Sagte er/sagte sie

Ich sollte wieder ab und zu bei Johnstone nachschlagen. Mich gestern gewundert, warum im Workshop das Spiel “Sagte er / sagte sie” so schwächelte. Es muss in Hochstimmung gespielt werden. Spieler, die ohnehin zum Nachdenken tendieren, kommen noch mehr in den Kopf.
Johnstone führt es außerdem mit dem Hinweis ein, es sei für Kinder leicht und für Erwachsene schwer.

Heimliche Vorgaben

Die Show von Foxy Freestyle am letzten Freitag gehörte zu den besten der letzten Monate, und zwar sowohl aus unserer als auch (so weit sich das aus dem unmittelbaren Feedback nach der Show herleiten lässt) aus Publikums-Sicht. Ein kleiner Trick, den wir angewandt haben, war, dass wir uns selbst vor der Show gegenseitig kleine unverbindliche Vorgaben gegeben haben, die unser Spielen fokussierten, z.B.: “Lass deinen Character irgendwann von einer Kuh inspirieren.” oder “Sortiere Blutproben.” Diese kleinen Aufgaben wurden bilateral gestellt, d.h. die anderen Spieler wussten auch nichts davon.
Gerade die Szenen, in denen diese Anweisungen befolgt wurden, hatten eine große Kraft.

Tunten

Als ich am letzten Freitag in einer Nebenrolle einen Club-Manager spielen musste, legte ich ihn stark tuntig an – einfach als Kontrast zu den bereits etablierten Macho-Typen. Der Jubel war erwartbar stark.
Hinterher fragte ich mich: Wie oft habe ich in den letzten 10 Jahren auf der Impro-Bühne eine Tunte gespielt? Man kann’s wahrscheinlich an einer Hand abzählen. Die Schnelligkeit und Billigkeit des Lachers will ich eigentlich nicht haben. Andererseits ist’s auch wieder OK, wenn man so etwas sparsam einsetzt, nicht um des Effekts willen und die Story nicht aus dem Auge verliert.

Hitchcock – Suspense und Voyeurismus

Suspense
Das wohl wichtigste Stilmittel Hitchcocks ist die herausgearbeitete Spannung i.e.S. Suspense. Rätsel und Neugier sind relativ uninteressant, Überraschungen nur die Schluss-Synthese.
Der Zuschauer weiß mehr als die handelnden Personen, und in der Regel staut sich der Suspense in Gefahren-Situationen auf. Die Auflösung kommt (a) als Erleichterung oder (b) als Schock daher.
(a) Erleichterung: In “Marnie” sehen wir, wie Marnie heimlich und leise nach Feierabend einen Tresor ausräumt. Parallel – fast als Split Screen, de facto aber in einer Einstellung – sehen wir im nebenan befindlichen Büroraum eine Putzfrau sich nähern. Wir fiebern mit der Kriminellen mit und hoffen, sie wird nicht erwischt. Tatsächlich gelingt es Marnie, unbemerkt aus dem Tresorraum zu kommen, sie zieht sich die Schuhe aus, um von der Putzfrau nicht gehört zu werden. Doch dann fällt ihr der Schuh, den wir in Großaufnahme sehen, aus der Manteltasche. Nichts passiert: Die Putzfrau ist schwerhörig.
(b) Schock: In “Die Vögel” greifen die Möwen das Stadtzentrum an. Ein Element inmitten des irren Chaos: An einer Tankstelle verliert eine Säule massig Benzin. Die Passanten haben sich in Panik in ein Diner zurückgezogen. Sie sehen einen Autofahrer, der an der Tankstelle aussteigt und sich eine Zigarre anzündet. Hilflos schreien sie ihm durch die geschlossenen Fenster zu, er möge das Streichholz nicht wegwerfen. (Als Zuschauer beobachten wir die Beobachter.) Und rumms! schon ist es geschehen – das Auto explodiert.

Voyeurismus
Am deutlichsten herausgearbeitet in “Rear Window” (Fenster zum Hof). Der selbstgerechte Fotograf glaubt, einem Mord auf der Spur zu sein. Aber seine Mittel sind natürlich äußerst zweifelhaft. Und dennoch fiebern wir – die Beobachter des Voyeurs – mit ihm mit.
In “Psycho” beobachtet Bates die sich ausziehende Marion, und im Grunde sind wir auf seiner Seite: Auch wir sehen ihr gern dabei zu.

Normale Menschen in ungewöhnlichen Situationen
In “Der unsichtbare Dritte” wird Cary Grant für einen Agenten gehalten. In Psycho wird die unscheinbare Sekretärin Opfer eines Psychopathen. In “The wrong man” wird Henry Fonda für einen Killer gehalten.

MacGuffin
Ein Objekt oder ein Detail, das die Handlung vorantreibt und die Charaktere zum Handeln zwingt, das aber an sich völlig unerheblich ist. In “Der unsichtbare Dritte” sind es völlig undefinierte “Staatsgeheimnisse”, in “Berüchtigt” Uran-Erz.

