In den letzten drei Jahren hat meine Lektüre arg nachgelassen. Als die Corona-Pandemie begann, glaubten ja viele, all die Gelockdownten würden nun mehr lesen, sich ihren Familien widmen, ein neues Instrument lernen usw. Aber, soweit ich es unter meinen Bekannten höre, war das nur bei sehr Wenigen der Fall. Es gab ein paar halbherzige Versuche, Schach zu lernen. (Die Serie Damen-Gambit kam gerade zur rechten Zeit.) Viele Paare trennten sich. Statt zu lesen, wurden Serien geglotzt.
Ich habe es in der Zeit auf sechzig beendete Bücher gebracht. (Und ungefähr genauso viele angefangene.)
Wenn ich in mein Zu-Lesen-Regal schaue, machen mir besonders jene Bücher ein schlechtes Gewissen, die mir Freunde geschenkt haben. Vielleicht ist es ja gerade dieser Verpflichtungs-Druck, der einen diese Bücher im Regal stehen lässt, dieses Gefühl, etwas abarbeiten zu müssen. Lediglich fünf der letzten einhundert durchgelesenen Bücher waren Geschenke. Manche Schenker tun mir geradezu leid – sie geben wieder und wieder Geld für gedrucktes Papier aus, in der Hoffnung, mir eine Freude zu machen. Hingegen nehme ich Lesetipps immer wieder mal auf.
Hier also die Top 10 meiner bisherigen Pandemie-Lektüre. (Einen Großteil davon habe ich hier bereits besprochen.)
10. Svenja Flasspöhler: „Sensibel“
Ein großartiges Buch, dass beide Seiten der Frage von Sensibilität und deren Grenzen beleuchtet.
Hätten mich äußere Umstände nicht dazu gezwungen, wäre ich wohl kaum auf dieses Theaterstück gestoßen, das so überraschend und so witzig ist, dass ich bereue, nicht schon früher darauf gestoßen zu sein.
Gleich zu Beginn der Pandemie wurde das Buch zum neuen Bestseller. Ich habe es erst 2021 wieder aus dem Schrank geholt, nachdem es mir doch schon empfohlen wurde, als ich erst vierzehn war. Die Parallelen waren oft frappant: Das Warten, die Langeweile, die Frustration der aufs Untätigsein Zurückgeworfenen. Die Erschöpfung und emotionale Anspannung der pausenlos arbeiten müssenden. Das Leugnen der Rebellen, die zögerliche Reaktion der Bürokratie, die undankbare Tätigkeit der Impfstoff-Entwickler. Was mir aber erst nach und nach klar wurde, ist, dass sich doch für Viele die Perspektive auf das Leben verändert hat. Sie ist, um es mal plakativ zu formulieren, „existenzialistischer“ geworden. „So zerstörte die Krankheit, die die Bevölkerung scheinbar zu einer Gemeinschaft von Belagerten gezwungen hatte, gleichzeitig die hergebrachten Verbindungen und überantwortete den einzelnen seiner Einsamkeit.“
7. „Tausendundein Nächte. Band 3“.
Es muss wohl sechs Jahre her sein, dass ich diesen Band begann und inmitten einer sich hinziehenden Erzählung abbrach (es fehlten nur 50 von über 800 Seiten).
6. Kathrin Passig: „Je Türenknall desto wiederkomm“
Eine der freundlichsten und unterhaltsamsten Kolumnen-Sammlungen, die ich je gelesen habe.
5. Isabel Allende: „Ein unvergänglicher Sommer“
Genau die richtige tröstliche Lektüre im Corona-Sommer 2020.
4. Jochen Schmidt: „Ich weiß noch, wie King Kong starb.“
Jochen Schmidt – immer eine Erholung für Geist, Geschmack und Humor.
3. James M. Cain: „The Postman Always Rings Twice“
Am liebsten würde ich solche Erzählungen andauernd lesen – schwungvoll geschrieben, mutig in der großen Behauptung, achtsam im Dialog und mit einer Handvoll sehr überraschender aber glaubwürdiger Wendungen.
2. Abigail Shrier: „Irreversible Damage. Teenage Girls and the Transgender Craze“
Mit großer Sensibilität und Genauigkeit zeichnet Shrier den Weg der Mädchen auf, die den psychischen, physischen und sozialen Herausforderungen der Pubertät nicht standhalten und nun glauben, dies sei ein Zeichen dafür, sie steckten im falschen Körper. (Der früher übliche Weg im Westen war bei solchen Mädchen oft die Anorexie.) Die Influencer, die Eltern, die Lehrerinnen, die Ärzte – alle ermutigen die Mädchen dazu, sich verstümmeln zu lassen und beklatschen jeden Schritt auf diesem Weg.
1. Ryan Holiday: „The Daily Stoic. 366 Meditations on Wisdom, Perseverance, and the Art of Living“
Genau das richtige Buch für die tägliche Meditation. Gut, dass ich es im September 2019 schon begonnen hatte.
0. (Lobende Erwähnung) Harry G. Frankfurt: „Bullshit“
Dem Bullshitter „ist der Wahrheitswert der Aussage egal. Deshalb kann man nicht sagen, [er] habe gelogen… Gerade in dieser fehlenden Verbindung zur Wahrheit, in dieser Gleichgültigkeit gegenüber der Frage, wie die Dinge wirklich sind, liegt meines Erachtens das Wesen des Bullshits.“
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521. Nacht
Während es in Kabul bei der Belagerung bleibt, reist Dschanschâh weiter auf der Suche nach dem Edelsteinschloss Takni – über Indien, Chroasân, Mizrakân und zur „Stadt der Juden“. Er begibt sich wieder in die Anstellung des Betrügers, der ihn auf dem Edelsteinberg verhungern lassen wollte.
In der Geschichte vom Edelsteinberg, die ich aus der bereits erwähnten Amiga-Schallplatte kannte, nimmt der Held Mirali nun Rache, indem der Kaufmann selbst in die Tierhaut gewickelt und so von den Greifvögeln auf den Berg getragen wird.
Wieder geht es an den Fuß des Berges. Aber im Gegensatz zu bereits erwähntem Schallplatten-Mirali lässt sich Dschanschâh selbst wieder in die Pferdehaut einnähen und von den Greifvögeln auf den Berg tragen, offenbar in der Hoffnung, wieder den Weg zu seiner Geliebten zu finden. Als der Kaufmann ihm befiehlt, die Edelsteine hinabzuwerfen, antwortet Dschanschâh:
„Du bist es, der vor fünf Jahren so und so an mir gehandelt hat; da musste ich Hunger und Durst leiden, und viel Mühsal und großes Unheil kam über mich. Jetzt hast du mich zum zweiten Male hierhergebracht und denkst mich in den Tod zu treiben. Bei Allah, ich will dir nichts hinabwerfen.“ Daraufhin ging er fort und machte sich auf den Weg, der ihn zu Scheich Nasr, dem König der Vögel bringen sollte.
Das ist allerdings eine äußerst milde Rache: Nicht erhaltene Edelsteine als Strafe für versuchten Mord.