Noch einmal ins Frühstücks-Café Lil’ Dizzy, das anscheinend nach Dizzy Gillespie benannt wurde. Zucker, Salz und Fett – so finden es die Amis nett.

Die Abreise gestaltet sich ähnlich aufregend wie die Anreise: Greg, der Fahrer fehlt. Der Chef verliert die Ruhe nicht – er habe die Karre des Fahrers bereits draußen erspäht, und der sei ja erst fünf Minuten über der Zeit. Gut gelaunt taucht Greg auf. Die Bitte, das Hostel im Internet gut zu bewerten, wird er auf der Fahrt noch drei Mal wiederholen. Auf der Fahrt schildert er uns seine wirtschaftliche Lage. Neben dem Fahrer-Job müsse er noch auf dem Friedhof arbeiten und außerdem seiner Mutter im Haushalt helfen. Aber man wisse ja, wie das mit der Familie ist – die zahlten einem nichts. Um seine lockere Art, das Lenkrad zu bewegen nicht noch zu verschärfen, verkneifen wir uns Nachfragen zu seiner offenbar angespannten Familiensituation. Zu früh am Flughafen, was aber die Entspanntheit des reisenden Pärchens eher fördert.

Kindheitserinnerung beim Hören des Lieds “Rehab” von Amy Winehouse: 1980, im Ferienlager in Bad Saarow, wohnten in den Nachbar-Bungalows die “Rehabilitanten”, von denen es hieß, sie kurierten irgendwelche Behinderungen aus. Die Art der Behinderungen versuchten wir im Laufe der 14 Tage meist vergeblich zu erspähen. Von einem erfuhr ich, er habe einen Hüftschaden, was man leider auch nicht ohne weiteres erkennen konnte, allerdings glaubte ich, dass sein geflochtener Gürtel, der sich in mein optisches Gedächtnis bis heute eingeprägt hat, etwas damit zu tun hatte. Wie die meisten Ferienlager, so war auch das in Bad Saarow sehr vom Tischtennis geprägt. Natürlich “chinesisch”, sobald mehr als vier Mitspieler beteiligt waren. Für den Fall, dass man den Ball nicht erreichen konnte, weil einem jemand im Weg gestanden hatte, galt die Regel “Behinderte gehen weiter”, die man sich allerdings nicht auszusprechen traute, wenn ein Rehabilitant mitspielte. Wir fragten uns sogar insgeheim, ob man sie nicht fairerweise immer weitergehen lassen müsste.

Ankunft in Seattle. Für Juni recht frisch. Die Umstellung von New Orleans enorm. Vom Flughafen mit Gepäck acht Minuten zur Bahn latschen. Schlimmer als in Schönefeld.
Green Tortoise Hostel. Schwierigkeiten bei der Raumzuteilung, Missverständnis bei der Buchung durch Unexpected Productions. Steffi kommt in ein Sechserzimmer, aus dem sie spät nachts von der Nachtwache und sechs Dänen verscheucht wird; man weist ihr eine andere Koje zu. Mir sagt Randy zu, sich zu kümmern. Ich nehm’s leicht. Ein Festival ist eben schwierig zu organisieren.
Zum Market Theater. Dort läuft seit Freitag der “Improvathon” – ein 50stündiger Improtheater-Marathon zugunsten der Renovierung des Theaters. Am Ende dieses Marathons haben einige über 40 Stunden Impro in den Knochen – Tony Beeman etwa 42 Stunden, und in der Zeit maximal 2 Stunden Schlafunterbrechung. Wir begrüßen die ersten bekannten Gesichter. So wie im letzten Jahr gehen wir mit Masako erst mal Burger essen.
Impro-Format Playborhood (für 6 – 12 Spieler): Eine Nachbarschaft mit drei Häusern. Auf der Bühne räumlich getrennt. (Das Market Theater wie dafür geschaffen.) In jedem Haus dominiert ein Stil oder Genre. Wir werden in die Familien eingeführt, deren Charaktere später aufeinandertreffen. Recht gut umgesetzt. Erste Impro-Inspiration.
Die Lösung für mein Übernachtungs-Problem – ein Nobel-Hotel. Ich bin’s zufrieden.

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BLINK – Kapitel 3 The Warren Harding Error

Dieses Kapitel beschreibt die düsteren Seiten des “Thin Slicing” – mit dem prominenten Beispiel des von vornherein präsidial wirkenden Republikaners Warren Harding, der sich schließlich als einer der schlechtesten US-Präsidenten aller Zeiten entpuppte.
Auf http://www.implicit.harvard.edu findet man den Impliziten Assoziations-Test (IAT), der zeigt, wie klischeehaft unser Hirn arbeitet, wenn es schnell arbeiten muss. So assoziieren wir Familie eher mit Frauen und Karriere eher mit Männern; und noch beunruhigender: Weiße eher mit Gutem, Schwarze eher mit Bösem.

Der Test funktioniert wohl auch, wenn ihn Schwarze und Feministinnen durchspielen.

Den Schnell-Assoziations-Fehler begehen auch Verkäufer, die ihre Kundschaft zu schnell in kaufkräftig vs. uninteressiert einteilen.

 

11. Juni 2011 – Behinderte gehen weiter
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