Die Geschichte der ältesten Dame
Die älteste Dame beginnt ihre Story mit der erstaunlichen Offenbarung
"Diese beiden schwarzen Hündinnen sind meine Schwestern."
Man beachte die Analogie zur Geschichte des zweiten Scheichs (2. Nacht). Auch ihre Schwestern zogen fort; allerdings waren es hier die Ehegatten, die die Dinare verprassten. Sie kehren verarmt zurück, werden von der Schwester gepflegt, und auch sie begehen diesen Fehler ein zweites Mal.
(Erstaunlich, dass Schehrezâd es wagt, schon nach zwei Wochen auf altes Storymaterial zurückzugreifen. Bei der Chaussee der Enthusiasten beträgt der zeitliche Anstandsabstand für die Widerholung alter Geschichten 12 Monate.)
Das Schiff gerät in Seenot,
da der Kapitän nicht auf den Weg geachtet hatte.
Man gelangt doch noch ans Festland – eine Stadt, die keiner kennt.
Und als ich zum Stadttor kam, sah ich dort Menschen mit Stöcken in den Händen. Wie ich aber näher hinzutrat, zeigte sich, dass sie durch Gottes Zorn zu Stein verwandelt waren. Auf den Basaren und im Palast – überall sind die Menschen zu Stein verwandelt. Eine dornröscheneske Starre.
Auf der Suche gerät die Dame in einen Raum, in dem Kerzen brennen, welche, so die Schlussfolgerung der Dame, ja jemand entzündet haben musste. Tatsächlich findet sie in einem Raum einen ins Gebet vertieften Knaben, der ihr alsbald seine Geschichte verrät: Sein Vater und seine Mutter (König und Königin) sowie
alles Volk dieser Stadt waren Magier, und sie beteten das Feuer an statt des Königs, dem alles untertan.
("Magier" steht hier nur für Perser, die den Lehren Zarathustras folgen. Also keine Zauberer, sondern Zoroastrier, die aber von den Moslems als Ungläubige verachtet wurden.)
Der Königssohn wird von einer Gouvernante heimlich im muslimischen Glauben aufgezogen. Allah verwandelt kurz nach dem Tod der Gouvernante alle Gottlosen zu Stein.
Unsere Dame tröstet ihn mit den merkwürdigen Worten:
"Wisse, dass die Dienerin, die vor dir steht, eine Herrin ihres Volkes ist und über Mannen, Eunuchen und Diener gebietet."
Davon, dass sie eine Herrin ihres Volkes ist, erfährt man hier zum ersten Mal. Oder genügt es, als Kaufmännin mit einem Schiff zu reisen, um als Herrin zu gelten?
Exkurs: Natürlich ist die korrekte weibliche Form von Kaufmann Kaufmännin. Dasselbe gilt für weitere Berufs- und Funktionsbezeichnungen, die mit "-mann" enden, wie auch in Seemann, Zimmermann, Hauptmann. Denn hier fungiert "mann" nicht geschlechtsbestimmend. Die Pluralform ist ja auch entsprechend: Kaufleute, Seeleute, Zimmmerleute und Hauptleute, und eben nicht Kaufmänner usw.
Die Dame überredet den Jungen, mit ihnen die Reise fortzusetzen.