Körperbau relativ

Ich mach mich wieder mal bereit,
betracht im Spiegel meine Falten.
Und trotz der Spuren meiner Zeit
hab ich mich doch recht gut gehalten.
Jetzt schau dir diesen Prachtkerl an:
Ein reifer, beinah junger Mann.

Mein Sohn kommt rein, studiert genau
die vielen kleinen Einzelheiten
an seines Vaters Körperbau
in allen Höhen, Tiefen, Breiten.
Und schließlich fragt er völlig kalt:
„Werd ich auch mal so irre alt?“

Bahnimmobilieninspekteur

Wissend scheu betritt er einen kahlen Raum.
Die Ruine wird wohl fallen. Aus der Traum.

Sie diente einst den Weichenstellern als Zentrale.
Im Handwaschbecken liegt noch eine Kaffeeschale.
Im Spind ein pralles Pin-Up. Die ist heute Greisin.
Ein karger Baum ragt tapfer zwischen rostgen Gleisen.

Und in den Schaltraum er die Schritte lenkt:
Wird’s abgetragen oder wird’s gesprengt?
Per Smartphone ordert er bereits den Kran.
Ein letzter Blick zurück: Das wär getan.

Die Diele kracht, und auch bei ihm macht’s Knick.
Er bricht sich an dem Handwaschbecken das Genick,
erinnert sich an einen alten Spruch der Bahn.
Er handelte von Vorsicht und von Porzellan.

Dreifaltigkeit

Körper, Geist und Seele
– verbunden und gelöst.
Was ich euch erzähle
– was ihr von mir lest.

Denken, Tun und Fühlen
hält ein starkes Band.
Planen, Fordern, Zielen.
Auge, Hirn und Hand.

Halte stets zusammen
Körper, Seele, Geist.
Glückliche entstammen
diesem Bunde meist.

Der Ehebruch

Als er eines Abends nach Hause kam,
vom Einkauf waren die Taschen so schwer,
da nahm sie, wie immer, ihn in den Arm
und merkte dabei: Ich lieb ihn nicht mehr.

Die Große saß an den Hausaufgaben.
Der Kleine war in der Wanne Pirat.
Sie dachte an all die Seelennarben
und empfand ihr Leben plötzlich so fad.

Ob wir nach dem Abendbrot alles besprechen?
Dann kommt es endlich sofort aufs Tapet.
Oder soll ich ganz einfach die Ehe mal brechen?
Ob zwischen den Männern und mir noch was geht?

Und so verrauchten die letzten Flammen
der Liebe, obgleich’s ihr im Herz manchmal stach.
Sie blieb bis er starb mit ihm noch zusammen.
Und schließlich war er’s, der die Ehe brach.

Besserung

Wir haben dich, du Bösewicht.
Heut stehst du endlich vor Gericht.
Du hast die Richterin bedroht,
schlugst ihren Perserkater tot.

Hast in die Bibliothek gepisst,
obwohl das auch verboten ist.
Du hast die eigne Frau erwürgt
und einen Fahrausweis getürkt.

Im Schwimmbad warst du viel zu laut
und hast ein kleines Kind beklaut,
im Parlament wild randaliert,
den Hund der Nachbarin kastriert.

Bald wanderst du dafür in’ Knast,
weil du das ausgefressen hast.
Dort lernst du wohl, was sich gebührt
und wirst rasch resozialisiert.

Überreif

Meine Kirschen auf dem Tische
sehen nicht mehr knackig aus,
(Ich verpasste ihre Frische.)
warten überreif im Haus.

Noch nicht schlecht, man könnt sie essen,
doch ich warte Tag um Tag,
lass mich von ihrem Anblick stressen,
weil ich Kirschen gerne mag.

Ob ich wohl den Kirschen gleich’?
Leute geh’n an mir vorüber.
„Ach, der Herr ist reif und weich.
Frischer wäre er mir lieber.“

Erinnerung an ein Weihnachtswestpaket

Ein Riegel Mars. Brav eingeteilt.
Er musste bis Januar reichen.
An jedem Häpschen aufgegeilt.
Ein Geschmack zum Herzerweichen.

