Was machen die Blechblas-Ensembles eigentlich, wenn gerade keine Adventszeit ist. Die Ärmsten müssen immer mit kalten Fingern spielen. Wie vielen Hornisten ist dabei schon das Mundstück an den Lippen gefroren? Wievielen Posaunisten hing am Ende  ein Eiszapfen aus der Tröte? Warum nicht Xylophon und Harfe? Auf jeden Fall irgendwas ohne Spucke und Metall.

DIE GEFANGENE

Di, 21.11.06

Robert wieder der mäßigende Part bei den hitzigen Diskussionen der Chaussee.
Adress-Ummeldungen bei VG-Wort, Voland & Quist, KSK, Krankenkasse, Alte Kantine, Presse-Versicherung, amnesty international, BfA, taz.
Kostenpflichtiger Nachsende-Auftrag bei der Post für 12 Monate.
Es stehen noch aus: Bank, RAW, Ebay, Amazon, Einwohnermeldeamt, Gas, Strom, Reiseversicherung, strato, Allianz, Rolling Stone, Gehirn & Geist.
Frage ca. 50 Kollegen, Freunde und Bekannte an, die mir beim Umzug helfen sollen. Im Gegensatz zu meinem Vater glaube ich nämlich nicht, dass das von drei Männern in zwei Stunden zu erledigen sei. Seit ich im Sommer 1996 mal sieben Stunden einem Bekannten beim Umzug geholfen habe, investiere ich lieber in viel Kartoffelsalat, Würstchen, Bier und Wasser und lebe dann damit, dass sich ein paar Leute unterfordert fühlen.
L. wieder in Beirut: "irgendwie vertragen sich die Chaoten vielleicht doch. Aber nun hat es schon wieder geknallt, und ich bin eher skeptisch, dass es ruhig bleibt". [Nachtrag 2008: Blieb es natürlich nicht.]
Notiere eine maliziöse Idee für einen Spaßanruf, den ich nie machen werde. Wohin damit? Sowas kann man dann immer nur literarisch aufnehmen. Oder in Komödien, wo man die unsympathischen Fieslinge die blöden Witze reißen lässt.

M.P.:"Ihr etwas unbequemer Charme bestand darin, im Hause nicht eigentlich wie ein junges Mädchen, sondern eher wie ein Haustier anwesend zu sein, das in ein Zimmer eintritt und es wieder verläßt, sich überall befindet, wo es nicht erwartet wird…" Ob Marcel schon mal an Kommunikation gedacht hat, um die Erwartungserwartungen zu klären?

Mi, 22.11.06

Ist es das permanente Geräusch des Presslufthammers von gegenüber oder sind tatsächlich alle gegen mich?
Aufnahme bei "Comedy Central" [zu dem Zeitpunkt nur online]. Falscher Text, falscher Ort, falsches Timing. Auf dem Boot, man kann sich nicht bewegen. Die Kamerafrau guckt die ganze Zeit irritiert, weil sie mit dem Text nichts anfangen kann.
Bö-Auftritt. Wir spielen Games und das ziemlich gut. Man hält die persönlichen Befindlichkeiten zurück.

J.S.: "Seneca hat gut reden mit seiner despicientia rerum externarum."
Unklares Inventar: "despicientia rerum externarum", möchte ich hinzufügen. Immerhin beschränkt sich Jochen. Ich fand es immer seltsam, wenn Fremdsprachliches wie selbstverständlich nicht übersetzt wurde. Luhmann zitierte im Original lange Passagen auf Englisch, Italienisch, Latein, Griechisch, Französisch, Spanisch, ohne je eine Übersetzung beizufügen. Welche Schnittmenge des Verstehens erwartet man vom Leser? Welche Zumutungen sind vertretbar?

M.P.: "Dafür, daß ich es abgelehnt hatte, mit meinen Sinnen diesen Vormittag in mich aufzunehmen, genoß ich in der Einbildung alle gleichen vergangenen oder auch nur möglichen Vormittage…"
Verweigerung der Welt oder Training des Geistes? So auch hier:
J.S./M.P.: "Nicht nur der Freuden der Einsamkeit sähe er sich beraubt, sondern auch des Zuwachses an Freude, der einem durch den Anblick von Frauen zuteil wird, die man sich "unmöglich a priori hätte vorstellen können." Es reicht ein Blick aus dem Fenster, denn da sind eine Wäscherin, eine Bäckersfrau, ein Milchmädchen und "irgendein hochgemutes blondes junges Mädchen in Begleitung der Erzieherin." Ihnen allen folgt Marcels Blick, und er leidet darunter, daß er seinen Körper nicht wie aus einer Arkebuse geschossen hinterherschleudern kann."
Unklares Inventar, bis ich es bei Wiki gefunden habe: Arkebuse

Do, 23.11.06

Nach vielen Jahren wieder Mailkontakt mit M., die jetzt auch in pädagogischen und kulturellen Projekten arbeitet. Trifft man sich also übers Business wieder.

