250. Nacht – Knickerbocker und Sportanzüge

Entdecke im Bücherschrank ein altes Benimmbuch von 1960, das ich, wenn ich mich recht entsinne, mal vorm Verrotten in einer Jugendherberge gerettet (man könnte auch sagen “gestohlen”) habe. Darin folgendes Foto:

Sportanzüge und Knickerbocker! Im RAW wäre die Autorin wohl in Ohnmacht gefallen:

  • Unterwäsche

  • Hunde (Wir haben noch keine Regelung dafür gefunden)

  • Filzhaare

  • Skihosen

  • Jeans

  • Joggingklamotten

Dagegen bisher erst einmal entdeckt: Das Abendkleid.

***

Da ihm die Frau bei Eheschließung vertraglich verboten hatte, sich eine Kebse oder Sklavin zu nehmen, ist Schams ed-Dîn nun doppelt verärgert:

“Die Ehe mit dir ist, als ob man auf einen Fels schlage.”

Doch sie gibt ihm die Schuld zurück:

“Dein Same ist zu dünn.”

Um seinen Samen zu verdicken, geht er einkaufen:

“bei Drogenhändlern!”

Auf dem Markt schickt man ihn von einem zum anderen und macht sich über ihn heimlich lustig, bis er zu einem Opiumraucher und Haschischesser namens Simsim (=”Sesam”) kommt. Die Gattin, welche, da sie schon 40 Jahre verheiratet sind, ja über 50 Jahre alt sein muss, braut aus verschiedenen Zutaten ein abenteuerliches Gesöff und der Schams ed-Dîn begattet sie noch in derselben Nacht.Den Sohn nennt man Ala ed-Dîn Abu esch-Schamât, er wird im Namen Mohammeds und Alis 250 gesegnet und mit Salz bestreut 250a.

Das Motiv, dass es den Eltern schwerfällt ein Kind zu bekommen, taucht mehrfach in den 1001 Nacht-Storys auf. Geradeso, als wolle man ordentlich Anlauf nehmen, um dem eigentlichen Geschehen Schwung zu verleihen oder um das Besondere des Protagonisten zu unterstreichen.Nicht zu vergessen: Schneewittchens Eltern hatten auch mit dem Zeugen Schwierigkeiten.

Sein Vater war um ihn wegen des bösen Blicks besorgt, und darum ließ er ihn in einem Gemache unter der Erde aufziehen.

Heutzutage hätte es der Vater mit einer solchen Begründung vor Gericht schwer. Hm – vor einem deutschen Gericht.

Man will den Knaben solange dort halten,

bis ihm der Bart sprosst.

Aber eines Tages lässt ein Sklave die Falltür offenstehen, und Alâ ed-Dîn flieht. Er betritt ein Zimmer, in dem seine Mutter gerade ihre Freundinnen empfängt, die über diesen spontanen Besuch eines weißen Mamluken empört sind, bis die Mutter sie aufklärt.

 

250 Vielleicht ein Hinweis auf die schiitische Herkunft der Story?
250a Zur Abwendung des bösen Blicks, mit dem man es in dieser Story anscheinend sehr genau nimmt.

225. Nacht – Obama in Berlin

Besuch Obamas in Berlin.

16.10 Uhr

16:20 Uhr
17.30 Uhr
18.00 Uhr

20 Uhr

Die vielgelobte Rede hielt ich dann doch für enttäuschend, da erwartbar. Wenig, was man nicht auch vorher schon gehört hätte. Anders als sonst ging er wenig auf die Situation ein. Eine sich scheinbar ewig hinziehende Passage über die Luftbrücke, ein Thema, das eher in die verschnarchte Sonntagsausgabe der “Berliner Morgenpost” passt. Statt eines markigen Satzes (Kennedy: “Ich bin ein Berliner”; Reagan: “Tear down this wall”) blieb er vorsichtig und zitierte sicherheitshalber Ernst Reuter: “Schaut auf diese Stadt!”, ohne das Risiko auf sich zu nehmen, in peinliches Deutsch zu rutschen.

