Reinhard Mohr schlägt zurück. In der FAS vom 3. August 2014 holt er mit großer Keule aus. Unter der Überschrift "Heuchler. Der spießige Mainstream in unserem Land verachtet die Demokratie" baut sich Mohr einen linken Pappkameraden und schießt auf ihn los. Es geht ihm nicht um Wahrheit, es geht ihm eigentlich auch nicht darum, einen verbreiteten linken Lebensstil detailgetreu auf die Schippe zu nehmen oder zu kritisieren. Er arbeitet sich am Linkssein als solchem ab. Pirinccis ankumpelndes "Das wird man doch wohl noch sagen dürfen" auf FAZ-Niveau.
Und wie geht das bei Mohr? Der Einstieg ist die scheinbar doppelmoralische Demonstrationskultur der Linken: Warum haben die demo- und protestwütigen Linken nicht zum Jahrestag des Massakers in Peking demonstriert? Tatsächlich kann man sich fragen, wo welcher Protest sinnvoll ist. Aber wenn ihn das Anliegen so am Herzen liegt, warum nimmt Mohr dann die Konservativen von seiner Nicht-Demo-Kritik aus? Tatsächlich kann die soziologische Systemtheorie dieses Phänomen erklären. Man protestiert gegen den, der einem zuhört. (Wir Soziologen nennen das Adressabilität.) Nehmen wir als Beispiel Demonstrationen in der DDR. Weder in Ost noch in West hat jemand die ritualisierten Ostberliner "Proteste" mit tausendfach vorgedruckten Transparenten gegen den Nato-Doppelbeschluss ernstgenommen. Gegen den Nato-Doppelbeschluss konnte man effektiv nur im Westen demonstrieren. Und umgekehrt genügte ein winziger Bruchteil von kirchlichen pazifistischen Protestierern, um die Stasi in den späten 80ern im Dreieck springen zu lassen. Und am 7. Oktober 1989 waren es nur 2.000 Menschen, die am Alexanderplatz demonstrierten und das System ins Wanken brachten. Und deshalb ist es auch so lange völlig sinnlos, eine Massen-Demonstration gegen die Terrorgruppe ISIS anzumelden, wie sie hierzulande nicht präsent sind. (Einzelaktionen von Amnesty International und ähnlich gerichtete Aktionen haben noch einmal einen anderen Dreh. Darauf einzugehen, spränge hier den Rahmen.)

Mohr hört hier aber nicht auf. Er baut sich einen Linken, der nur in seiner Phantasie existiert. Diese Figur ist eine "pansexuelle Veganerin, die gegen Gentechnik ist und für regionales Gemüse und gegen die globalen Finanzmärkte." Außerdem hängt sie Verschwörungstheorien an, trinkt Côtes du Rhone, und regt sich nur noch symbolisch auf gegen Chlorhühner oder Masernimpfung. Diese Figur ist aber auch gleichzeitig ein militanter Kreuzberger, der auch noch zum Pazifist wird, wenn es um die Frage der Kriegseinsätze geht. Man ist gegen Klimawandel, für Frauenquote, für Homo-Ehe, fordert ein Ampelfrauchen und protestiert inflationär gegen Rassismus. Dieser Ideal-Linke lebt außerdem in einer (gegen Gentrifizierung protestierend) in einer Vier-Raum-Wohnung in Prenzlauer Berg, isst abends selbstgemachte Lachs-Lasagne und trägt einen großen Selbstüberdruss in sich.

Der Witz: Jeder kennt irgendeine Anti-Masern-Impfung-Irre. Zu Recht kann man über die Chlor-Hühnchen-Panik (die aber eigentlich wegen besserer Informationen schon abebbt) den Kopf schütteln. Und die neuen Montags-Demos sind tatsächlich ein Sammelbecken für Verschwörungstheoretiker. Der Witz ist nur: Mohr trifft am Ende niemanden und alle gleichzeitig. Indem er nämlich linke Themen vermischt mit esoterischem Zeitgeist und vom Anti-Rassismus nur noch eine Fratze bleibt, zwischendurch das Thema Klimawandel so einschiebt, dass man sich fragen muss, ob er ihn wirklich in Frage stellt, erreicht er genau diesen reaktionären Effekt des "Genauso-isses"-Lesers.

Da sitzt also ein Rotwein-Trinker in seiner Prenzlauer Berger Vierraum-Wohnung und backt Lachs-Lasagne. Eine Vierraum-Wohnung in Prenzlauer Berg können sich, wie nicht nur Mohr weiß, nur noch wenige leisten. Denjenigen, die es sich aber leisten können, sei es weil sie viel Geld haben oder das selten Glück, mit einem alten Mietvertrag in einer lange nicht mehr sanierten Wohnung zu leben, diese Leute dürfen also nicht über das Thema Gentrifizierung nachdenken? Wenn es nach Mohr geht, darf man sich nicht einerseits in Kreuzberg wohlfühlen und trotzdem Bauchschmerzen mit einer 95%igen Migranten-Quote an Schulen haben. Was tun? Augen zu und durch? Oder raus aus Kreuzberg oder der Vier-Raum-Wohnung? Ach ja, Mohr weiß, wie er die Ressentiments schürt. Die Veganerin kriegt einen Hieb ab. Wofür eigentlich? Und der Lachs-Lasagne-Bäcker genauso.

Völlig knacke wird Mohr, wenn er Linken Anti-Rassisten unterstellt, Anwohner-Initiativen zu gründen, wenn die Asylbewerberheime im eigenen "Kuschelkiez" gebaut werden. Diese Anwohner-Initiativen gingen bisher fast sämtlich aufs Konto von NPD-Mitgliedern.

Mohr fragt sich in einem Buch, ob er reaktionär ist. Ich habe das Buch nicht gelesen. Sein Artikel zeigt: Er ist’s. Sein Stil hat Methode. Wenn es ihm nämlich wirklich um Masern-Impfungen ginge, hätte er doch darüber einen Artikel schreiben können. Oder über die seltsame Putin-Verteidiger-Allianz. So aber konstruiert er ein Milieu (das er seltsamerweise als Juste-Milieu beschreibt), in dem jede politische Äußerung ridikülisiert wird, indem man es mit einem ins Extrem getriebenen Lebensstil gepaart wird.

Dabei wäre die Frage des Untertitels tatsächlich interessant: Inwieweit gibt es Demokratie-Verachtung in der Linken? Da hätte ich übrigens gern einen Vergleich mit der politischen Rechten. Aber um Wahrheit geht es Mohr, wie gesagt, nicht. Er sät Hass.

Der reaktionäre Mohr und die lachs-lasagne-bratende Prenzlauer Kreuzberger Veganerin
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