Gewalt abwehren. Meine zehn Tricks:

So. Jetzt bin ich auf Datumsgleichstand 6.12./6.12.

Wollte nur mal kurz die Stelle aus "Winnetou I" nachschlagen, in der Shatterhand Intschu-tschuna besiegt. Und schwupps, hatte ich schon wieder das halbe Buch durchgelesen. Vielleicht wäre der komplette May ja der am einfachsten zu handhabende Lektüre-Blog, denn schließlich liest er sich doppelt so schnell wie andere Bücher. Die beeindruckende Reihe der grünen Bände haben auf mich immer eine große Wirkung gehabt. (Gelesen habe ich die drei Winnetou-Bücher, vier Bücher aus der Orient-Reihe und "Der Mahdi".) Aber solch eine Dauerlektüre wäre ziemlich schnell langweiliger als die ausführlichen Harûn er-Raschîd Anekdoten. Anschleichen, die immerselben langwierige Dialoge mit Freund und Feind, Landschaftsbeschreibungen, andauerndes Gelobtwerden von Freund und Feind. (Hatte ich nicht sogar mal einen Text darüber geschrieben?)

Mi, 6.12.06

Was wären Lektüre-Alternativen zu 1001 Nächten?
1. Wilhelm Meister (ca.1000 S.): vermutlich sehr dröge.
2. Luhmanns "Gesellschafts-Werke" (ca. 5.000 S.) – vielleicht zu unliterarisch. Es wäre schwieriger, daran anzuknüpfen.
3. Shakespeares Dramen (ca. 2.500 S.) Bei Shakespeare könnte man als Lektüre-Einheiten die Szenen oder Aufzüge nehmen.
Vorteile: Angenehme und delikate Lektüre, literarische Gattung. Nachvollziehbare Einheiten. Nachteile: Er ist vergleichsweise bekannt und tausende Male durchanalysiert.
[Nachtrag 2008: Heute würde ich wohl vielleicht Luhmann vorziehen. Andererseits habe ich "Gesellschaft der Gesellschaft" schon als Klolektüre schon gelesen und brauchte dafür 2 Jahre. Wirklich anknüpfen kann ich an 1001 Nacht auch nur selten. Außerdem von den Gesellschaftsbüchern gelesen. 1996: "Das Recht der Gesellschaft". 1999: "Die Politik der Gesellschaft" (zur Hälfte)].
Pa hilft mir, meine Möbel zum Müllplatz zu fahren. Verschiedenes Timing, verschiedene intuitive Auffassungen darüber, ob der Vater den Sohn kommandieren sollte.
Ein anstrengender Tag, und ich muss mir nicht die Show der Kollegen anschauen.

Weil die Erinnerung an die WM schon wieder verblasst ist, schreibt Jochen: "Unsere Gegenwart hallt einfach nicht nach, es ist alles zu banal." Oder werden wir nicht einfach nur alt? Und das Erlebte verliert den Reiz des Neuen, weil es immer weniger Neues gibt. Selbst wenn man ein neues Land bereist, hat man die Erfahrung des Neues-Land-Bereisen schon gemacht. Und die globalen Ereignisse? Sollte denn das zumindest denkbare Auflösen der Arktis weniger Widerhall finden als die letzte Eiszeit? Sollten die Terroranschläge und Kriege der letzten Jahre banaler sein als der Kalte Krieg? Die explosionsartige Verbreitung des Internet banaler als die Verbreitung der Telegrafie? Sollten Jochen Schmidt, dem genauen Analytiker des Details, die Antenne für das Große fehlen? Eigentlich nicht denkbar.
Im schönen Sommer, während der WM, kämpfte er mit dem schlechten Gewissen, ihn nicht richtig genießen zu können. Auch mir geht es so. Als Kind konnte man die Begeisterung der Erwachsenen z.B. für den Frühling gar nicht recht verstehen. Jede Jahreszeit brachte ihre Freuden, und der Hammer war eben der Sommer. Jetzt hingegen löst schon der Mai das schlechte Gewissen aus, das man angesichts einer kaum zu bewältigenden Aufgabe (nämlich den Sommer richtig zu genießen) empfindet. In manchen Jahren (so auch 2006) löse ich das Problem, indem ich den Sommer durch September- oder Oktober-Urlaube in warmen Ländern verlängere. Aber auch das ist natürlich nur eine Scheinlösung. Schließlich kommt es darauf an, den Moment als solchen zu empfinden.

Madame Verdurin bekommt anscheinend Schnarch-Schluchz-Anfälle, wenn sie die Kompositionen von Vinteuil hört. Das erinnert ein wenig an die lauten Schnarch-Lacher – die begeistertsten Zuhörer bei den Lesebühnen, die aber jedem anderen die Lust nehmen, laut zu lachen. Marcel ist auch so einer, der "nur mal gucken" wollte, ohne die Darbietung zu respektieren. Die Autorität Charlus’ hindert ihn daran, sich gehen zu lassen. Heute wäre Marcel  wahrscheinlich einer von denen, die bei der Chaussee in der ersten Reihe auf dem Sofa lümmeln und sich ausführlich mit den lesbischen Bekannten seiner Freundin streitet.
Endlich mal etwas aus der Sammlung "Unklares Inventar", was ich kenne: Prinz Albert von Belgien (gemeint ist natürlich Albert I.)