Hitchcock – wiederholte Inhalte und Charaktere

– heimliches Beobachten
– visuell-sexuelle Metaphern
– falsche Identität
– Flucht
– Helden werden oft allein gezeigt.
– Frauen spielen ein doppeltes Spiel: Agentinnen, Diebinnen
– dominante Mütter
– Männer unter falschem Verdacht
– Liebe in gefährlichen Situationen
– Psychoanalyse
– Obsessionen und Ängste
– Geheimdienste und Verschwörungen (Wobei es nie um die Aufdeckung geht; die Verschwörung ist nur ein Mittel, um Suspense zu erzeugen.)

Hitchcock Kap. 11.1

Aus Truffaut: “Wie haben Sie das gemacht, Mr. Hitchcock”
(Zu “Rear Window”)
H: James Stewart schaut zumn Fenster hinaus und sieht zum Beispiel ein Hündchen, das in einem Korb in den Hof hinuntergetragen wird. Wieder Stewart, er lächelt. Jetzt zeigt man anstelle des Hündchens ein nacktes Mädchen, das sich vor einem offenen Fenster dreht und wendet. Man nimmt wieder dieselbe lächelnde Großaufnahme von James Stewart, und jetzt sieht er aus wie ein alter Lüstling.

H: Auf der anderen Seite des Hofes haben Sie alle Arten menschlichen Verhaltens, einen kleinen Verhaltenskatalog. Das musste man unbedingt so machen, sonst wäre der Film ohne Interesse gewesen. Was man auf der Hofmauer sieht, ist eine Fülle kleiner Geschichten, es ist der Spiegel einer kleinen Welt.
T: Und alle diese Geschichten haben als gemeinsamen Nenner die Liebe.
(DR: Das erinnert natürlich an unsere Impro-Langformen wie Harold und entsprechende Abwandlungen.)
H: Und es gibt hier dieselbe Symmetrie wie in Shadow of a Doubt. Auf der einen Seite das Paar Stewart-Kelly, er mit dem Bein in Gips, während sie sich frei bewegen kann, und auf der anderen Seite des Hofes die kranke, ans Bett gefesselte Frau, deren Ehemann kommt und geht.
Eins hat mich an dem Film wirklich unglücklich gemacht, die Musik. (…) Auf der anderen Seite des Hofs gab es den Musiker, der sich betrank. Ich wollte, dass man hörte, wie er sein Lied komponiert, es entwickelt, und den ganzen Film hindurch sollte man die Entwicklung des Liedes mitverfolgen können, bis es schließlich in der Schlussszene mit Orchester von einer Platte kommt.

T: Mir fällt eine Sache ein, die bestimmt eine Regel ist bei Ihrer Arbeit. Sie zeigen den ganzen Dekor immer erst im dramatischsten Augenblick einer Szene. In The Paradine Case, wenn Gregory Peck gedemütigt weggeht, sieht man ihn von ganz weit weg, und dabei sieht man den Gerichtssaal, in dem man sich schon seit fünfzig Minuten befindet, zum ersten Mal ganz. (…)
H: Es kommt immer wieder darauf an, die Größe der Bilder im Verhältnis zu ihrem dramatischen und emotionellen Zweck auszuwählen und nicht in der Absicht, nur einen Dekor zu zeigen.

T: Die Exposition des Films ist ausgezeichnet. Es geht los mit dem schlafenden Hof, dann gleitet die Kamera auf Hames Stewarts schweißgebadetes Gesicht, schwenkt über sein Gipsbein, dann auf seinen Tisch, auf dem ein zerbrochener Fotoapparat liegt, und an der Wand sieht man Fotos von sich überschlagenden Rennwagen. In dieser ersten Begegnung erfährt man sofort, wo man ist, wer die Person ist und was ihr Beruf ist und was passiert ist.
H: Das heißt, die Mittel zu verwenden, die im Kino zur Verfügung stehen, um eine Geschichte zu erzählen. Das finde ich interessanter, als wenn jemand James Stewart fragen würde: “Wie haben Sie sich das Bein gebrochen?” (…) Das wäre doch eine banale Szene. Für einen Szenaristen finde ich, ist es eine Todsünde, wenn man vor einer Schwierigkeit steht und sagt: “Das kriegen wir schon durch einen Dialogsatz.”

T: Was so toll an dem Film ist: wie Sie die Idee [des Eherings als Mord-Indiz] ausgeschmückt haben. Grace Kelly möchte, dass James Stewart sie heiratet, aber er will nicht. Sie dringt in die Wohnung des Mörders ein, um ein Indiz gegen ihn zu finden, und sie findet den Ehering seiner Frau. Sie steckt sich den Ring an den Finger und hält ihre Hand auf den Rücken, damit Stewart von der anderen Seite des Hofes her den Ehering durchs Fernglas sieht. Für Grace Kelly ist es ein doppelter Sieg, sie hat Erfolg mit ihren Nachforschungen, und sie bringt es fertig, dass Stewart sie heiratet. Sie hat den Ring schon am Finger.
H: Genau das ist es. Das ist die Ironie der Situation.

