Das Wetter macht einem den Abschied nicht gerade leichter.
Lange hatten wir ja überlegt, wie wir nach Charlottesville reisen und wie wir von dort wieder wegkommen. Mit Amtrak, dem amerikanischen Bahnunternehmen hätte es von und nach Washington je acht Stunden gedauert, und davon hätte man einen Teil mit dem Bus fahren müssen. Und wir befinden uns nicht etwa in einem öden Loch in der Wüste von Nevada oder in einem Entwicklungsland. Amerika ohne Autos ist praktisch nicht handhabbar. Ohne Führerschein bist du wie im Wilden Westen ohne Pferd. Aber unser Kutscher kennt den Weg. Und er kutschiert uns gratis.
Mumbo-mumbo.
Steve ist nicht nur Künstler und Buddhist, sondern auch ökologisch bewusst. Mehr als mancher Europäer. Er fährt einen Hybridwagen, für den man nicht einmal einen Zündschlüssel braucht, man muss nur auf den Knopf drücken. Und noch ein Monitor auf dem Armaturenbrett, das einem zeigt, wieviel Sprit der Motor gerade verbraucht und wann er den Elektromotor benutzt. Das Auto ist dermaßen leise, dass man sich nie ganz sicher ist, ob es fährt. Die vorbeibrausenden Bäume sind ja noch kein Beweis.

Was soll ich von Washington erwarten? 1997 bin ich auf dem Weg nach New Orleans dort durchgereist. Und auch diesmal habe ich mich eher breitschlagen lassen, da Steffis Freundin Rachel dort wohnt. Lese auf dem Beifahrersitz die Washington Post und mache Steve beim Umblättern nervös, da er die herankommenden Autos nicht mehr sehen kann. Zwei Mal.
Der von Rachel eingewiesene Concierge kommt mit den Schlüsseln durcheinander. Steffi und Steve werden durch ihn und die drückende Blase beinahe in den Wahnsinn getrieben. Beim dritten Versuch klappt’s.
Nachdem Steve uns ins Zentrum chauffiert hat, ist der Abschied nach meinem Geschmack: herzlich und kurz.
Die Sonne scheint. Wir gönnen uns einen 4-Dollar-Hot-Dog. Alles auf einem Haufen und in Fußweg-Distanz: Historische Gebäude, Naturkundemuseen, Denkmäler, Regierungsgebäude, und mittendrin der große Park. Sicherlich würde Steffi lieber wieder ausgestopfte Tiere und Indianer-Artefakte anschauen, aber diesmal bin ich der Bestimmer, und mich interessieren dann die three branches of the American government doch mehr.


Suchbild: Finde den Künstler!

Das Kongressgebäude auf der Rückseite abgesperrt. Hinter den Fenstern sieht man ab und zu mal jemanden entlangeilen. Erstmals sehen wir außerhalb des Flughafens diese neuen, dem gesunden Menschenverstand spottenden Elektro-Zweiräder. Da kann man mir hundert Mal erzählen, die wären unten beschwert – ich finde, die müssen trotzdem umkippen.

 

Vorn etwas beeindruckender: Wichtig erscheinende Anzugträger steigen aus einer Fahrzeugkolonne aus. Das Gebäude wirkt faszinierend wie eine Indianerburg, aber dann doch irgendwie spröde, oder bilde ich mir das nur wegen der abweisenden Beamten ein?
Gegenüber das Gebäude des Supreme Court, der mich ähnlich fasziniert wie das deutsche Bundesverfassungsgericht – eine Institution, die sich mehr als die Exekutive und die Legislative auf die professionelle Verfassungstreue der Entscheider stützt. Und so seltsam die Rechtsprechung in den USA auch manchmal anmutet, so hat sie doch auch auf unser römisch/napoleonisch geprägtes Rechtssystem einen starken Einfluss genommen, wenn auch oft nur indirekt. Steffi erklärt mir wieder, wie die Säulen dieses tempelartigen Bauwerks heißen, was ich sofort wieder vergessen. Architektur ist wohl die Kunst, die mir doch am fremdesten bleibt.


Suchbild 2: Auch hier ist ein Künstler versteckt.

