Das Helfer-Paar

Ohne jede Klag
ertrugen sie die Klagen dessen, dem sie halfen.
Nichts konnt sie stoppen, nichts,
wenn wer sie brauchte.
Obschon die zwei von fern betrachtet,
oft Hilfe nötiger hatten als jene.
Es ruhten nicht die Hände noch die Herzen.
Nur selten leiser Zweifel: „Schaffen wir’s auch diesmal?“
Ein Blick zum Andern:
Gewiss. Gewiss.

Bitte

Nur noch einmal dreh das Rad, Fortuna, mir!
Und gib ihm Schwung, dass es nicht stehenbleibe.
Denn geplagt hab ich mich lange schon.
Jetzt mag irres Spiel für mich entscheiden.

Und sollt dabei ich stürzen, ganz zerbrechen,
statt zu wachsen und zu strahlen, wie’s geplant,
So werd ich dir nicht zürnen, Wilde.
Ich nehm’s, wie auch die Münze fallen mag.

Spätsommergewitter

Die Luft riecht elektrisch.
Man spürt den Staub auf der Zunge.
Zwei dicke Tropfen klatschen ins Haar.
Sekunden später fliehen wir nass.

Und sicher aus dem vierten Stock
schreien wir gegen den Wind vom Balkon.
Wir sehen die Blitze, bevor wir sie hörn.
Sie markieren die Stadt als ihr Revier.
Am ächzenden Kran schwingt drohend der Haken.

Unterm geparkten Ford ein Kätzchen,
geflohen vorm Krachen, vorm Wasser.
Zwei durchklitschte Mädchen versuchen vergeblich, es zu locken,.
Sie sind tätowiert bis zum Hals.

Die Ursache

Es war natürlich allen klar,
dass ihr Fremdgehen die Ursache war
für all das Leid, das dann folgte.
Seine Reaktion – verständlich.

Was hat sie gelitten, geweint und gehofft,
als alles noch heil war, ab seine Tür geklopft.
Doch er gab ihr kein Lächeln und sich keine Müh.
Und sie zusammen mit ihm – allein.

Für die Richterin war’s einfach:
Wie löblich, dass sich ein Mann auch um die Kinder kümmert.
Sie hat’s schließlich durchs Fremdgehn verschlimmert.
Er die Kinder. Er das Haus.
Sie zahlt den Unterhalt. Und aus.

Auf der ersten Seite des dritten Hefts

Komm, Lyrik, feinstes meiner Kunstgeschäfte!
Sollst die Gedanken durch die Formen leiten.
Wenn so die Schemen nur mein Denken weiten,
entfalten sich des Dichters pralle Kräfte.

Und wenn ich auch die alten Dichter äffte,
die das, was ich jetzt tu, getan vor Zeiten,
ich öffne gern die jungfräulichen Seiten
des dritten meiner fein linierten Hefte.

Vielleicht gelingt noch mal der große Bogen.
Vielleicht lass ich es mittendrin bewenden,
leis ahnend, dass ich nur mich selbst betrogen.

Bis dahin werd ich mich mit Lust verschwenden.
In vager Hoffnung, dass mir wer gewogen,
hier eine Warnung: Lasst euch ja nicht blenden.

Jetzt fehlte ihr ein Zahn

Er hatte es ja angekündigt.
Ich hätte besser aufpassen sollen.
Und nicht widersprechen.
Er hat auch seine guten Seiten,
zum Beispiel kann er lustig sein.
Manchmal. Wenn wir nicht streiten.
Ich provoziere ihn zu oft.
Ich muss wirklich besser aufpassen.
Er kann ja auch lieb sein.
Der Olli war ja viel schlimmer.
Eigentlich hab ich ihn nicht verdient.
Und die Küche hat er allein renoviert.
Er kann ja manchmal auch lieb sein.
Ich muss nur besser aufpassen.
Und provozieren darf ich nicht mehr.

Schmerz

Ich sink auf meine Knie nieder.
Mir ist, als ob ich heute beten müsst,
als verlör ich die Gabe zu lieben,
und nur ein Gott könnt helfen.

