Improvisationstheater ist interaktiv. Dadurch entsteht in der Regel eine stärkere Bindung zwischen Publikum und Schauspielern als in nicht-improvisierten Stücken. Offensichtlich wird die Interaktion, wenn die Schauspieler das Publikum nach Vorschlägen oder Vorgaben für eine Szene fragen. Schon in der Situation des Fragens und Antwortens wird die „vierte Wand“ gebrochen. Die Schauspieler spielen keine Rolle, sie sind einfach nur die Schauspieler, die sich auf die Improvisation mit dem Publikum vorbereiten. Der Kunst wird hier der Heiligenschein genommen, die Schauspieler rücken den Zuschauern näher. Sie sind diejenigen, die (stellvertretend für die Zuschauer) das Wagnis der Improvisation eingehen.
Das Publikum wird aber auch durch die Vorschläge konditioniert, genauer gesagt, das Zuschauen des Publikums wird konditioniert. Als Zuschauer fragen wir uns, ob es den Schauspielern gelingen wird, die Eifersuchts-Szene, wie vorgegeben, komplett gereimt vorzutragen, und dann auch noch an einem Königshof. Umso größer die Freude, wenn es tatsächlich funktioniert. Die Freude verdoppelt sich im Übrigen für diejenigen Zuschauer, die die Vorschläge abgegeben haben, denn hier wurde ein persönlicher Wunsch erfüllt. Aber auch der Rest des Publikums ist mit der vorschlagenden Person verbunden. Man wünscht, nicht nur den Schauspielern, sondern auch diesem einzelnen Zuschauer, dass die Szene gelingen möge. Und wenn die Szene schließlich vorbei ist, gibt es ein kollektives Gefühl, dass sich etwas erfüllt hat, der Kreis hat sich geschlossen.
Nun gibt es aber durchaus auch Improvisations-Formate, die ganz ohne Publikums-Vorschläge auskommen oder in denen die Interaktion nur eine sehr geringe Rolle spielt. In diesem Zusammenhang stellte mir ein Impro-Kollege einmal eine provokante Frage: „Stell dir vor, du kommst in eine Theatervorstellung und du bist eine halbe Minute zu spät. Das Stück ist großartig. Spielt es nun am Ende für dich eine Rolle, ob es improvisiert war oder nicht? Wohl kaum, oder?“ Ich konnte die Frage gar nicht recht beantworten und nahm sie nach Hause mit.
Inzwischen denke ich, dass es vielleicht nicht am Ende, aber ganz sicher während der Performance eine Rolle spielt. Denn das Improvisieren selbst schafft die bereits erwähnte Doppelbindung, die dem geskripteten Theater nicht gelingt. In einem geschriebenen Stück sind wir viel tiefer in die Handlung involviert, die Schauspieler verschwinden hinter ihren Rollen. Und da, wo die Regie das zu konterkarieren versucht, etwa durch den Brechtschen Verfremdungseffekt, sehen wir dann eben den Regisseur oder den Autor hervortreten. Im Improvisationstheater hingegen sind wir sowohl an die Figur und die Handlung als auch an die Improvisierer und den Improvisationsprozess gebunden. Wir fragen uns als Zuschauer nicht nur: „Wird der Kleptomane seiner Frau die Wahrheit sagen?“, sondern wir wollen auch wissen: „Welche Entscheidungen treffen die Improvisierer jetzt?“ Diese zusätzliche Denkspur läuft (mal mehr, mal weniger bewusst) immer mit. Man ist daher als Zuschauer in einem improvisierten Stück oder einer improvisierten Szene nicht nur am Fortgang der Handlung oder der Dichte der Dialoge interessiert, sondern man genießt obendrein den Flow, in dem das Spiel improvisiert wird. Insofern ist auch Improtheater ohne Vorgaben aus dem Publikum deutlich interaktiver als das konventionelle Regie-Theater.

Spielt es am Ende eine Rolle, ob es improvisiert war oder nicht?
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