Und heute krieg ich’s im Überfluss,
rasch nebenbei noch weggefressen.
Die Sucht wird gestillt ganz ohne Genuss.
Vom kleinsten Mangel lasse ich mich stressen.

Hab ich denn je im Ernst geglaubt,
man könnte Genuss sich erkaufen?
So bin ich meiner Freude beraubt,
man könnt im Vergnügen ersaufen.

Besonnenheit

Ich gliche gern dem Kapitän im Sturme,
des Handeln weder Furcht noch Zorn bedrückt,
der unverzagt auf dem Kommandoturme
entscheidet und dabei den Tod erblickt.
Nicht übermannt vom Wirrwarr der Momente,
und was zu tun ist, wird auch ohne Klag getan.
Selbst wenn noch neben ihm das Steuer brennte,
er hielte aus wie Maynard, unser Steuermann.
Doch statt mich an Fontanes Held zu messen,
der schließlich auch verbrannte wie ein Docht,
sollt ich beim Schreiben nicht die Milch vergessen,
die grad in meiner Küche überkocht.

Über Geld…

Ich würde über Geld nichts sagen,
tät ich’s in meinen Taschen tragen.
Ich führt’ Gespräche mit Nivau,
erzählte Witze voller Schärfe,
statt dass ich euch mit Unglück nerve,
dem Unglück einer armen Sau.

Ach, leider muss ich euch jetzt quälen
und euch von meinem Leid erzählen,
von meinen finanziellen Sorgen.
Ja, bald könn’ wir uns amüsieren
und über Kunst philosophieren.
Doch jetzt: Könnt ihr mir mal was borgen?

Sport

Wer Sport treibt, züchtigt seinen Leib,
wer Sport treibt.
Wer schlabbrig, schlapp und fett will bleiben,
muss aufhörn, immer Sport zu treiben.
Wer Sport treibt.

Oh Sport, oh Sport, du drillst den Geist,
oh Sport, oh.
Ich war so lang unkonzentriert,
bevor ich fleißig hab trainiert
mit Sport, oh.

Positivität = Normalität (auch des Absurden)

Wenn wir von „positiv beginnen“ sprechen, bedeutet das nicht, dass wir eine harmlose Plüschwelt etablieren sollen. Es heißt zunächst nur, dass wir das einmal Etablierte, nicht sofort problematisieren, so seltsam es uns als Spieler auch erscheint.

Anna tischt Spaghetti auf: „Harry! Simone! Das Essen ist fertig.“
Simone setzt sich. Anna setzt sich.
Harry setzt sich und mischt Spielkarten.

In typischen Impro-Szenen wird nun angefangen, an Harry herumzunörgeln: Dass es eine Unverschämtheit sei, beim Essen Karten zu spielen, dass die schönen Spielkarten fleckig würden usw. Die Spieler übertragen ihr eigenes Urteil auf die Situation. Was aber, wenn wir den Flow nutzen? Anna könnte bemerken, dass Simone diesmal mehr Glück haben wird. Simone könnte es bedauern, dass Fabian heute nicht mitspielen kann. Oder: Sie erwähnen das Spiel überhaupt nicht, sondern spielen es einfach! Je unproblematischer die ersten Angebote aufgenommen werden, umso selbstverständlicher fügen sie sich in die Plattform ein. Hier haben wir nun drei Kartenspieler, die sogar beim Essen spielen.
Nicht nur (scheinbar) absurdes Verhalten, sondern auch ein für sich genommen negativer oder problematischer Kontext kann zur „positiven“ Normalität gehören: Der Hitchcock-Film „Fenster zum Hof“ zeigt zu Beginn einen Fotojournalisten in seiner Wohnung, der wegen eines gebrochenen Beins zum Nichtstun verurteilt ist. Das Leiden daran wird kurz etabliert, aber dann geht es zum Eigentlichen der Szene – der Beziehung des Journalisten zu seiner Geliebten.
Es ist also völlig OK, Probleme und schwierige Situationen zu etablieren, die den Hintergrund der Szene und der Story beschreiben:

  • Eine arme Familie kämpft im Alltag hart darum, sich über Wasser zu halten.
  • Ein Pfarrer spricht den Hinterbliebenen sein Beileid aus.
  • Eine Kompanie bereitet sich auf den Angriff vor.

