Der Bruder des Barbiers ergeht sich weiter in wilden Phantasien über seinen künftigen Reichtum und seine Brautnacht:

“… spricht sie zu mir: ‘Mein Gebieter, um Allahs willen, verweigere nicht, den Becher aus der Hand deiner Sklavin zu nehmen, denn siehe ich bin deine Magd!’ Ich aber spreche nicht zu ihr, und sie bittet mich inständig, ihn doch wirklich zu trinken; und sie hält ihn mir an die Lippen. Ich aber schüttle ihr die Faust vorm Gesicht und stoße sie mit dem Fuß und mache so!”

Und da geschieht es – die gesamte Glassammlung geht zu Bruch wie in einem Laurel-und-Hardy-Film.

Aus diesem Grunde raten Anlageberater auch immer zu Diversifizierung des Kapitals.33**

Darauf, o Beherrscher der Gläubigen, schlug er sich ins Gesicht, zerriss seine Kleider33 und prügelte sich. (…) Siehe, da kam eine schöne Dame.

Man kann die Gefahr schon riechen. Ich warte noch auf die Erzählung, in der ein plötzlich auftauchende Dame wirklich Glück verheißt.

Moschusduft strömt von ihr aus.33*

Als sie den Glashändler jammern sieht, schenkt sie ihm fünfhundert Dinare, um ihn zu trösten. Kurz darauf taucht beim ein altes Weib auf, um bei ihm vorm Rak’a die religiöse Waschung vorzunehmen. Aus Dank leitet sie ihn ins Haus der Dame. Eine griechische Sklavin (!) öffnet, die Dame erscheint, und die beiden tändeln, bis sie kurz verschwinden muss. Ein riesiger schwarzer Sklave erscheint.

Da packte ihn der schwarze Mohr, zog ihm die Kleider aus und schlug ihn immerfort mit der flachen Seite seines Schwerts. Als der elende Neger meinte, es sei mit ihm zu Ende, hörte mein Bruder ihn rufen: “Wo ist das Salzweib?”

Ein Weib streut daraufhin Salz in seine Wunden, während er sich tot stellt. Das “Kellerweib” (= die Alte) erscheint und wirft ihn

auf einen Haufen von Ermordeten.

Nach zwei Tagen flieht er, verkleidet sich als Perser, nimmt ein Schwert mit, dass er unter seinen Kleidern verbirgt und lässt sich von der Alten noch einmal in den Palast führen. Dort köpft er den Sklaven, das Salzweib und das Kellerweib. Das Mädchen hingegen berichtet, zufällig in die Fänge dieser Strolche geraten zu sein. Es zeigt ihm die Schatzkammer, deren Inhalt wohl von den Ermordeten stammt, doch als er Träger kommen lässt, um en Schatz fortzuschaffen, ist das Mädchen verschwunden. Stattdessen kommen Wachen, die ihn vor den Präfekten führen. Dieser begnadigt den Bruder, nachdem er die Geschichte erzählt, verbannt ihn aber aus der Stadt. Und auf seinem Weg fangen ihn Räuber, die ihm die Ohren abschneiden.

Das hätte nicht sein gemusst.

Des Barbiers Erzählung von seinem sechsten Bruder

Zur Orientierung

Schehrezâd
    –> Die Geschichte des Buckligen
                  –> Die Geschichte des Schneiders
                             –> Die Geschichte des Barbiers
                                          –> Des Barbiers Erzählung von seinem sechsten Bruder

Der sechste Bruder des Barbiers kam in Zeiten der Armut an das Haus eines Barmekiden, um zu betteln. Dieser bitten ihn einzutreten, und nachdem er von dessen Armut erfährt,

legte er Hand an sein Kleid, zerriss es33 und rief: “Wie! Bin ich in einer Stadt, in der dich hungert? So etwas kann ich nicht ertragen!”

Er ruft nun nach Essen, welches aber nicht erscheint. Der Bruder aber, um den Gastgeber nicht zu beleidigen, tut so, als äße er. Das ganze zieht sich über mehrere Menügänge:

  • Säuberungswasser

  • Weißbrot

  • Fleischpastete

  • Küken mit Pistazienfüllung

  • Waffeln mit Moschus und Ambra

  • Mandeln

  • Wein

Da er sich nun verspottet fühlt, spielt der Bruder, nachdem der “Wein” serviert wurde, den Betrunkenen und schlägt ihm ins Gesicht. Der Gastgeber besitzt Humor:

“Lange habe ich die Menschen zum besten gehabt und meinen Freunden Streiche gespielt, aber nie noch habe ich einen getroffen, der Geduld und Witz genug hatte, um auf meine Launen einzugehen, außer dir.”

Er verleiht ihm ein Ehrengewand.33und macht ihn zu seinem Freund. Als er jedoch zwanzig Jahre später stirbt, erbt der Bruder zunächst alles, doch dann zieht der Sultan das Vermögen ein, und so – allen Vermögens beraubt – flieht er und wird von Beduinen überfallen, die ihm aus Ärger über mangelnde Beute die Lippen abschneiden. Dies hält aber die Gattin des Häuptlings nicht davon ab, mit ihm anzubändeln,

als plötzlich der Beduine hereintrat. Wie er meinen Bruder erblickte, schrie er ihn an: “Weh dir, verfluchter Schurke, willst du jetzt noch meine Frau verführen?” Und er zog ein Messer hervor und schnitt meinem Bruder die Rute ab.”

Über Umwege gelangt auch dieser Bruder zu seinem Bruder, der ihn versorgt.

Ende der Geschichten der Barbierbrüder.

Der Kalif verbannt den Barbier lachend aus seiner Stadt.

(Vorher wollte er ihm noch Ehrengewänder schenken!)

Als ein neuer Kalif den Thron besteigt, kehrt er zurück und findet seine Brüder tot.

Ende der Geschichte des Barbiers

Die Gesellschaft sperrt den Barbier wegen Geschwätzigkeit ein.

***

Der König von China ist erfreut über die Geschichte des Schneiders und befiehlt, den Barbier aus seinem Verlies zu befreien.

33 Bisher an dieser Stelle unerwähnt: Das ständige Zerreißen der eigenen Kleider in Momenten der Verzweiflung, das wie ein erzählerischer Kontrast zum Verleihen von Ehrengewändern in Situationen großer Ehrbezeugung steht. Man fragt sich – ist der Wert der Kleider so gering, dass sie ständig zerrissen und verschenkt werden oder ist er umgekehrt sehr hoch, und das Zerreißen und Verschenken deshalb ein hoch dramatischer oder erhabener Akt?
Das Verschenken des Ehrengewand (Gala, Hil’a) kann als typische muslimische Tradition (wenn auch mit Ursprüngen aus vorislamischer Zeit) betrachtet werden. In den Erzählungen aus 1001 Nacht geht meist nicht die konkrete Bedeutung hervor, die sich ja im Laufe der Jahrhunderte gewandelt hat – reine Ehrenbezeugung, Gewand mit Schmuck und Waffen als Auszeichnung für Amtsträger, das Gewand als Amtsgewand usw. (Näheres: Springberg-Hinsen, Monika: “Die Hil’a Studien zur Geschichte des geschenkten Gewandes im islamischen Kulturkreis.”
Das Zerreißen der Kleider hingegen scheint aus der jüdischen Tradition zu stammen. Während heute viele islamische Theologen das Zerreißen der Kleider als übermäßige Trauer und Zeichen mangelnden Glaubens ansehen (angeblich verabscheute der Prophet diese Form der Trauer), ist doch festzuhalten, dass die Tradition zumindest aus dieser Ecke herrührt.

33* Moschusduft wird zu jener Zeit aus einer Drüse des Moschusochsen gewonnen. Eine goldene Nase haben sich damit die Perser verdient, an deren Reichsgrenze das arme Tier lebte, bevor es geschlachtet wurde.

33** Unser Glashändler macht aus unternehmerischer Sicht so ziemlich alles falsch, was man falsch machen kann:

  • Er setzt auf ein wenig gewinnträchtiges Produkt: Glas

  • Er setzt auf ein risikobelastetes Anlageprodukt.

  • Er diversifiziert nicht seine Anlage – umso schwerer trifft der Verlust.

33. Nacht
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