Sicherheits-Check am Eingang. Das Gericht ist das offenste der drei Gebäude. Vielleicht vermutet man, dass Schurken sich eher das Weiße Haus oder den Kongress für ihre Schurkereien aussuchen. Wir kommen gerade zur rechten Zeit. Man darf den Verhandlungssaal betreten und wir hören einen kleinen Vortrag. Ich lerne:
– Im Gegensatz zum deutschen Rechtssystem, wo Teile des Bundestags oder des Bundesrats Gesetze relativ häufig auf ihre Verfassungsmäßigkeit prüfen lassen oder auch unter bestimmten Umständen das Gericht direkt angerufen werden kann, gibt es solche Original Cases nur ein bis zwei Mal pro Jahr.
– Ca. 10.000 Fälle werden jedes Jahr eingereicht. Verhandelt werden ca. 80. Entschieden wird darüber aber anscheinend nicht auf juristischer Grundlage (Zulässigkeit der Klage), sondern nach Gutdünken.
– Jedem Richter sind zugeordnet: 1 secretary, 1 aide, 4 clerks.
– Für die mündliche Verhandlung ist genau 1 Stunde vorgesehen. Jede Seite bekommt 1/2 Stunde zugesprochen. Rederecht haben allein die Richter und die Anwälte der jeweiligen Seite, wenn sie denn gefragt werden.
– Ein theoretisches Impeachment gegen einen Obersten Richter hat es bisher noch nicht gegeben.
– Taft war der einzige Oberste Richter, der auch schon das Präsidentenamt innehatte. Er war es auch, der (erst 1928!) den Bau des Gebäudes veranlasst hatte.
– John Marshall war es, der dem Supreme Court die zentrale Bedeutung verschaffte, nämlich das Recht, verfassungswidrige Gesetze zu kippen.
Fotografieren darf man hier nur außerhalb des Verhandlungssaals. Warum bin ich nicht Schnellzeichner geworden!

Das Café ist geschlossen. Der Souvenirshop wartet auf unsere Dollars. Ich widerstehe der Versuchung, einen richterhammerförmigen Bleistift zu kaufen. Aber die Supremes’ Greatest Hits – eine Sammlung von Fällen, die die Gesellschaft der USA veränderten, sind jetzt meine. Im Buchladen hätte ich mir das wohl nicht gekauft.
Man kann bei diesem Wetter nicht genug kriegen von der Stadt. Schöne Menschen, freundliche Touristen, Stadtangestellte – jeder mit einem Lächeln im Gesicht. Es ist Sommer. Wem kann man bei diesem Wetter böse sein.


Bilderrätsel Nr.3: Erkenne die Religionen!

Auf dem Weg zum Weißen Haus kommen wir vorbei am Haus der Presse. Erinnerung an Ostblock-Traditionen: Die Wandzeitung. Hier ist für die jeweils größte Zeitung aus jedem Bundesstaat ein Schaufenster reserviert. Der Ami liest wesentlich weniger Zeitungen, und die Zeitungsverlage sind noch mehr monopolisiert als sie es in Deutschland sowieso sind. Bis auf die wirklich großen kann sich kaum mehr eine Zeitung Überseekorrespondenten halten. Die Nachrichten werden zusammengesetzt aus dem, was die Agenturen melden.

Das Weiße Haus. Wir sind erst auf der falschen Seite, also dort, wo Michelle den Öko-Garten angelegt haben muss. Die Eichhörnchen werden durchgelassen. Sind wohl was besseres. Auf der Vorderseite erwartungsgemäß die Touristen in Massen. In einem Abstand von vielleicht 60 Metern ein Dauerdemonstrant, der das Ende aller Kriege fordert. Bärtig, tätowiert, kariertes Hemd. Vorsichtig nähere ich mich seinem Stand, ohne zu viel Interesse zu demonstrieren, will nicht in ein Gespräch gezogen werden. Ich begnüge mich damit, ihm zuzuhören, wie er jemand anderen belehrt: "Our guy" (gemeint ist Obama) ist schon in Ordnung, aber die anderen ruhen nicht. Sie wollen ihn so schnell wie möglich loswerden. Wir müssen zusammen kämpfen. Er sei nur der Nachfolger jenes berühmten Vietnamveteranen, der hier jahrelang gezeltet hat. Der ist im März gestorben, und nun nimmt er seinen Platz ein. Er erinnert mit Bildern an die Schrecken, derer sich die USA schuldig gemacht haben – Hiroshima, Nagasaki, Vietnam, Bagdad. Er spricht ruhiger und klarer als man es von jemandem mit dieser Gesichtstätowierungsdichte erwarten würde.
Die U-Bahn. Ungeputzt, monströs, erinnert an die Sauna im Tempodrom. Ich sollte Steffi nicht jedes Mal, wenn sie von einer U-Bahn beeindruckt ist, erzählen, dass die in Moskau größer und schöner ist und die Rolltreppen mit einem Karacho runterdonnern.


Bilderrätsel Nr. 4: Welches berühmte…?
(Vervollständigen Sie das Rätsel)

Erschöpft mit Rachel zurück. Eine Zweiraumwohnung, die sie sich mit ihrer Mitbewohnerin teilt, in Arlington. Nicht gerade das Zentrum. Sie bezahlen zusammen 1.800 Dollar. Wie wohnen hier die Eisverkäufer, die für 8 Dollar pro Stunde arbeiten?


Gerda schläft schon.

23. April 2009
Markiert in:     

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert