Gutes Scheitern, ungutes Scheitern

Man kann schön und unschön scheitern .
Schön, wenn man voller Hingabe Risiken eingeht, das Engagement sichtbar wird.
Unschön, wenn sich ein Gefühl der Trägheit, der Leere, der Vorsicht auf der Bühne ausbreitet.
Letzte Woche ein künstlerisch anspruchsvolles Genre über einen ganzen Abend gemeistert. Diese Woche mit zwei Langform-Standards, die wir seit Jahren spielen gescheitert. Die Jonglier-Bälle der Improvisation sind uns nicht bei einer atemberaubenden Nummer zu Boden gefallen, wir haben sie nicht einmal hochgeworfen, da kullerten sie uns schon aus der Hand. Vielleicht stellt sich nach enormem Erfolg auch ein Gefühl der Nachlässigkeit ein: Wir können’s ja. Auf einmal ist man weniger engagiert, und missachtet sogar die Grundlagen der Kunst.
Da ist das heitere Scheitern nicht leicht. Nicht die Schuld beim Publikum suchen, nicht bei den Mitspielern. Was hätte ich tun können, um die Show zu retten!
Durchatmen, lächeln, toitoitoi fürs nächste Mal.

Formen üben

Formales Training in der Kunst erhöht die Menge der Optionen. Die Forderung “Sei offensichtlich!” (Johnstone) kann ja auch irgendwann langweilig werden. Je mehr eigene Offensichtlichkeit wir uns ermöglichen, umso eher haben wir die Chance, überraschend und dennoch organisch zu sein.

Archetypenspiel nach Gunter Lösel

Zusammenfassung der Archetypen, ihrer Gesten und dramatischen Bedeutung nach Gunter Lösel: “Das Archetypenspiel”

  Grundgeste Genuss Negative Seite / Versuchung Tragik
Held Heraustreten Strahlen Narzissmus Einsamkeit
Gefährte Begleiten Gemeinsamkeit Neid Wird zurückgelassen
Mentor Führen Energieverdopplung Sadistischer Ausbilder Enttäuschung
Torhüter Weg verstellen / Gefesselt sein Macht Bestechung Wird nicht als Mensch wahrgenommen
Schatten / Antagonist Lauern Befreit sein von Konventionen Maske herunterreißen Er sucht Liebe, ohne sie finden zu können
Trickster / Narr Nachäffen Freiheit ohne Verantwortung Hedonismus Vergeblicher Kampf um Respekt
Mutter Liebevolle Umklammerung Für jemanden die Welt zu sein Macht Will Liebe, erntet Hass
Anima Jemanden magisch anziehen Bewundert zu werden Idealisierung löst sich auf Andere zum Leben erwecken, aber selbst traurig und einsam bleiben
Kind Sich klein machen   Kind bleiben Aus dem Paradies vertrieben werden
Sack Sich drauf hängen Verantwortung abgeben Kontrollsucht Kontrollverlust durch Kontrollsucht –> zurückgelassen werden

Keith Richards’ LIFE (9)

“Auf einmal kam so viel Technologie ins Spiel, dass nicht mal der gewiefteste Tontechniker der Welt wusste, was eigentlich Sache war. Früher hatten die Drums mit einem einzigen Mikro genial geklungen, und jetzt mit fünfzehn Mikros klangen sie, als würde jemand auf ein Blechdach scheißen. Alle haben sich in den technischen Möglichkeiten verrannt, und sie finden erst langsam wieder zurück. In der klassischen Musik wird heute alles neu eingespielt, was in den achtzigern und neunzigern digital aufgenommen wurde. […] Den Bassisten schirmte man hermetisch ab, bis irgendwann alle in ihren Kabäuschen und Kämmerchen saßen, mitten in einem riesigen Studio, das man überhaupt nicht nutzte. Rock’n’Roll, das ist ein Haufen Jungs, die einen eigenständigen Sound erzeugen – zusammen und nicht getrennt. Stereo, Hightech, Dolby, das ist alles Schwachsinn, Mythen, die der eigentlichen Musik völlig zuwiderlaufen. […]
Wenn man aber alles auseinanderreißt, geht etwas Undefinierbares verloren – Spirit, Stimmung, Seele. Für so was gibt es kein Mikrofon.” (S. 680)

