109. Nacht

Der Wesir zieht mit der Braut zu Sulaimân Schâh, und sie wird in der Grünen Stadt mit allen Ehren empfangen:

Der König ließ durch einen Ausrufer in der ganzen Stadt verkünden,
keine verschleierte Maid,
keine vornehme Dam im Ehrenkleid,
keine Dame gebrochen von der Zeit
solle es unterlassen, der Braut entgegenzuziehen.

So wie man auch bei uns manchmal zum Spalierstehen verpflichtet wurde. Das letzte Mal, da ich bei so etwas freiwillig mitgemacht habe, war im Oktober 1979. Breshnew kam anlässlich des 30. Geburtstags der DDR nach Berlin, und man konnte vom Straßenrand aus sehen, wie klapprig und monoton er wirkte. Spät am Abend wurde live ein Fackelzug im Fernsehen gezeigt. Nach 1 Stunde änderte sich die Kamera, so dass man den (inzwischen zu Bett oder an die Schläuche transportierten) Breshnew nicht mehr sehen konnte. Eine große Panne bei der Ansprache der FDJler: Der Danksager vergaß seinen Text. Man munkelte, er habe dann einen Nervenzusammenbruch bekommen und sei dann in der Psychiatrie gelandet. Mit nicht einmal elf Jahren war ich von den Sprech-Chören "SED-KPdSU" peinlicher berührt als meine Eltern, die das Ganze fatalistisch zur Kenntnis nahmen.

Ruckzuck wird geheiratet. Sulaimân

nimmt ihr Mädchentum, und alle seine Sorge und Unruhe hatte ein Ende.

Es gab Zeiten, in denen ich mich grämte, wenn ich nicht regelmäßig Geschlechtsverkehr hatte. So ein König ist schon mit einem einzigen Mal zufriedenzustellen.

Man kann es sich denken: Wie auch in den anderen Erzählungen empfängt hier die Jungfrau bereits in der ersten Nacht. Der geborene Knabe wird Tâdsch el-Mulûk Charân genannt.

Unklare Praxis: Nach dem Zerschneiden der Nabelschnur die Augen salben.

Ab dem siebenten Lebensjahr wird er von den Gelehrten unterrichtet und

als er nun alles wusste, was der König verlangte, übergab man ihn einem geschickten Meister, der den Knaben die Reitkunst lehrte.

93. Nacht

Seit nunmehr zehn Monaten lerne ich Klavier. Jeden Tag übe ich zehn Minuten, Immer wieder dasselbe Stück. Damit hätte man mich früher in den Wahnsinn treiben können. Heute ist es die schönste Meditationsübung für ich. Ehrgeizlos erarbeite ich mir linke und rechte Hand eines der schönsten Klavierwerke Mozarts – der C-Dur Sonate KV 545 (Sonata facile), der langsame Satz. Wenn man bedenkt, dass ich vorher gerade mal wusste, wo die Tasten liegen, finde ich das einigermaßen ordentlich. Hier meine Fortschritte vom 24. Oktober 2007.

***

Gute Boxer loben ihren Gegner, nachdem sie gewonnen haben, um ihr eigenes Ansehen zu erhöhen. In Trivialliteratur wie dieser wird darauf keine Rücksicht genommen. In “Schneewittchen” ist die böse Stiefmutter immerhin auch schön. In “Frau Holle” ist die böse, faule Stiefschwester auch hässlich. Wir bekommen eine kleine Beschreibung von Dhât ed-Dawâhi serviert:

Nun war aber jene Verfluchte eine schlimme Zauberin, im Hexen und Täuschen eine Meisterin, sie war eine liederliche Lügnerin, eine ausschweifende Betrügerin; sie roch aus dem Munde wie Kot; ihre Augenlider waren rot; ihre Wange bleich wie der Tod; ihres Gesichtes Farbe war dumpf; ihr Blick war trübe und stumpf; ihr Leib war räudig, ihr Haar war gräulich, ihr Rücken buckelig; welk sah ihre Haut sich an, und ihr Nasenschleim rann. (…) Bei ihrem Sohn aber, dem König Hardûb von Kleinasien, blieb sie hauptsächlich um der jungfräulichen Sklavinnen willen, denn sie war der sapphischen Liebe 93 ergeben. (…) Die Prinzessin Abrîza mochte nicht mit ihr schlafen, weil ihre Armhöhlen abscheulich rochen und weil ihre Winde noch ärger stanken als Leichengeruch, und obendrein war ihre Haut rauher als Palmenfaser.

Man beachte das “weil” des letzten Satzes. Das heißt ja wohl, wenn die Alte nicht so abstoßend gewesen wäre, hätte Abrîza mit dem Beischlaf der Alten kein Problem gehabt.

König Afridûn gibt den “syrischen Kaufleuten” einen Schutzbrief mit. Dhat ed-Dawâhi weiht die Kaufleute in ihren Plan ein. Sie selbst verkleidet sich als muslimischer Mönch und legt sich in eine Kiste. Die Syrer sollen behaupten, diesen aus der Hand der Christen befreit zu haben.

93 Sapphische Liebe = lesbische Liebe. Benannt nach Sapphos, einer der großen griechischen Lyrikerinnen, die auf Lesbos(!) lebte.