Armut, Tod, Krieg – das ist in diesen Fällen die „positive“ Normalität.
Die Plattform gerät genau dann ins Wanken, wenn die Situation problematisiert wird:

  • wenn die Frau, als ihr Mann sagt, dass er wieder seinen Job verloren hat, hysterisch reagiert,
  • wenn einer der Hinterbliebenen dem Pfarrer vorhält, den Verstorbenen in den Tod getrieben zu haben
  • wenn einer der Soldaten den Befehl verweigert.

Genaugenommen kann auch die hysterische Reaktion, der Vorwurf an den Pfarrer, die Befehlsverweigerung Teil der Plattform sein, wenn das jeweils die Normalität widerspiegelt. Das Plattform-Wanken, an das wir uns Dranhängen, das ist die Story. Alles andere ist Hintergrund.
Eine improvisierte Szene, in der ich mitspielte begann einmal mit einem Missverständnis:

„Könnte ich mal deinen Schal leihen?“Der Mitspieler und der Großteil des Publikums verstanden: „Könnte ich mal einen Schwan ausleihen.“Daraufhin reagierte der Mitspieler mit stoischer Ruhe und langte aus einem Käfig einen Schwan, den er „verlieh“. Die Plattform eines Schwan-Verleihs war geboren.

Aus meiner Erfahrung werden Probleme und Konflikte nicht nur aus einem ängstlich-ablehnenden Impuls heraus zu früh eingeführt, sondern auch weil die Spieler fürchten, das Publikum zu langweilen. Habt Vertrauen in die Routine! Das Etablieren von Plattform und Routine ist immer dann interessant, wenn ihr bei der Sache bleibt. Angenommen, die Routine einer Solo-Szene ist „Haare kämmen“. Ein nervöser Improspieler wird nun oberflächlich Haarekämmen mimen, ohne Emotion, ohne Charakter. Die Darstellung bleibt langweilig, weil er sie selbst für langweilig hält. In Gedanken ist er schon dabei, was er als nächstes tun könnte. Er öffnet das Fenster. Dann raucht er eine Zigarette. Dann putzt er das Badezimmer. Mit anderen Worten: Er springt von einer Handlung zur nächsten, ohne irgendeine ernstzunehmen. Wenn unser Spieler aber beim Haarekämmen bleibt und in die Handlung eintaucht, wird er sie mit Emotion füllen:

  • Er freut sich auf ein Rendezvous.
  • Er ist nervös wegen eines Vorstellungsgesprächs.
  • Er ist ein eitler Dirigent.

Und wenn ich als Improspieler in diese Hintergrundstory und die Emotionen tiefer eintauche, ergibt sich automatisch die nächste Handlung, wenn ich denn mit dem Kämmen fertig bin, z.B.:

  • Der Liebhaber prüft seinen Atemgeruch.
  • Der Bewerber prüft vorm Spiegel die angemessene Begrüßung.
  • Der Dirigent prüft seine dramatische Wirkung.

Lebenspläne

Hat der Storch die Rückkehr aus dem Süden,
bevor er uns verließ, bereits geplant?
Er findet unser Dorf und hat geahnt,
dass sein Nest noch auf dem Schlot hockt. Wie denn!

Sind auch meine Pläne nur Instinkt,
nachgeschob’ne Gründe meines Tuns?
Mein Hirn nicht weiter als das Hirn des Huhns,
das kopflos rennt, bevor’s zur Erde sinkt?

