Anpassung

Fremde Länder, Sprachen und Gebräuche,
auf welche Weise füllt man sich die Bäuche?
Welche Kleidung, welche Religionen?
Mit welchen Bräuchen wird man dich verschonen?
Mit welcher Hand wird Essen angefasst?
Bleibst du ganz starr? Hast du dich angepasst?
Was ist hier Ernst? Und wo beginnt der Scherz?
In der Fremde öffne weit dein Herz.
Hast du an Flexibilität gespart?
Dein Ich wird in der Starre nicht gewahrt.
Und wenn wir beide wieder sind vereint,
bin ich dir hoffentlich auch fremd und Freund.

Bitte

Nur noch einmal dreh das Rad, Fortuna, mir!
Und gib ihm Schwung, dass es nicht stehenbleibe.
Denn geplagt hab ich mich lange schon.
Jetzt mag irres Spiel für mich entscheiden.

Und sollt dabei ich stürzen, ganz zerbrechen,
statt zu wachsen und zu strahlen, wie’s geplant,
So werd ich dir nicht zürnen, Wilde.
Ich nehm’s, wie auch die Münze fallen mag.

Leise Klage

Schwer das Lid und müd die Hand, ganz vergeblich.
Klammes Denken, untergetauchtes Weh des
noch nicht Toten, hauche die Klage in das
Lärmen der Nächte,

die nur da sind, um Raum zu verleihen allen
leidenden Wanderern und Festgefrornen der Stadt,
wo jedes Lachen ein Hohn ist dem, der verlernte
zu lieben.

Zu matt um zu klagen, die Träne vertrocknet,
bevor sie geweint. Niemandes Ohr zu erreichen.
Der Arm, der dich getröstet, verschwunden
in einer der Nächte.

Wer? Wie? Was?

Wenn ich alle meine Fragen,
die mich quälten nachts im Bette,
die mir auf der Zunge lagen,
immer auch gestellet hätte,

wäre ich vielleicht nicht klüger,
denn die schlauen Weisheitsriesen
haben oft als Wahrheitsbieger
manche Frage abgewiesen.

Und so heißt es: Sich gedulden
und zu warten eine Runde,
wenn sie dir die Antwort schulden.
Jede Frag hat ihre Stunde.

Heimkehr

Nach fünfundachtzig Wochen ist er frei.
Nervös fährt er nach Hause mit dem Bus.
So schnell, so langsam ging die Haft vorbei.
Was soll ich tun? Was darf? Was muss?

Der Hausflur riecht nach Seife und nach Rauch.
Der Schlüssel klemmt wie immer in der Tür.
Und aus der Küche dringt ein zarter Hauch
von Sellerie, Kartoffeln und von ihr.

Jasmin hält jetzt wahrscheinlich Mittagsschlaf.
Die Bücher unberührt noch im Büro.
Ob er Jasmin und Janek wecken darf?
Vielleicht. Doch erst mal geht er schön aufs Klo.

Verlust. Aus einer anderen Zeit

Wir hatten Roger gern in unsrer Mitte.
Sein Scharfsinn half uns, wenn’s ums Leben ging.
In andren Kompanien fiel jeder Dritte.
Vielleicht war schlau, wer so am Leben hing.

Und nach dem Kriege wurd er Apotheker
– ein kleiner Laden, eine kleine Stadt.
Er lebte fromm und friedlich wie ein Quäker,
der nie das Morden je gesehen hat.

Sein Tod war uns wie eine neue Eiszeit.
Wer hat verstanden, was uns Roger gab?
Wir sahen damals seine Schläue, nicht die Weisheit.
Denn beides nahm sich Roger mit ins Grab.

Abendlied

Der Sternenhimmel wölbt sich überm See.
Ich sitz am Steg und sag dem Tag Adé.
Erlös die müden Füße von den Schuhn.
Nur kurz, dann dürfen auch die Augen ruhn.

Der Wind schlief ein. Das Schilf, es flüstert nur.
Und innehält ein jede Kreatur.
Ein Fröschchen klatscht ins Wasser aus Versehn.
Wir alle eins im großen Weltverstehn.

Und sachte binde ich mir meine Schuh.
Ich stehe auf und gehe nun zur Ruh.
Ein letzter Blick. Ich sag dem Tag Adé.
Der Sternenhimmel wölbt sich überm See.

Erfolg

Sieh an, du hast Erfolg gehabt,
und du sprichst laut (wir bleiben still):
„Ein jeder kann erfolgreich sein,
wenn er es wirklich schaffen will.“

Ich kenne diese Leier schon:
Aus eigner Kraft wurd alles dein.
Bei Misserfolg sind andre Schuld.
Erfolgreich bist nur du allein.

So klopfst du stolz dir auf die Brust.
Ich hör dir zu und denke leis.
Das Einzge, das allein man schafft,
ist allenfalls der eigne Scheiß.

Scham

Eine Hütte, eine Insel und ein See in Kanada
Proviant für vierzehn Tage. Außer uns war keiner da.
Aßen, lasen, spielten, liebten, grade wie es uns bekam.
So vertraut, so dicht und innig ging verloren jede Scham.

Ach, wie war der Abend trübe, als das Boot zurück uns fuhr.
Unser unbefangnes Leben – hinterließ es eine Spur?
Mit der Zivilisation wurden wir nur langsam warm.
So vertraut, so dicht und innig ging verloren jede Scham.

Nachtwahn

Die Uhr zeigt Zwei Punkt Sechsunddreißig.
Wie sich die Stille doch bläht, wo’s krachen und schreien müsst.
Verborgen lauschen die fromm-frechen Nachbarn.
Seit Juni schon haben sie mich auf dem Kieker,
weil sie mich beneiden um meine Gedanken.
Am Schlüsselloch!
Es riecht schon wieder nach Gas. Dagegen bin ich immun.
Die Augen brennen. Auf die haben sie’s abgesehn.
Wo liegt nur die Schere?
Das Meerschweinchen muss in den Müll. Aber nicht jetzt!
Ich darf jetzt auf keinen Fall trinken.
Wenn sie doch schrien!
Nur noch diese Nacht. Dann werden sie weichen vor meinem Verstand.

Vor Gericht

Sie waren ihrer Kraft entladen
nach sieben Tagen vor Gericht.
Der Zorn, wie dichte Pulverschwaden,
verfliegt nur langsam, wenn man ficht.
Das Haus, das Geld, die Zeit, die Kinder.
Wer von uns beiden lebt gesünder?
Und was ich will, bekommst du nicht.

Was kriege ich, was muss ich lassen?
Wann wurd’ das Liebste nur zum Feind?
Was bleibt – gewohnheitsmäßig hassen.
Was war es, das uns einst geeint?
Und nach dem Urteil ward es leise.
Sie saßen beide wie zwei Greise,
zuhaus die Augen leergeweint.

Geschäfte

Wie schön wär’s, stünde meine Kunst für sich.
Ich müsst nicht dauernd ans Verkaufen denken.
Ich brauch die Kunst, und meine Kunst braucht mich.
Am liebsten würd ich sie leger verschenken.

Der Künstler denk beim Künstlern nicht ans Geld,
das würde seine Kunst nur korrumpieren,
doch lebt auch unser Künstler in der Welt,
und will sich Butter auf die Brote schmieren.

Ich kritzle sorglos Verse in mein Heft.
Soll ich mich nach fiktiven Käufern richten?
Die Kunst bleibt Kunst. Geschäft bleibt auch Geschäft.
Und wer macht schon Gewinne mit Gedichten?

Phantasie

Es wohnt ein Narr in dir, grad zwischen deinen Ohren.
Wenn du die Augen schließt, schleust er dich aus der Zeit.
Dein enggelenktes Denken hat er längst befreit.
Wenn er dich tränkt, dann fühlst du dich wie neugeboren.