Zweimal kam er auf das Heroin-Problem in Berlin zu sprechen. Nicht dass es das nicht gäbe, aber für eine westliche 3,5-Millionen-Stadt ist die Rate der Opfer nicht wesentlich höher als anderswo (173 “Drogentote” zählte man 2006 in Berlin, Alkohol-Opfer wie immer nicht einberechnet). Er erwähnt die in der Innenstadt noch sichtbaren Einschusslöcher an den Gebäuden aus dem 2. Weltkrieg. Unwahrscheinlich, dass er selbst welche gesehen hat.


Er bedankt sich bei Merkel und ist offensichtlich von den daraus resultierenden Buhs irritiert.
Seine Allgemeinplätze scheinen sich nach Hillary Clintons Rückzug zu häufen. Er taktiert eher und verliert an Charme. (Ich kurz bei 1:18 im Bild)
Oder bin ich einfach nur enttäuscht, weil ich dreieinhalb Stunden gewartet habe und ein Meter Entfernung vom Zaun dann doch zu groß ist, um ihm die Hand zu schütteln?

**

Am Abend Trost bei meinem ersten Chaussee-der-Enthusiasten-Open-Air-Auftritt

20:55 Uhr

**

In den Kleidern seiner Söhne findet Kamar ez-Zamân die Liebesbriefe seiner Gattinnen, und sieht nun, dass er el-As’ad und el-Amdschad unschuldig zum Tode verurteilt hat. Er lässt ein Haus bauen

das nannte er das “Haus der Trauer”

Ironie: Auch für ihn selbst gibt es ein “Haus der Trauer” in Chalidân.

Er improvisiert Trauerverse.

In dem für el-As’ad gelingt dann doch stellenweise hübsche Poesie.

Ach, gern wollt ich das Urteil mit dir teilen;
Doch anders wollte Gott, als ich gedacht!
Schwarz machte ich die Welt vor meinem Blicke;
Des Auges Schwärze hab ich weiß gemacht.
Die Tränen, die ich wein’, versiegen nimmer;
Mein wundes Herze ist an Schwären reich.
Wie schwer ist es für mich, dich dort zu wissen,
Wo Knecht und Edelmann einander gleich!

Die Brüder el-Amdschad und el-As’ad wandern indessen erschöpft durchs Gebirge.

Auf der Mauer, auf der Lauer

Der Platz des Himmlischen Friedens unterscheidet sich von anderen Top-Sehenswürdigkeiten auf unserem Planeten nicht. Man fotografiert Touristen, die Touristen fotografieren. Eine im Vergleich zu anderen Orten ist das Wegducken eine auffällig häufige Bewegung: Man duckt sich aus Höflichkeit weg, um nicht auf dem Foto eines fremden Posierenden vorzukommen. Dadurch, dass aber stets und ständig in alle Richtungen fotografiert wird, tauchen auf Sehensüwrdigkeitsfotos immer häufiger gebückte Menschen auf, die so wirken, als gingen sie vor Schüssen in Deckung.

***

Wir fahren einen mehrstündigen Umweg, um einen Teil der chinesischen Mauer zu besichtigen, der weniger frequentiert ist.
***


Ein Verkehrsregler scheint es darauf anzulegen, Fußgänger unter die Räder zu bringen.

Wieder in Shanghai

Drei Lesungen in Nanjing, Hangzhou und Shanghai mit Jochen Schmidt, Volker Strübing und Rupprecht Mayer. Auf Rupprechts eigentlich putzig-kaminereske Geschichte über die Schwierigkeiten eines Europäers, sich durch den Shanghaier Verkehr zu bewegen, reagieren einige Chinesen etwas verschnupft: Wo denn das Positive bleibt. Sie können es nicht verknusen, dass sich ein Europäer erdreistet, einen satirischen Blick auf “ihre” Stadt zu werfen. Ebenso seltsam: Jochens Geschichte über die Warnungen, die Eltern ihren Kindern auf den Weg geben, wird nur von wenigen Chinesen goutiert. Sie glauben, er mache sich über den Tod von Kindern lustig und ordnen es sozusagen technisch-analytisch unter “schwarzer Humor” ein.

89. Nacht

Am Montag wache ich reuevoll erst um 11.30 Uhr auf. Um mal ein bisschen sozial zu sein, habe ich mich am Vorabend auf eine Spielerunde eingelassen, die dann bis 2.30 Uhr austrullerte. Hätte ich nur daran gedacht, dass ich mich am nächsten Tag mit den Enthusiasten treffe. Volker, hat einen besseren Vietnam-Imbiss vorgeschlagen, bei dem man bis auf einen Tisch eigentlich nur essen und schnell wieder gehen will – Feng-Shui-Logik von Imbiss-Restaurants. Gutes Essen, aber kaum einer richtig entspannt. Jochen mit halbem Ohr ständig telefonkonferierend, Volker leidet an Hexenschuss. Immerhin mal wieder nettes Beisammensein.


Bohni


Dan Richter


Robert Naumann


Stephan Zeisig


Jochen Schmidt

 


Volker Strübing

 

 

Den Rest des Tages verbringe ich damit, die berühmte Restaurant-Szene aus "The Godfather" zu untertiteln. Die Figuren Michael Corleone und Virgil Sollozzo sprechen sizilianisch, und bisher war man auf Vermutungen angewiesen.

 

 

***

Um seinen Bruder zu testen, erkundigt sich Scharkân bei ihm nach dem Heizer. Dau el-Makân antwortet, er würde ihn nach der Schlacht gegen die Christen für seine Taten belohnen.

Dafür dass er so viele Leiden ertragen hat, lassen sie den armen Heizer ganz schön lang auf seine Belohnung warten.

Man rüstet sich zum Kampf, und Dau el-Makân verabschiedet sich von seiner im fünften Monat schwangeren Frau.

So schnell kann’s gehen. Anscheinend leidet hier ein wenig das Erzähl-Timing der Geschichte.

Der Wesir Dandân übernimmt das syrische Heer, Rustem die Dailamiten 88 , Bahrâm die Türken.

Von Rustem und Bahrâm ist vorher noch keine Rede gewesen.

Das Heer zieht los, und als man die Grenze zu Griechenland erricht, flieht das arme Volk nach Konstantinopel.

Wir können also von argen Plünderungen ausgehen.

Auf Anraten der alten Dhât ed-Dawâhi reist König Hardûb mit ihr zu König Afridûn nach Konstantinopel, um diesem seine Tochter Sophia zurückzubringen. Nun rüstet er selbst zum Kampf und erhält Unterstützung von seinen christlich-europäischen Kollegen:

Zu ihnen stießen die Franken aus allen Ländern: Franzosen, Deutsche, Ragusaner, Zaranesen 88b, Venezianer, Genuesen und all die Heerscharen der Bleichgesichter 88a.

Die erste Schlacht führt der Wesir Dandân mit den syrischen Truppen.

Nun erhoben die Christen ihr Feldgeschrei: "O Jesus, o Maria o Kreuz!" – das verdammet sei – und stürmten gegen den Wesir Dandân und seine syrischen Heere an.

Klingt als Schlachtruf ziemlich seltsam. In Kreuzzügen des 11. Jahrhunderts benutzten die Christen "Deus vult!"

 

88 Mit den Dailamiten sind wahrscheinlich die Perser gemeint. Genau gesagt ist Dailam eine Gebirgsregion im Iran. Ich vermute, es könnte auch sein, dass mit "Dailamiten" auch eine Art persische Elitetruppe bezeichnet wird.

88a  Bleichgesichter? Man fragt sich, ob hier der Übersetzer bei Karl May abgeguckt hat.

88b Evtl. sind hier die Sardinier gemeint. Auffällig, dass ja vor allem italienische Städte genannt werden, die mit den Arabern im 9. Jahrhundert (also zu der Zeit, da unsere Geschichte wahrscheinlich spielt) im Krieg lagen.