Seltsam muten die Versuche der Industrie an, technologische Möglichkeiten zurechtzustutzen. Die Kopierschutz-Idiotie bei CDs haben sie schließlich hinter sich gelassen. Für DVDs gibt es einen Area-Code, der verhindert, dass man US-Filme überhaupt gucken kann, ohne sich einen neuen PC zuzulegen. Der neuste Trick – und man kann kaum umhin, als die Aktion kartellesk zu nennen – besteht darin, die Videodauer von Digitalkameras auf 29 Minuten zu begrenzen. Hintergrund sind angeblich höhere Zölle für Camcorder. Aber das kann man kaum glauben, dass das der Grund für alle Firmen wäre, diese technische Einschränkung einzubauen. Vermutlich wollen sie, dass die Kunden sowohl die Digitalkameras als auch die Videokameras kaufen.
Schön finde ich aber auch die von Kunden akzeptierten Einschränkungen. Die Qualität des öffentlichen mp3-Handygekrächzes ist jedem 60er-Jahr-Transistor-Radio unterlegen, ganz zu schweigen vom fetten 80er Ghettoblaster. Aber sie wissen nicht, was sie tun, und diesmal sogar zum Wohle der älteren Mitbürger. Die Fotos sind völlig unakzeptabel, vom Festnetz telefonieren klingt immer noch besser und ist fast immer noch billiger. Aber macht ruhig.

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Die für die Seele nur schwer erträgliche Gute-Nacht-Lektüre "Der Archipel Gulag" von Solschenizyn, an dem ich seit August las, verringerte auch die Frequenz dieser Blogeinträge. Dann hatte ich es endlich beendet und wunderte mich, dass über das Lagerleben selber so wenig drin gestanden hatte. Bis ich verstand, es war nur der erste von drei Teilen. Nun bin ich beim dritten (ich vermute der zweite ist der schlimmste), hangle mich vom Kapitel Entlassung über Aufstände und Ausbrüche und weiß nicht, ob es moralisch koscher ist, das Ausbruchskapitel wie einen Abenteuerroman zu lesen. Als ich es beendet habe, stoße ich beim Youtube-Surfen zufällig auf die russische Version des Grafen von Monte Christo. Ob die Macher sich darüber im Klaren waren, wie hoch der Anteil der Zuschauer mit Gefängnis- oder Lagererfahrung war? Im Übrigen wirkt die Zelle von Edmond Dantès in der ja geradezu putzig im Vergleich zu dem, was Solschenizyn beschreibt.

 

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Ibrahîm ibn el-Mahdî will dem schwarzen Bader nicht weiter zur Last fallen und so flieht er verkleidet:

Ich hüllte mich in Frauenkleider, zog gelbe Stiefelchen an, warf mir einen Schleier über und ging aus seinem Hause fort.

Einen Soldaten, der ihn erkennt und verraten will, stößt Ibrahîm ibn el-Mahdî in den Dreck, und er findet im letzten Moment Zuflucht im Hause einer Frau, die ihm ein Ruhelager gewährt. Unglücklicherweise ist sie die Gattin des Soldaten.

Alsbald holte sie Zunder, legte den in ein Stück Zeug und verband ihm damit den Kopf; dann bereitete sie ihm ein Lager und er legte sich krank darnieder.

"Zunder zum Verbinden? Oder ist dies ein Übersetzungsfehler und eigentlich Leinen gemeint?", achte ich zunächst. Aber nein, Zunderschwamm (d.h. der Pilz) wurde tatsächlich als Verband benutzt.

Die Frau des Hauses warnt Ibrahîm und lässt ihn bis zum Abend im Haus ruhen. Dann flieht dieser weiter und sucht Unterkunft bei einer inzwischen freigelassenen Sklavin, doch verrät sie ihn.

Plötzlich sah ich Ibrahîm el-Mausilî mit seinen Dienern und Kriegern kommen. (…) da sah ich dem Tod ins Angesicht.

Man führt ihn vor den Kalifen. Und Ibrahîm ibn el-Mahdî versucht, sich mit Versen aus der Affäre zu ziehen.

Und er wäre ja hier nicht der Erste, dem dies gelänge:

Meine Schuld vor dir ist wahrlich groß;
Aber du bist größer als die Schuld.
Also nimm dein Recht dir, oder nicht.
Und verzeihe mir in deiner Huld!
Und war ich auch nicht in meinem Tun
Edelmütig – sei du es nun.

Der Kalif antwortet mit einem ähnlich banalen Gedicht, und da

witterte ich den Hauch der Gnade in seinem Wesen.

 

275. Nacht
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