Ach, auch ich schrei aus tiefster Not zu dir.
Du döst gemütlich, trinkst Kakao.
Meine Stimme bleibt leer.

Mir ist, als schwebe mein Gebet
seifenblasengleich hinfort.
Und kaum begann es seine Reise,
ist es geplatzt,
als sei es nie gewesen.

Der Pessimist

Ick kann die Sonne sehen,
die unser Herz erfrischt,
und soll uff Arbeit gehen.
Dit wird doch allet nischt.

Ick gebe mir ja Mühe.
Für wen, frag ick, für wen?
Und ick muss uf die Knie,
wenn die am Zeiger drehn.

Wenn ick dann bei dir liege
und du ins Ohr mir zischt,
dann weeß ick, dit is Lüge.
Dit wird doch allet nischt.

Wahn

Halbe Freunde raunen leise,
doch mit Überzeugungsdrang:
Hinter all der schlimmen Scheise
steht doch ein Zusammenhang.

Und dann packt auch mich das Feuer,
das mir den Verstand fast raubt,
treibt mich in die Paranoia,
wenn man diesen Spuk bald glaubt,

Irre werden kann man nämlich,
wenn man ständig sucht nach Sinn.
Freu mich über jeden Tag, an dem ich
nicht verrückt geworden bin.

Ruf

Auf seinen Namen ließ er nichts kommen.
Das Wichtigste sei die Reputation.
Wem einmal der gute Ruf genommen,
sei kaum mehr wert als sein eigener Klon.
So ließ er sich von der Vorsicht führen,
um nur nicht den guten Ruf zu verlieren.
*
Er hatte noch vierzehn Tage zu leben.
Die Augen erstarrt, der Leib ein Skelett.
Was sollte ich da ihm an Hoffnung noch geben?
Ich stand am A. Er stand am Z
und quälte sich zum Chefarzt-Erbarmen
und fürchtete immer noch um seinen Namen.

Abschied von Buckow I – Die Perle

Es ruht der See, und faul sind heut die Mücken.
Die Villa duckt sich fast, sie will nicht prahlen.
Sie weiß durch ihre Schlichtheit zu verzücken.
Und könnt ich’s, würd ich dieses Bild wohl malen.

So hübsch der Ort, sie nennen ihn die Perle
in dieser sonst an Reizen armen Gegend.
Am Vormittag beharken rohe Kerle
das Unkraut zwischen Rosen. Wie bewegend!

Vier-Stern-Hotel, hier wird herumgenobelt.
„Sehr wohl, der Herr. Ein Bierschen. Mache ich.“
Doch bleibt man tief im Herzen ungehobelt.
„Salat auch ohne Schinken?“ – „Hamwa nich.“

Der Anwalt

Der Riedel holt dich da schon raus.
Du machst dir viel zu viele Sorgen.
Ein harter Hund. Der kennt sich aus.
Du siehst ihn ja am Dienstagmorgen.
Glaub an das Recht.
*
Das Raushaun hat nicht ganz geklappt.
Ich sitz hier drin schon sieben Jahre.
Den schlimmsten Anwalt wohl gehabt.
Wie ich hier rauskomm? Auf der Bahre.
Glaub an das Recht.

Balkonblick

Balkonblick Berlin. Zwei Uhr zwei.
Lebendiges Flackern und Glimmern.
In Wohnzimmern Fernseher schimmern.
Aus Angst oder Freude – ein Schrei.
Ich kann mich jetzt nicht darum kümmern.
Sie lachen und gehen vorbei.

Ein Fenster, ein Schicksal, ein Glück.
Von Lichtenberg schau ich nach Westen.
Charlottenburg, da sei’s am besten.
In jeder Wohnung ein andres Geschick.
Wir leben darin wie in Kästen.
In einer von ihnen wohn ick.

Introspektion

Wenn die Selbstschau ist beendet
und du kennst dich nackt und gut,
sei bewusst dir deiner Schwächen,
denn sonst wird sich’s übel rächen.
Vor dir selber sei auf der Hut.
Dabadi dabndi dabndei.