Das Nichtgetane streng mich warnend mahnt,
da’s mit dem Bummeln kurios verzahnt:
Verlass dich nicht allein auf dein Gespür!

Drum auf Instinkt und Intellekt ich horch.
Ich plane. Ach, was gäbe ich dafür,
wär konsequent und klar ich wie der Storch.

Dreifaltigkeit

Körper, Geist und Seele
– verbunden und gelöst.
Was ich euch erzähle
– was ihr von mir lest.

Denken, Tun und Fühlen
hält ein starkes Band.
Planen, Fordern, Zielen.
Auge, Hirn und Hand.

Halte stets zusammen
Körper, Seele, Geist.
Glückliche entstammen
diesem Bunde meist.

Fanatismus

In der Menge stand
einst ich in hellem Herbst.
Dröhnend scholl der Gesang:
Tragende Welle schob’s
zwischen die sehnenden Leiber hindurch.
Fahnen, Lachen und Wut.
Selbstgerecht trunken die Masse bewegt.

Meine Seele, ein Segelboot, geschubst,
schwamm, wie unsichtbar
heimlich vom Menschenmeer hinweg,
taumelnd und ohne Einigkeit.
Ob mich jemand gesehn?

Rechtfertigen im Improtheater (10) – Rechtfertigen und Miteinander

Kein Kampf um Definitionshoheit beim Rechtfertigen!
Wenn ihr bemerkt, dass ihr verschiedene Perspektiven auf Raum, Beziehung oder Handlung habt und sich eure Angebote sogar widersprechen, dann versucht nicht, das vielleicht grobgeschnitzte Rechtfertigen eurer Partner mit eurer „besseren“ Rechtfertigung auszuhebeln. Auch hier gilt: Akzeptieren! Spielt auch beim Rechtfertigen miteinander, nicht gegeneinander. Es geht hier nicht um Schlauheit oder Cleverness, sondern darum, wieder gemeinsam Boden unter den Füßen zu spüren.

Levi spielt einen Fahrer und Manuela eine Anhalterin.
Levi: „Wo wollen Sie hin?“
Manuela: „Nach Hannover. Nehmen Sie mich mit?“
Levi: „Kein Problem. Da muss ich auch hin.“
Manuela setzt sich eilig hinter ihn und mimt, auf einem Gepäckträger zu sitzen. Levi indessen, der das Fahrradangebot hinter sich nicht gesehen hat, mimt, ein Kfz zu lenken. Die zwei körperlichen Angebote widersprechen sich deutlich. (Das Publikum lacht.) Nur Manuela nimmt den Widerspruch war, Levi hingegen ist lediglich ein wenig irritiert, dass sie sich an seiner Schulter festhält.
Manuela versucht zu klären: „Ich hab’s eilig. Treten Sie in die Pedale.“
Levi steht auf dem Schlauch und versteht das Fahrrad-Angebot nicht. Stattdessen tritt er auf die Pedale und lässt den Motor aufheulen. Manuela realisiert, dass es keinen Sinn hat, auf ihrem Angebot zu beharren und „klettert“ nach vorn auf den Beifahrer-Sitz.

Rechtfertigen als Bloßstellen
Erstaunlich häufig benutzen Improspieler die Technik des Rechtfertigens, um kleine Fehler ihrer Mitspieler oder Unzulänglichkeiten der Szene herauszustellen.

  • Der Spieler soll einen Franzosen spielen und kommt mit dem französischen Dialekt nicht klar. Die Mitspielerin: „Mit dem Dialekt sind Sie aber kein richtiger Franzose, oder?“
  • Ein Spieler bittet zwei Mitspieler ins Auto einzusteigen. Da aber nur zwei Stühle auf der Bühne sind, müssen die beiden hinten stehen. Der Spieler: „Wir haben in unserem extra hohen Auto absichtlich die hinteren Sitze entfernt.“
  • Ein Spieler mimt eine Tasse etwas ungeschickt. Die Mitspielerin: „Na, Sie haben ja eine extrem lange dünne Tasse!“

Bloßstellungs-Rechtfertigen wie in diesen Beispielen führt mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Lachern im Publikum. Aber es ist nicht nur ein bisschen unkollegial, die Mitspieler bloßzustellen, sondern diese Formen des Rechtfertigens führt uns von dem Game oder aus der Story weg. Der Improspieler kommentiert das Spiel statt es zu spielen, er stellt sich über das Spiel. Die Zuschauer werden von der Szene abgelenkt und fokussieren nunmehr auf einen minimalen oder auch nur scheinbaren Fehler, den sie sonst hingenommen oder nicht einmal wahrgenommen hätten.

Die Szene retten oder den Partner?
Keegan Key beschreibt in einem Interview eine Szene, in der er und ein weiterer Spieler dabei sind, die Plattform zu finden und gerade geklärt haben, dass sie eine Geburtstagsszene vorbereiten, als ein Spieler von außen hinein als Dino-Saurier hineinspringt. Gerettet wurde die Szene von einem vierten Spieler, der mit den Worten: „Tommy, die Kostüme erst, wenn die Kinder da sind“, die Ausgangsszene der beiden rettet und die Rolle des Dino-Spielers zwar integriert, ihn aber dennoch mit sanftem Hinweis von der Bühne fortführt.
Man muss leider zugestehen, dass es Situationen gibt, in denen man sich entscheiden muss: Rette ich das, was bereits in der Szene etabliert wurde oder versuche ich, die absolut szenenfremden Angebote des Mitspielers noch irgendwie zu rechtfertigen? Ideal ist natürlich, wenn beides gleichzeitig gelingt, aber die Bühnenrealität und auch der kleine kreative Kobold in unserem Kopf gibt das nicht immer her.
Die nicht besonders zufriedenstellende Antwort auf das Dilemma lautet: Kommt drauf an!
Erstens kommt es auf den Zeitpunkt der Szene an. Wenn wir noch am Aufbauen sind, neige ich dazu, selbst völlig abseitige Angebote noch irgendwie einzubetten, den Spieler zu retten und so sanft wie möglich dafür zu sorgen, dass wir wieder in dieselbe Richtung segeln. Wenn wir allerdings eine lange Story improvisieren und inzwischen alles auf den Höhepunkt hinausläuft und mein Partner, sei es weil er unkonzentriert war, etwas vergessen hat oder etwas nicht hören oder sehen konnte, die Szene mit etwas völlig Abstrusem füllt, das für alle Mitspieler und Zuschauer offensichtlich fehl am Platze ist, dann würde ich die Möglichkeit offenhalten, die Szene auch mal so zu retten, indem man ein Angebot blockiert. Letztlich rette ich dann auch ihn und seine Rolle in dem Stück.
Zweitens kommt es auf den Grad der Abstrusität an. Kleinere Fehler kann man ignorieren, mittlere Fehler ausbügeln, himmelschreiende Unstimmigkeiten müssen notfalls grob zurechtgerückt werden.
Drittens: Im Zweifel entscheide dich für deinen Partner. Verwende deine kreative Energie, seine Abstrusitäten irgendwie einzubauen.

Grillen im Juni in Berlin

Luftig lockt die unberührte Wiese
Fachgerecht gehackte Schweineteile.
Bald schwebt eine leichte Kohlenbrise
durch den Park. Verweht nach einer Meile.
Zwölf Familien. Türken und Deutsche.
Fett tropft in die Glut, mit Pilsner löschen.
Wurst im Wanst und Alkohol im Blute.
Karin mampft wie eine fette Stute.
Heute Abend wird er sie verdreschen.
Der Zitronenfalter kann den angebrannten Flügel nicht mehr retten.