Weiterlesen

87. Nacht

Eigentlich ist es erstaunlich, wieviele Presse-Erzeugnisse ich noch konsumiere, da ich doch die gleichen Informationen aus dem Internet beziehen könnte. Aber so bezahle ich einen gigantischen Apparat von Organisationen, Personen und Logistik, die dafr sorgen, dass Informationen, die mich tendenziell interessieren, thematisch gebündelt werden, dass ich mir bestimmte Meinungen anhöre (d.h. auf der anderen Seite: bestimmte Meinungen blende ich aus), und dass mir diese Informationen pünktlich auf Papier gedruckt serviert werden. Derzeit habe ich abonniert:

Die Zeitschrift meiner Krankenkasse und das ai-journal bekomme ich zugeschickt, ohne etwas dafür tun oder zahlen zu müssen. Aber der Papierverbrauch! Wer räumt das alles wieder auf? Wer pflanzt die Bäumchen neu? Wer lohnt es mir, dass ich mir seit März 1990 (also noch vor der Währungsunion) die zitty kaufe? Die Antwort, Ladies und Gentlemen lautet auf all diese Fragen: Niemand.

Dau el-Makân schüttet nun also den gesamten Tribut von Damaskus unter den Truppen aus.

"Niemals sahen wir einen König solche Gaben austeilen."

Natürlich will der neue Herrscher auf diese Weise Loyalität begründen, fragt sich nur, ob diese Art von Großzügigkeit ein probates Mittel ist, en Dankbarkeit ist von kurzer Dauer. "Wer klug ist, sieht lieber die Leute seiner bedürftig als ihm dankbar verbunden. […] Wer seinen Durst gelöscht hat, kehrt der Quelle den Rücken, und die ausgequetschte Apfelsine fällt von der goldenen Schüssel in den Kot.", schreibt Baltasar Gracián im "Hand-Orakel und Kunst der Weltklugheit" (Kap. Abhängigkeit begründen). Mit anderen Worten, der König müsste vor allem darauf achten, dass seine Truppen dauerhaft einen angemessenen Sold erhalten.

Als sie vier Tage später in Bagdad eintreffen und er den Thron bestiegen hat, unternimmt Dau el-Makân gegenüber seinem Bruder einen klugen Schachzug: In einem Brief, den er dem Wesir Dandân mitgibt, bittet er ihn, mit seinen Truppen zu ihm dazuzustoßen, um gegen die griechischen Christen zu kämpfen, vor allem aber bietet er ihm die Krone an und deutet an, sich mit dem Posten des Vizekönigs von Damaskus zu begnügen.

Dau el-Makân reitet auf die Jagd,

(Unklar)

und bei seiner Rückkehr schenkt ihm ein Emir Sklaven und Sklavinnen.

Wurde der Emir damit beauftragt?

Mit einer der Sklavinnen schläft er in derselben Nacht

und sie empfing durch ihn zur selben Stunde.

Bald darauf trifft Scharkân in Bagdad ein, die Brüder begegnen sich in Freundschaft, und berichten einander von dem, was vorgefallen ist.

Nach dem bisher Berichteten wäre aber anzunehmen, dass Scharkân entweder etwas im Schilde führt oder dass sein Groll bei der nächstbesten Gelegenheit wieder aufflammt.

62. Nacht

Nuzhat ez-Zamân setzt die Anekdote fort, in der der Kalif Mu’âwija, der nun viel über die Vorzüge der Iraker gehört hat, einen solchen, der gerade zufällig vor seiner Tür steht, zu sich bittet.

Es scheint mir, dass der Gefährte des Kalifen die Sache eingefädelt hat.

Seine Gemahlin lauscht in dessen hinter einem abgetrennten Vorhang.

Für dieses erzählerische Mittel, ein Motiv, das in der Rahmenhandlung auftaucht, während der "eigentlichen" Handlung wiederzuverwenden, fehlt mir literaturwissenschaftliche Begriff. Er wird in den Erzählungen von 1001 Nacht ständig angewandt. Für Hinweise per Kommentarfunktion bin ich dankbar.
(In diesem konkreten Falle reflektiert die Gemahlin des Kalifen die Erzählerin Nuzhat ez-Zamân.)

Der Iraker el-Ahnaf ibn-Kais gibt Hinweise über:

  • hygienische Maßnahmen, darunter 77 (unausgeführte) Gründe, einen Zahnstocher zu benutzen

  • die Achtsamkeit beim Gehen

  • Umgang mit Adligen, die keine Fürsten sind

  • Umgang mit Häuptlingen

  • Umgang mit der eigenen Frau im Allgemeinen

  • Umgang mit der Frau, wenn man mit ihr zu ruhen gedenkt (diese Antwort muss ihm der Kalif allerdings hartnäckig entlocken):

"Ich plaudere mit ihr, bis sie sich mir zuneigt, und küsse sie, bis sie vor Verlangen erfüllt ist; und wenn es dann ist, wie du weißt, bette ich sie auf den Rücken. Und wenn der Same in ihrem Schoße ist, so sage ich Allah segne ihn und lasse kein Unheil aus ihm werden, sondern gib ihm die schönste Gestalt! Darauf erhebe ich mich zur Waschung; erst gieße ich mir Wasser über die Hände und dann über den Leib, und zuletzt preise ich Gott um der Gnade willen, die er mir verliehen hat."

Als er geht, sind Kalif und Gemahlin begeistert von diesem Mann.

Wir sind im Übrigen immer noch bei dem Vortrag von Nuzhat ez-Zamân, und man muss sich vor Augen führen, dass nicht nur diese über all die Weisheit verfügt, sondern ja auch Schehrezâd.

Dies war bisher die kürzeste Nacht: 1 Seite + 15 Zeilen.