26. April 2009

Am letzten Abend in Washington noch drei Bücher gekauft: Steinbecks "Of Mice and Men", Philip Roth’ "Portnoy’s Complaint" und noch mal ein philosophisch-spirituelles Lebenshilfebuch: David Ricchio: "The Five Things We Cannot Change… and the Happiness We Find By Embracing Them". Nicht dass ich letzteres von vorn bis hinten lesen würde, dafür ist es auch etwas zu spröde geschrieben. Aber es eignet sich ganz gut als Zwischendurch-Lektüre. Hier also die fünf Dinge, die wir nicht ändern können:
(1) Alles ändert sich, und alles vergeht.
(2) Die Dinge laufen nicht immer nach Plan.
(3) Das Leben ist nicht immer fair.
(4) Schmerz ist ein Teil des Lebens.
(5) Menschen sind nicht immer loyal und fair.
zu 1) Schon allein die Tatsache, dass das Leben endet, bekommt man eigentlich nur schwer in den Kopf. Für ein Kind ist Tod doch etwas sehr abstraktes oder zumindest fernes. Aber sobald wir erwachsen werden, scheint unser Bewusstsein angesichts der Unabwendbarkeit des Sterbens durchzudrehen. Wir phantasieren ein Jenseits herbei, und wenn man sich anschaut, mit welchen Mitteln dieser völlig an den Haaren herbeigezogene Glaube über die Jahrtausende verteidigt wurde, kann man sich schon vorstellen, wie wichtig es den Christen und Moslems ist mit ihrem schönen After-Life-Paradies. Angenommen eine Gruppe intelligenter Aliens landete auf der Erde, ich wäre gespannt, wie ein Theologe denen erklären wollte, wie er darauf kommt, dass er nicht sterblich sei. Aber nicht nur die Religion ist eine der Ausflüchte, auf die wir zurückgreifen. Sucht oder auch Ablenkung überhaupt werden auch immer wieder gern genommen.
Ich entdecke hier eine interessante Mini-Meditation: Man suche einen Ort der Stille, setze sich und konzentriere sich auf den Atem, ohne ihn zu forcieren. Dann denke man an etwas, das ein gerade belastet und atme diese Belastung ein; das Ausatmen hingegen sei pure Liebe. (Ich visualisiere das als Goldstaub.) Tatsächlich probiere ich diese Meditation beim Gehen aus, es scheint zumindest ansatzweise zu wirken. Scheinbar seltsam, dass man das Negative einatmet, aber irgendwann hat man das Gefühl, dass einem nichts mehr anhaben kann.

In welches Zimmer sollen wir nun wechseln? Lange Diskussionen mit dem Rezeptionisten – inzwischen der Dritte, mit dem wir nun über unsere Buchung hier verhandeln.. Am Telefon der Chef, der meinte, er habe uns extra für alle Tage das bessere Zimmer reserviert. Bin misstrauisch, aber der Ton ehrlicher Verzweiflung in seiner Stimme überzeugt mich dann doch. Die Buchungsgebühren standen natürlich nur als Fußnote im Internet. Heißes Wasser käme, wenn man nur lange genug darauf warte. Länger als 15 Minuten? Oder meint er bis zur Renovierung des Gebäudes? Am Nachbarhaus sind sie ja schon beschäftigt. Und in unserem Nebenzimmer wird ab 10 Uhr gebohrt, wofür wir dem Bohrer dankbar sein müssten, denn er erleichtert uns die Wahl, ob wir noch ein wenig faul im Bett dösen wollen oder den Tag aktiv beginnen.
Das Gratis-Frühstück des Hostels wenig beeindruckend, also im benachbarten Café, das offenbar ein Drittel seines Publikums aus dem Hostel bezieht. An dessen Wänden Fotos der Präsidenten und ihrer Hunde. Das Angebot schmal und mäßig schmeckend. Eier und Schinken, man kriegt’s runter. Zum Hostel Kitchen noch zu bemerken, dass es mit den Figuren von "Green Eggs and Ham" illustriert ist.

I would not, could not, in a box.
I could not, would not, with a fox.
I will not eat them with a mouse.
I will not eat them in a house.
I will not eat them here or there.
I will not eat them anywhere.
I do not eat green eggs and ham.
I do not like them, Sam-I-am.