Rechtfertigen im Improtheater (9) – Wie rechtfertigen wir? Taktik 5 – Rechtfertigen von außen

Als Mitspieler im Off können wir helfen, eine unklare Situation zu klären. Dabei sollten wir aber mehr Zurückhaltung walten lassen, als wenn wir selbst auf der Bühne stehen und bereits Teil der Szene sind. Denn zuerst sind die Spieler auf der Bühne für das Geschehen verantwortlich, das heißt, sie müssen auch für sich selbst entscheiden, wieviel Unklarheit und Noch-nicht-Definiertes sie für ihre Impro-Szene zulassen wollen.

Klänge

Emil und Finn beginnen die Szene damit, dass sie vor etwas fliehen. In ihrem Dialog tapern sie zaghaft um das Thema herum, wovor sie eigentlich fliehen.

Als außenstehender Spieler (oder Techniker) könnte ich hier eine Polizei-Sirene in die Szene jaulen lassen, was die Mitspieler von der Definitionslast befreit (oder ein Wolfsrudel, Pistolenschüsse usw. ).

Als Passagier

Gerda und Rüdiger sitzen auf zwei Stühlen und führen seit einer Weile ein Gespräch. Die Szene ist ganz nett, aber leider haben die beiden anscheinend vergessen, den Ort zu definieren oder trauen es sich nicht.

Als Passagier kann ich rasch Klarheit schaffen, indem ich mit einem Minimal-Angebot den Schauplatz kläre, etwa indem ich die Szene als Kellner betrete (Restaurant) oder als Spaziergänger mit Hund (Park) oder als Fahrkartenkontrolleur (Bahn).
Bisweilen ist einem der Spieler nicht klar, dass der andere auf dem Schlauch steht.

Sie: Sie wollen meinen Sohn wohl am ausgestreckten Arm verhungern lassen, Herr Preißler.
Er: Ich bitte Sie, das würde ich doch nicht tun, Frau Dumblodt.
Sie: Wenn Sie ihm nicht helfen, wird er nie die Matura schaffen.
Er: Die Matura? Ähm, die kann er auch ohne mich schaffen. Er ist stark genug.
Sie: Sie sind doch persönlich für ihn verantwortlich.
Externer Spieler betritt die Bühne im Hochstatus: Herr Preißler, könnten Sie mich heute Nachmittag bei der elften Klasse in Mathematik vertreten?

Der externe Spieler hat realisiert, dass der Spieler des Herrn Preißler nicht mit dem österreichischen Begriff Matura (Abitur) vertraut ist und sich deshalb auch nicht über die Beziehung zur Figur seiner Mitspielerin im Klaren ist. Außerdem ist deutlich, dass die Mitspielerin das Unverständnis von „Herrn Preißler“ nicht erfasst hat. Durch das rechtfertigende Angebot bringt der externe Spieler die Szene wieder ins Lot.
Entscheidend ist, dass ich die Szene nicht kapere, indem ich zu viel Aufmerksamkeit auf mich ziehe. Schließlich geht es nicht um mich, sondern darum, dass der Szene geholfen wird.

Klagelied

Pfeifend saust die Krankheitspeitsche nieder.
„Gewähre Gnade!“, ächzen meine Glieder.
Mein Hirn ein Moshpit. Tanzende Gedanken
hüpfen auf den Nerven eines Kranken.

Beginnt die Heilung mit Verschlimmerung?
Was aß ich heut? Und wen traf ich noch gestern?
Fieberwahn gebiert Erinnerung.
Vision und Wahrheit wie zwei längst zerstrittne Schwestern.

Ängste, Klammern, Multiplikationen.
Trotz Stirnenfeuer will die Peitsche mich nicht schonen.
Halbgläubig hoffend, gleich dem von seinem Herrn geschlagnen Hund
bitt ich mein Kissen: Gott, mach mich gesund.

Rechtfertigen im Improtheater (8) – Wie rechtfertigen wir? Taktik 4 – Kopieren

Eine einfache Taktik des inneren und äußeren Rechtfertigens ist das Kopieren. Wenn ich die Tätigkeit meines Mitspielers einfach nachmache, feuern meine Neuronen in eine bestimmte Richtung: Das Hirn versucht, dem Ganzen einen Sinn zu geben. Es kann zwar durchaus sein, dass ich nach zwei Minuten Gemimte-Objekte-Stapeln immer noch keine blasse Ahnung habe, was wir hier eigentlich tun. Aber das Kopieren erhöht einfach die Wahrscheinlichkeit, dass mir die Schuppen von den Augen fallen. Außerdem wirkt Kopieren auch nach außen immer wie eine positive Bestätigung. Und selbst wenn ich immer noch eine Weile im Dunkeln tappe, kann das Publikum glauben, wir hätten den totalen Durchblick.
Kopieren bietet sich ganz offensichtlich bei körperlichen und pantomimischen Angeboten an: Mein Partner stapelt etwas, ich staple mit. Mein Partner schießt auf bewegliche Ziele, ich schieße mit. Mein Partner stakst in irgendetwas herum, das ich nicht erkenne, ich stakse mit. Die Pantomime selbst lässt die körperliche Erinnerung wach werden.
Aber auch verbales Kopieren ist möglich. Variieren wir einfach unsere Vogel-Szene:

Sie: Bist du dir sicher, Bertram, dass du kündigen willst?
Er: Ja, Evi. Es ist Zeit für eine Veränderung. Amsel!
Sie: Du würdest mir die gesamte Verantwortung aufhalsen. Drossel!
Er: Du bist nun lange genug dabei. Blaumeise! Sperling!
Sie: Ich habe nicht dein Talent und deinen Blick. Stockente!
Er: Das Einzige, was dir fehlt, ist Selbstvertrauen. Blaumeise! Eichelhäher!

Diesmal kopiert sie das verbale Spiel. Auch wenn wir als Zuschauer noch keine Ahnung haben, was hier los ist, sind wir fasziniert – sowohl vom scheinbar mühelosen Zusammenspiel der beiden Improvisierer als auch von der Szene selbst.

Oack ne jechn!

Ich hab mir den Fuß gestoßen.
Genauer: Den rechten Zeh.
Den Kleinen, nicht den großen.
Es tut so unfassbar weh.

Am Stuhlbein. Um zehn Millimeter
hab ich mich beim Gehen verschätzt.
Ich dacht, ich sei spät. Jetzt wird’s später.
Ich geb zu, ich bin vorhin gewetzt.

„Wenn du’s eilig hast, nimm den Umweg“,
rät lächelnd mir der Buddhist.
Und „Eile mit Weile!“ ein Deutscher.
Mir tut der Zeh weh. So’n Mist!

Rechtfertigen im Improtheater (7) – Wie rechtfertigen wir? Taktik 3 – Physisch

Die eleganteste Art, eine szenische Irritation ins Improvisieren einzubauen, ist die körperliche Rechtfertigung. Sie liegt vor allem dann nahe, wenn die Irritation selbst eine körperliche ist.

Der Sohn öffnet nach dem Gespräch mit der Mutter eine schwere Tür.
à Mutter tritt ein, taucht den Finger ins Weihwasser-Becken, bekreuzt sich und kniet nieder.

Spieler A beginnt die Szene mit einem blinden gestischen Angebot: eine schräg vorgehaltene Faust.
à Spieler B hebt ängstlich die Hände und definiert, bedroht zu werden.

Spieler A definiert ein großes Lenkrad, wobei unklar bleibt, was er da lenkt.
à Spieler B mimt, Segeltaue festzuzurren. 

Nach einem kurzen, freundlichen Gespräch zwischen zwei Geschwistern, wechselt A die Tonlage und sagt streng: „Schluss mit den Spielchen. Ich weiß, dass du Mama auf dem Gewissen hast.“
à Spieler B wechselt in den Tiefstatus.