Textidee für die Chaussee, die ich schon nach wenigen Zeilen abbreche:

Fast zwangsläufig kamen wir auf Hubert zu sprechen. Hubert, dem sie den Arm abgenommen hatten. Hubert, der sich so gut mit Singvögeln auskannte.
Ich spielte mit dem letzten Kartoffelrestchen in der Hirschbratensoße und fragte mich, ob es auffallen würde, wenn ich es nicht äße und wenn ja, ob man mir das dann als Mäkligkeit auslegen könnte. An dem Kartoffelstückchen hing eine "Stelle", eine schwarze, die Elke, die Gastgeberin, übersehen haben musste. Aber soll ich der Gastgeberin zuliebe schwarze Kartoffelstellen essen. Wem von uns beiden würde es hinterher schlechter gehen: Mir, wenn ich mit dem Bewusstsein, etwas Angegammeltes im Bauch zu haben ins Bett ginge oder ihr, wenn sie sich noch eine Woche später die Vorwürfe von Dietmar anhören müsste, dass sie mit ihrer schlampigen Kocherei wieder mal den ganzen Abend verdorben habe?
"Hat sich das denn mit seinem Stottern gegeben?", fragte Elke, und stand auf: "Wollt ihr noch ein bisschen Aprikoseneis?"
"Ja."
"Nein."
Gerd schüttelte den Kopf.
Elke huschte in die Küche, und ich rätselte, ob die beiden verneinenden Antworten sich auf Huberts Stottern oder auf das Eis bezogen.

Endlich tritt Nina bei der Chaussee auf. Großartig, auch wenn sie angeblich in der Choreographie beim 3. Teil rausgekommen sind. Hat ja keiner gemerkt.

 

 

Jochen über Kinderbücher, die man in Bibliotheken immer wieder verlängert und von denen man eine verzerrte Erinnerung beibehält: "Auch das in der Erinnerung hell leuchtende "Wie Putzi einen Pokal gewann", erwies sich bei der Revision als leistungsverherrlichend und faschistoid."
Ich habe immer das von meiner Mutter abgelehnte "Apfelsinenmännchen" in schöner Erinnerung gehabt, wie ein psychedelisches Abenteuer für Kinder. Als ich es dann vor wenigen Jahren bei Ebay ergatterte, verstand ich meine Mutter besser als den kleinen Dan.
Meine früheste "literarische" Erinnerung ist übrigens die Geschichte vom Esel Schnabelschnut – einer Fortsetzungsgeschichte im Bummi, als ich anderthalb Jahre alt war. Sie handelte von einem Esel, an dem alles hängenblieb, was er beleckte. In der letzten Folge klebten dann diverse Spielzeuge an ihm. Vermutlich war die Geschichte pädagogisch gemeint: Man solle nicht alles in den Mund stecken, aber mir war Schnabelschnut nicht unsympathisch. Vielleicht aber war es auch das Kinderbuch Annegret, bei dem ich mich nur an den letzten Vers erinnern kann:

Ich, das Schwein, komme zum Schluss,
weil ich als Schwein allein bleiben muss.

Das Buch wurde mir von einem anderen Kind gestohlen.

J.S.: "Kann man sich ein Zusammenleben mit einer Frau vorstellen, die ein nervöses Unbehagen erfaßt, wenn man sich einmal behaglich streckt? Da ich das bereits ausprobiert habe, kann ich sagen: nein."
Was hat er ausprobiert? Sich ein Zusammenleben mit einer derartigen Frau vorzustellen? Ein Blick ins Originalblog klärt auf. Dort schreibt Jochen: "Da ich das bereits erlebt habe, kann ich sagen: nein."
Es ist erstaunlich, wie sehr man es den Erfahrungen gestattet, einen in der Partnerwahl einzuschränken. Ab welchem Punkt gerinnt Menschenkenntnis zum Vorurteil?

Fr, 24.11.06

Doch keine eingebaute Heizung im RAW. Der Bezirksschornsteinfeger, von dessen Existenz man auf diese Weise endlich erfährt, ist dagegen. Gibt es so eine Berufsbezeichnung auch in anderen Ländern?
Ausführungen von Andreas zu George Spencer Brown, die ich immer nur für wenige Sekunden nachvollziehen kann. Dann verschwindet der Gedanke. Luhmann hat ja auch immer nur auf die ersten sechs Seiten verwiesen. Ich würde wetten, den Rest hat er überblättert. Triff eine Unterscheidung. Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Das heißt, ohne Unterscheidung können wir gar nicht anfangen. Oder umgekehrt: Wenn alles Eins ist, erübrigen sich alle Fragen (s. Gott, Nirwana, Erleuchtung usw.). Beobachten ist Unterscheiden. Das eigene Beobachten ist beim Beobachten der Blinde Fleck. Ein Beobachten zweiter Ordnung ist das Beobachten des Beobachtens, welches wieder beobachtet werden kann.
Liste, wieviel Zeit ich in den letzten Wochen mit nichtliterarischen Aktivitäten allein für die Chaussee aufwende. Komme auf vier Stunden pro Woche.

Unklar: Der am Sonntag gepostete Blog ist im Buch der Freitags-Eintrag.
J.S.: "Gibt es eine Welt, in der Proust nicht Recht behält? Ist irgendein Leser hier, der mit seinem Partner glücklich ist und bestätigen kann, daß es so etwas wie reziproke Gefühle gibt?"
Das vielleicht nicht, aber vielleicht, dass es auf Reziprozität nicht ankommt, sondern dass zur Liebe Großzügigkeit gehört.

J.S./M.P.: "Endlich sagt sie auch die Worte, die jeder Mann gerne hört: "Ich bin ganz entsetzt bei dem Gedanken, wie dumm ich ohne dich geblieben wäre."" Klingt wie ein Zitat aus Men’s Health.

Sa, 25.11.06

Zweiseitiger versöhnlicher und gleichzeitig appellativer Brief an die Chaussee, den ich dann doch nicht abschicke.
Überraschung bei Ebay: Eine Negativbewertung aus Frankreich. Er beklagt den Zustand des Booklets und die Versandkosten. Ich hatte die Frechheit besessen, diese Dinge nicht auf französisch zu beschreiben, sondern nur auf Englisch und Deutsch. Diskussion mit ihm nicht möglich. Wenn es wirklich mein Fehler gewesen wäre, hätte ich es noch wegstecken können, aber diese Art der Ignoranz unglaublich. [Nachtrag 2008: Heute erinnere ich mich mit einem Lächeln an diesen Ärger, der wohl nur mit meiner Eitelkeit zu tun hatte, dass ich nun nicht mehr mit glänzenden "100 % positive Bewertungen" aufwarten kann.]

Hi David!
Today I received your feedback. And I have to say that I just don’t
understand why you gave me a negative feedback.
1) I think, one of the Ebay rules is: If there is a problem within the
transaction, one should contact the partner. Why didn’t you do that?
2) About the booklet: In the description I wrote that the booklet is in a
very bad condition. This auction was located in Germany, so I had to
describe the item in German, of course.
3) I never ever charge more shipping costs than it really costs as you can
see on the stamps – this is really what I paid.
Dan Richter

Hello Dan,
It’s wright I don’t understand german but you’ll certaintly not accept that I return this cd and you’ll give me my money, moreover I’ll had lost my monney with shiping one more time. Also, when I buy one cd in Australia for example, I pay less than I buy your cd… It’s seems there is a small problem or germany is really really expansive ! I’m not happy with our purchace and the feedback service use to be honnest. It’s the second time with german ebayer… I stopped to buy in your country ! what a pity ! regards
David.

Hello!
1) Do you think honestly that I’m accountable for the shipping price in Germany? I wrote it in the description: If you want the item to be shipped abroad you have to look at www.post.de.
2) If you don’t understand the correct description including the damages of the item, why should I get a negative feedback? What should I have done in your opinion?
Regards
Dan

i paid, the topic is completly different that the real estate of the product! that’s all! i’m not happy and i lost money… now goodbye

