Spieler bereitstehen, um die Requisiten als Gruppe selber darzustellen (z.B. ein Flugzeug, einen Elefanten…). Dass das anderswo so selten gemacht würde hänge mit einer gewissen Fetischisierung des Mimens und dem zunehmenden Trend von Barprov (Impro in bar-ähnlichen Locations) zusammen.
Zunächst muss man sagen, dass das Spiel mit echten Tischen, Stühlen, Sofas, Türen schon wesentlich reichhaltiger ist. Andererseits nimmt es einem auch eine gewisse Flexibilität. Der Tisch muss ja dann auch ggf. wieder weggeräumt werden.
Als wir mit Foxy Freestyle 2007 im Ambulatorium in Friedrichshain zu spielen begannen, hatten wir eine erfreulich große Bühne. Ein riesiger stabiler Tisch, ein Sofa, alles war leicht auch wieder wegzuräumen. Inzwischen haben wir zwar viel mehr Zuschauer als damals, aber eben auch eine kleinere Bühne. Sollten wir deshalb zu improvisieren aufgeben? Sollten wir etwa eine größere Bühne in einem abseits gelegenen Stadtbezirk suchen, wohin kein sterblicher Zuschauer je seinen Fuß setzen wird? Man muss auch in diesen Dingen flexibel bleiben. Sollte eine junge Truppe sich davon abhalten lassen, Improtheater zu spielen, nur weil es kein geeignetes Theaterhaus in der Umgebung gibt?
Man könnte umgekehrt im Übrigen auch bemängeln, dass durch Johnstones Faible für die Darstellung von Objekten durch Personen jede Szene in den Klamauk kippen kann und das Mimen der Objekte mehr Platz lässt für die Phantasie des Zuschauers.

Behind the scenes – UCB New York

Als ich im Jahr 2003 das erste Mal das UCB sah, war ich völlig von den Socken. So cool, unprätentiös, schnell, lustig und intelligent konnte Impro also sein. Man halte sich vor Augen, dass hier an manchen Abenden 3 Shows mit je 10 Improvisierern, darunter auch berühmte Fernseh-Komiker improvisieren – ohne Gage! An einigen Wochentagen wird um 0 Uhr eine Show gratis gespielt. Aber auch die normalen Shows kosten nur 5 Dollar. (Die Herausforderung für den Zuschauer ist nur, herauszufinden, wann die Nachwuchs-Spieler auftreten und diese Shows zu vermeiden (Es wimmelt dann oft von verklemmt-versauten Geschmacklosigkeiten.) Das Tempo ist ungeheuer, die Fähigkeit der Verknüpfung ebenfalls. Man schaue sich dieses 9minütige Video an. Es gibt vor der Show kein Warm Up, die Atmosphäre ist entspannt. Man isst Pizza, trinkt Bier.
Man lasse sich aber nicht täuschen: Diese Spieler haben dermaßen viel Impro und Miteinander im Blut, dass sie die Bühne ungeheuer rocken.
In 60 Minuten (in den USA geht eine Improshow selten länger) hauen die Impro-Spieler gutgelaunt eine energiegeladene Szene nach der anderen raus.

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Gunter Lösel zum Prozess der Konstruktion

Gunter Lösel in seinem lesenswerten neuen Buch „Das Spiel mit dem Chaos. Zur Performativität des Improvisationstheaters
„Der Prozess der Konstruktion wird (…) selbst zu einem Wahrnehmungsgegenstand der Improvisationsaufführung und tritt mindestens gleichwertig neben die Fiktion, sodass der Zuschauer jedes Element der Aufführung gleichzeitig innerhalb von zwei Rahmungen wahrnehmen kann, erstens als Element der Fiktion, zweitens als Element des Konstruktionsspiels Improvisation:

(…) Der Prozess der kollaborativen Konstruktion zur Hervorbringung einer Fiktion wird nicht verborgen, sondern sichtbar gemacht. (…) Wo die Fiktion zu glatt wird, verändert sich die Wahrnehmung des Zuschauers, und er nimmt die Aufführung nicht mehr als improvisiert wahr, weil er das zweite Wahrnehmungsobjekt, den Prozess der Konstruktion aus der Aufmerksamkeit verliert.“ (Kursiv im Original)
Ein interessantes Thema. Ich habe hier auch schon vor einiger Zeit darauf hingewiesen, dass einige Games so gespielt werden sollten, dass man wirklich an die Grenze des Machbaren geht. Und wenn z.B. eine ABC-Geschichte zu gut gespielt wird, verliert sie vollkommen ihren Reiz. Andererseits habe ich durchaus „glatte“ Langform-Fiktionen erlebt, ohne dass irgendwer den Prozess des Erschaffens aus den Augen verloren hätte. Denn diese Ebene kann eigentlich gar nicht im Improtheater verlorengehen. Zu sehr ist der Spieler auf den anderen angewiesen, zu sehr ist dem Zuschauer (selbst bei Solo-Improvisationen) der Flow klar, in dem sich der Spieler bewegt, gerade wenn es gut läuft. Dazu trägt natürlich auch andere Faktoren bei, z.B. der Live-Charakter (deshalb funktionieren ja Videoaufnahmen von Impro-Shows oft nur wie ein müder Abklatsch), das Zurechtkommenmüssen mit dem Fehlen von Requisiten, usw.

Filmische Mittel ernstnehmen und persiflieren oder weglassen?

Bekanntlich sind Filmgenres ein beliebtes Format im Improtheater. Das Problem, das sich dabei offensichtlich stellt: Wir sind nun mal auf der Bühne und können viele Möglichkeiten der Kamera, des Casts, Equipment der Spezialeffekte usw. nicht nutzen. Wie geht man damit um?
Einiges lässt sich ja praktisch in die Pantomime einbetten (z.B. in ein Auto steigen).
Aber soll man auf die anderen Effekte völlig verzichten? Nehmen wir z.B. die Nahaufnahme. Wie Improspieler dies auf die Bühne bringen (mit den Armen die Leinwand oder den Fernseher um das Gesicht des Darstellers andeuten), ist selber zum Impro-Klischee geronnen und nichts weiter als ein kleiner Lacher, der ja auch nichts bringt – als Zuschauer sehen wir durch dieses kleine Gimmick auch nicht mehr, und für die Story hat es auch keinen Effekt. Andererseits bieten Landschaftsaufnahmen, Massenszenen u.a. die Möglichkeit, durch körperliche Phantasie Neues zu schaffen. Ich denke, wenn man sich eines Filmgenres annimmt, sollte man sich ruhig auch die Zeit nehmen, die filmischen Mittel zu durchdenken und gegebenenfalls einiges bewusst fallenlassen oder bühnenadäquate Umsetzungen finden, die dem Zuschauer auch wirklich etwas bringen.
Ich bin mir in dieser Frage noch nicht sicher und freue mich über Kommentare und Widerspruch.