Allerdings, wenn Selbsterkenntnis
nicht zu deinen Stärken zählt,
dann ist Hopf und Malz verloren,
und du brauchst nicht mehr zu bohren,
der entscheidende Nerv dir fehlt.
Dabadi dabndi dabndei.

Tod

Ein Knips, dann gehen die Lichter aus für immer,
kein Klang, keine Wärme und kein Gedanke.
Der Knipser wird kommen,
doch du weißt nicht wann.

Wir schwanken, wir wanken, suchen und fluchen.
Was könnten wir strebend dem Leben entnehmen?
Geschrei und Gebrabbel.
Bald ist es still.

Komm, Tod, sei mein Freund,
der mich stündlich erinnert,
das Leben ist kostbar,
verplemper es nicht.

Plemper, Plemper.

Sommernacht

Und es war alles gesagt
Und sie hatten alles gesehen
Und ihre Hand fand seine.

Und schwül war die Nacht
Und doch zitterte er
wie beim schluchzenden Weinen.

Und da war keine Lüge
Und es gab nichts zu verbergen
Keine Schuld, kein Verzeihen.

Und später würden sie schwitzen
Und staunend erschauern
Und schreien.

Aber jetzt war da nur
die ungeheure, nackte
Wahrhaftigkeit.

Resignation

Die Ziegen werden sterben, und zwar bald,
da hege ich gar keine Illusion.
Ich raste hier. Bedenke: Ich bin alt.
Und dieses kranke Maultier ist der Hohn.

Geh du ruhig weiter, doch auch dich erwischt’s.
Dein Leib ist ebenfalls komplett verstrahlt.
Das Schicksal lacht, und unsre Karten mischt’s.
Wir sterben, und wer überlebt, der zahlt.

Zukunftspläne

Für meine Zukunft hätt ich gerne Sicherheit,
nach einem klaren Leben ich mich sehne.
Für kurze und für lange Fristen fass ich Pläne,
auf dass ich mir zum Freunde mach die künftge Zeit.

Egal, was meine Zukunft hält für mich bereit
– ich will nicht wissen, ist’s das Hässliche, das Schöne.
Vergieße um die alten Pläne keine Träne.
Bleib ich spontan, hab ich mich von der Zeit befreit.

So muss ich mein Spontan-Sein hübsch in Bahnen leiten.
Die frische Freiheit braucht als Zügel den Verstand,
sonst ist es einst die Dummheit, die die Freiheit bannt.

Trotz Plänen will ich stets durch die Momente gleiten,
das Leben täglich Kreuze durch die Pläne macht.
Halb Plan und halb spontan scheint’s angebracht.

Körperbau relativ

Ich mach mich wieder mal bereit,
betracht im Spiegel meine Falten.
Und trotz der Spuren meiner Zeit
hab ich mich doch recht gut gehalten.
Jetzt schau dir diesen Prachtkerl an:
Ein reifer, beinah junger Mann.

Mein Sohn kommt rein, studiert genau
die vielen kleinen Einzelheiten
an seines Vaters Körperbau
in allen Höhen, Tiefen, Breiten.
Und schließlich fragt er völlig kalt:
„Werd ich auch mal so irre alt?“

Bahnimmobilieninspekteur

Wissend scheu betritt er einen kahlen Raum.
Die Ruine wird wohl fallen. Aus der Traum.

Sie diente einst den Weichenstellern als Zentrale.
Im Handwaschbecken liegt noch eine Kaffeeschale.
Im Spind ein pralles Pin-Up. Die ist heute Greisin.
Ein karger Baum ragt tapfer zwischen rostgen Gleisen.

Und in den Schaltraum er die Schritte lenkt:
Wird’s abgetragen oder wird’s gesprengt?
Per Smartphone ordert er bereits den Kran.
Ein letzter Blick zurück: Das wär getan.

Die Diele kracht, und auch bei ihm macht’s Knick.
Er bricht sich an dem Handwaschbecken das Genick,
erinnert sich an einen alten Spruch der Bahn.
Er handelte von Vorsicht und von Porzellan.