Der Hintergrund dazu fehlt mir komplett. Der aggressive Ton deutet auf eine ugly version von Garfield. Immer, wenn ich diese heiße, nach altem Fett riechende Küche betrete, denke ich, dass ich das mal googlen müsste (Gibt es schon ein entsprechendes Verb für "Bei Wikipedia suchen"?), aber dann erscheint es mir doch zu unwichtig, wenn ich mich mit MasterCard einlogge (der PC dafür steht passenderweise in der Küche, und die Tastatur fühlt sich entsprechend an).
Die Hitze, das Sich-Sortieren, die Wünsche aufeinander abstimmen, ausgiebiges Frühstücken, wir kommen nicht recht vom Fleck.
Einkaufen müssen wir auch noch. Versuche jedes mal, Steffi davon zu überzeugen, die Gepäckmenge gering zu halten. Aber ohne Kekse, Buch, Reiseführer, Schal, Wasserflasche, Fotoapparat geht sie nicht los. Und wenn das so ist, kann ich ja noch ein zusätzliches Buch in ihren Rucksack stecken. Und Gerda.
Da ich meine Zahnbürste in Washington liegengelassen habe, kaufe ich nun hier eine in der Drogerie. Aber da wir nun mal langsam aufbrechen müssen, bestehe ich darauf, mir meine Zähne unterwegs zu putzen und jetzt nicht noch mal ins Hostel zurückzulatschen.
Die Gegend hier war lange Zeit deutsch geprägt. Man erschrickt immer ein bisschen.

Spazieren Richtung Süden am East River entlang. In New York muss ich immer erst kurz überlegen, wo East und wo West ist. Zwar weiß ich meistens, wo ich gerade bin, dass Straßensystem ist für einen Orientierungsidioten wie mich geradezu geschaffen, aber ob wir jetzt in der Upper East oder Upper West wohnen, kann ich erst sagen, wenn ich es mir vor Augen führe. Genauso geht es mir mit dem Hudson und dem East River. Queens auf der anderen Seite. So langsam fängt Steffi an, die Stadt zu genießen. Ein zehn Quadratmeter großer Park. Ich putze mir die Zähne. Das teure Mineralwasser!

Nun also in den Central Park. Habe Steffi schon so viel davon vorgeschwärmt, dass ich fast befürchte, sie könne enttäuscht sein. Aber wie kann man den Central Park nicht lieben. Eine Oase in der schnellsten Stadt der Welt. Beinahe wie in Tucholskys Gedicht "Das Ideal"

Ja, das möchtste: Eine Villa im Grünen mit großer Terrasse,
vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße
(…)

Kekse und Hot Dogs. Ruhe.

*

Die Ruhe wird nach und nach gestört durch immer näher kommende Humptata-Musike. Wir tippen auf Familienunterhaltung, wahrscheinlich wegen der kreischenden Kinder. Aber es ist, wie wir später erfahren, griechischer Unabhängigkeitstag, und den zelebrieren die Griechen, wie alle anderen in New York, mit einer Parade.
Und noch einmal treffen mit Rebecca, ihren Kindern und ihrem alten Dad, der mir vor sechs Jahren unermüdlich die UCB empfahl, bis ich schließlich nachgab und eines der großartigsten Improtheater erlebte. Der Zoo von Manhattan freilich mickrig. Da bietet selbst Eberswalde mehr. Immerhin Pinguine und zufällig ist auch gerade Fütterung. Gerda stiehlt den "echten" Tieren beinahe die Show.

 

Am Lennon-Gedenkstein. Yoko wohnt immer noch im Dakota Building, man könne sie manchmal hinter den Fenstern sehen, und am 8. Dezember steht immer eine Kerze im Fenster.


Suchbild: Finde die Yoko

*

Am Abend geben wir dem UCB noch eine zweite Chance. Wieder eine Enttäuschung. Vulgäre Sexphantasien ohne Witz. Man hat langsam den Kanal voll. Und die Toleranzschwelle verschiebt sich, bis man schon angewidert reagiert, wenn überhaupt Sex erwähnt wird. Man kann ihnen noch zugute halten, dass sie jung sind und in der Phase sind, die Keith Johnstone als "obszön und psychotisch" beschreibt, d.h. man muss da mal durch, um es hinter sich zu lassen. Das Tabu brechen, um sich der eigenen Freiheit zu vergewissern und letztlich auch zu erkennen, wo das Tabu überhaupt liegt. Aber es scheint fast Konzept zu sein. In dem Moment, wo eine Szene zwischen einem Liebespaar zärtlich zu werden droht, kann man schon darauf warten, dass die Schauspielerin aufspringt, sich obszön positioniert und "Fuck me!" schreit oder der männliche Spieler irgendwas von Schwanzlutschen oder Vergewaltigen erzählt. Vielleicht sollten die Amis das Wort Fuck endlich im Fernsehen zulassen, dann verlöre es seine Brisanz. Aber auch den Chefs des UCB scheint jeder Geschmack abhanden gekommen zu sein. Warum sonst würden sie mit einem Plakat werben, dass das berühmte Foto eines afghanischen Mädchens nutzt?


 "Schaut mal, wie frech und tabulos wir sind" oder was?

 

26. April 2009
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