Die Liege wird abgeholt. Wie oft hat sie mir als Zuflucht gedient, wenn ich nicht weiterwusste, wenn ich von Kopfschmerzattacken geplagt war, wenn ich phantasierte, als ich Gitarre lernte.
M., die, nachdem sie mal einen Text von mir gehört hatte, mich für zu "unlustig" für ihre Show hielt, bittet mich nun, ihr neues Buch in der Kantine vorstellen zu dürfen. Aber ich bin ja nett und nicht nachtragend.
Jochens Durchhaltevermögen weckt in mir den Ehrgeiz. Idee für Lektüre-Blog: Tausendundeine Nacht, die seltsame Sammlung von orientalischen und pseudo-orientalischen Erzählungen, die mich als Jugendlicher fasziniert hat. 1997 hatte ich anderthalb Bände geschafft, Ich rechne aus, wenn ich das Schmidtsche Pensum bewältigte, bräuchte ich 240 Tage. Und wenn ich es ein bisschen langsamer angehe, ein Jahr. [Nachtrag 2008: Wie man sieht, bin ich nach knapp zwei Jahren nicht einmal mit dem zweiten Band fertig. Den Langeweile-Faktor habe ich sehr unterschätzt. Bei Proust kann man den ewigen Beschreibungen von Gesichtszügen, Mobiliar, Blüten, Kleidung usw. einen ästhetischen Genuss abringen. In Tausendundeine Nacht muss man sich durch viel Teig durcharbeiten, bis man auf die Rosinen stößt.] Ich  könnte mein Persisch auffrischen [Nachtrag 2008: Das hab ich genau einmal getan, aber immerhin seitdem die persische Tastatur installiert, und ich werde zwischendurch immer wieder gefragt, ob ich von links nach rechts oder von rechts nach links schreiben will, und ich muss jedes Mal überlegen.]
Der Umzug rückt nun immer näher. Und je nachdem wie es mir geht, sehe ich ihm mit Freude oder Angst entgegen.
Ich sehe, dass ich in diesem Dezember 2006 keinen Rückblick-Urlaub haben können werde wie ich es sonst mache. Der Umzug lässt dafür keine Zeit. So oder so – die größte künstlerische Beeinflussung dieses Jahr dürfte Nina Wehnert gewesen sein – inhaltlich, pädagogisch, türenöffnend.
Psycho. Tatsächlich braucht er fast 40 Minuten, um die Aufmerksamkeit des Zuschauers abzulenken, einzig und allein, damit der Schock später umso größer ist. Ein Film, der sich gewissermaßen um eine einzige Szene dreht.
Meine Eltern beim Kantinenlesen. Nur langsam lege ich die Anfälle von Hemmung hinter mir, die ich habe, wenn sie im Publikum sind. Aber wenn, dann ohnehin nur, vor der Show, nie währenddessen.
Sarah, Micha, Stephan, Kirsten. Keiner kommt mit in den Schusterjungen. Will erst Herrn Michaelis absagen, der uns dort immer einen Tisch freihält, bin dann aber gebannt vom Kampf Schulz/Milton. Jochen kommt noch. Er berichtet von seinem Kummer mit J., unter deren Willkür er leidet. Ich berichte ihm mein Leid über die Kommunikation bei der Chaussee. Er meint, das sei doch alles nicht so schlimm. Man tausche sich aus, die Affekte kühlen auch ab. Während wir uns ausheulen, wird im Hintergrund Schulz verdroschen. Später vom Publikum auch noch ausgebuht. Tatsächlich wirkt er eher wie ein Sumo-Ringer, der seinen hoppelnden Gegner immer wieder wegschiebt. Um 1 Uhr mit dem Taxi nach Hause. Surfen bei Youtube. Der Schulz-Kampf steht noch nicht drin, aber dafür ältere Kämpfe. Auch gegen Klitschko sah er nicht gut aus. Und selbst den gewonnenen fehlte eine gewisse Eleganz, die Klitschko hat. Muhammad Ali gegen Patterson. Unglaublich. Man kann nicht glauben, dass es ein echter Kampf ist, dieses Rumgehopse von Ali. Es erinnert schon fast an Chaplins Witz in City Lights. Hält den Gegner locker auf Distanz, provoziert ihn, indem er ohne Deckung kämpft. Traurig dann der Kampf gegen Larry Holmes. Er brüllt noch rum, aber schon in der ersten Runde sieht er keinen Stich mehr. Es ist auch kein kräftiges Aushalten mehr wie in Zaire, sondern ein benommenes Torkeln. Holmes hat Hemmungen, ihn auszuknocken, weil man das mit einem King nicht tut (wer weiß, was da hinter den Kulissen wieder gemauschelt wurde).

Kein Blog-Eintrag bei Jochen.

21.-25.11.06
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