*

Do, 7.12.06

Die Sprintspikes hat ein Nazar für eine Olga erstattet.
Wie schreibt man "Fietschern"? Faeturen? Featurn?
Nach 1 Tag kommt der Antwortbrief. Versöhnlich. Und so hart es auch kracht, man kommt doch immer wieder ins Reine miteinander.
Außergewöhnlich guter Chaussee-Abend. Und ich weiß, dass ich zwar mit seinem Text nicht gemeint bin, aber man könnte es so lesen.

Das Thema des vorigen Tages – die Banalisierung der Gegenwart – wird noch mal aufgegriffen: "Ich glaube, ich habe noch nie so lange an einem Text gefeilt. Jetzt steht er in diesem Heft, das kaum jemand kennt, und wird die Welt auch nicht verändern. Das traurige ist, daß so eine Veröffentlichung überhaupt keine Gefühle mehr auslöst, während ich mich noch bei meiner ersten Publikation in der Zeitschrift "Boxsport" ("Die Ballade vom Eisernen Mike, der seinem Gegner Heiligfeld ein Ohr abbiß") vor Aufregung erst zu Hause getraut hatte, das Blatt aufzuschlagen. Die Realität des Literaturbetriebs hat den Büchern ihre Aura genommen. Ich muss wieder lernen, von meinen eigenen Büchern zu träumen."

Schönes Bild der Hörer von E-Musik: "Ich blickte auf die Padrona, deren leidenschaftliche Unbewegtheit dagegen zu protestieren schien, daß die Damen des Faubourg die jeder Ahnung baren Köpfe wiegend den Takt angaben."

8.12.06

Y. veranstaltet seit Jahren Kleinkunstshows, in denen er Geld für berühmte gemeinnützige Vereine sammelt, die nie etwas davon sehen. Nun soll er auch Kollegen prellen, denen er Bares versprechen soll und die ihn nicht erwischen, da er nicht gemeldet sei. Warum gehen sie nicht zu seinen Shows? Ein ganz anderer Y. als ich ihn kenne.
Die Band lässt wegen der Jahresendfeier hart verhandeln und ahnt nicht, dass ich für diese gesamte Party allein hafte, aber nachher auch nicht mehr als jeder Leser ausgezahlt bekomme.
Immer noch leicht erkältet, und ich muss den Impro-Tanz-Kurs ausfallen lassen.
Den ganzen Tag über mit der Organisation der Silvesterparty beschäftigt. Dass auch ja alle Beteiligten zufrieden sind.
Am Abend versuche ich, mich mit einem Film zu belohnen. Glaube, "Der Untergang" könne nicht so schlimm sein, wie alle sagen. Welch ein Irrtum! Bloß die Kritiker haben immer an der Hauptsache vorbeigekrittelt. Natürlich kann man einen Film über die letzten Tage im Bunker machen. Natürlich kann Bruno Ganz Hitler spielen. Aber der Film stimmt in seiner Umsetzung nicht. Er ist völlig unentschieden. Es stimmt das Timing nicht, es gibt keine Perspektive, keinen wirklichen Ansatz. Und schließlich hat Hitler, wie man weiß, im Privaten, nicht so gedröhnt, sondern weiches Wienerisch gesprochen. Mit Hitler-Bildern im Kopf schlafengehen. Es gäbe Schöneres.

Varianten der After-Show-Depression bei Jochen:

  • Wenn es gut gewesen war, hatte man Angst, es nie wieder so hinzukriegen

  • wenn nur 20 Zuschauer gekommen, und die Texte verpufft waren, fühlte man sich machtlos

  • man wußte nicht, ob einem wieder zwei Texte für die nächste Woche einfallen würden

  • Heute bin ich traurig, wenn die Show vorbei ist, und die Zuschauer gehen

Das Glück des Sprechbehinderten, dass es Mikrofone gibt: "Für mich mit meiner behinderten Stimme ist es eine große Erleichterung, durch ein Mikrophon sprechen zu können, ich würde mir das auch im Alltag wünschen, wo ich immer wieder überhört werde." Irgendjemand, dem Jochen mehr glaubt als mir, müsste ihm noch mal sagen, dass er eine kräftige Stimme hat, die er nur nicht einzusetzen versteht. Wie ein muskulöser Zwei-Meter-Kerl, der stöhnt, wenn er einen Blumentopf umstellen soll.

Die Soiree sei ein Erfolg gewesen. Ich dachte, wir wären auf einer Matinee.

6.-8.1206
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