Bühnenmagie

Was erzeugt die Magie der Bühne, was zerstört sie? Mit Bestimmtheit kann ich es noch nicht genau sagen. Hilfreich ist sicherlich ein klarer Bühnenfokus. Scheinwerfer, die sich bestenfalls auch verschiedenen Stimmungen anpassen oder diese erzeugen, helfen auf jeden Fall. Neulich wollte bei einem Gala-Auftritt keine rechte Stimmung aufkommen. Ein Grund war sicherlich, dass wir unter diffusem Licht spielen mussten. Was das Licht betrifft, war bisher die Scheinbar in Berlin sicherlich mein Lieblings-Impro-Ort. Dem Fokus hilft es aber auch, wenn das Publikum nicht verstreut oder an Tischen sitzt. Wenn andere optische Eindrücke ablenken, verliert das Bühnengeschehen an Bedeutung. Ein überfüllter Raum ist zwiespältig, da stehende oder auf dem Boden hockende Zuschauer an der mangelnden Bequemlichkeit leiden, aber fast immer entsteht bei solchen Veranstaltungen ein Publikums-Gefühl, hier geschehe gerade etwas ganz besonderes. Intensiv habe ich das als Zuschauer bei den Veranstaltungen der Reformbühne im Schokoladen erlebt. Später in extremster Form bei der Chaussee der Enthusiasten, als Zuschauer sogar noch Eintritt bezahlen wollten, um auf der Kellertreppe sitzen zu dürfen, wo sie nur einen vagen akustischen Eindruck dessen erhaschen konnten, was die meist halb-defekte Box noch in den Hinterraum herüberließ. Sehen konnte uns oft gerade mal die Hälfte der Zuschauer. Nebengeräusche sind vor allem für sanfte Passagen ungemein störend. Ich habe es nie verstanden, warum es sich einige Lesebühnen gefallen ließen, dass während der Veranstaltung an der Bar gequatscht wurde. Beim Improtheater sind solche akustischen Störungen sanfter Szenen natürlich noch schlimmer. Man wird aus der Phantasie der etablierten Welt herausgerissen. Plötzlich sehen wir nicht mehr zwei Gangster in einem Krankenhaus, sondern zwei Pantomimen, die auf einer Bühne so tun als ob. Angenehme Bühnen versprühen Charme und inspirieren die Schauspieler, schwierige Bühnen banalisieren die Darstellung.

Keith Richards‘ LIFE (8)

„Des Öfteren bin ich mit heftigem Fieber aufgetreten, und am Ende der Show war ich geheilt.“ (S. 645/6)
Dieses Phänomen der heilenden Wirkung von Bühnen-Adrenalin habe ich auch schon festgestellt. Nicht bei Fieber-Erkrankungen, aber immerhin bei kleinen Erkältungen.

„Wenn Mick irgendeine Rampe runterläuft und sich immer weiter von der Band entfernt, haben wir keine Ahnung, ob er noch dasselbe hört wie wir. Eine halbe Sekunde Verzögerung, und der Beat ist im Eimer. Wir müssen eine kurze Verzögerung einbauen, sonst singt er ewig weiter wie ein Japaner. Dass ist dann die ganz große Kunst – dafür brauchst du Jungs, die so tight sind, dass sie den Beat anpassen können, und zwar genau so, dass Mick an der richtigen Stelle rauskommt. Die Band wechselt von Off-Beat in den On-Beat und wieder zurück und von vorne, ohne dass das Publikum irgendetwas mitbekommt. Ich lauere darauf, dass Charlie auf Mick schaut, um sich an seiner Körpersprache zu orientieren – nicht an dem Sound, denn das Echo ist viel zu stark – , Charlie legt einen kleinen Stotterer ein, bis Mick bei ihm angekommen ist, und zack, bin ich wieder mit dabei.“ (S. 646/7)

„Um den aufreibenden Tourstress durchstehen zu können, muss man zur Maschine werden: alles ist auf den nächsten Gig ausgerichtet. Man wacht morgens auf, und alle Gedanken sind beim nächsten Konzert. Den ganzen Tag über denkt man daran. […]“ (S. 647)

„Wenn man so vor dem Mikro steht und einen Song komponiert, fühlt man sich fast, als würde man sich an einem Freund festklammern. Geh voraus, Bruder, ich folge dir, um den Kleinkram kümmern wir uns später. Ich brüte nicht tagelang über irgendwelchen Gedichten. Und das Faszinierende ist, wenn du dort vor dem Mikro stehst und weißt, jetzt geht es gleich los, kommt irgendwelches Zeug aus dir raus, das du dir nie erträumt hättest. Aber schon eine Milisekunde später musst du nachlegen, irgendwas, was dazu passt. Du trägst einen Zweikampf mit dir aus. Und plötzlich hat das Ganze einen Rahmen. Natürlich verrenst du dich auf die Art ziemlich oft. Aber du musst dich einfach vors Mikro stellen und schauen, wie weit du kommst, bevor dir die Puste ausgeht.“ (S. 671)