Hitchcock Kap. 10

Aus Truffaut: “Wie haben Sie das gemacht, Mr. Hitchcock”

H: Niemand sonst interessierte es, die Regeln zu studieren.
T: Welche Regeln?
H: Die Regeln des Suspense.

T: In ihren Filmen begibt sich oft jemand irgendwohin, und dort erwartet ihn eine Überraschung. Ich glaube, in solch einem Fall (…) schaffen Sie immer eine Ablenkungs-Suspense, damit die Überraschung gleich darauf vollkommen ist. (…) So dringt [in Strangers On A Train] Guy nachts in das Haus ein. Er muss in die erste Etage, in das Zimmer von Brunos Vater. Würde er ruhig die Treppe hinaufgehen, so würde der Zuschauer versuchen, weiterzudenken, und vielleicht käme er darauf, dass nicht Brunos Vater ihn oben an der Treppe erwartet, sondern Bruno selbst. Aber darauf kommt man unmöglich, weil Sie einen kleinen Suspense einbauen mit einem großen Hund, der mitten auf der Treppe steht, und einen Augenblick lang ist es die Frage, ob der Hund Guy vorbeilassen wird, ohne ihn zu beißen.

H: Das große Problem bei Filmen dieser Art [Filme mit stringentem Plot] ist, dass aus den Hauptpersonen zu leicht bloße Figuren werden.

T: Man spürt deutlich, dass hier der Schurke Ihre Sympathie hatte.
H: Natürlich, das ist ganz klar.

H: [Agenten legen mir meistens Geschichten vor] mit Gangstern oder Berufsverbrechern oder ein Whodunnit, das heißt Dinge, die ich nie anfasse.
(DR: Vielmehr geht es um die menschlichen Abgründe, was Hitchcock eben oft so weit treibt, dass man gar nicht kann, als mit dem Verbrecher mitzufiebern.)

H: Wenn wir an einem Drehbuch arbeiten, ist der Satz, der am häufigsten vorkommt: “Wäre es nicht amüsant, wenn er auf diese Weise umgebracht würde?”

H: Wenn man aus Psycho einen ernsten Film machen wollte, würde man einen klinischen Fall zeigen. Dann dürfte man weder Rätsel noch Suspense in die Sache hineinbringen. (…) Man kommt also in den Grusel- und Suspense-Filmen nicht ohne Humor aus.

Bühnenmagie

Was erzeugt die Magie der Bühne, was zerstört sie? Mit Bestimmtheit kann ich es noch nicht genau sagen. Hilfreich ist sicherlich ein klarer Bühnenfokus. Scheinwerfer, die sich bestenfalls auch verschiedenen Stimmungen anpassen oder diese erzeugen, helfen auf jeden Fall. Neulich wollte bei einem Gala-Auftritt keine rechte Stimmung aufkommen. Ein Grund war sicherlich, dass wir unter diffusem Licht spielen mussten. Was das Licht betrifft, war bisher die Scheinbar in Berlin sicherlich mein Lieblings-Impro-Ort. Dem Fokus hilft es aber auch, wenn das Publikum nicht verstreut oder an Tischen sitzt. Wenn andere optische Eindrücke ablenken, verliert das Bühnengeschehen an Bedeutung. Ein überfüllter Raum ist zwiespältig, da stehende oder auf dem Boden hockende Zuschauer an der mangelnden Bequemlichkeit leiden, aber fast immer entsteht bei solchen Veranstaltungen ein Publikums-Gefühl, hier geschehe gerade etwas ganz besonderes. Intensiv habe ich das als Zuschauer bei den Veranstaltungen der Reformbühne im Schokoladen erlebt. Später in extremster Form bei der Chaussee der Enthusiasten, als Zuschauer sogar noch Eintritt bezahlen wollten, um auf der Kellertreppe sitzen zu dürfen, wo sie nur einen vagen akustischen Eindruck dessen erhaschen konnten, was die meist halb-defekte Box noch in den Hinterraum herüberließ. Sehen konnte uns oft gerade mal die Hälfte der Zuschauer. Nebengeräusche sind vor allem für sanfte Passagen ungemein störend. Ich habe es nie verstanden, warum es sich einige Lesebühnen gefallen ließen, dass während der Veranstaltung an der Bar gequatscht wurde. Beim Improtheater sind solche akustischen Störungen sanfter Szenen natürlich noch schlimmer. Man wird aus der Phantasie der etablierten Welt herausgerissen. Plötzlich sehen wir nicht mehr zwei Gangster in einem Krankenhaus, sondern zwei Pantomimen, die auf einer Bühne so tun als ob. Angenehme Bühnen versprühen Charme und inspirieren die Schauspieler, schwierige Bühnen banalisieren die Darstellung.