Die Hirnartillerie schießt schon aus vollen Rohren.
Und kein Gedanke, den der Narr zu denken scheut.
Es gilt kein Gestern ihm, kein Morgen, nur das Heut.
Und so beschenkt strömt gute Laune aus den Poren.

Käm es drauf an, bräuchtst du nur ihn zum Glücke.
Beneidet, Götter, ihn, der wirklich alles kann.
Hörst du ihn flüstern, lass ihn nur recht nah heran.

Er hüpft charmant und frech in deines Geistes Lücke.
Er sprengt des Denkens Krusten und löst jeden Bann.
Drum mach dich ihm und nicht ihn dir zum Untertan.

In Erwartung des Winters

Laue Tage
reiche Ernte,
wolln uns auf das End besinnen.
Trage heim, was du verdientest
Vor es kalt wird, deck dich ein.
Maulwurf, Eichhorn, Fledermaus wolln nicht ohne Nahrung sein.
Sei behend und spute dich. Auch die Herbstzeit wird verrinnen.

Sorge faltet meine Stirn.
Kann ich denn noch Zeit gewinnen?
Seh auch meinen Winter nahen
darf nicht weinen, darf nicht schrein.
Selbst wenn ich als erster geh,
den letzten Kampf ficht man allein.
Sollt es stürmen auch da draußen.
Hauptsach, ich trug Frieden drinnen.

Schnuppre tiefer nun die Düfte, sauge gieriger die Lieb.
Hektischer noch such ich Ruhe, ruhiger wird gleichwohl mein Schritt.
Weiß, es wird kein Morgen geben, wenn ich heute was verschieb.
Lass die trüben Tage ziehen, nehm die klaren Nächte mit.

Manchmal in der Morgenstunde, schauert’s mich und quält’s und beißt’s.
Weiß doch, ich erwart den Winter
kühlen Herzens,
hellen Geists.

Trauerzeit

Die Trauer währte vierzig Tage lang.
Dann nahm das Hochzeitsbild sie von der Wand.
Sie wurde hart. Und ward ihr einmal bang,
so ballte sie zur Faust die rechte Hand.

Die Freunde sagten, man sieht’s ihr kaum an,
es ist, als würde sie ihn nicht vermissen.
Doch eine unbemerkte Träne rann
zuweilen nachts im Schlaf in ihre Kissen.

Ja, ich kröche…

Ja, ich kröche durch den Schlamm und litte für dich
und einen höh’ren Zweck.
Ohne Schmerzen wird das Leben nicht angeboten.
So viele Analgethika kannste gar nicht fressen.
Ja, eine Narbe hinterlässt jeder Seelenstich,
doch lohnt sich’s, die Tage auszuloten,
ohne sich ängstlich ins Hemd zu nässen.
Wo ist das Limit für unsre Pein?
Wie lang hältst du’s aus im finstern Loch?
Für den Zweck zu leiden – schön und fein,
wann wird der Preis zu hoch?
Am Ende ist das Leben weg.

Individualität

Ihr Augenglanz, das helle Strahlen ihrer Zähne,
sie gleicht der Birke, die im Winde biegsam steht.
Kein Gott könnt schaffen, was sich dort im Tanze dreht.
Für solche Schönheit gibt es keine Musterpläne.

Ich hielt im Arm sie, schau, da rollte eine Träne.
War sie von mir? Von ihr? Ich fragte nicht. ’s war spät.
Ich sog an ihrer Individualität,
am Duft der ungeheuer schwarzen, weichen Mähne.

                                   *

Dank ich dem Zufall? Deinen Eltern? Deinen Genen?
Muss evolutionäre Sprünge ich erwähnen?
Doch soll ich dich auf deine Gene reduzieren?

Ich hört’, dass man zu dem wird, was man denkt und tut.
Und wenn das wahr ist, tut das, was du tust, mir gut.
Denn auch das Lächeln muss man jeden Tag trainieren.