Bühnengröße

Ich muss doch sagen, dass ich trotz allem die große Bühne des RAW-Ambulatorium beim Improvisieren manchmal vermisse. Ja, es war manchmal zu kalt und die Heizlüftung störte. Ja die Klos waren nicht vorzeigbar. Ja, die Betreiber haben sich nicht dafür interessiert, was wir da machen.
Aber alleine dadurch, dass man auf der Bühne rennen und springen konnte, dass die Akustik phantastisch war, nicht nur zwei Stühle, sondern auch ein Sofa und ein Riesentisch auf die Bühne passte, man auf die Rückseite der Bühne projizieren konnte und man sich völlig frei bewegen konnte, war die Phantasie so frei wie ich es selten anderswo erlebt habe.
Doch die unglaublich gute Kooperation mit der Alten Kantine und ihre Reputation macht viel aus. Und dass wir als Team besser geworden sind, natürlich auch.
Zu loben ist auch die Scheinbar. Selbst in unseren Anfangstagen ist es uns, denke ich, gelungen, viele magische Momente auf die Bühne zu zaubern, eben weil es die Scheinbar war.

Temenos

Stephen Nachmanovitch erwähnt in Tao der Kreativität den Temenos, den heiligen Platz des Spielens. Um die Phantasie sich entfalten zu lassen – sowohl beim Künstler als auch beim Publikum brauchen wir einen besonderen Raum. Die Bühne ist insofern nicht nur wegen der besseren Sichtbarkeit erhöht. Auf guten Bühnen wird auch immer meine räumliche Phantasie entfacht, während ich zeitlich eins mit mir bin. Vor einigen Jahren spielten monatelang wir auf einer nett eingerichteten Bühne, und doch hatte ich jedesmal das Gefühl, das ist hier alles nur Pillepalle-Wohnzimmer-Darbietung, der Raum hatte für mich keine Atmosphäre. Keine Pantomime konnte sich vor meinem Auge entfalten. Innerlich wurde ich hektisch – der Einklang mit der Zeit kam abhanden. Man kann hier natürlich kein allgemeines Gesetz formulieren. Als wir mit der Chaussee der Enthusiasten im Cube Club auftraten, war es immer so eng, dass die Zuschauer direkt vor dem Mikro saßen. Eine Bühne im eigentlichen Sinne gab es nicht. Ein schwacher Scheinwerfer beleuchtete den Vorleser. Und dennoch waren die Abende magisch. Der Temenos war reduziert und fokussiert auf den Platz am Mikrofon und den kleinen Tisch an dem die Kollegen saßen. Außenstehende mochten das als Aufhebung der Trennung zwischen Künstlern und Publikum wahrgenommen haben. Aber diese Trennung blieb bestehen, indem das Mikrofon (das wir, wenn wir alle geschulte Stimmen gehabt hätten, an sich gar nicht gebraucht hätten) mehr oder weniger unbewusst ein heiliger Ort inszeniert wurde. Unausgesprochen haben das sowohl wir als auch die Zuschauer so empfunden.