Der große Vorteil des physischen Rechtfertigens besteht darin, dass sie effizient ist. Wir müssen uns nicht verbal mit den Objekten unserer Irritation beschäftigen, sondern halten die Sprache frei für die Beziehungs-Ebene, für Poesie, für Unterschwelliges. Körperliches Rechtfertigen wirkt auch meist gar nicht wie Rechtfertigen, sondern eher wie selbstverständliches Bedienen des bereits Etablierten.

Überfluss

Ich höre so oft, dass man sparen
und stets genügsam sein muss.
Mag sein, doch hör zu: Meine Liebe
die gibt’s im Überfluss

Ich freu mich dran, sie zu verschwenden
wie Wasser nach Platzregenguss.
Und sollt es mit mir einmal enden,
hab ich noch für dich einen Kuss.

Rechtfertigen im Improtheater (6) – Wie rechtfertigen wir? Taktik 2 – Verbal

Verbales Rechtfertigen bedeutet, dass wir die Dinge einfach benennen und in einen entsprechenden Kontext einordnen. Das kann subtil oder auch überdeutlich platt geschehen.
Noch einmal am Beispiel der Mutter-Sohn-Schwere-Tür-Szene:

„Pfarrer Tschernawski wird uns sicherlich einen guten Rat geben“,

wäre ziemlich subtil, vielleicht sogar noch ein bisschen zu vage, denn ein Pfarrer muss sich ja nicht notwendigerweise in einer Kirche aufhalten. „Kirche“ ist durch diesen Satz noch nicht etabliert worden. „Pfarrer“ ist lediglich ein Hinweis darauf, dass die schwere Tür das Tor einer Kirche sein könnte.

„Gut, dass Pfarrer Tschernawski hier in der Sankt-Mauritius-Kirche auf uns wartet“,

ist schon deutlicher. Mit diesem Satz ist der Schauplatz auf jeden Fall definiert, wenn auch nicht so subtil wie im ersten Beispiel, da niemand wirklich so sprechen würde.

„Die Tür der Sankt-Mauritius-Kirche könnte auch mal wieder geölt werden“,

wäre demonstratives Rechtfertigen. Man verdeutlicht dem Mitspieler, dass man gerade Schwierigkeiten hatte, das Angebot einzuordnen und thematisiert es nun für ihn und das Publikum.
Ich würde in der Regel versuchen, die dritte (demonstrative) Variante zu vermeiden. Es ist zu viel Show-Rechtfertigung dabei. Und schließlich geht es auch nicht um die schwere Tür, sondern um die Beziehung zwischen Mutter und Sohn, von der wir zu sehr ablenken würden.
Manchmal sind aber „grobe“ verbale Rechtfertigungen unvermeidlich, zum Beispiel wenn man kurz davor ist, sich in arge Widersprüche zu verstricken: Nehmen wir folgendes Szenario an:

Die Mutter-Sohn-Szene ist vorbei und abgelöst worden durch eine Szene zwischen Sohn und Pfarrer. Ich betrete die Szene als Mutter, aber der Sohn beginnt mich zu siezen.
„Möchten Sie sich nicht setzen?“

Ich frage mich nun, ob ich meine Mutter nicht klar genug gespielt habe, ob er mich als Mutter ohnehin siezt oder ob es noch eine andere Variante gibt, die mir aber im Moment der Szene nicht einfallen mag. Ich muss also für mich klären: Bin ich die Mutter oder nicht? Das Problem ist: Wir haben nicht viel Zeit, das herauszufinden, denn ich muss schauspielerisch den Character Mutter verstärken oder fallen lassen, je nachdem, worauf wir uns einigen.
Hier würde ich die verbale Holzhammer-Methode durchgehen lassen:

„Sören, komm und setz dich neben deine gute alte Mutter.“

Der Satz mag unelegant sein, aber wir sind wieder auf der gleichen Spur der Szene und haben verhindert, dass wir uns in einem Wirrwarr von seltsamen Prämissen und bizarren Konsequenzen verstricken und am Ende nichts mehr zueinander passt.