Tom Waits über die Zusammenarbeit mit Keith Richards:
“Jeder liebt Musik. Die Frage ist, ob die Musik dich liebt – das ist das Entscheidende. Man muss Respekt haben vor dem Prozess des Musizierens. Nicht du schreibst die Musik, sie schreibt dich. Du bist ihre Flöte, ihre Trompete, ihre Saite. […]
Ich glaube, heute wird allgemein zu wenig gestaunt. Doch Keith scheint immer noch zu staunen. Manchmal hält er plötzlich inne, hebt seine Gitarre in die Höhe und starrt sie einfach an. Als könne er sich das alles überhaupt nicht erklären.” (S. 682-4)

Inhaltliches Engagement

Wenn wir nur mit Technik prahlen, sei es Impro-Technik, Gesang oder was auch immer, so reduzieren wir Improtheater auf ein äußeres Spektakel.
Wir müssen natürlich als Spieler transparent sein, und Improvisationstheater an sich ist natürlich eine durchaus komische Angelegneheit, aber wenn wir eine gewisse Tiefe wollen, dürfen wir uns der inhaltlichen Tiefe nicht verweigern.
Denn wir sind nicht nur Schauspieler und Regisseure, sondern auch Autoren unseres improvisierten Stücks.

Du siehst etwas, was du nicht siehst

Eine gewisse Erfahrung in der Kommunikation zwischen Spielern bedarf es, wenn Spieler A sene Figur A etwas tun lässt, was Figur B nicht sehen soll, deren Spieler aber sehen muss, um zu kapieren, wo es lang geht.
Klassisch: Der Diener rührt dem Lord heimlich Gift in den Tee. Der Spieler des Lords muss es natürlich sehen, um seinen Tod spielen zu können, aber immerhin so unauffällig, dass die Szene nicht ruiniert wird.
Möglichkeiten:
a) Diener spielt in solch einem Winkel, dass Lord die Handlung aus den Augenwinkeln beobachten kann.
b) Diener kommuniziert durch andere kleine Details (Augenkontakt, kleine Geste) seinem Mitspieler die Bedeutung des Angebots.

Impro auf größerer Bühne

Eine große Bühne muss auch gefüllt werden:

  • Bewegung durch den Raum
  • Licht (möglichst dynamisch)
  • Gegenstände: Requisiten, Bühnenbild

Die Bühne im Ambulatorium des RAW-Tempel ist für uns, die wir nun jahrelang eher kleine Bühnen genutzt haben, eine gewisse Herausforderung. Die Beleuchtungsmöglichkeiten sind eher begrenzt. Ein schöner Versuch, der bisher sehr inspirierend wirkt, der das Spiel belebt und die Zuschauer auf charmante Weise einbezieht: Wir benutzen Fotos als Bühnenbilder. Die Digital-Fotos werden per Beamer an die Leinwand hinter der Bühne projiziert. Die Technikerin oder der DJ wechselt nach eigenem Belieben zwischen den Bühnenbildern hin und her.
Relativ ungewohnt ist für uns auch, mit echten Tischen, Sofas usw. zu spielen, statt sie wie bisher nur anzudeuten.

Technik und Freiheit

Improvisationstheater zu lehren bedeutet ja meist zweierlei: Improvisation lehren und theatrale Techniken lehren.
Wichtig ist in jedem Fall, dass die technischen Aspekte nicht überhand nehmen – auf Kosten der Freiheit, was oft bei Fortgeschrittenen geschieht. Umgekehrt brauchen wir eine ständige Erweiterung und Verfeinerung von Technik, um nicht künstlerisch stehenzubleiben.
Im Idealfall geht beides zusammen – man entdeckt freudig ein Stück Freiheit und schluckt die neue Technik wie nebenbei.