Lokationen

Gute Räume für Impro-Shows sind oft schwer zu finden, wenn man nicht gerade in einer mittelgroßen Stadt das einzige Improtheater ist und der Intendant des Stadttheaters überlässt einem vor lauter Begeisterung den Samstagabend.Wieviel Zuschauer will man erreichen bzw. mit wieviel Zuschauern rechnet man? Danach richtet sich nicht allein die Größe des Raums, sondern auch die Größe der Bühne, ob man technische Verstärkung benötigt usw.Ist eine gute Kooperation mit den Betreibern des Theaters, Cafés usw. zu erwarten? Oft merkt man schon in den ersten Gesprächen, ob die Betreiber ein Interesse an einem haben oder nicht. Wenn man an regelmäßigen Terminen spielt, muss mit dem Betreiber geklärt sein, wie man damit umgeht, wenn er einmalig eine lukrativere Veranstaltung bekommt: Lässt er einen dann fallen wie eine heiße Kartoffel oder kann man mit Loyalität rechnen?Fokus: Oft wird gerade bei Bar-und Café-Improvisation das Thema Fokus unterschätzt. Stehen Säulen rum, die die Sicht nehmen? Muss man in der Ecke eines Cafés zwei Seiten bespielen? Gibt es Möglichkeiten, in einem großen Raum, diesen z.B. mit Stellwänden oder Vorhängen zu verkleinern? Gibt es Bar-Nebengeräusche und kann man diese vermindern? Liegt die Räumlichkeit an einem schwer zugänglichen oder etwas abgelegenen Ort? Spricht das Etablissement vor allem eine bestimmte enggefasste Zielgruppe an (Hausbesetzer, Rentner…)? Und wenn ja, lässt der Raum es zu, dass sich andere Gruppen nicht völlig abgeschreckt fühlen?Gibt es finanzielle Regelungen, mit denen beide Seiten gut leben können?Selten wird man einen Raum finden, in dem alle diese Punkte 100%ig gelöst sind. Man frage sich: Wo gehe ich wieviele Kompromisse ein?

Umsetzbarkeit

Man lasse sich bei der Auswahl von Spielen und Spielformen auch von der äußeren Situation leiten. Oft schon wurden Spiele ausgewählt, die vielleicht für den Abend nett gemeint waren oder auch beim Publikum anzukommen versprachen. Aber dann wurde vergessen, dass man in der konkreten Bühnensituation das nicht umsetzbar war (fehlendes Mikro, zu großes oder zu kleines Publikum).
Stelle dir das Spiel visuell auf dieser konkreten Bühne, mit diesen Spielern, mit diesem Publikum und mit diesem technischen Equipment vor.

An/Aus

Die Unterscheidung zwischen An und Aus (On/Off) auf der Bühne: In gemeinsamer Aktion, sei es in der Szene, beim Singen oder Tanz – auch wenn man nicht „dran“ ist, sollte man die Spannung des Dranseins erhalten.
Vielleicht gerade bei kleinen Bühnen, bei denen man nicht von der Bühne abgehen kann, ist aber auch das Aus-Sein als Haltung wichtig: Entspanntere Haltung, physisch und mimisch.

Wille zur Magie

In direkt weiß ausgeleuchteten Räumen spielt es sich oft etwas schwerer. Die Magie des Raums fehlt, wenn man statt Theater wirklich nur jemanden rumspringen sieht, der so tut als ob. Gute Licht-Techniker sind hier ein Segen, d.h. Techniker, die bereit sind, selbst Verantwortung zu übernehmen und Akzente zu setzen.

Impro auf größerer Bühne

Eine große Bühne muss auch gefüllt werden:

  • Bewegung durch den Raum
  • Licht (möglichst dynamisch)
  • Gegenstände: Requisiten, Bühnenbild

Die Bühne im Ambulatorium des RAW-Tempel ist für uns, die wir nun jahrelang eher kleine Bühnen genutzt haben, eine gewisse Herausforderung. Die Beleuchtungsmöglichkeiten sind eher begrenzt. Ein schöner Versuch, der bisher sehr inspirierend wirkt, der das Spiel belebt und die Zuschauer auf charmante Weise einbezieht: Wir benutzen Fotos als Bühnenbilder. Die Digital-Fotos werden per Beamer an die Leinwand hinter der Bühne projiziert. Die Technikerin oder der DJ wechselt nach eigenem Belieben zwischen den Bühnenbildern hin und her.
Relativ ungewohnt ist für uns auch, mit echten Tischen, Sofas usw. zu spielen, statt sie wie bisher nur anzudeuten.